Der Umstand, dass der Betroffene ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen nicht beachtet hat, genügt für sich allein genommen nicht, um ihm ein auch in subjektiver Hinsicht grob pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen. Die Lebenserfahrung zeigt, dass es in Ausnahmefällen Verkehrssituationen gibt, in denen die Aufmerksamkeit eines Kraftfahrzeugführers so abgelenkt werden kann, dass dieser auch ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen übersehen kann, ohne dass ihm dafür mehr als nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit gemacht werden kann. Zudem gibt es Verkehrssituationen, in denen zumindest die Sicht auf eines der beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen verdeckt sein kann. Ebenso ist es möglich, dass Geschehnisse innerhalb des Fahrzeugs eine kurzzeitige Ablenkung des Fahrzeugführers bewirken, die ihn ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen ebenso übersehen lassen wie ein nur einseitig aufgestelltes. Schließlich ist gerade bei längeren Autobahnfahrten mit geringer Verkehrsdichte das Phänomen bekannt, dass die Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers allmählich nachlässt; in all diesen Fällen mag der Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit gegen den Fahrzeugführer begründet sein, nicht jedoch notwendigerweise der eines auch in subjektiver Hinsicht groben Pflichtenverstoßes.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100,00 € verurteilt, gegen ihn ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt und bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten nach Rechtskraft des Urteils. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 6. März 2008 um 14.00 Uhr als Fahrer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … die Bundesautobahn … zwischen der Anschlussstelle D.… und der Anschlussstelle L.… in Richtung der Anschlussstelle L.…, wobei er die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um mindestens 44 km/h überschritt; die Messung der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit erfolgte über 1000 m hinter einer beidseitigen Beschilderung, welche die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h beschränkte.
Im Zusammenhang mit der Verhängung des Fahrverbots gegen den Betroffenen enthält das Urteil die folgenden Ausführungen:„Der Betroffene hat … in der Hauptverhandlung … erklärt, … er habe sich während der Fahrt mit anderen, sich im PKW befindlichen Personen, unterhalten und müsse aus diesem Grund die Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen haben.Hiergegen richtet sich die in jeweils zulässiger Weise eingelegte und begründete und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird.
…
Unter Beachtung der erforderlichen und von ihm zu erwartenden Sorgfalt hätte der Betroffene aufgrund der beidseitig aufgestellten Geschwindigkeitsbeschränkung diese ohne weiteres erkennen können und müssen. Das Gericht ging daher davon aus, dass der Betroffene zumindest fahrlässig gehandelt hat.
…
Darüber hinaus war gemäß § 25 (StVG) ein Fahrverbot zu verhängen. Der Betroffene hat die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers grob verletzt. Die objektiv grobe Pflichtverletzung folgt aus dem Maß der Geschwindigkeitsübertretung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. der lfd. Nr. 11.3.7 BKatV. Auch in subjektiver Hinsicht liegt eine grobe Pflichtverletzung vor. Die subjektiv grobe Pflichtverletzung ist regelmäßig indiziert. Gründe für ein Augenblicksversagen bei einer beiderseitigen Geschwindigkeitsbeschränkung sind nicht erkennbar.“
II.
Das Rechtsmittel des Betroffenen ist begründet. Die Ausführungen, mit denen das Amtsgericht die Verhängung eines Fahrverbots gegen den Betroffenen begründet hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen, die das Amtsgericht zum Verkehrsverstoß getroffen hat, bilden keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung, gegen den Betroffenen ein Regelfahrverbot zu verhängen, weil sie unvollständig sind. Dies ist ein sachlichrechtlicher Mangel, der aufgrund der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch führt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senat vom 2. April 2009 – 2 Ss (OWi) 29 B/09 – und vom 26. März 2009 – 2 Ss (OWi) 30 B/09 –); darüber hinaus ist die vom Amtsgericht herangezogene Begründung, gegen den Betroffenen (gleichwohl) ein Regelfahrverbot zu verhängen, rechtsfehlerhaft.
1. Das Amtsgericht hat einen Verkehrsverstoß des Betroffenen festgestellt, bei dem nach der lfd. Nr. 11.3.7 BKatV Anhang i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV die Anordnung eines Fahrverbots von 1 Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht kommt. Bei dieser Zuwiderhandlung ist eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, bei der nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ein Fahrverbot verhängt werden kann, indiziert. Dabei betrifft die Indizwirkung zunächst, soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte erkennbar sind, sowohl die objektive als auch die subjektive Seite des Vorwurfs.
Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Autobahn, auf der es grundsätzlich keine Geschwindigkeitsbeschränkung gibt, begangen wurde und ihr die Nichtbeachtung eines die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichens zu Grunde liegt, weil grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass derartige Verkehrszeichen von den Verkehrsteilnehmern auch wahrgenommen werden. Beruft sich der Betroffene aber darauf, das geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen übersehen zu haben und ist ihm diese Einlassung nicht zu widerlegen, gilt eine Besonderheit:
In einem solchen Fall steigt mit dem Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar das objektive Gewicht des Verkehrsverstoßes, nicht jedoch dessen subjektive Vorwerfbarkeit. Diese besteht – unabhängig vom Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – nur darin, dass der Betroffene das die Geschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen übersehen hat. Die Verhängung eines Fahrverbots gegen ihn ist dann nur möglich, wenn gerade diese Fehlleistung ihm als grob pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, diese also auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht.
Der Bundesgerichtshof hat hierzu in seiner grundlegenden Entscheidung vom 11. September 1997 – 4 StR 638/96 – (BGHSt 43, 241 f.) Folgendes ausgeführt:„Dem Kraftfahrzeugführer kann das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit. Für die Bewertung seines Verschuldens ist es, solange er die ohne das Vorschriftszeichen maßgebliche Höchstgeschwindigkeit einhält, ohne Belang, ob er die durch das Vorschriftszeichen angeordnete Geschwindigkeit weniger oder mehr überschreitet. Das Maß der Pflichtverletzung hängt nur davon ab, wie sehr ihn das Übersehen des Schildes zum Vorwurf gereicht. Das erhebliche Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf das die Regelbeispielsfälle der Tabelle 1a zu Buchst. c) abstellen, lässt aber keinen Schluss darauf zu, dass der Fahrzeugführer das Vorschriftszeichen wahrgenommen oder grob pflichtwidrig nicht wahrgenommen hat.
…
Beruft sich der Kraftfahrer darauf, dass er ein Geschwindigkeitszeichen 274 (oder eine Ortstafel) schlicht übersehen hat, und kann ihm diese Einlassung nicht widerlegt werden, so scheidet die Verhängung eines Fahrverbots wegen der Überschreitung gleichwohl nicht notwendig aus. Ist das gleiche Zeichen 274 im Verlaufe der vor der Messstelle befahrenen Strecke mehrfach wiederholt worden oder geht etwa der Messstelle ein so genannter Geschwindigkeitstrichter voraus, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerer nacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabgesetzt wird, so hat der betroffene Verkehrsteilnehmer – wenn der Tatrichter seine Einlassung nicht schon aufgrund dieser Umstände als widerlegt ansieht, was allerdings regelmäßig naheliegt – die gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise außer Acht gelassen. Dasselbe gilt in Fällen, in denen sich die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung durch Vorschriftszeichen 274 der StVO (beispielsweise im Baustellenbereich einer Bundesautobahn) oder durch § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO i.V.m. der Ortstafel aufgrund der ohne weiteres erkennbaren äußeren Situation (Art der Bebauung) jedermann aufdrängt. Bei Feststellung solcher – ohne Aufwand zu ermittelnden – äußeren Umstände wird sich die für die Anordnung eines Fahrverbots erforderliche grobe Pflichtverletzung auch bei Unkenntnis der konkreten Geschwindigkeitsbeschränkung infolge Übersehens eines Zeichens allenfalls bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände verneinen lassen.“
Ausgehend von diesen Grundsätzen fehlt es im angefochtenen Urteil an Feststellungen dazu, ob es vor oder im Bereich der Messstelle äußere Umstände wie eine mehrfache Wiederholung des die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrszeichen, einen so genannten Geschwindigkeitstrichter oder einen Baustellenbereich gab, die den Vorwurf der groben Pflichtverletzung gegen den Betroffenen beim Nichtbeachten der Geschwindigkeitsbeschränkung begründen könnten; nur wenn diese festgestellt werden können, bestünde eine ausreichende Grundlage für die Verhängung des Regelfahrverbots gegen den Betroffenen.
2. Der Umstand, dass der Betroffene ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen nicht beachtet hat, genügt für sich allein genommen nicht, um ihm ein auch in subjektiver Hinsicht grob pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen. Der vorstehend zitierten Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs lag ein innerörtlicher Geschwindigkeitsverstoß nach einem beidseitig aufgestellten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen zu Grunde. Die Tatsache, dass der Bundesgerichtshof dies nicht zum Anlass genommen hat, das Vorliegen eines grob pflichtwidrigen Verhaltens des dort Betroffenen zu diskutieren, lässt den Schluss zu, dass der Bundesgerichtshof das Übersehen eines beidseitig aufgestellten Verkehrszeichens allein nicht für die Verhängung eines Regelfahrverbots genügen lassen will (vgl. entsprechend den Beschluss des 1. Senats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 30.10.2007 – 1 Ss (OWi) 192 B/07 –). Auch der Senat teilt diese Auffassung. Die Lebenserfahrung zeigt, dass es in Ausnahmefällen Verkehrssituationen gibt, in denen die Aufmerksamkeit eines Kraftfahrzeugführers so abgelenkt werden kann, dass dieser auch ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen übersehen kann, ohne dass ihm dafür mehr als nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit gemacht werden kann. Zudem gibt es Verkehrssituationen, in denen zumindest die Sicht auf eines der beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen verdeckt sein kann. Ebenso ist es möglich, dass Geschehnisse innerhalb des Fahrzeugs eine kurzzeitige Ablenkung des Fahrzeugführers bewirken, die ihn ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen ebenso übersehen lassen wie ein nur einseitig aufgestelltes. Schließlich ist gerade bei längeren Autobahnfahrten mit geringer Verkehrsdichte das Phänomen bekannt, dass die Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers allmählich nachlässt; in all diesen Fällen mag der Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit gegen den Fahrzeugführer begründet sein, nicht jedoch notwendigerweise der eines auch in subjektiver Hinsicht groben Pflichtenverstoßes.
3. Auch der Umstand, dass der Betroffene hier nach seiner eigenen Einlassung das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen übersehen hatte, weil er sich mit anderen im PKW befindlichen Personen unterhalten hatte, begründet nicht den Vorwurf des grob pflichtwidrigen Verhaltens gegen ihn. Dass ein Fahrzeugführer sich mit anderen Personen im PKW unterhält, ist ein normales menschliches Verhalten, das regelmäßig nicht zu einer relevanten Verringerung der gebotenen Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers für das Verkehrsgeschehen führt.
4. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass neue Feststellungen zum Verkehrsverstoß auch Anlass für eine abweichende Bemessung der gegen den Betroffenen verhängten Geldbuße geben können, hebt er den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils insgesamt auf.