Taten, die tilgungsreif sind, sich aber noch in der Überliegefrist befinden, dürfen nur dann für die Verhängung eines Fahrverbots herangezogen werden, wenn die erneute Tat noch während des Laufs der Überliegefrist zur Eintragung gekommen ist.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hatte den Betroffenen mit Urteil vom 23.07.2008 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von 1 Monat unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" verhängt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 24.03.2009 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Nach den - nicht von der Aufhebung betroffenen - Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch hatte der Betroffene am 16.10.2007 als Führer eines PKW außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h fahrlässig begangen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 14.09.2009 hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen "eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24, 25 StVG" eine Geldbuße in Höhe von 150 Euro festgesetzt und erneut ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" ausgesprochen, weil er innerhalb eines Jahres nach der Rechtskraft einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h in der vorliegenden Sache erneut eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat. Gegen das Urteil - soweit darin ein Fahrverbot angeordnet und eine Geldbuße von mehr als 75 Euro verhängt wurde - wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge Erfolg.
1. Soweit das Amtsgericht erneut Feststellungen zum Schuldspruch trifft (welche allerdings identisch sind mit denen aus der Verurteilung vom 23.07.2008) war das Urteil aufzuheben, weil dem der in Rechtskraft erwachsene Schuldspruch des Urteils vom 23.07.2008 entgegensteht. Der Senat hatte dieses Urteil nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache auch nur insoweit zurückverwiesen. Dementsprechend war der Schuldspruch "wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit" und die entsprechenden Feststellungen dazu, nämlich dass der Betroffene am 16.10.2007 außerorts eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h fahrlässig begangen hat, in Rechtskraft erwachsen.
2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit darin eine Geldbuße von mehr als 75 Euro und ein Fahrverbot angeordnet worden sind.
a) Das Amtsgericht stützt die Erhöhung des Regelsatzes nach Tabelle 1 Nr. 11.3.6. der BKatV (a.F.) von 75 Euro auf 150 Euro auf die zahlreichen Voreintragungen des Betroffenen im Verkehrszentralregister. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts wurde zuletzt gegen den Betroffenen mit Beschluss des Amtsgerichts Neuss vom 24.07.2007 eine Geldbuße von 200 Euro wegen einer außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung von 46 km/h verhängt. Die Entscheidung wurde am 10.08.2007 rechtskräftig.
Diese Entscheidung - wie auch die zeitlich davorliegenden gegen den Betroffenen ergangenen Bußgeldentscheidungen - hätte das Amtsgericht bei seiner erst am 14.09.2009 getroffenen Entscheidung nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwerten dürfen, da inzwischen Tilgungsreife eingetreten war.
Die Tilgungsfrist bei Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten beträgt gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 StVG zwei Jahre. Sie beginnt mit Rechtskraft der Entscheidung (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG), hier also am 10.08.2007, auch für die zeitlich davor liegenden bußgeldrechtlichen Eintragungen (§ 29 Abs. 6 S. 1 StVG). Eine Ablaufhemmung nach § 29 Abs. 6 S. 2 StVG ist nicht eingetreten. Zwar hat der Betroffene innerhalb der Tilgungsfrist eine neue Ordnungswidrigkeit, nämlich die abgeurteilte Tat, begangen. Weitere Voraussetzung ist aber, dass diese bis zum Ablauf der Überliegefrist (ein Jahr nach Eintritt der Tilgungsreife) zu einer weiteren Eintragung führt. Letzteres ist nicht der Fall. Dass die in diesem Verfahren abgeurteilte Tat im Verkehrszentralregister bereits eingetragen wurde, ist aus dem angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Das erscheint auch rechtlich kaum möglich. Zwar ist der Schuldspruch des Urteils vom 23.07.2008 bereits in Rechtskraft erwachsen. Da aber der Rechtsfolgenausspruch dieses früheren Urteils keinen Bestand hatte, lagen die Voraussetzungen für eine Eintragung nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG (Fahrverbot oder Geldbuße von mindestens 40 Euro) bisher nicht vor. Mit dieser Senatsentscheidung wird zwar nunmehr die Eintragungsvoraussetzung geschaffen, so dass eine Eintragung innerhalb der Tilgungsfrist noch möglich ist. Indes ist für § 29 Abs. 6 S. 2 StVG erforderlich, dass die neue Tat auch zu einer weiteren Eintragung im Verkehrszentralregister führt, was der Senat, da es sich um ein ein zwar wahrscheinliches, aber jedenfalls zukünftiges und damit nicht feststehendes Ereignis handelt, nicht feststellen kann, so dass schon der Wortlaut der Vorschrift entgegensteht. Die bloße Begehung der neuen Tat in der Tilgungsfrist reicht demnach nicht und sollte auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht allein ausreichend sein (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 01.06.2005 - 3 Ss 65/05 - juris). Dementsprechend ist es einhellige Rechtsprechung, dass vor rechtskräftiger Ahndung der neuen Tat eine Ablaufhemmung ausscheidet (OLG Bamberg Beschl. v. 30.08.2006 - 2 SsOWi 1671/05 - juris; OLG Brandenburg Beschl. v. 26.07.2007 - 2 SsOWi 90B/07-juris; OLG Karlsruhe a.a.O.).
Da Tilgung und Tilgungsreife gleichstehen (OLG Brandenburg a.a.O.), führt der Umstand des Eintritts der Tilgungsreife - wobei maßgeblicher Zeitpunkt nicht der Tag der Begehung der neuen Tat sondern des letzten tatrichterlichen Urteils ist (OLG Brandenburg a.a.O.; OLG Köln NZV 2000, 430 jew. m.w.N.) - dazu, dass die früheren tilgungsreifen Taten vom Amtsgericht nicht mehr berücksichtigt werden durften, auch wenn die sog. Überliegefrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. OLG Hamm NZV 2007, 156), denn hier war die Tilgungsfrist der letzten bußgeldrechtlichen Vorverurteilung etwa einen Monat vor Erlass der angefochtenen Entscheidung abgelaufen.
b) Aus den gleichen Gründen durfte das Amtsgericht die Vorverurteilung aus dem Jahre 2007 auch nicht mehr zur Begründung eines Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV heranziehen.
3. Der Senat konnte hier nach § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entscheiden. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Rechtsfolgenseite ermöglichen eine eigene Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
Insoweit kam hier nur die Festsetzung des Regelsatzes von 75 Euro nach Tabelle 1 Nr. 11.3.6. der BKatV (a.F.) in Betracht. Voreintragungen, die sich bußgelderhöhend auswirken könnten, durften nicht berücksichtigt werden. Sonstige Umstände, die Anlass zu einer Abweichung vom Regelsatz geben könnten, sind aus dem angefochtenen Urteil nicht erkennbar. (Verwertbare) Gründe für die Anordnung eines Fahrverbots liegen nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Der Betroffene hat mit seinem Rechtsmittelbegehren in vollem Umfang Erfolg.