- Steht ein Regelfahrverbot wegen zweimaliger Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 26 km/h innerhalb eines Jahres zur Diskussion, muss das Urteil Angaben enthalten, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung des Zeitpunktes der Vorbelastung ermöglichen.
- Dem Tatrichter steht hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu. § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm des § 26 a Abs. 2 StVG die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots nach § 25 StVG als Regelmaßnahme und gewährleistet damit die Gleichbehandlung des Betroffenen, wodurch auch ein Gebot der Gerechtigkeit erfüllt wird. Der Richter muss deshalb die Grundentscheidung des Verordnungsgebers für Verkehrsverstöße der vorliegenden Art respektieren und für seine abweichende Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben. Diese darf sich insbesondere nicht in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Essen hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen Überschreitung der nach Zeichen 274 zulässigen Höchstgeschwindigkeit (fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 41, 49 Abs. 3 Ziffer 4 StVO) zu einer Geldbuße von 200,- € verurteilt; von der Verhängung eines Fahrverbots wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV hat das Amtsgericht abgesehen.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am ... gegen ... Uhr als Fahrer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen V die ... in F in Fahrtrichtung E. In Höhe von Kilometer ... fuhr der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von zumindest 128 km/h, obwohl zu dieser Zeit nur eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt war. Dies ist dem Betroffenen zumindest aus grober Nachlässigkeit entgangen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft F mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sie ist ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, denn die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist durchgreifende materiell-rechtliche Rechtsfehler auf.
Zwar genügen die Urteilsgründe den Anforderungen, die an die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu stellen sind. Zwar bedarf es auch in den Fällen, in denen die Überzeugung des Tatrichters von der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf ein standardisiertes Messverfahren gestützt wird, regelmäßig zumindest der Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes. Das Messverfahren braucht aber dann nicht im Urteil mitgeteilt zu werden, wenn der Betroffene - wie vorliegend - die Zuverlässigkeit der Geräte und das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung nicht bezweifeln will und hinsichtlich der übrigen Tatumstände ein uneingeschränktes glaubhaftes Geständnis vorliegt (Senatsbeschluss vom 28.07.2005 - 3 Ss OWi 277/05 -). Unabhängig hiervon schließt eine lückenhafte Beweiswürdigung ebenso wenig wie eine falsche Anwendung des geltenden Rechts eine Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch aus.
Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30.01.2006 Folgendes ausgeführt:"Die Urteilsgründe lassen bereits nicht erkennen, wann die den Voreintragungen zugrunde liegenden Bußgeldbescheide in Rechtskraft erwachsen sind. Zwar erschließt sich aus dem Bemerken, sie seien im Verkehrszentralregister verzeichnet, noch hinreichend deutlich, dass sie rechtskräftig geworden sind, und ersichtlich ist wegen der mitgeteilten Tatzeiten eine Tilgungsreife gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 1 StVG ausgeschlossen. Dagegen ermöglichen die Urteilsgründe dem Beschwerdegericht eine Nachprüfung dahin, ob im Zeitpunkt der Geschwindigkeitsüberschreitung, die Gegenstand des Urteils ist, der Bußgeldbescheid wegen der vorangegangenen vom ... bereits in Rechtskraft erwachsen war und als Grundlage für ein Fahrverbot wegen wiederholter Geschwindigkeitsüberschreitung dienen kann, nicht.
Die Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung eines danach möglicherweise in Betracht kommenden Fahrverbots von einem Monat gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV wegen einer wiederholten Geschwindigkeitsüberschreitung um mindestens 26 km/h innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der wegen des vorangegangenen Verstoßes ergangenen Entscheidung.
Zwar unterliegt es in erster Linie tatrichterlicher Würdigung, ob Gründe vorliegen, die ausnahmsweise Anlass geben könnten, von der Rechtsfolge des § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. den Regelbeispielen der BKatV abzusehen (zu vgl. BGHSt 38, 231, 237; OLG Hamm, NZV 1997, 185). Dem Tatrichter steht aber kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.). § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm des § 26 a Abs. 2 StVG die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots nach § 25 StVG als Regelmaßnahme (zu vgl. BGHSt 38, 125, 132) und gewährleistet damit die Gleichbehandlung des Betroffenen, wodurch auch ein Gebot der Gerechtigkeit erfüllt wird (zu vgl. BGH, NStZ 92, 286, 288). Der Richter muss deshalb nach übereinstimmender Rechtsprechung der Obergerichte die Grundentscheidung des Verordnungsgebers für Verkehrsverstöße der vorliegenden Art respektieren und für seine abweichende Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben. Diese darf sich insbesondere nicht in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen (zu vgl. Senatsbeschlüsse vom 24.05.1998 - 3 Ss OWi 160/98 -, 11.08.1998 - 3 Ss OWi 697/98 - und 17.11.2005 - 3 Ss OWi 717/05 - m.w.N.). Deshalb hat das Amtsgericht eine auf überprüfte Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung abzugeben und im Einzelnen darzulegen, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen (zu vgl. BGHSt, a.a.O.). Sein Entscheidungsspielraum wird durch die gesetzlich niedergelegten und von der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Rechtsfolgenzumessungskriterien eingeengt und unterliegt auch hinsichtlich der Angemessenheit der Rechtsfolgen in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Beschwerdegericht (zu vgl. Senatsbeschlüsse a.a.O.).
Danach darf der Tatrichter von der Verhängung eines an sich indizierten Regelfahrverbotes dann absehen, wenn eine erhebliche Härte oder zumindest eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände vorliegen, die das Tatgeschehen aus dem Rahmen typischer Begehungsweisen i.S. einer Ausnahme herausheben. Für ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes reicht es jedoch nicht aus, dass der Betroffene die Fahrerlaubnis aus beruflichen Gründen benötigt und durch ein Fahrverbot eine die wirtschaftliche Existenz jedoch nicht bedrohende erhebliche finanzielle Einbuße erleidet (Senatsbeschlüsse vom 22.08.2002 - 3 Ss OWi 620/02 - und 22.06.2004 - 3 Ss OWi 350/04 - m.w.N.). Nach diesem Maßstab ergeben sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts zu den persönlichen Lebensverhältnissen des Betroffenen, die allein Grundlage der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht sind, Härten jedoch nicht. Zutreffend ist das Amtsgericht erkennbar davon ausgegangen, dass dem Betroffenen lediglich drohende "erhebliche berufliche Nachteile" für sich allein eine erhebliche Härte nicht zu begründen vermögen, weil eine Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz in Anbetracht des Umstandes, dass er im Betrieb seines Vaters arbeitet, nicht zu besorgen steht. Ebensowenig belegen die Urteilsgründe eine das Tatgeschehen aus dem Rahmen typischer Begehungsweisen i.S. einer Ausnahme heraushebende Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände. Die angeführten bloßen Lästigkeiten bei der Berufsausübung und sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens sind zwangsläufige Folge jedwedes Fahrverbots. In diesem Zusammenhang hätte es der Aufklärung und Erörterung bedurft, warum es dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des ihm gem. § 25 Abs. 2 a S. 1 StVG zu bewilligenden bis zu viermonatigen Wirksamkeitsaufschubs nicht zuzumuten sein soll, die Zeit des Fahrverbots zumindest teilweise in seinen Urlaub zu verlegen, für eine ggfs. verbleibende Restzeit sich durch einen anderen Mitarbeiter vertreten zu lassen, seine Aufgaben mittels eines von ihm eingestellten Fahrers wahrzunehmen oder Termine mit größerer zeitlicher Staffelung zu disponieren und auf öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. Insbesondere dem in ein Familienunternehmen eingebundenen Betroffenen dürfte eine Vielzahl von Möglichkeiten offen stehen, die aus dem Fahrverbot resultierenden Lästigkeiten zu kompensieren. Im Übrigen ist er immerhin das dritte Mal wegen einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung in Erscheinung getreten. Insofern hat das Amtsgericht nicht bedacht, dass insbesondere bei Wiederholungstätern mit Rücksicht auf die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht hingenommen werden kann, dass für bestimmte Berufsgruppen ein sie trotz ihrer Unbelehrbarkeit von der Verhängung eines Fahrverbots ausnehmendes Sonderrecht geschaffen wird (zu vgl. Senatsbeschluss vom 12.02.2004 - 3 Ss OWi 77/04 -, OLG Hamm, Beschluss vom 01.07.2003 - 4 Ss OWi 416/03 -).
Die Erwägung, die Tat sei zur Nachtzeit an einem Feiertag erfolgt, weshalb die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt worden sei, trägt bereits deshalb nicht, weil es insofern an der Feststellung nachprüfbarer Tatsachen fehlt. Allein die Tatzeit lässt keinen Rückschluß auf die Verkehrslage bzw. Verkehrssicherheit zu, vielmehr hätte es hierzu näherer Ausführungen zur Verkehrsdichte, dem Straßenverlauf, den Sichtverhältnissen, der Fahrbahnbeschaffenheit, der von den übrigen Verkehrsteilnehmern gefahrenen Geschwindigkeit und insbesondere dem Anlaß der durch die Straßenverkehrsbehörde angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung bedurft.
Ebensowenig vermag der Zeitablauf seit der Tat ein Absehen von einem Fahrverbot zu begründen. Erst eine Zeitspanne von annähernd zwei Jahren bietet - falls nicht die Verfahrensverzögerung dem Betroffenen zuzurechnen ist - Anlaß zur Erörterung, ob es des mit einem Fahrverbot bezweckten Besinnungs- und Erziehungseffektes noch bedarf (z. vgl. Senatsbeschluss vom 16.11.2004 - 3 Ss OWi 325/04 - m.w.N.).
Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen der verhängten Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Eine Entscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, da weitere Feststellungen zu treffen sind."
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.