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Landgericht Düsseldorf Urteil vom 18.06.2010 - 20 S 7/10 - Zur Leistungsfreiheit der Kfz-Haftpflichtversicherung bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort

LG Düsseldorf v. 18.06.2010: Zur Leistungsfreiheit der Kfz-Haftpflichtversicherung bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort


Das Landgericht Düsseldorf (Urteil vom 18.06.2010 - 20 S 7/10) hat entschieden:
Das Gebot, nach einem Verkehrsunfall die Unfallaufnahme durch die Polizei an Ort und Stelle abzuwarten, stellt auch bei eindeutiger Haftungslage eine "elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht" dar. Eine Verletzung dieser Obliegenheitspflicht führt zum Verlust des Versicherungsschutzes und berechtigt den Versicherer zum Regress für die regulierten Schäden des Unfallgegners. Eine Verkehrsunfallflucht ist als arglistig einzustufen, denn sie ist potentiell geeignet, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfangs der Versicherung nachteilig zu beeinflussen.


Siehe auch Arglist und Obliegenheitsverletzung im Versicherungsregress und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort


Entscheidungsgründe:

I.

Die Klägerin war die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten, als dieser am 15.4.2008 in Düsseldorf mit seinem Pkw Ford Escort einen Verkehrsunfall verursachte. Der Beklagte entfernte sich vom Unfallort, ohne die Feststellung seiner Personalien zu ermöglichen, konnte jedoch bereits rund eine Stunde später als Unfallverursacher identifiziert und ausfindig gemacht werden. Die Klägerin regulierte den Schaden des Unfallgegners und nimmt den Beklagten mit der vorliegenden Klage in Regress. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 1.308,93 € nebst Zinsen gerichteten Klage vollumfänglich stattgegeben. Mit der Berufung verfolgt der Beklagten seinen Klageabweisungsantrag weiter.


II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ausgleich des von ihr regulierten Schadens aus § 426 II 1 BGB zu.

Die Klägerin (gemäß § 115 VVG) und der Beklagte (gemäß § 7 I StVG) hafteten dem durch den Unfall geschädigten Dritten als Gesamtschuldner. Die Klägerin hat den mit 1.308,93 € der Höhe nach unstreitigen Schaden reguliert. Sie kann im Innenverhältnis zum Beklagten gemäß § 426 II 1 BGB vollen Regress verlangen, da sie insoweit gemäß § 28 II, III VVG leistungsfrei ist.

Unstreitig hat der Beklagte die ihm durch Nr. E.1.3. AKB 2008 aufgegebene Pflicht im Schadensfall verletzt, den Unfallort nicht zu verlassen. Hierin ist eine Obliegenheitsverletzung gemäß § 28 II VVG zu sehen.

Der Beklagte handelte dabei vorsätzlich, denn das Gebot, nach einem Verkehrsunfall die Unfallaufnahme durch die Polizei an Ort und Stelle abzuwarten, stellt auch bei eindeutiger Haftungslage eine "elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht" dar (BGH, Urteil vom 1.12.1999, Az: VI ZR 71/99, zitiert nach JURIS).

Ob diese Verletzung der Obliegenheit für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles beziehungsweise für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin ursächlich war (§ 28 III 1 VVG), kann dahin stehen, da der Beklagte die Obliegenheit arglistig verletzt hat (§ 28 III 2 VVG).

Entsprechend der Formulierung in Nr. E.1.3. der AKB wird dem Beklagten ein Unterlassen vorgeworfen. Er hat es unterlassen, am Unfallort zu verbleiben ("den Unfallort nicht zu verlassen"), um ("ohne") die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Eine arglistige Obliegenheitsverletzung im Sinne von § 28 III VVG kann auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden (Schwintowski in Schwintowski/Brömmelmeyer, PK-VersR, § 28 VVG Rn. 94).

Das Verlassen der Unfallstelle schränkt die Möglichkeit des Versicherers ein, Feststellungen zu treffen, die zur Aufklärung des Sachverhaltes oder zur Minderung des Schadens dienlich sein könnten, und stellt deshalb selbst bei eindeutiger Haftungslage ein vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers dar (BGH a.a.O.). Es ist in seiner Folge vergleichbar mit dem Verschweigen maßgeblicher Umstände durch den Versicherungsnehmer, da auch hierdurch eigene Feststellungen des Versicherers erschwert oder vereitelt werden. Ein Verschweigen ist bereits dann als "arglistig" einzustufen, wenn dem Versicherungsnehmer bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH, Urteil vom 9.11.1977, Az: IV ZR 160/76; Urteil vom 2.10.1985, Az: IVa ZR 18/84, beide zitiert nach JURIS). Eine Absicht, sich zu Unrecht zu bereichern, ist nicht erforderlich (BGH a.a.O). In diesem Sinne ist auch eine Verkehrsunfallflucht als arglistig einzustufen, denn sie ist potentiell geeignet, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfangs der Versicherung nachteilig zu beeinflussen.

Dass die Verkehrsunfallflucht sich im vorliegenden Fall weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Bemessung des Umfangs der Leistungspflicht ausgewirkt hat, weil der Beklagte beobachtet und bereits eine Stunde nach dem Unfall als Verursacher ermittelt werden konnte, steht der Annahme der Arglist nicht entgegen, da dies für den Beklagten zu dem Zeitpunkt, als er die Obliegenheit verletzte, nicht vorhersehbar war. Selbst wenn der Beklagte die feste Absicht gehabt haben sollte, nach Entdecken seiner Tatbeteiligung aktiv bei der Aufklärung mitzuwirken, ließe dies den Vorwurf der Arglist nicht entfallen, denn bereits der nicht kalkulierbare, bloße Zeitablauf war geeignet, die Interessen der Klägerin zu beeinträchtigen. Wäre die Instandsetzung des Fahrzeuges etwa zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte als Unfallverursacher namhaft gemacht werden konnte, bereits abgeschlossen gewesen, hätte die Klägerin nicht die Möglichkeit erlangt, das Unfallfahrzeug in unrepariertem Zustand zu besichtigen. Bei einer Schadensregulierung durch Ersatzbeschaffung drohte der Verlust der Möglichkeit, ein Restwertangebot abzugeben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

Streitwert: 1.308,93 €.