Tritt während der laufenden Vollstreckung eines Fahrverbots unter Gewährung der Viermonatsfrist nach § 25 Abs. 2a S. 1 StVG ein weiteres rechtskräftiges Fahrverbot nach § 25 Abs. 2 StVG oder nach § 44 Abs. 1 StGB hinzu, so werden ab Rechtskraft der zweiten Entscheidung beide Fahrverbote parallel vollstreckt.
Tatbestand:
Mit Bußgeldbescheid des Landkreises Verden vom 25.09.2009 ist gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt worden. Zugleich hat die Verwaltungsbehörde gemäß § 25 Abs. 2a S. 1 StVG bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch nach Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Der Bußgeldbescheid ist durch Einspruchsrücknahme gegenüber dem Amtsgericht Achim mit Schriftsatz vom 05.07.2010 rechtskräftig geworden.
Mit Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 15.06.2010 ist gegen den Betroffenen wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein weiteres Fahrverbot von einem Monat festgesetzt worden. Dieses Fahrverbot wurde gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 StVG mit Rechtskraft des Urteils wirksam. Die Rechtskraft ist mit Rücknahme der Beschwerde durch den Betroffenen und nach Rechtsmittelverzicht durch die Staatsanwaltschaft Bremen am 19.07.2010 eingetreten.
Mit Schreiben vom 05.07.2010 hat der Betroffene seine Fahrerlaubnis an den Landkreis Verden übersandt. Am 02.08.2010 hat der Landkreis Verden die Fahrerlaubnis an den Betroffenen zurückgesandt.
Die Staatsanwaltschaft Bremen hat den Betroffenen mit Schreiben vom 12.08.2010 aufgefordert, sämtliche in seinem Besitz befindlichen Führerscheine zu übersenden, damit das gegen ihn verhängte Fahrverbot vollzogen werden könne. Gleichzeitig ist darauf hingewiesen worden, dass mehrere Fahrverbote aus verschiedenen Verfahren nacheinander und jeweils in voller Länge zu verbüßen seien.
Dagegen, dass die Fahrverbote nacheinander und jeweils in voller Länge zu verbüßen seien, wendet der Betroffene sich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 16.08.2010.
Entscheidungsgründe:
Der gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.
Das aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bremen vom 15.06.2010 festgesetzte Fahrverbot ist mit der Rechtskraft der Entscheidung wirksam. Soweit zeitgleich ab Rechtskraft dieser Entscheidung bereits das Fahrverbot aus dem Bußgeldbescheid des Landkreises Verden vom 25.09.2009 vollstreckt worden ist, ist eine Anrechnung auf das weitere Fahrverbot aus dem Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 15.06.2010 vorzunehmen. Die Parallelvollstreckung ist mithin zulässig.
Grundsätzlich gilt für Fahrverbote im Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 StVG, dass sie mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam werden. Als Ausnahme von diesem Grundsatz regelt § 25a Abs. 2a S. 1 StVG für den Fall, dass in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen den Betroffenen nicht verhängt worden ist und auch bis zur Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot nicht verhängt wird, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht abweichend vom Grundsatz des § 25 Abs. 2 S. 1 StVG bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Im Anschluss an diese Ausnahmebestimmung regelt § 25 Abs. 2a S. 2 StVG für den Fall, dass gegen den Betroffenen weitere Fahrverbote rechtskräftig verhängt werden, dass die Fahrverbotsfristen nacheinander in der Reihenfolge der Rechtskraft der Bußgeldentscheidungen zu berechnen sind.
Unstreitig ist, dass § 25 Abs. 2a S. 2 StVG die Fälle erfasst, in denen der Betroffene mit zwei Fahrverboten belegt worden ist und jeweils eine Bestimmung der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts nach § 25 Abs. 2a S. 1 StVG ergangen ist. Unterschiedlich werden hingegen die Fälle beurteilt, in denen ein Fahrverbot mit der Viermonatsfrist und ein weiteres Fahrverbot aufeinandertreffen, bei welchem dem Betroffenen das Privileg des § 25 Abs. 2a S. 1 StVG nicht zugebilligt worden ist.
Der Wortlaut des § 25a Abs. 2a S. 2 StVG lässt zwar offen, ob er sich ausschließlich auf Fahrverbote unter Gewährung der Viermonatsfrist nach § 25 Abs. 2a S. 1 StVG bezieht oder ob auch Fahrverbote nach § 25 Abs. 2 S. 1 StVG erfasst sein sollen. Aufgrund des Standortes der Regelung zum Nacheinandervollzug im Anschluss an die Ausnahmebestimmung des § 25 Abs. 2a S. 1 StVG ist ein systematischer Bezug aber nur hinsichtlich der Fahrverbotsfälle gegeben, in denen die Verwaltungsbehörde oder das Gericht die Viermonatsfrist zubilligen. Eine Anwendung auf die Fälle, in denen ein Fahrverbot mit der Viermonatsfrist und ein weiteres Fahrverbot aufeinandertreffen, bei welchem dem Betroffenen das Privileg des § 25 Abs. 2a S. 1 StVG nicht zugebilligt worden ist, die sogenannten Mischfälle, kommt daher nur bei erweiternder Auslegung des § 25 Abs. 2a S. 2 StVG in Betracht.
Für eine erweiternde Auslegung wird angeführt, dass durch den Nacheinandervollzug von zwei Fahrverboten nach § 25 Abs. 2a S. 1 StVG und § 25 Abs. 2 S. 1 StVG zwar in Einzelfällen der weniger hartnäckige Verkehrssünder (Ersttäter) schlechter gestellt sein könne, als der Betroffene, gegen den zwei Fahrverbote nach § 25 Abs. 2 S. 1 StVG (Wiederholungstäter) oder sogar nach § 44 Strafgesetzbuch (StGB) (Straftäter) zu vollstrecken seien. Diese Konsequenz sei aber noch als sachgerecht zu betrachten. Die mit der Viermonatsfrist des § 25 Abs. 2a S. 1 StVG bewirkte Besserstellung des Betroffenen sei, um Missbräuche auszuschließen, durch eine mit dem Nacheinandervollzug verbundene Schlechterstellung des Betroffenen kombiniert. Der Gesetzgeber habe also versucht, Vor- und Nachteile auszugleichen. Diese Argumentation sei auch auf die sogenannten Mischfälle zu übertragen (AG Viechtach DAR 2008, 276).
Die vorstehende Argumentation mag zutreffen, wenn dem Betroffenen hinsichtlich beider Fahrverbote das Privileg der Viermonatsfrist eingeräumt worden ist. In diesem Fall hat der Betroffene einen Vorteil erlangt, der ihm angesichts der gesetzlichen Bestimmung des § 25 Abs. 2a S. 1 StVG eigentlich nicht zustünde. Bei dieser Konstellation begegnet es keinen Bedenken, dass ein gesetzwidriger Vorteil, durch einen Nachteil kompensiert wird. Soweit jedoch ein Fahrverbot nach § 25 Abs. 2 S. 1 StVG und ein Fahrverbot nach § 25 Abs. 2a S. 1 StVG zusammentreffen, bleibt die vorstehende Argumentation jede Erklärung für die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 25 Abs. 2a S. 2 StVG über den systematischen Normzusammenhang hinaus schuldig. Der Parallelvollzug ist in diesen Fällen nicht missbräuchlich, sondern Folge der Regelbestimmung des § 25 Abs. 2 S. 1 StVG, wonach das Fahrverbot mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam wird. Angesichts der Regelung des § 25 Abs. 2 S. 1 StVG ist es nicht als missbräuchlich anzusehen, wenn ein Wiederholungstäter, gegen den mehrere Fahrverbote ohne Viermonatsfrist festgesetzt sind, den Rechtskrafteintritt durch Einspruchs- und Beschwerdeeinlegung beziehungsweise -rücknahme dieser Rechtsbehelfe und Rechtsmittel zeitlich so steuert, dass die zugrunde liegenden Bußgeldentscheidungen gleichzeitig rechtskräftig und die verschiedenen Fahrverbote gleichzeitig wirksam und parallel vollzogen werden. Demgemäß ist nicht ersichtlich, weshalb ein entsprechendes Verhalten bei sogenannten Mischfällen abweichend als Missbrauch angesehen werden sollte. Das Missbrauchsargument ist demgemäß nicht geeignet, eine erweiternde Auslegung des § 25 Abs. 2a S. 2 StVG zu rechtfertigen.
Bei den sogenannten Mischfällen, also dem Aufeinandertreffen von Fahrverboten nach § 25a Abs. 2 S. 1 StVG und § 25 Abs. 2 S. 1 StVG, gilt folglich aufgrund der gesetzlichen Regelungssystematik, dass § 25 Abs. 2a S. 2 StVG keine Anwendung findet und der Parallelvollzug zulässig ist (AG Münster DAR 2007, 409; AG Viechtach DAR 2007, 411; AG Herford, Beschluss vom 15.01.2009, Az. 11a OWi 1639/07; AG Cottbus, Beschluss vom 14.07.2009, Az. 83 OWi 562/09). Die weitere Vollstreckung des Fahrverbots aus dem Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 15.06.2010 ist mithin nur zulässig, soweit es nicht bereits durch die Vollziehung des Fahrverbots aus dem Bußgeldbescheid des Landkreises Verden vom 25.09.2009 erledigt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 Strafprozessordnung (StPO).