Auch im Versicherungsvertragsrecht gilt, dass ein Kraftfahrer mit einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille absolut fahruntüchtig ist.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem Kaskoversicherungsvertrag für seinen Fahrzeugschaden in Höhe von 13.100 DM in Anspruch.
Am 20. November 1987 gegen 22.00 Uhr fuhr der Kläger mit einem Pkw BMW 525i auf einer vierspurigen Schnellstraße mit einer Geschwindigkeit von 120 bis 130 km/h. Es herrschte völlige Dunkelheit. Es regnete, so dass die Fahrbahn nass war und Aquaplaninggefahr bestand. Das Kraftfahrzeug des Klägers geriet ins Schleudern, drehte sich und stieß gegen die rechts der Fahrbahn befindliche Leitplanke, die auf einer Länge von 32 m beschädigt wurde. Von dort schleuderte es 110 m weiter und verkeilte sich schließlich unter der Mittelleitplanke. Nach dem Unfall wurde dem Kläger um 23.05 Uhr eine Blutprobe entnommen, die eine Blutalkoholkonzentration von 1,12 Promille im Mittelwert ergab.
Die Beklagte hält sich für leistungsfrei, weil der Kläger den Versicherungsfall durch Alkoholgenuss grob fahrlässig herbeigeführt habe. Der Kläger meint, der Unfall sei nicht auf alkoholbedingte Beeinträchtigungen seiner Fahrfähigkeit zurückzuführen.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage nicht stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Entschädigungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält die Beklagte gemäß § 61 VVG für leistungsfrei. Es hat ausgeführt, der Kläger habe den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt. Er sei absolut fahruntüchtig gewesen. Der Beweis des ersten Anscheins spreche für die Unfallursächlichkeit. Unstreitig habe die Blutalkoholkonzentration des Klägers im Unfallzeitpunkt mindestens 1,12 Promille betragen. Absolute Fahruntüchtigkeit ergebe sich daraus, dass seit dem 28. Juni 1990 die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes den Grenzwert von 1,3 auf 1,1 Promille Alkohol im Blut herabgesetzt habe. Unerheblich sei, dass vorher absolute Fahruntüchtigkeit erst ab 1,3 Promille angenommen und der Kläger aufgrund des vorliegenden Falles nur wegen einer Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße verurteilt worden sei. Das in Art. 103 Abs. 3 GG normierte Rückwirkungsverbot beziehe sich nur auf die Änderung gesetzlicher Strafvorschriften, nicht jedoch auf die Änderung der Rechtsprechung zu Beweisanforderungen.
Diese Ausführungen sind richtig.
II.
Wie das Berufungsgericht schließt sich auch der erkennende Senat dem auf Vorlage des Oberlandesgerichts Braunschweig ergangenen Grundsatzbeschluss des Verkehrsstrafsenates zur Herabsetzung des Grenzwertes an (Beschluss vom 28. Juni 1990 - 4 StR 297/90 - BGHSt 37, 89 = VersR 1990, 1177 = DRiZ 1990, 300). Danach sind Versicherungsnehmer als Kraftfahrer bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille absolut fahruntüchtig.
1. Der Verkehrsstrafsenat des Bundesgerichtshofes hatte im Jahre 1966 aufgrund eines den damaligen Stand der Alkoholforschung zusammenfassenden Gutachtens des Bundesgesundheitsamtes den aus Grundwert und Sicherheitszuschlag zusammengesetzten Grenzwert auf 1,3 Promille festgesetzt (BGHSt 21, 157).
a) Der damalige Grundwert von 1,1 war nur deshalb nicht mit 1,0 Promille bestimmt worden, weil nach statistischen Untersuchungen damals noch Anlass bestanden hatte, den Eintritt der absoluten Fahruntüchtigkeit erst im Bereich zwischen 1,0 und 1,1 Promille anzunehmen. Jedoch haben die in den Jahren bis 1986 veröffentlichten Ergebnisse der medizinischen Alkoholforschung und vor allem die bis 1974 erzielten Erkenntnisse von Fahrversuchen deutlich die Richtigkeit des Grundwertes von 1,0 bestätigt. Vorrangig auf die bei Fahrversuchen gewonnenen Untersuchungsergebnisse hatte der Verkehrsstrafsenat bereits seine Entscheidungen zum Grenzwert der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit von Mofa- und Fahrradfahrern (BGHSt 30, 251; 34, 133) gestützt. Zu berücksichtigen sind außerdem die erhöhten Leistungsanforderungen an den Kraftfahrer infolge der Zunahme der Verkehrsdichte und Geschwindigkeit. Die auch den erkennenden Senat überzeugende Gesamtwürdigung aller dieser Erkenntnisse hat den Verkehrsstrafsenat dazu veranlasst, den Grundwert mit 1,0 Promille anzunehmen.
b) Der Sicherheitszuschlag war in dem genannten Gutachten des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1966 mit 0,15 Promille, nämlich mit dem dreifachen der seinerzeit für Werte um 1,0 Promille festgestellten Standardabweichung von 0,05 Promille angegeben worden. Das beruhte auf nicht ausreichenden Möglichkeiten zur Kontrolle der Richtigkeit der von den einzelnen Instituten mitgeteilten Analysenergebnisse. Der Verkehrsstrafsenat hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1966 diesen Sicherheitszuschlag noch einmal auf insgesamt 0,2 Promille, also auf das vierfache der Standardabweichung aufgerundet. Damit hatte er nicht ausschließbaren Unzulänglichkeiten Rechnung tragen wollen. Solche Unzulänglichkeiten dürfen jedoch nicht für den Sicherheitszuschlag berücksichtigt werden, so dass schon 1966 0,15 Promille ausreichend gewesen wären (BGHSt 37, 89, 96). Inzwischen hat sich aber bei Untersuchungen zur Messpräzision gezeigt, dass dieser Zuschlag weit übersetzt ist.
Ein im Jahre 1988 durchgeführter Ringversuch mit genügend Probenmaterial hat für alle möglichen Kombinationen der Blutalkoholbestimmungsverfahren im ungünstigsten Falle eine maximale Abweichung von unter 0,05 Promille ergeben (Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zum Sicherheitszuschlag auf die Blutalkoholbestimmung 1989 NZV 1990, 104 unter VII. und VIII.). Der Verkehrsstrafsenat hat danach 1990 den Sicherheitszuschlag auf 0,1 Promille festgesetzt. Diese Verdoppelung hat er für angezeigt gehalten, um Unsicherheiten Rechnung zu tragen, die sich daraus ergeben, dass nicht alle Laboratorien an dem Ringversuch teilgenommen haben und dass Serum statt Vollblut als Probematerial verwendet wurde.
2. Ob ein Kraftfahrer trotz Alkoholeinwirkung sein Fahrzeug noch sicher führen kann, ist zwar grundsätzlich eine Tatfrage. Sie ist jedoch in gewissem Umfang einer allgemein gültigen Beantwortung zugänglich. Die Frage nach dem Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit hat der Zivilrichter wie der Strafrichter im Wege der juristischen Bewertung der verbindlichen medizinischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu beantworten. Deshalb hat der erkennende Senat sich schon früher den Entscheidungen des Verkehrsstrafsenates, mit denen der Grenzwert unter Berücksichtigung jener Erkenntnisse festgelegt worden war, für das versicherungsrechtliche Gebiet angeschlossen (Urteil vom 7. Januar 1972 - IV ZR 152/69 - VersR 1972, 292 mit Anmerkung Franke; BGHZ 66, 88; für Radfahrer Urteil vom 21. Januar 1987 - IVa ZR 129/85 - VersR 1987, 1006). Er hat dabei den Gesichtspunkt der Rechtseinheit hervorgehoben (Urteile vom 30. Oktober 1985 - IVa ZR 10/84 - VersR 1986, 141 unter I drittletzter Abs. und vom 21. Januar 1987 - IVa ZR 129/85 - VersR 1987, 1006 unter II 1 und 2). Er hat weiter ausgeführt, dass Bedenken im Hinblick auf eine "Rückwirkung" gegenstandslos sind, weil es lediglich um die Bewertung einer zurückliegenden Tatsache nach jetzt vorliegenden Erkenntnissen geht (Urteil vom 7. Januar 1972 - IV ZR 152/69 - VersR 1972, 292 Abs. 1 a.E. der Gründe).
An alledem ist festzuhalten.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnte spätestens schon seit 1986 ausgeschlossen werden, dass ein alkoholisierter Kraftfahrer mit einem höheren Wert als 1,0 Promille selbst bei besonderer Fahrbefähigung oder Alkoholverträglichkeit noch in der Lage ist, sein Fahrzeug in einer den alltäglichen Anforderungen des Straßenverkehrs genügenden Weise zu beherrschen. Ebenso wie im Verkehrsstrafrecht ist der Sicherheitszuschlag für die Bestimmung des Blutalkoholwertes mit maximal 0,1 Promille anzunehmen. Demgemäß konnte das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass der Kläger aufgrund seines für den Unfallzeitpunkt unstreitig mit mindestens 1,12 Promille anzunehmenden Blutalkoholgehaltes absolut fahruntüchtig war.
3. Allerdings hat der Verkehrsstrafsenat es für erforderlich gehalten, für eine Übergangszeit den Sicherheitszuschlag mit 0,15 Promille für jene Laboratorien anzunehmen, die an Ringversuchen noch nicht teilgenommen haben (BGHSt 37, 89, 98). Dass die hier tätig gewordene staatliche Untersuchungsstelle für Blutalkohol in Mainz Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (vgl. NZV 1990, 104, 106 Anh. 1) ist, oder dass sie ohne Mitglied zu sein an Ringversuchen teilgenommen hat, ist den tatrichterlichen Feststellungen nicht zu entnehmen. Gleichwohl ist ohne Bedeutung, dass der unstreitige Blutalkoholwert mindestens 1,12 Promille und nicht mindestens 1,15 Promille beträgt.
Auch wenn sich im Rahmen von § 61 VVG Rechtsfolgen daraus ergeben können, bleibt es eine Tatfrage, wie hoch der Blutalkoholgehalt des Versicherungsnehmers ist. Die dem Kläger am Unfalltag um 23.05 Uhr entnommene Blutprobe wies einen Mittelwert von 1,12 Promille auf. Im vorliegenden Fall war von Anfang an völlig unstreitig, dass der Blutalkoholgehalt des Klägers im Unfallzeitpunkt tatsächlich mindestens 1,12 Promille betrug, dass nicht etwa Messungenauigkeiten oder sonstige Unsicherheiten in Frage kommen konnten. Dann aber war es Sache des Klägers, die Maßgeblichkeit dieses Blutalkoholwertes im Hinblick auf die vom Verkehrsstrafsenat für eine Übergangszeit und nur in bestimmten Fällen für erforderlich gehaltene Erhöhung des Sicherheitszuschlages mit der Behauptung zu bezweifeln, die hier tätig gewordene Untersuchungsstelle habe noch nicht an einem Ringversuch teilgenommen. Das hat der Kläger nicht getan, obwohl er in zweiter Instanz ausdrücklich auf den Beschluss des Verkehrsstrafsenats hingewiesen worden ist.
III.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass das Berufungsgericht wegen der absoluten Fahruntüchtigkeit Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG angenommen und für den Kausalzusammenhang zwischen Fahruntüchtigkeit und Unfall den Beweis des ersten Anscheins herangezogen hat (zuletzt Urteile vom 21. Januar 1987 - IVa ZR 129/85 - VersR 1987, 1006 unter II 1 und vom 24. Februar 1988 - IVa ZR 193/86 - VersR 1988, 733 unter 2, jeweils m.w.N.). Allerdings kann der Anscheinsbeweis dadurch entkräftet werden, dass der Versicherungsnehmer als Gegner des für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 VVG beweisbelasteten Versicherers Umstände nachweist, aus denen sich die ernsthafte (und nicht nur theoretische) Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt (Senatsurteil vom 30. Oktober 1985 - IVa ZR 10/84 - VersR 1986, 141 unter II). Das hat aber entgegen der Auffassung der Revision das Berufungsgericht nicht übersehen. Es hat die vom Kläger vorgetragenen Umstände, auf die in der Revisionsbegründung hingewiesen wird, sämtlich berücksichtigt und rechtsfehlerfrei für unerheblich erklärt. Ebenso ohne Rechtsfehler hat es grobe Fahrlässigkeit bejaht. Der Kläger habe die wegen der Spurrillen gefährliche Unfallstrecke gekannt; ohne vorherigen Alkoholgenuss würde er besser reagiert haben und allgemein vorsichtiger gefahren sein.