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Landgericht Koblenz Urteil vom 24.07.2009 - 13 S 7/09 - Für den Unfallgeschädigten ist eine weit entfernte Fachwerkstatt unzumutbar

LG Koblenz v. 24.07.2009: Für den Unfallgeschädigten ist eine weit entfernte Fachwerkstatt unzumutbar


Das Landgericht Koblenz (Urteil vom 24.07.2009 - 13 S 7/09) hat entschieden:
Die Reparaturmöglichkeit muss dem Geschädigten „mühelos und ohne weiteres“ zugänglich sein. Eine solche Möglichkeit hat der Geschädigte aber nicht, wenn sich die vom Schädiger bzw. seiner Versicherung benannte Werkstatt rund 50 km von seinem Wohnsitz entfernt befindet, wohingegen sich die Markenwerkstatt, deren Reparaturkosten der Geschädigte erstattet verlangt, lediglich rund 7 km von seinem Wohnsitz entfernt liegt. Die Inanspruchnahme der freien Fachwerkstatt wäre daher mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, der dem Geschädigten nicht mehr zumutbar ist.


Siehe auch Stundenlohnsätze - Stundenverrechnungssätze einer Fachwerkstatt und Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung


Gründe:

I.

Des Tatbestandes bedarf es nicht, weil ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht zulässig ist (§§ 540 As. 2, 313 Abs. 1 Satz 1 ZPO).


II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf weiteren Ersatz der ihm aus dem Verkehrsunfallereignis vom 02.09.2008 in … entstandenen Fahrzeugreparaturkosten sowie der für die Verbringung des Fahrzeuges zu einer Lackierwerkstatt abgerechneten Kosten.

a) Die Haftung der Beklagten für die dem Kläger entstandenen Schäden aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG ist dem Grunde nach unstreitig.

b) Der Höhe nach hat der Kläger Anspruch auf Erstattung sämtlicher von ihm mit der Reparaturkostenkalkulation des Sachverständigen … dargelegten Reparaturkosten. Insbesondere kann er auch die Erstattung der auf der Grundlage der Verrechnungssätze einer markengebundenen Vertragswerkstatt ermittelten Arbeitslöhne verlangen.

aa) Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes erforderlichen Reparaturkosten. Erforderlich in diesem Sinne sind die Kosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Person des Geschädigten für erforderlich halten darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der überwiegenden Rechtsmeinung sind das grundsätzlich die in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. BGH NJW 2003, 2086). Zwar ist der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Doch genügt dazu im Allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (vgl. BGH a.a.O.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger die von ihm geltend gemachten Reparaturkosten gestützt auf die detaillierte Kostenkalkulation des Sachverständigen schlüssig dargelegt. Die Beklagte hat sie nicht erheblich bestritten. Sie hat weder behauptet, dass die von dem Sachverständigen angesetzten Verrechnungssätze in einer Markenwerkstatt nicht anfallen würden, noch hat sie Mängel des Gutachtens aufgezeigt.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof in der oben genannten Entscheidung auch ausgeführt, dass vom Ansatz her der Auffassung beigetreten werden könne, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertigere Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen müsse.

In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum wie auch zwischen den Parteien ist die Auslegung dieses obiter dictums des sogenannten „Porsche-Urteils“ im Falle der abstrakten Abrechnung eines Kraftfahrzeugschadens auf Gutachtenbasis umstritten.

Zum einen wird die Auffassung vertreten, die Entscheidung des Bundesgerichtshofes enthalte keine Beschränkung des Inhalts, dass nur eine Verweisung auf eine andere markengebundene Fachwerkstatt in Betracht komme. Anderenfalls sei der vom Bundesgerichtshof gewählte Begriff der Gleichwertigkeit obsolet (vgl. LG Potsdam NJW 2008, 1392; LG Berlin NJW-RR 2007, 20; Figgener NJW 2008, 1349).

Die gegenteilige Auffassung ist der Meinung, die Gleichwertigkeit könne nicht allein von der fachlichen Qualität der Reparatur abhängig gemacht werden. Der Geschädigte könne ein berechtigtes Interesse an der Reparatur in einer Markenwerkstatt haben. So billigten weite Teile der betroffenen Verkehrskreise einer Markenreparatur noch immer einen höheren Wert zu. Das Vertrauen in die Seriosität und die Qualität der Markenwerkstatt honoriere der Markt mit höheren Wiederverkaufspreisen. Die von unterschiedlichsten Kriterien abhängige Beantwortung der Frage, ob eine Reparatur im konkreten Fall gleichwertig sei, führe zu einer Ungewissheit über die berechtigte Inanspruchnahme einer Markenwerkstatt, die mit dem Bedürfnis nach klaren Kriterien für die Abwicklung von Schadensfällen als Massenphänomen nicht vereinbar sei. Schließlich sei die Verweisung auf die günstigste Werkstatt auch nicht mit der Dispositionsfreiheit des Geschädigten vereinbar (vgl. KG NJW 2008, 2656; LG Mainz Beck RS 07, 3157, und zum Ganzen Figgener a.a.O.).

Die Kammer braucht die Frage vorliegend nicht zu entscheiden.

Folgte man der Auffassung, dass sich der Geschädigte allenfalls auf eine ihm günstigere Markenwerkstatt verweisen lassen muss, wäre der Hinweis der Beklagten auf die freie Fachwerkstatt von vorneherein irrelevant.

Wollte man der erstgenannten Auffassung folgen, wonach es allein auf die fachliche Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit ankommt, wäre der Vortrag der Beklagten gleichwohl nicht geeignet, eine solche Möglichkeit nachzuweisen. Die Reparaturmöglichkeit müsste dem Geschädigten nämlich nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs „mühelos und ohne weiteres“ zugänglich sein. Eine solche Möglichkeit hat die Beklagte aber nicht aufgezeigt, worauf sich der Kläger zu Recht berufen hat. Die von der Beklagten benannte Werkstatt befindet sich nämlich rund 50 km vom Wohnsitz des Klägers entfernt, wohingegen die Markenwerkstatt, deren Reparaturkosten der Kläger erstattet verlangt, lediglich rund 7 km von seinem Wohnsitz entfernt liegt. Die Inanspruchnahme der freien Fachwerkstatt wäre daher mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, der dem Kläger nicht mehr zumutbar ist (vgl. LG Mainz BeckRS 2007, 3157; Figgener in NJW 2008, 1349).

bb) Die geltend gemachten Verbringungskosten sind dem Kläger ebenfalls zu ersetzen.

Sie gehören zu den nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Kosten. Wie ausgeführt, hat der Kläger mit der Vorlage der sachverständigen Reparaturkostenkalkulation die Erforderlichkeit der darin enthaltenen Kosten schlüssig dargelegt (vgl. BGH a.a.O.). Die Beklagte hat keine erheblichen Einwände gegen das Gutachten vorgebracht. Sie hat weder bestritten, dass bei einer Reparatur in der dem Gutachten zugrunde liegenden Werkstatt Verbringungskosten anfallen, noch hat sie konkret dargelegt, dass es in für den Kläger zumutbarer Nähe Vertragswerkstätten mit angeschlossener Lackiererei gibt, bei deren Inanspruchnahme Verbringungskosten entfallen würden.

Die in der Kalkulation enthaltenen Verbringungskosten sind daher nach dem anzulegenden objektivierenden, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten typisierenden Maßstab (vgl. BGH NJW 1989, 3009) ebenfalls grundsätzlich als erforderlich anzusehen. Nach dem Grundsatz der Dispositionsfreiheit kann der Geschädigte sie auch dann verlangen, wenn er auf die Reparatur verzichtet (vgl. OLG Dresden DAR 2001, 455; OLG Koblenz NZV 98, 465; LG Koblenz 14 S 68/06).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Neufassung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, nach der die Umsatzsteuer nur dann ersetzt verlangt werden kann, wenn sie tatsächlich angefallen ist. Durch die Neuregelung sollte nicht die Zulässigkeit der abstrakten Schadensabrechnung insgesamt beseitigt werden, sondern lediglich die Ersatzfähigkeit des Umsatzsteueranteils an dessen tatsächlichen Anfall geknüpft werden.

c) Schließlich kann der Kläger auch verlangen, von der Kostenforderung seiner Prozessbevollmächtigten für die außergerichtliche Schadensabwicklung freigestellt zu werden. Die Kosten der Rechtsverfolgung gehören ebenfalls zum ersatzfähigen Schaden, für den die Beklagte nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG einzustehen hat. In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht sieht die Kammer zwar lediglich eine 1,3 Gebühr für die Abwicklung einer durchschnittlichen Unfallsache als angemessen an. Die Bestimmung der konkreten Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 2300 des Gebührenverzeichnisses des RVG ist jedoch gemäß § 315 Abs. 1 BGB dem Rechtsanwalt vorbehalten. Unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung zuzuerkennenden Toleranzgrenze von 20 % (vgl. Bischof/Jungbauer RVG 3. Aufl. Nr. 2300 Rn. 73) hält sich die geltend gemachte 1,5 Gebühr noch im Rahmen des dem Rechtsanwalt zustehenden billigen Ermessens nach § 315 Abs. 3 BGB.

d) Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280, 286 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.