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OLG Köln Urteil vom 25.11.2010 - 7 U 103/10 - Zum völligen Zurücktreten der Betriebsgefahr eines Kfz bei grobem Verschulden eines alkoholisierten Fußgängers
OLG Köln v. 25.11.2010: Zum völligen Zurücktreten der Betriebsgefahr eines Kfz bei grobem Verschulden eines alkoholisierten Fußgängers
Das OLG Köln (Urteil vom 25.11.2010 - 7 U 103/10) hat entschieden:
Das allenfalls leichte Verschulden eines Kfz-Führers und die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs treten hinter dem groben Eigenverschulden eines stark alkoholisierten Fußgängers, der dunkel gekleidet bei Dunkelheit auf der dunklen Fahrbahn liegt, vollständig zurück.
Siehe auch Fußgänger allgemein und Verkehrsunfälle mit Fußgängerbeteiligung und Berücksichtigung der Betriebsgefahr bei Kfz-Unfällen mit Fußgängern
Gründe:
Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil den Kläger an dem Unfall aufgrund der besonderen Umstände ein Anspruch ausschließendes grobes Eigenverschulden trifft (§§ 9 StVG, 254 BGB).
Der Kläger hat nicht nur gegen § 25 III StVO verstoßen, wonach Fußgänger Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrbahn zu überschreiten haben, insbesondere hat er sich in einem Zustand schwerwiegender Alkoholisierung (BAK: 2,51 %) im Straßenverkehr bewegt, obwohl er dies wegen der daraus folgenden Verkehrsuntüchtigkeit auch als Fußgänger nicht durfte (§ 2 FeV - VO über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr -, vgl. Hentschel, Komm. zum Straßenverkehrsrecht, § 2 FeVO Rz. 2).
Ob demgegenüber dem Beklagten zu 1) überhaupt ein schuldhafter Verkehrsverstoß in Gestalt der Nichtbeachtung des Sichtfahrgebots gem. § 3 StVO angelastet werden kann, ist zweifelhaft.
Der Sachverständige I. differenziert hier zwischen der Möglichkeit der 1. Wahrnehmung, dass "etwas" auf der Straße liegt, und der Möglichkeit der Erkenntnis, dass es sich um einen menschlichen Körper handelt. Nach den nachvollziehbaren Berechnungen des Sachverständigen war das Unfallgeschehen für den Beklagten zu 1) nur dann vermeidbar, wenn er beim erstmöglichen Bemerken des "Etwas" auf der Fahrbahn direkt reagiert und eine Vollbremsung eingeleitet hätte. Stellt man dagegen auf die Erkennungsmöglichkeit ab, d. h. die Identifizierung des "Etwas" als menschlichen Körper, so war bei der gefahrenen Geschwindigkeit von ca. 50 km/h selbst bei normaler Reaktionsdauer nicht mehr rechtzeitig anzuhalten (Bl. 134 ff GA).
Ob direkt beim ersten Bemerken eines "Etwas" von dem herannahenden Fahrer eine Vollbremsung zu fordern ist, ist eine Rechtsfrage, wobei der Sachverständige kritisch darauf hinweist, dass dann auch erwartet werden müsse, dass z.B. wegen eines dunklen Flecks auf der Fahrbahn (etwa schadhafte Stelle oder Teerflickstelle) direkt voll zu bremsen sei, wobei zu bedenken sei, dass nicht ohne Grund scharf zu bremsen sei (Bl. 136 GA).
Dies kann indes dahinstehen, denn angesichts der vorliegend gegebenen besonderen Umstände wäre selbst bei Unterstellen eines Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot das Verschulden des Beklagten zu 1) im Rahmen der nach § 9 StVG vorzunehmenden Abwägung als dermaßen gering zu bewerten gegenüber dem groben Eigenverschulden des Klägers, dass es hinter dessen Verschulden gänzlich zurücktreten würde.
Bei Herannahen des Beklagten zu 1) lag nämlich der Kläger bereits bäuchlings auf der Fahrbahn, und zwar auf dem dunkleren Fahrbahnteil, dabei dunkel bekleidet und insbesondere in Längsrichtung mit dem herannahenden Autofahrer zugewandten Füßen. Er war deshalb - wegen der ungewöhnlichen Position und des dunklen Hintergrundes - besonders schwer wahrzunehmen, wie der Sachverständige plausibel ausgeführt hat. Demgegenüber fuhr der Beklagte zu 1) auf der gutausgebauten, seinerzeit trockenen Landstraße mit erlaubter Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h lediglich 50 km/h. Anhaltspunkte, eine noch geringere Fahrgeschwindigkeit einhalten zu müssen, gab es ersichtlich nicht. Insbesondere musste der Beklagte zu 1) nicht damit rechnen, dass mitten auf seinem Fahrstreifen ein Mensch liegen würde. Neben der Straße verlief ein Rad- und Fußgängerweg, im Bereich der Unfallstelle gab es auch nicht etwa einen ausgewiesenen Fußgängerüberweg.
Das allenfalls leichte Verschulden des Beklagten zu 1) und die Betriebsgefahr des Fahrzeugs treten hinter dem groben Eigenverschulden des Klägers vollständig zurück. Dafür, dass er in die oben beschriebene verkehrsbehindernde und selbstgefährdende Lage infolge seiner erheblichen Alkoholbeeinträchtigung gekommen ist, sprechen nicht nur die ermittelte BAK, sondern auch die im Ermittlungsverfahren bekundeten Wahrnehmungen der Verkehrsteilnehmer, die den Kläger vor dem Unfall im fraglichen Verkehrsraum gesehen haben. Danach ist der Kläger diversen Verkehrsteilnehmern durch seinen sehr stark schwankenden Gang (Zeugen M., Bl. 31, 33 BA, Zeugin N., Bl. 39 BA) aufgefallen. Letztgenannte Zeugin hat den Kläger noch auf allen Vieren aus einem Graben herauskrabbelnd gesehen und gedacht, ob das gut gehe. Die Zeugin X. (Bl. 86 BA) sah sich schließlich veranlasst, bei der Leitstelle anzurufen und auf eine volltrunkene Person auf der Fahrbahn im Einmündungsbereich L 206/L 205 (etwa 1 Min. vor dem Unfall) hinzuweisen.
Bei dieser Sachlage ist unzweifelhaft davon auszugehen, dass der Kläger alkoholbedingt verkehrsuntüchtig war (vgl. auch BGH, Urt. v. 24.2.1976 - VI ZR 61/75). Gem. § 2 FeV durfte er sich daher auch als Fußgänger nicht im Straßenverkehr bewegen.
Sein Verhalten, das darin gipfelte, dass er mitten auf der Fahrbahn bäuchlings zu liegen kam und in diesem Zustand verharrte, ist in höchstem Maße verkehrswidrig und selbstgefährdend. Er hat sich in leichtfertiger Weise selbst in erhebliche Gefahr begeben und war aufgrund seiner Trunkenheit nicht in der Lage, den daraus resultierenden Gefahren, anders als ein nüchterner Fußgänger, zu begegnen.
Bei einer Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile steht das grob verkehrswidrige Verhalten des Klägers derart im Vordergrund, dass ein - unterstelltes - zu Lasten des Beklagten zu 1) anzusetzendes geringfügiges Verschulden und die Betriebsgefahr des Fahrzeugs dahinter zurückzutreten haben (vgl. auch OLG Hamm, NVZ 99, 374 f).
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 I, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 15.000,00 € (2.500,00 € + 12.500,00 €)
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht vorliegen.