Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Meiningen Beschluss vom 19.08.2010 - 2 E 350/10 - Zur Notwendigkeit der Anordnung eines Aufbauseminars beim Erreichen von 14 Punkten

VG Meiningen v. 19.08.2010: Zur Notwendigkeit der Anordnung eines Aufbauseminars beim Erreichen von 14 Punkten


Das Verwaltungsgericht Meiningen (Beschluss vom 19.08.2010 - 2 E 350/10) hat entschieden:
Nach der sich aus § 4 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 7 Satz 1 StVG ergebenden Wertung des Gesetzgebers stellt ein Fahrerlaubnisinhaber, der 14 Punkte oder mehr erreicht, eine Gefährdung der Verkehrssicherheit für die Allgemeinheit dar, die nur durch Teilnahme an einem Aufbauseminar für die Zukunft behoben werden kann. Nimmt der Fahrerlaubnisinhaber an diesem Aufbauseminar nicht teil, bleibt die von ihm ausgehende Gefährdung der Allgemeinheit erhalten, so dass ihm sofort zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Dabei kommt es auf persönliche finanzielle Umstände des Verkehrsteilnehmers nicht an.


Siehe auch Das Punktsystem - Fahreignungs-Bewertungssystem und Die Fahrerlaubnis im Verwaltungsrecht


Gründe:

Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 06.08.2010, mit dessen Nr. 1. ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A, B, BE, C1, C1E, C, CE, L, M, T/S entzogen wurde. Er wurde aufgefordert, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Nr. 3.), widrigenfalls ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 500,– Euro angedroht wurde (Nr. 4.).

1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

1.1. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in anderen durch Gesetz vorgeschriebenen Fällen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Entziehung haben vorliegend nach § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG keine aufschiebende Wirkung.

In einem solchen Fall kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat dann Erfolg, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht oder wenn triftige private Gründe des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung ein gleichwohl vorhandenes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegen. Das Gericht überprüft dabei summarisch, ob der eingelegte Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg haben wird.

Ergibt die rechtliche Überprüfung, dass der Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, richtet sich die Entscheidung über den Antrag grundsätzlich hiernach. Es gibt nämlich kein öffentliches Interesse am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Ist hingegen festzustellen, dass das Rechtsmittel voraussichtlich nicht zum Erfolg führen wird, ist der Antrag regelmäßig abzulehnen, da es vorliegend der Intention des Gesetzgebers entspricht, dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen.

Das Gericht hat somit die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vollziehungsanordnung zu prüfen und eine eigene Ermessensentscheidung über die Aussetzung zu treffen, ohne an die im Bescheid genannten Gründe gebunden zu sein (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Auflage, Rdnr. 146 zu § 80; Redecker/von Oertzen, VwGO, Kommentar, Rdnr. 52 zu § 80 m.w.N.).

Nach summarischer Überprüfung werden Rechtsmittel gegen den angefochtenen Bescheid erfolglos bleiben; das öffentliche Interesse an der gesetzlich normierten sofortigen Vollziehung überwiegt das private Interesse, die Fahrerlaubnis zu behalten.

1.2. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist vorliegend rechtmäßig. Nach § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis einer vollziehbaren Anordnung nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG in der festgesetzten Frist nicht nachkommt. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach Abs. 8 anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte im Verkehrszentralregister (§ 28 StVG) ergeben.

Die Voraussetzungen für die Anordnung des Aufbauseminars als solche sind vorliegend nicht mehr zu überprüfen. Der Bescheid vom 11.02.2010, dem Kläger ausweislich Postzustellungsurkunde am 13.02.2010 zugestellt, ist unanfechtbar geworden. Ein Widerspruch wurde nicht erhoben.

Der Antragsteller legte innerhalb der gesetzten Frist (spätestens 11.06.2010) die angeforderte Teilnahmebestätigung nicht vor, so dass ihm die Fahrerlaubnis zwingend nach § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG zu entziehen war.

Auf die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers, die ihm nach seinen Angaben die Absolvierung des Aufbauseminars unmöglich gemacht hat, kommt es nicht an. Nach der sich aus § 4 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 7 Satz 1 StVG ergebenden Wertung des Gesetzgebers stellt ein Fahrerlaubnisinhaber, der 14 Punkte oder mehr erreicht, eine Gefährdung der Verkehrssicherheit für die Allgemeinheit dar, die nur durch Teilnahme an einem Aufbauseminar für die Zukunft behoben werden kann. Nimmt der Fahrerlaubnisinhaber an diesem Aufbauseminar nicht teil, bleibt die von ihm ausgehende Gefährdung der Allgemeinheit erhalten, so dass ihm sofort zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Dabei kann es auf persönliche finanzielle Umstände des Verkehrsteilnehmers nicht ankommen, weil die von einem mit geringen finanziellen Mitteln ausgestatteten Führerscheininhaber ausgehende Gefährdung nicht geringer ist als diejenige, die von einem finanziell gut gestellten ausgeht.

Aus diesen Erwägungen heraus ist es auch für die Entscheidung ohne Belang, dass der Antragsteller Berufskraftfahrer und damit in besonderem Maße auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist. Kraftfahrer, die ständig am Straßenverkehr teilnehmen, haben ihr jeweiliges Fahrverhalten an den maßgeblichen Geboten, Hinweisen und Verboten der Straßenverkehrsordnung auszurichten. Geschieht dies in rechtlich beachtlicher Weise nicht, so muss sich der Fahrzeugführer vergegenwärtigen, dass er seine Fahrerlaubnis verliert. Er muss dieses Ergebnis auch dann dulden, wenn es für ihn zu schwerwiegenden beruflichen Nachteilen führen kann (Thür- OVG, B. v. 16.08.2000, 2 ZEO 392/99, juris).

Bei der vorliegenden Fallgestaltung kann deshalb offenbleiben, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis ausnahmsweise dann unverhältnismäßig sein könnte, wenn der Fahrerlaubnisinhaber aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nur die Frist zur Vorlage der Bestätigung über das Aufbauseminar nicht einhält (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 28.04.2006, NJW 2006, 2715 = NZV 2006, 612). Hieran könnte man in Fällen denken, in denen etwa ein geplantes Aufbauseminar kurzfristig ausfällt oder im Falle einer Erkrankung des Fahrerlaubnisinhabers eine Teilnahme zeitweise nicht möglich ist. Dieser Problemstellung dürfte im Übrigen schon deshalb entgegengetreten sein, weil der Antragsgegner eine außergewöhnlich lange Frist von vier Monaten für den Besuch des Aufbauseminars einräumt. Der Antragsteller trägt zwar vor, seine wirtschaftliche Lage werde sich durch den Umzug „Ende August“ so verbessern, dass er dann Mittel für ein Aufbauseminar freimachen könne. Diesen Sachvortrag hat er nach seinem eigenen Vorbringen mit einem Schreiben, das beim Antragsgegner nicht eingegangen ist, erstmals nach Ablauf der Frist für das Aufbauseminar, nämlich als Antwort auf das Schreiben des Antragsgegners vom 16.07.2010, gemacht. Außerdem wird auch aus dem Sachvortrag des Antragstellers nicht klar, ob er die eingesparten Mittel tatsächlich für ein Aufbauseminar verwenden können wird, da er andererseits von der Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens spricht. Dies wird aber dazu führen, dass er jedenfalls einen Teil seiner erheblichen Außenstände gegenüber seinen Gläubigern wird bedienen müssen. Es liegt also kein Fall vor, in dem die Durchführung des Aufbauseminars sich etwa nur um kurze Zeit verschoben hätte. Nicht aufzuklären war deshalb auch, ob die Behauptung des Antragstellers zutrifft, dass er sich in dieser Angelegenheit zweimal zu – allerdings nicht näher bezeichneten – Zeitpunkten, mit Schreiben, die im vorliegenden Verfahren nicht vorgelegt wurden, an die Behörde gewandt habe.

1.3. Gegen Nr. 3. des Bescheides bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Pflicht zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Bezüglich der Androhung des Zwangsgeldes ist auf § 19 Nr. 2, § 44 Abs. 2 Nr. 1, § 48, § 46 ThürVwZVG zu verweisen. Bedenken bestehen insofern nicht.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52, § 53 GKG. Für den Entzug der Fahrerlaubnisse der Klassen A und B war jeweils der Auffangwert anzusetzen, für den Entzug der Klasse C der 1 ½-fache Auffangwert. Die übrigen dem Antragsteller entzogenen Fahrerlaubnisklassen sind in den genannten jeweils enthalten und führen nicht zu einer Erhöhung des Streitwertes. Der so gewonnene Wert war im vorliegenden summarischen Verfahren auf die Hälfte zu reduzieren.

3. Auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ist einer Partei auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus den genannten Gründen hat der Antrag von vorneherein keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt.



Datenschutz    Impressum