Auch wenn weder absolute Fahruntüchtigkeit zum Unfallzeitpunkt noch ein Fahrfehler nachweisbar sind, kommt Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 Abs. 3 VVG a. F. wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer bei einem Fremdschaden nach Räumung der Unfallstelle und vor Eintreffen der Polizei nach seiner Behauptung 0,2 l Weinbrand zu sich nimmt und sich damit nicht für eine evtl. Feststellung seiner Alkoholisierung durch die Polizei zur Verfügung hält. Es reicht aus, dass der Nachtrunk generell geeignet war, dem Versicherer den Nachweis der grob fahrlässigen Herbeiführung unmöglich zu machen.
Gründe:
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das am 04. August 2009 verkündete und am 28. August 2009 zugestellte Urteil der Zivilkammer 17 gem. § 522 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht kommen dürfte, weil der Senat nach Vorberatung der Ansicht ist, dass das Rechtsmittel aufgrund der erstinstanzlich festgestellten Tatsachengrundlage in der Sache Aussicht auf Erfolg verspricht.
Die Beklagte dürfte jedenfalls über § 6 Abs. 3 VVG a.F. leistungsfrei geworden sein, weil der Kläger durch seinen zugestandenen „Nachtrunk“ vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig eine Aufklärungsobliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls (§ 7 (2) AKB) verletzt hat.
Da durch das Unfallereignis vom 08. Dezember 2005 Schäden nicht nur an dem vom Kläger geführten Leasingfahrzeug, sondern erkennbar in nicht unerheblichem Umfang auch an der Lichtzeichenanlage entstanden waren, oblag dem Kläger abgeleitet aus der Vorschrift des § 142 StGB auch im Rahmen der hier maßgeblichen Fahrzeugversicherung die Obliegenheit, sich für eine evtl. Feststellung seiner Alkoholisierung durch die Polizei zur Verfügung zu halten (vgl. dazu BGH VersR 1976, 84 sowie OLG Karlsruhe NZV 2009, 43 – 45; LG Kassel ZfSch 2007, 517 – 518; OLG München OLGR München 1995, 230 – 231; OLG Köln VersR 1993, 45, 46). Diese Obliegenheit hat der Kläger nach seinem eigenen Vortrag dadurch verletzt, dass er in dem Zeitraum zwischen dem Unfallereignis und dem Eintreffen der Polizei einen so genannten Nachtrunk durchgeführt hat. Da gemäß § 6 Abs. 3 VVG a.F. Vorsatz vermutet wird, wäre es Sache des Klägers, darzulegen, und zu beweisen, dass ihn nur ein geringerer Schuldvorwurf trifft. Dies ist seinem Vortrag jedoch nicht zu entnehmen. Soweit er darauf verweist, er habe sich beruhigen müssen, wäre dies nicht für die angegebene Trinkmenge von 0,2 l und auch nicht mehr für den vom Kläger angegebenen Trinkzeitpunkt – es war bereits einige Zeit seit dem Unfall vergangen, der Kläger hatte bereits mit zwei Zeugen gesprochen und versucht, mit diesen den PKW wegzuschieben – nachvollziehbar. Zudem stand das Eintreffen der Polizei unmittelbar bevor, so dass dem Kläger – dies insbesondere, weil er selbst früher Polizist war – während des Nachtrunks bewusst gewesen sein muss, dass seine Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt Gegenstand der Ermittlungen sein könnte.
Darauf, ob der Nachtrunk (allein) in der Absicht erfolgte, den Grad der Alkoholisierung im Unfallzeitpunkt zu verschleiern, kommt es im Hinblick auf den entstandenen Fremdschaden entscheidungserheblich nicht an (vgl. OLG München a.a.O; BGH VersR 1967, 29, 31); diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung allein notwendig, wenn ein Fremdschaden nicht entstanden ist (BGH VersR 1976, 84; OLG Karlsruhe a.a.O.; LG Kassel a.a.O.).
Ob die Obliegenheitsverletzung letztlich folgenlos geblieben ist, kann dahinstehen, weil ein Nachtrunk im Sinne der Relevanzrechtsprechung generell geeignet ist, die Interessen der Beklagten zu beeinträchtigen (vgl. OLG Köln a.a.O.) und den Kläger zudem ein erhebliches Verschulden trifft.
Die Begründung des angegriffenen Urteils beruht an diesem Punkt (S. 6 unten des Urteils) auf der fehlerhaften Vorstellung, der Nachtrunk müsse konkret geeignet gewesen sein, dem Versicherer die Beweisführung der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit unmöglich zu machen; die Obliegenheitsverletzung sei nur relevant, wenn daran der Nachweis scheitere. Dabei wird jedoch verkannt, dass es im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung generell nicht auf die Feststellung der Kausalität im Einzelfall ankommt (vgl. dazu BGH VersR 2000, 222–223, dort Rdz. 11–13) und dass im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG a.F. der Kläger als Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis – dahingehend, dass die Voraussetzungen des § 61 VVG unzweifelhaft nicht vorlagen – zu führen hätte.
2. Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, binnen dreier Wochen ab Zugang dieses Beschlusses zu den vorstehenden Ausführungen Stellung zu nehmen oder aus Kostengründen eine Klagerücknahme zu erklären.