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OLG Schleswig Urteil vom 26.10.2009 - 1 Ss OWi 92/09 (129/09) - Zum Verwertungsverbot einer ohne richterliche Anordnung entnommenen Blutprobe
OLG Schleswig v. 26.10.2009: Zum Verwertungsverbot einer ohne richterliche Anordnung entnommenen Blutprobe
Das OLG Schleswig (Urteil vom 26.10.2009 - 1 Ss OWi 92/09 (129/09)) hat entschieden:
Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung. Eine ohne diese Voraussetzungen und ohne richterliche Anordnung entnommene Blutprobe ist nicht verwertbar.
Siehe auch Blutentnahme / Blutprobe und Blutprobe ohne Richterbeschluss
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels THC zu einer Geldbuße von 250,00 € verurteilt. Zugleich hat es ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Nach den Feststellungen fuhr der Betroffene am Donnerstag, dem 8. Juli 2008, mit einem Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen. Um 15.40 Uhr geriet er in eine allgemeine Verkehrskontrolle durch Polizeibeamte. Dabei fielen einem der Polizeibeamten die geröteten Bindehäute des Betroffenen auf. Der Beamte stellte ferner eine verzögerte Pupillenreaktion beim Betroffenen fest. Diese Befunde begründeten bei dem Beamten den Verdacht eines Drogenkonsums des Betroffenen. Ein vom Betroffenen daraufhin am Kontrollort freiwillig durchgeführter Drogenschnelltest (HK-Diagnostika, Urintest) führte zu einem positiven Ergebnis betreffend das berauschende Mittel THC. Daraufhin ordnete der Beamte die Entnahme einer Blutprobe beim Betroffenen an. Den Versuch, eine richterliche Entscheidung zu erlangen, unternahm er nicht. Dabei war ihm der Richtervorbehalt des § 81a StPO bewusst; wegen einer drohenden Gefährdung des Untersuchungserfolges erachtete er aber die eigene Eilkompetenz für gegeben. Die Blutprobenentnahme erfolgte durch einen Arzt um 16.25 Uhr. Die Untersuchung der Blutprobe ergab einen THC-Gehalt von 5,74 ng/ml.
Das Amtsgericht hat das Ergebnis des rechtsmedizinischen Gutachtens über die Untersuchung der Blutprobe für verwertbar erachtet, weil durch die Einholung einer richterlichen Anordnung der Blutprobenentnahme eine zeitliche Verzögerung eingetreten wäre, die den Untersuchungserfolg gefährdet hätte. Denn die Vorlage einer Akte hätte zuviel Zeit beansprucht; eine lediglich fernmündliche Entscheidung des Richters aufgrund einer fernmündlichen Sachverhaltsschilderung reiche in aller Regel nicht aus.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er ausschließlich das Verfahren beanstandet und die Verwertung des Ergebnisses der Blutprobenuntersuchung angreift.
Durch Beschluss vom 25. September 2009 hat der Einzelrichter die Sache zur Fortbildung des Rechts dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.
1. Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch sonst zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Zwar hat der Betroffene keine Sachrüge erhoben, so dass die Rechtsbeschwerde ausschließlich mit der Verfahrensrüge, mit der er die Verletzung des Richtervorbehalts gemäß § 81a StPO rügt, begründet wird. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge enthält aber alle erforderlichen Angaben über die den behaupteten Mangel begründenden Tatsachen, wenn sie auch nicht ausdrücklich ausführt, dass der Betroffene nicht in die Blutentnahme eingewilligt bzw. dieser zugestimmt habe. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich erforderlich (vgl. auch OLG Dresden, StV 2009, 571) Die weiteren Ausführungen der Rechtsbeschwerde lassen aber noch mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass eine Einwilligung bzw. Zustimmung des Betroffenen zur Blutprobenentnahme nicht vorlag. Dies folgt daraus, dass sich der Angeklagte zwar freiwillig einem Drogenschnelltest unterzog, die Entnahme der Blutprobe hingegen durch den diensthabenden Polizeibeamten angeordnet werden musste. Eine Anordnung wäre nämlich entbehrlich gewesen, wenn der Betroffene mit der Blutentnahme einverstanden gewesen wäre (vgl. OLG Hamm, NJW 2009, 242).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, weil das Amtsgericht das Ergebnis der Blutprobenuntersuchung zu Unrecht verwertet hat.
Zu Recht rügt der Betroffene einen Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO. Danach steht die Anordnung einer Entnahme von Blutproben nach § 81a Abs. 1 StPO grundsätzlich dem Richter zu. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehenden Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, die Anordnung des zuständigen Richters einzuholen, bevor sie selbst die Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2007, 1345 f.; OLG Dresden, NJW 2009, 2149 ff.; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146 ff., OLG Celle, Beschluss vom 6.8.2009 – 32 Ss 94/09 zitiert nach juris –). Dabei verbietet sich eine generalisierende Betrachtungsweise dahingehend, dass – ohne Berücksichtigung des Schutzzweckes des Richtervorbehalts im konkreten Einzelfall – von einer Gefährdung des Untersuchungserfolges i.S.d. § 81a Abs. 2 StPO bei Taten unter Drogen- oder Alkoholeinfluss von vorneherein ausgegangen werden kann.
So kann zum einen die Gefährdung des Untersuchungserfolges nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen (BVerfGE 103, 142/156; NJW 2007, 1444; BGHSt 51, 285/293). Zum anderen kann bei Taten im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen die typischerweise bestehende abstrakte – und damit gerade nicht einzelfallbezogene – Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis der Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, für sich allein noch nicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges ausreichen (OLG Köln ZfS 2009, 48/49; OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschluss vom 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 bei JURIS; OLG Hamburg NJW 2008, 2597/2598). Andernfalls würden die konkreten Umstände des Einzelfalls, etwa im Hinblick auf die jeweilige Tages- oder Nachtzeit, die jeweiligen Besonderheiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung zur Dienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeit eines Arztes oder den Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten, völlig außer Betracht gelassen.
Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss vielmehr auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (BVerfG NJW 2008, 3053/3054; NJW 2007, 1345/1346; BVerfGE 103, 142/156; OLG Hamburg, NJW 2008, 2597/2598; OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschluss vom 25.11.2008 – 1 Ss 230/08).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs gemäß § 81a Abs. 2 StPO, die eine Anordnung der Blutentnahme durch den ermittelnden Polizeibeamten gerechtfertigt hätte, ist weder belegt noch ansatzweise ersichtlich. Der Polizeibeamte hat vielmehr nicht einmal den Versuch unternommen, einen Richter oder jedenfalls einen Staatsanwalt zu erreichen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs war auch in keiner Weise evident.
In der Zeit zwischen dem Verdacht auf eine Fahrt unter dem Einfluss berauschender Mittel und dem Zeitraum, der allein durch die Benachrichtigung eines Arztes zur Entnahme der Blutprobe und dessen Ankunft vergeht, besteht regelmäßig hinreichende Gelegenheit, jedenfalls fernmündlich eine richterliche Anordnung einzuholen (OLG Celle a.a.O.).
Dies war auch hier der Fall. In der Rechtsbeschwerdebegründung wird mitgeteilt, dass die Polizeikontrolle um 15.40 Uhr erfolgte und die Blutprobe 45 Minuten später, um 16.25 Uhr, durchgeführt wurde. In diesem Zeitraum hätte ohne Weiteres eine richterliche Anordnung eingeholt werden können, zumal sich der Vorfall an einem Werktag nachmittags während der üblichen Geschäftszeiten ereignete.
Eine richterliche Anordnung gemäß § 81a Abs. 2 StPO bedarf nicht zwingend der Vorlage schriftlicher Akten, deren Herstellung in vielen Fällen eine Verzögerung der Untersuchung nach sich ziehen könnte (BGHSt 51, 285, 295; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146; OLG Celle a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Anordnung ohne Aktenvorlage von vornherein verweigert worden wäre, sind weder dokumentiert noch sonst ersichtlich. Eine fernmündliche richterliche Anordnung war auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Es handelte sich um einen überschaubaren und einfachen Sachverhalt, die Fahrereigenschaft des Betroffenen stand außer Frage, und es gab aufgrund seiner geröteten Bindehäute und des Ergebnisses des Drogenschnelltests konkrete Anhaltspunkte für eine Drogenbeeinflussung, die den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 StVG begründeten.
Dieser Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO führt vorliegend auch zu einem Verwertungsverbot und damit zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Blutuntersuchung.
Zwar zieht nicht jeder Verstoß bei der Beweisgewinnung ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes und der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Ein Verwertungsverbot bedeutet eine Ausnahme, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten gewichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Von einem Beweisverwertungsverbot ist deshalb nur dann auszugehen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird und folglich jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots unerträglich wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor bei bewusster und zielgerichteter Umgehung des Richtervorbehalts sowie bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines gleichwertigen, besonders schwerwiegenden Fehlers (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 2009 – 2 BVR 2225/08 zitiert nach juris; BGH NJW 2007, 2269 ff.; OLG Dresden NJW 2009, 2149 ff.; OLG Bamberg NJW 2009, 2146 ff.; OLG Celle a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht hier ein Beweisverwertungsverbot. Die Blutprobe ist nicht von einem Richter, sondern von dem ermittelnden Polizeibeamten angeordnet worden. Obwohl der Richtervorbehalt dem Polizeibeamten bekannt und „präsent“ war, erhielt er die eigene Eilkompetenz für gegeben, weil zur Tatzeit – im Sommer 2008 – in Fallkonstellationen wie der vorliegenden regelmäßig auch von ihm so wie hier vorgegangen wurde.
Anhaltspunkte dafür, dass der Polizeibeamte einer irrtümlichen Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterlag, so dass er von einer konkreten Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Einholung einer richterlichen Anordnung oder einer fehlenden Erreichbarkeit eines Richters am Nachmittag eines Werktags ausgegangen wäre, liegen nicht vor.
In der Anordnung des Polizeibeamten liegt ein grober Verstoß gegen den Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO. Er hielt sich generell für anordnungsbefugt und stellte keine Überlegungen dazu an, ob die Anordnung der Blutentnahme im konkreten Fall einem Richter vorbehalten war, welche Umstände im konkreten Einzelfall die von ihm pauschal unterstellte Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründeten und wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise eröffnet war. Vielmehr berief er sich auf die ständige polizeiliche Übung zur Tatzeit. Dies reichte hier – im Jahre 2008 – nicht aus. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt ist nicht neu. Vielmehr ist die Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Richtervorbehalt beimisst, mindestens mit der Entscheidung vom 20. Februar 2001 (NJW 2001, 1121) deutlich (OLG Hamm StrFo2009, 417, 420) und seitdem in einer Fülle weiterer höchst- und obergerichtlicher Entscheidungen immer weiter vertieft worden. Dass der Polizeibeamte dieser Entwicklung gegenüber seinen Blick verstellte und alter Übung folgend in solchen Fällen wie diesem regelmäßig Gefahr im Verzug annahm, lässt die Anordnung als willkürliche Missachtung des Richtervorbehalts gemäß § 81a Abs. 2 StPO erscheinen. Die pauschale Annahme, bei Verdacht von Fahrten unter Rauschmitteleinfluss stets zur Anordnung einer Blutprobe berechtigt zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts (vgl. OLG Celle a.a.O.).
Das angefochtene Urteil beruht auf dem aufgezeigten Rechtsverstoß und ist deshalb aufzuheben.
Da keine anderen Beweismittel ersichtlich sind, aufgrund derer das Gericht in einer neuen Hauptverhandlung erneut zu einer Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit kommen könnte, kam keine Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht in Betracht, sondern allein ein Freispruch. Insbesondere ist der Drogenschnelltest nicht geeignet, den Grad der Rauschmittelbeeinflussung festzustellen, insbesondere, ob der THC-Wert größer als 1,0 ng/ml war (vgl. BVerfG, NJW 2005, 349-351).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.