- Im Fall eines Auffahrunfalls spricht zwar der Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende den Unfall sorgfaltswidrig verursacht hat. Der Anscheinsbeweis ist jedoch entkräftet, wenn der Vorausfahrende erst einige Augenblicke vor dem Auffahrunfall in den Fahrstreifen des Auffahrenden gewechselt ist und sich die Kollision beider Fahrzeuge daher in einem unmittelbar zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet hat.
- Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Fahrers eines im hoheitlichen Einsatz befindlichen Polizeifahrzeugs liegt nicht in einem Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten, die § 7 Abs. 5 StVO dem Fahrstreifenwechsler auferlegt, vor. Denn dieser ist gemäß § 35 Abs. 1 StVO von den Vorschriften dieser Verordnung befreit. Insofern spricht gegen den Fahrer des Polizeifahrzeugs auch nicht der Beweis des ersten Anscheins.
Gründe:
I.
Der Kläger macht gegen das beklagte Land Schadensersatzansprüche wegen eines Verkehrsunfalls mit einem Zivilstreifenfahrzeug geltend.
Der Kläger befuhr am 13. Oktober 2008 mit seinem Pkw (BMW) den Kaiserdamm in Berlin-Charlottenburg in östlicher Richtung auf dem zweiten Fahrstreifen von links. Zum Zwecke einer polizeilichen Kontrolle wurde ihm kurz vor der Ampel an der kreuzenden Wundtstraße von Polizeibeamten aus einem links und aus einem rechts neben ihm fahrenden zivilen Polizeifahrzeug eine Polizeikelle mit der Aufschrift „Halt!“ gezeigt. Der rechts neben dem Kläger fahrende Polizeibeamte, der Zeuge D..., steuerte sein Kfz vor den Pkw des Klägers in dessen Fahrstreifen. Als er sich teils in dem Fahrstreifen des Klägers, teils noch in dem rechts davon gelegenen Fahrstreifen befand, kam es zu einer Kollision der beiden Kfz, bei der die vordere rechte Ecke des klägerischen und die hintere linke Ecke des Polizeifahrzeugs aneinanderstießen.
Die Nettoreparaturkosten des klägerischen Kfz beliefen sich laut Sachverständigengutachten auf 2.512,24 EUR. Die Kosten für die Begutachtung betrugen 429,71 EUR. Der Beklagte erstattete unter Verrechung der Hälfte des an seinem Kfz entstandenen Schadens 1.151,14 EUR. Der Kläger hat den Ersatz des Differenzbetrages zuzüglich einer Kostenpauschale in Höhe von 20,00 EUR verlangt.
Der Kläger hat behauptet, er sei aus dem fließenden Verkehr gestoppt worden und das Polizeifahrzeug habe sein Fahrzeug beim Einlenken nach links gestreift.
Der Beklagte hat behauptet, der Kläger habe die Schäden verursacht und verschuldet, indem er mit seinem zuvor stehenden Fahrzeug angefahren und gegen das sich vor ihm befindende Polizeifahrzeug gestoßen sei.
Das Landgericht hat nach Beweiserhebung durch Einvernahme der Zeugen Ö..., D... und S... sowie Anhörung des Klägers der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 1.810,81 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch gemäß § 7 Abs. 1 StVG zu. Bei der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG trete die einfache Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs hinter der durch das Verschulden des Fahrers erhöhten Betriebsgefahr des Polizeifahrzeugs zurück. Dem Beklagten sei es nicht gelungen, den gegen den Zeugen D... sprechenden Beweis des ersten Anscheins, bei seinem Fahrstreifenwechsel und der Kollision mit dem Klägerfahrzeug im nachfolgenden Verkehr den besonderen Sorgfaltspflichten des § 7 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen zu sein, zu widerlegen oder zu erschüttern.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er weiterhin die Klageabweisung erstrebt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:
Die dem Beklagten vom Landgericht zugewiesene Haftung von 100 % sei nicht zu rechtfertigen.
Das Landgericht habe einen Anscheinsbeweis zu Lasten des Zeugen D... angenommen. Ein konkreter typischer Geschehensablauf, der Voraussetzung eines Anscheinsbeweises sei, liege hier aber nicht vor, weil nicht typisch sei, dass ein Kfz mittels Anhaltekellen gestoppt werde und auch nicht, dass ein Fahrer, der die Anhalteanweisung wahrgenommen habe, sein Kfz ausrollen oder anrollen lasse.
Ein Anscheinsbeweis gegen den Kläger, der im Ausrollen aufgefahren sei, sei nicht geprüft worden.
Die Aussagen der Zeugen seien, anders als das Landgericht angenommen habe, nicht gleichwertig. Die Aussagen der Polizeibeamten seien zu Unrecht in Zweifel gezogen worden. Die Aussagen des Zeugen Ö... und des Klägers seien hingegen nicht auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft worden. Die Beweiswürdigung verstoße daher gegen § 286 ZPO.
Die Behauptung des Klägers, das Polizeifahrzeug habe den klägerischen Pkw gestreift, werde durch die Schäden an diesem widerlegt. Es sei ausdrücklich Sachverständigenbeweis dafür angeboten worden, dass das Polizeifahrzeug nicht entgegen seiner Fahrtrichtung gegen das klägerische Kfz habe stoßen können. Die Nichterhebung des Beweises verstoße gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör.
Ein non liquet bei dem Beweisergebnis müsse zur Klageabweisung führen. Ein Mitverschulden und eine Mithaftung des Klägers ergäben sich bereits daraus, dass er nach seiner Version sein Fahrzeug habe ausrollen lassen und es nicht bis zum Stillstand abgebremst habe.
Würde angenommen, das Polizeifahrzeug habe den klägerischen Pkw gestreift, liege eine Unvorsichtigkeit und damit ein einfacher Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO vor, der ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr und zu einem vollständigen Zurücktreten der Betriebsgefahr des klägerischen Kfz führe.
II.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist hier indes nicht der Fall.
Das angegriffene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe nach einer Quote von 100 % gemäß § 7 Abs. 1 StVG zu.
1. Der Unfall stellt sich für keine der Parteien als unabwendbares Ereignis nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG dar, da nämlich keine der Parteien mangels entsprechender Darlegung für sich in Anspruch nehmen kann, dass sich die Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge auf ein etwaiges Fehlverhalten des jeweils anderen eingestellt hätten.
2. Bei der danach gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG erforderlichen Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Kfz hat das Landgericht zu Recht die alleinige Haftung des beklagten Landes angenommen.
a) Anders allerdings als vom Landgericht angenommen, liegt ein Sorgfaltspflichtverstoß des Fahrers des Polizeifahrzeugs nicht in einem Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten, die § 7 Abs. 5 StVO dem Fahrstreifenwechsler auferlegt. Insofern spricht gegen den Fahrer des Polizeifahrzeugs auch nicht der Beweis des ersten Anscheins.
Denn dieser war gemäß § 35 Abs. 1 StVO von den Vorschriften dieser Verordnung befreit. Diese Befreiung setzt nach § 35 Abs. 1 StVO voraus, dass sie zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Das ist hier der Fall gewesen, weil die Polizisten den Kläger wegen seines ihnen verdächtig erscheinenden Verhaltens vor einem A... -Markt überprüfen wollten, nachdem es eine Reihe von Raubüberfällen auf A... -Märkte gegeben hatte.
b) Es liegt jedoch ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten des § 35 Abs. 8 StVO vor.
Das mit der Befreiung von den Vorschriften der StVO einhergehende Sonderrecht gemäß § 35 Abs. 1 StVO darf nämlich gemäß § 35 Abs. 8 StVO nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Das bedeutet, dass der Sonderrechtsfahrer der erhöhten Unfallgefahr, die er durch das Abweichen von den Vorschriften herbeiführt, durch besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht begegnen muss. Die ihm obliegende Sorgfaltspflicht ist umso größer, je mehr seine gegen die StVO verstoßende Fahrweise, die zu der zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe nicht außer Verhältnis stehen darf, die Unfallgefahr erhöht (Senat, NZV 2008, 147, 148; KGR 2005, 664).
Diesen Anforderungen ist der Fahrer des rechts neben dem Kläger fahrenden Polizeifahrzeugs, der Zeuge D..., nicht gerecht geworden.
aa) Offen bleiben kann dabei, ob die Behauptung des Klägers, er sei von dem Polizeifahrzeug gestreift worden, zutrifft. Denn die zusammenfassende Würdigung des vorgetragenen Sachverhalts, der vom Landgericht erhobenen Beweise und des Inhalts der beigezogenen Akte Amtsanwaltschaft Berlin 3024 PLs 1544/09 Ve führen jedenfalls zu der Überzeugung des Senats, dass der Zeuge D... mit dem von ihm geführten Polizeifahrzeug mit kurzem Abstand in den Fahrstreifen des Klägers wechselte, als dieser noch oder schon wieder fuhr und dadurch den Unfall schuldhaft verursachte.
(1) Der Zeuge D... hat zwar bekundet, das Klägerfahrzeug habe gestanden, als er sich in eine frei werdende Lücke vor dieses mit seinem Fahrzeug gesetzt habe. Zur Kollision sei es später, nämlich nach seinem Anhalten gekommen. Der Zeuge S... gab an, der Zeuge D... habe sich vergewissert, dass das Klägerfahrzeug stehen geblieben sei, als er sich vor dieses setzte. Erst dann sei dieses irgendwie losgerollt (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2009).
Der Kläger hat demgegenüber bei seiner Anhörung angegeben, er sei gerollt, als ihm von links die rote Kelle gezeigt worden sei. Daraufhin habe er abgebremst. In dem Augenblick sei die andere Zivilstreife von rechts in seine Fahrspur gekommen, ganz plötzlich. Der Zeuge Ö..., damals Beifahrer des Klägers, gab an, sie seien auf der mittleren Spur gefahren, als plötzlich von rechts und links Zivilfahrzeuge gekommen seien und von links die Kelle gehalten worden sei. Das rechte Fahrzeug sei links rüber gefahren und habe sie mit dem Hinterteil gestreift. Bei der Kollision seien sie zum Stillstand gekommen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2009).
Das Landgericht hat Zweifel an den Aussagen der Zeugen D... und S... geäußert.
Das Landgericht hat seine Zweifel u. a. daran festgemacht, dass nicht nachvollziehbar erscheine, wie die Zeugen das Vorrollen des klägerischen Pkw gesehen haben wollen. Ob das Landgericht die Zeugen hätte fragen müssen, ob sie sich umgeschaut hätten, wie die Berufung meint, kann dahin stehen. Der Senat tritt der Würdigung des Landgerichts bei. Denn die Zweifel an den Aussagen werden durch weitere Umstände erhärtet.
Insofern kann hier zunächst auf den Schadensaufnahmebericht der Polizei unmittelbar nach dem Unfall abgestellt werden. Dort wird als Äußerung des Zeugen D... angegeben (Bl. 2 der Akte Amtsanwaltschaft Berlin 3024 PLs 1544/09 Ve): "Ich setzte mich vor den Pkw mit Zeigen der Polizeianhaltekelle, als wir noch leicht vor ihm rollten, stieß uns der Pkw von hinten an der linken hinteren Seite an.“
Dass der Kläger zunächst gestanden haben soll und erst anfuhr/anrollte, als der Zeuge D... auf seinen Fahrstreifen wechselte, wird nicht berichtet. Stattdessen soll das Polizeifahrzeug noch gerollt sein, als es zur Kollision kam. Vor dem Landgericht gab der Zeuge aber zunächst an, dass er schon angehalten habe, als es zum Zusammenstoß kam. Erst auf Vorhalt seiner früheren Angabe, änderte er seine Aussage dahin ab, dass beide Fahrzeuge gerollt seien (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2010).
Der Zeuge POM J... gab im Ermittlungsverfahren als Zeuge schriftlich die Erklärung ab (Bl. 43 der Akte Amtsanwaltschaft Berlin 3024 PLs 1544/09 Ve): „Ich (...) gab links von dem BMW mittels rot leuchtender Kelle „Halt Polizei“. Der Fz.-Führer verzögerte, aber nicht bis zum Stillstand. Nachdem die Kontrolle abgeschlossen war, wurde die Berührung vorn rechts festgestellt.“
Der Zeuge berichtet also, dass das Klägerfahrzeug gefahren sei und nicht bis zum Stillstand gebremst habe. Auch wenn er den Zusammenstoß selbst nicht gesehen hat, berichtet er von einem Wiederanfahren des BMW nichts.
Der Zeuge PK J... gab im Ermittlungsverfahren als Zeuge schriftlich die Erklärung ab (Bl. 45 der Akte Amtsanwaltschaft Berlin 3024 PLs 1544/09 Ve): „Zum Zeitpunkt des Unfalls befand ich mich (...) hinter dem zu kontrollierenden BMW. Ich habe gesehen, wie dem Fahrzeugführer des BMW durch den Beifahrer des links neben dem BMW fahrenden Zivilwagens die Anhaltekelle gezeigt wurde, daraufhin wurde der BMW langsamer und verringerte seine Geschwindigkeit bis zum Stillstand. Weiterhin habe ich gesehen, dass sich rechtsseitig ein weiterer Zivilwagen befand. Dieser verlangsamte seine Geschwindigkeit im gleichen Maße wie der BMW. Wie es dann zu dem Zusammenstoß kam, kann ich nicht sagen.“
Auch dieser Zeuge gibt an, dass dem fahrenden BMW die Anhaltekelle gezeigt worden sei, der darauf im gleichen Maße wie das rechts neben ihm fahrende Polizeifahrzeug gebremst habe. Ein Wiederanfahren des BMW berichtet auch er nicht.
Der Zeuge PK G... hat im Ermittlungsverfahren schriftlich angegeben (Bl. 47 der Akte Amtsanwaltschaft Berlin 3024 PLs 1544/09 Ve): „Im Augenblick des Unfalls befand ich mich (...) direkt hinter dem zu kontrollierenden Fahrzeug. Am Kaiserdamm/Witzlebenplatz hielt das Fzg. als 2. oder 3. Pkw an der roten LZA. Deshalb sollte das Fahrzeug hier kontrolliert werden. Kurz bevor das Fzg. kontrolliert werden konnte, schaltete die LZA auf grün und das Fahrzeug fuhr mit Schrittgeschwindigkeit los. Nun setzte sich von rechts kommend ein Z-Pkw (...) unter Vorhalten des Anhaltestabes davor. Es erfolgte die Überprüfung der Insassen. Dabei wurde festgestellt, dass es zum VU gekommen war.“
Dieser Zeuge gibt zwar an, dass der BMW zunächst an der roten Ampel gestanden habe, dann aber bei grünem Licht langsam angefahren sei. Erst in diesem Moment sei das Polizeifahrzeug unter Zeigen der Anhaltekelle davor gefahren.
Der Zeuge PHM K... gab schriftlich als Zeuge an (Bl. 54 der Akte Amtsanwaltschaft Berlin 3024 PLs 1544/09 Ve): „Im Rahmen von Schutzmaßnahmen der Fa. A... (...) wurde durch uns der Pkw an der rot abstrahlenden LZA angehalten. Die Zivilstreife (...) befuhr den Fahrstreifen re. neben dem Fahrzeug des K... und forderte diesen ebenfalls auf, anzuhalten. (...) PHM D... (...) wechselte auf den Fahrstreifen, auf dem der K... fuhr.“
Auch dieser Zeuge schildert den Unfall so, dass der fahrende BMW angehalten wurde.
Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass alle Unfallbeteiligten mit Ausnahme der beiden Insassen des am Unfall beteiligten Polizeifahrzeugs den Vorfall derart schildern, dass der BMW des Klägers – wenn auch sehr langsam – fuhr, als er zum Anhalten aufgefordert wurde. Der Fahrstreifenwechsel des Polizeifahrzeugs von rechts nach links erfolgte nach Bekundung dieser Zeugen, soweit geschildert, ebenfalls vor den fahrenden BMW. Ein Wiederanfahren oder Anrollen des BMW nach Befolgen des Haltegebotes wird von diesen Zeugen nicht berichtet.
Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass der Zeuge Ds das von ihm geführte Kfz in kurzem Abstand vor den (noch) fahrenden BMW lenkte und dass es dabei, und nicht erst durch ein erneutes Anfahren oder Anrollen des BMW zu der Kollision kam.
(2) Der Senat kann die Beweise in dieser Weise würdigen, ohne die vom Landgericht vernommenen Zeugen erneut vernehmen zu müssen.
Das Berufungsgericht muss die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz (BGH, NJW-RR 2009, 1291 m. w. Nachw.). Der Senat würdigt die Aussagen der Zeugen jedoch nicht anders.
Vielmehr schließt sich der Senat den vom Landgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO gewonnenen Überzeugung an.
Das Landgericht hat ausdrücklich Zweifel an den Aussagen der Zeugen D... und S... geäußert. Das Landgericht ist nicht davon ausgegangen, dass die Aussagen des Zeugen Ö... und die Angaben des Klägers gleichwertig seien, sondern es hat ausgeführt, dass sie „zumindest“ gleichwertig seien, letztlich also wegen der an den Aussagen der Zeugen D... und S... geäußerten Zweifel mehr Gewicht besäßen.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist entgegen den Angriffen der Berufung nicht zu beanstanden.
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf (Greger in Zöller, ZPO, 28. Auflage, § 286, Rn. 13).
Gemessen hieran zeigt die Berufung keine Fehler der Beweiswürdigung auf. Sie setzt vielmehr nur ihre eigene abweichende Würdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Landgerichts. Damit dringt die Berufung nicht durch.
bb) Das danach feststehende Fahrverhalten des Zeugen D... begründet einen Verstoß gegen die dem Sonderrechtsfahrer obliegende Sorgfaltspflicht des § 35 Abs. 8 StVO.
Ordnungswidrig ist nämlich das Gefährden von Sachen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 35 StVO, Rn. 21). Denn die Sonderrechtsstellung rechtfertigt nur die Behinderung oder Belästigung anderer, sie enthebt aber nicht die Bevorrechtigten vom Verbot der konkreten Gefährdung (vgl. BGH, VRS 32, 321, 324; Kulik, NZV 1994, 58, 59).
Deshalb hätte der Zeuge D... den Fahrstreifenwechsel erst vornehmen dürfen, nachdem er sich sicher davon überzeugt hatte, dass der Kläger steht oder er hätte mit einem größeren Abstand zum BMW hinüber wechseln müssen, um dem noch rollenden BMW genügend Platz zum Anhalten zu lassen.
cc) Einer weiteren Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht. Der Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt worden.
Selbst wenn die Behauptung des Beklagten zuträfe, dass das klägerische Kfz von hinten auf das Polizeifahrzeug aufgefahren sei und sich die klägerische Darstellung, das Polizeifahrzeug habe sein Kfz beim Fahrstreifenwechsel gestreift, unzutreffend wäre, änderte dies an der Haftung des Beklagten nichts. Denn der Beklagte haftet sowohl für das Anfahren des klägerischen Kfz als auch für den mit so kleinem Abstand ausgeführten Fahrstreifenwechsel, dass der Kläger das Auffahren nicht mehr verhindern konnte.
Die riskante Fahrweise steht auch außer Verhältnis zu dem unmittelbar damit verfolgten Zweck. Denn die Zeugen D... und S... haben angegeben, sie hätten den dritten Fahrstreifen für den Berufsverkehr freigeben wollen. Dazu hätten sie nicht so dicht vor dem klägerischen Kfz den Fahrstreifen wechseln müssen.
c) Einen Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers hat das Landgericht mit Recht nicht angenommen.
aa) Einen gegen den Kläger sprechenden Anscheinsbeweis, seine Sorgfaltspflichten verletzt zu haben, indem er auf das vor ihm fahrende Polizeifahrzeug aufgefahren ist, hat das Landgericht zu Recht nicht in Erwägung gezogen.
Im Fall eines Auffahrunfalls spricht zwar der Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende den Unfall sorgfaltswidrig verursacht hat (BGH, NZV 2007, 354, Tz. 5). Der Anscheinsbeweis ist jedoch entkräftet, wenn der Vorausfahrende erst einige Augenblicke vor dem Auffahrunfall in den Fahrstreifen des Auffahrenden gewechselt ist und sich die Kollision beider Fahrzeuge daher in einem unmittelbar zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet hat (Senat , Beschluss vom 6. Mai 2010 – 12 U 144/09, BeckRS 2010, 18950; NZV 2008, 198, 199; NZV 2006, 374, 375; KGR 1997, 223, 224; KG, 22. ZS, KGR 2003, 2727, 273).
Das ist hier nach dem unstreitigen Vorbringen beider Parteien der Fall gewesen. bb) Der Beklagte hat auch im Übrigen weder hinreichend dargelegt noch bewiesen, dass der Kläger nicht ausreichend sorgfältig seiner Anhaltepflicht nachgekommen oder ungenügend aufmerksam gewesen ist.
Der Beklagte hat schon nicht konkret dargelegt, in welchem Abstand der Zeuge D... vor dem Kläger den Fahrstreifen gewechselt hat. Fest steht nur, dass es sich nicht um einen großen Abstand gehandelt haben kann, weil der Zeuge D... in eine Lücke gefahren sein will, die frei wurde, nachdem bei grünem Ampellicht ein vor dem Kläger haltendes Kfz weggefahren sei. Ob der Kläger überhaupt noch rechtzeitig hätte anhalten können, ist daher völlig offen.
Selbst soweit sich der Beklagte hilfsweise das Vorbringen des Klägers zu Eigen macht, er sei noch ausgerollt, nachdem ihm die Anhaltekelle gezeigt worden sei, liegt darin kein sorgfaltswidrigen Verhalten. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der Kläger allenfalls sehr langsam gefahren ist und daher nur noch mit einem kurzen Anhalteweg zu rechnen war. Dass sich ein Fahrzeug dicht vor ihn setzen würde, war für ihn nicht vorhersehbar. Darüber hinaus kann nicht außer Acht gelassen werden, dass sich auch hinter dem Kläger noch ein Polizeifahrzeug befand, so dass ein abruptes Abbremsen des Klägers zu einer unnötigen Gefährdung des hinter ihm fahrenden Kfz hätte führen können.
d) Zutreffend hat das Landgericht eine alleinige Haftung des beklagten Landes angenommen.
In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für den Unfallschaden allein. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die ein Mitverschulden des anderen belegen. Allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (Senat, NZV 2005, 527, 528; VRS 106, 23, 25; KG, 22. ZS, KGR 2003, 272, 273).
Ein Mitverschulden des Klägers ist hier nicht festzustellen. Der Umstand, dass der Fahrer des Polizeifahrzeugs aufgrund des Sonderrechts gemäß § 35 Abs. 1 StVO von den Pflichten des § 7 Abs. 5 StVO entbunden war, rechtfertigt vorliegend keine andere Entscheidung. Denn der Fahrstreifenwechsel stellte sich auch hier als eine deutlich gefahrerhöhende Fahrweise dar und erforderte daher die Beachtung entsprechend hoher Sorgfaltspflichten gemäß § 35 Abs. 8 StVO. Der Verstoß gegen sie steht hier bei der Abwägung einem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO gleich und lässt die einfache Betriebsgefahr des klägerischen Kfz zurücktreten.
III.
Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.