Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Urteil vom 16.12.2010 - 12 U 209/09 - Zum Ausschwenken eines Linienbusses beim Wenden durch einen Mittelstreifendurchbruch

KG Berlin v. 16.12.2010: Zum Ausschwenken eines Linienbusses beim Wenden durch einen Mittelstreifendurchbruch


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 16.12.2010 - 12 U 209/09) hat entschieden:
Erfordert die Streckenführung eines öffentlichen Linienbusses das Wenden durch einen Mittelstreifendurchbruch und kommt es bei den Wendevorgängen häufig zu gleichartigen Unfällen (ausschwenkendes Heck des Busses beschädigt neben dem Bus an der Ampel wartendes Fahrzeug), so ist der Fahrer des Busses gemäß § 9 Absatz 5 StVO jedenfalls dann verpflichtet, sich bei jedem Wendevorgang einweisen zu lassen, wenn er den Bereich neben dem rechten Heck seines Fahrzeugs nicht einsehen kann.


Siehe auch Fahrstreifenbegrenzung durch Leitlinien oder Fahrbahnbegrenzungslinien und Nebeneinander paarweises Abbiegen


Gründe:

Die Berufung ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Die Beklagten haften dem Kläger zu ¾ für die Schäden, die diesem bei dem Unfall am 17. April 2008 auf der Tauentzienstraße in Höhe der Hausnummer 3 gegenüber dem KaDeWe entstanden sind.

Unstreitig hat sich der Unfall ereignet, während der Beklagte zu 2) den von der Beklagten zu 1) gehaltenen und sich im öffentlichen Linienverkehr befindlichen, 13,70 Meter langen dreiachsigen Doppeldeckerbus entsprechend der Streckenführung über den Mittelstreifendurchbruch der Tauentzienstraße wendete und hierbei mit der rechten hinteren Ecke seines Fahrzeugs die linke Seite des klägerischen Fahrzeugs beschädigte.

1. Als Wendendem oblag dem Beklagten zu 2) die Beachtung der sich aus § 9 Absatz 5 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflichten. Nach dieser Vorschrift muss der Wendende nicht nur die in den Absätzen 1 bis 4 geregelten Sorgfaltspflichten erfüllen, er muss sich darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen.

Gegen diese Pflichten hat der Beklagte zu 2) in besonders grober Weise verstoßen. Wie sich aus der Aussage der vom Landgericht als Zeugin gehörten Polizeibeamtin ergibt, kommt es an der Unfallstelle vor dem KaDeWe “wöchentlich einmal” zu einem “typischen Wendeunfall mit einem BVG Bus”. Da der Beklagte zu 2) nach seiner eigenen Aussage “an der Unfallstelle 10mal am Tag” wendet, muss er gewusst haben, dass es dort häufig zu ähnlichen Wendeunfällen mit BVG Bussen kommt. Es musste sich dem Beklagten zu 2) deshalb aufdrängen, dass eine Einweisung gemäß § 9 Absatz 5 letzter Halbsatz StVO erforderlich war. Dies insbesondere auch deshalb, weil nach den Ausführungen des persönlich gehörten Beklagten zu 2) davon auszugehen ist, dass dieser dass Klägerfahrzeug angesichts seiner rechtsversetzten Position im toten Winkel nicht sehen konnte.

Da er es unterlassen hat, sich einweisen zu lassen, hat er sorgfaltswidrig gehandelt. Er hat sich nämlich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies war auch unfallursächlich, da das Einweisen durch eine weitere Person den Unfall vermieden hätte.

2. Aber auch der Kläger hat sich sorgfaltswidrig verhalten, da er den BVG-Bus mit unzureichendem Seitenabstand überholt hat (§ 5 Absatz 4 Satz 2 StVO). Der Bus stand nach der eigenen Aussage des Klägers nicht vollständig auf der Linksabbiegerspur sondern links blinkend “ein bisschen schräg auch” in der von ihm befahrenen mittleren Spur. Der Kläger hätte deshalb mit dem Ausschwenken des Hecks rechnen und sich hierauf einstellen müssen. Der Seitenabstand, der beim Vorbeifahren an einem haltenden Fahrzeug oder beim vorübergehenden Anhalten neben ihm zu wahren ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Bei der Vorbeifahrt an einem PKW etwa ist zu berücksichtigen, dass ein Insasse die Fahrzeugtüre öffnen könnte (vgl. BGH, DAR 1981, 148). Bei einem LKW oder Bus ist zu beachten, dass er gerade auch beim Anfahren quer zur Fahrtrichtung ausschwenken kann.

3. In Abwägung beider Verschuldensanteile sowie der unfallursächlichen Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge ergibt sich eine überwiegende Haftung der Beklagten, die der Senat mit einer Quote von 3/4 bewertet (§§ 17 Abs. 1, 2 StVG). Zu Lasten der Beklagten fällt dabei besonders ins Gewicht, dass es sich bei dem Wendevorgang des Linienbusses um eine von vornherein erkennbare Standardsituation beim Einsatz dieses Fahrzeuges im Straßenverkehr handelt, auf die der Fahrer sich ohne weiteres hätte einstellen können und müssen. Die konstruktionsbedingte Notwendigkeit für den Doppeldeckerbus, beim Abbiegen besonders viel Raum der benachbarten Verkehrsflächen einzunehmen, erhöht dessen Betriebsgefahr beträchtlich und hat sich hier auch unfallursächlich ausgewirkt. Hinzu kommt, dass den Beklagten die häufigen gleichartigen Unfälle am Unfallort bekannt waren und sie deshalb Vorsorge hätten treffen müssen, z. B. durch Mitfahrt eines “Einweisers” oder durch Änderung der Streckenführung.

4. Der Gesamtschaden des Klägers beträgt 12.470,31 € netto, ¾ hiervon sind 9.352,73 €. Ausgehend von diesem Streitwert ergeben sich Rechtsanwaltskosten in Höhe von 663,80 € netto. Umsatzsteuer war nicht in Ansatz zu bringen, da der Kläger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr.1, Absatz 2 ZPO n. F.).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m § 26 Nr. 8 EGZPO.



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