Kein Augenblicksversagen bei Unfall mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,91 Promille, wenn Versicherungsnehmer am Samstagnachmittag Bier in nicht näher angegebenem Umfang trinkt, sodann aufbricht, um seine Ehefrau, seine Tochter und weitere Personen von einem Schulfest abzuholen, ohne seine Fahrtüchtigkeit aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums zu hinterfragen und dies ein zweites Mal nach Zustieg dieser Personen für die Rückfahrt unterlässt. Die Angabe des Versicherungsnehmer, er habe sich vor den jeweiligen Fahrtantritten nicht in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt gefühlt, kann ihn von dem objektiven Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entlasten.
Gründe:
1. Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, seine Berufung vom 10. März 2010 gegen das am 26. Januar 2010 verkündete und am 16. Februar 2010 zugestellte Urteil der Zivilkammer 41 des Landgerichts Berlin gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat nach Vorberatung einstimmig der Auffassung ist, dass das Rechtsmittel in der Sache keinen Erfolg hat (Nr. 1), der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt (Nr. 2) und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern (Nr. 3).
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung einer Vollkaskoentschädigung wegen der Beschädigungen des PKW Renault Scenic bei dem Unfallereignis vom 27. Juni 2008 abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte sei leistungsfrei, weil der Kläger den Versicherungsfall grobfahrlässig im Sinne des § 61 2. Alt. VVG a.F. verursacht habe.
Der allein gegen die Annahme der subjektiven Komponente der groben Fahrlässigkeit gerichtete Berufungsangriff des Klägers lässt weder Rechtsfehler im Rahmen der Entscheidungsfindung erkennen noch gibt er konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen (§§ 513, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Entgegen der Ansicht des Klägers ist ihm vorliegend hinsichtlich des Kaskoschadens – selbst unter Berücksichtigung seines Berufungsvorbringens – auch der gesteigerte subjektive Vorwurf grober Fahrlässigkeit nach § 61 VVG a.F. zu machen, da er bei einer gewissenhaften Selbstprüfung vor Fahrtantritt seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit hätte erkennen können.
Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist im Gesetz nicht definiert. Die obergerichtliche Rechtsprechung legt den Begriff in ständiger Rechtsprechung dahingehend aus, dass ein Handeln als grob fahrlässig anzusehen ist, wenn dabei die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wird, wenn naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben werden und dasjenige unbeachtet bleibt, was unter den gegebenen Umständen sich jedem aufdrängen müsste (vgl. BGH ZIP 2000, 146). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt für diesen Begriff der groben Fahrlässigkeit kein aus-schließlich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Maßstab. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (BGH VersR 1992, 1085 – 1086 m.w.N.). Dabei soll jedoch ein objektiv grob fahrlässiger Pflichtenverstoß die erhöhte subjektive Vorwerfbarkeit zunächst indizieren; Besonderheiten können im Einzelfall aber im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der subjektiv groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen (BGH a.a.O.).
Entsprechende subjektive Besonderheiten hat der Kläger nicht dargelegt. Soweit er sich im Rahmen seiner Berufungsbegründung erneut darauf beruft, er habe eine alkoholbedingte Einschränkung seiner Fahrtüchtigkeit bei Fahrtantritt nicht wahrgenommen und daraus den Schluss ziehen will, deshalb könne ihm jedenfalls subjektiv nicht der Vorwurf einer gesteigerten Fahrlässigkeit gemacht werden, so geht dies fehl.
Soweit die Rechtsprechung einzelner Oberlandesgerichte subjektive Besonderheiten des Einzelfalles als Entlastung vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit anerkannt hat, bezog sich dies regelmäßig auf ein so genanntes “Augenblicksversagen”. Dies erfolgte mit der Begründung, dass gerade im Bereich der Vollkaskoversicherung, mit deren Abschluss sich der Versicherungsnehmer insbesondere vor den Folgen absichern will, die er aufgrund seiner eigenen menschlichen Unzulänglichkeit verschuldet, der Versicherungsschutz über § 61 VVG a.F. nicht für solche Fälle entfallen darf, die “jedem”, auch dem im allgemeinen sorgsamen Versicherungsnehmer, unterlaufen können (vgl. z.B. OLG Frankfurt VersR 2001, 1276 – 1278; OLG Hamm VersR 1988, 1260; OLG Köln NJW-RR 1991, 480). Unabhängig davon, dass diese Rechtsprechung uneinheitlich und auch nicht unumstritten ist (vgl. Nachweise bei Prölss in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Auflage § 61 Rdnr. 12), hält der Bundesgerichtshof ein Augenblicksversagen auch erst bei Hinzukommen weiterer subjektiver Besonderheiten für einen ausreichenden Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen (BGH VersR 1992, 1085 – 1086, Ls 1).
Das dem Kläger im vorliegenden Fall subjektiv vorwerfbare Fehlverhalten kann schon nicht als bloßes “Augenblicksversagen” im Sinne der dargestellten Rechtsprechung angesehen werden. Der Kläger hatte nach dem festgestellten Sachverhalt zu zwei verschiedenen Zeitpunkten Veranlassung, eine hinreichend gewissenhafte Selbstprüfung bezüglich seiner Fahrtüchtigkeit vorzunehmen, was er ersichtlich unterlassen hat. Nachdem er in den Nachmittagsstunden des 27. Juni 2008 Bier in nicht näher angegebenem Umfang getrunken hatte, ist er am frühen Abend mit seinem Fahrzeug aufgebrochen, um seine Ehefrau, seine Tochter und weitere Personen von einem Schulfest abzuholen, ohne eine Fahruntüchtigkeit aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums zu hinterfragen. Dies hat er ein zweites Mal unterlassen, als er, nachdem seine Mitfahrer beim Schulfest zugestiegen waren, die Rückfahrt antrat.
Auch der Hinweis des Klägers, er habe sich beim Antritt der Fahrten jeweils nicht in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt gefühlt, vermag den Kläger in diesem Zusammenhang nicht zu entlasten. Angesichts des unstreitig vorangegangenen Bierkonsums, der sich im Hinblick auf die um 19.55 Uhr noch festgestellte Blutalkoholkonzentration von 0,91 ‰ nicht auf ein oder zwei Flaschen beschränkt haben kann (für die Rückrechnung kann ein gleichbleibender Abbauwert von 0,1 ‰/ Std zugrunde gelegt werden, vgl. BGHSt 25, 246) und der ihm im Zeitpunkt des Fahrtantritts auch bewusst war, hätte für den Kläger jedenfalls eine konkrete Veranlassung bestanden, vor Antritt der Fahrt seine Fahrtüchtigkeit kritisch zu überprüfen und zu hinterfragen. Hätte er dies mit der notwendigen und gebotenen Sorgfalt getan, hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass er alkoholbedingt fahruntüchtig war (vgl. OLG Koblenz Schaden-Praxis 2003, 25 – 26; OLG Hamm r+s 1995, 244) . Dass sich ein unter starker Alkoholeinwirkung stehender Kraftfahrer nicht mehr ans Steuer seines Fahrzeugs setzen darf und dass er durch ein Fahren in fahruntüchtigem Zustand nicht nur andere Verkehrsteilnehmer sondern auch sich selbst und sein Fahrzeug einer unverantwortlichen Gefährdung aussetzt, ist heute derart Allgemeingut, dass unbedenklich davon ausgegangen werden kann, dass bei fast jedem Kraftfahrer die Hemmschwelle für ein Fahren trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit stark heraufgesetzt ist (vgl. BGH VersR 1989, 469; OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2008, 336). Dem Kläger ist deshalb ein gesteigerter subjektiver Vorwurf zu machen, weil er vor Fahrtbeginn –selbst wenn er bis dahin eine eindeutige Beeinträchtigung durch den Alkohol nicht verspürt haben sollte– das Ausmaß und die darauf beruhenden Auswirkungen seines Alkoholkonsums nicht einer kritischen Überprüfung unterzogen hat; angesichts der erheblichen Trinkmenge, die sich aus der nach dem Unfall festgestellten Alkoholisierung herleiten lässt, hätten ihm dabei zwangsläufig erhebliche Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit kommen müssen, die dann dazu geführt hätten, dass er von der Fahrt Abstand genommen hätte (OLG München Blutalkohol 45 (2008), 403 – 407).
Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO sind erfüllt. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
2. Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, binnen 2 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen. Er wird darauf hingewiesen, dass sich im Falle der Berufungsrücknahme die Gerichtskosten auf die Hälfte reduzieren würden (vgl. KV 1222 zum GKG, dort Anlage 2).