Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung unmittelbar hinter der Ortstafel kann das Maß der Pflichtwidrigkeit des Betroffenen aufgrund einer ihm zuzubilligenden Messtoleranz herabgesetzt sein.
Gründe:
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 34 km/h eine Geldbuße von 180,00 DM festgesetzt und ein allgemeines Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen richtet sich allein gegen die Anordnung des Fahrverbots. Insoweit hat sie Erfolg.
Das Amtsgericht hat die Anordnung des Fahrverbots als Regelfolge erkennbar auf § 2 Abs. 2 Satz 2 BkatV gestützt, weil der Betroffene, im vorliegenden Verfahren um 34 km/h zu schnell, ein halbes Jahr zuvor bereits mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h aufgefallen war. Die Erhöhung der Regelbuße beruht hierauf und auf einer weiteren verwertbaren Voreintragung. Das beanstandet der Betroffene auch nicht.
Hingegen begegnet die Anordnung des Fahrverbots rechtlichen Bedenken, weil vorliegend eine Besonderheit außer Betracht geblieben ist, die zu einer von der Regel abweichenden Beurteilung veranlasst. Nach den Feststellungen befand sich der Betroffene nämlich nur 50 m hinter dem Ortsschild, als die Geschwindigkeit gemessen wurde.
Zwar markiert die Ortstafel (VZ 310) die 50 km/h-Grenze für den innerörtlichen Verkehr, sofern ihr kein anderes die Fahrgeschwindigkeit regelndes Verkehrszeichen beigefügt ist. Der Kraftfahrer muss daher seine Geschwindigkeit grundsätzlich so einrichten, dass er bereits beim Passieren der Ortstafel die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten kann (vgl. OLG Stuttgart, VRS 59, 251, 253 mit Hinweisen). Dass der Betroffene dazu nicht in der Lage gewesen wäre, ist nach den Feststellungen nicht ersichtlich. Zu Recht hat deswegen das Amtsgericht, was der Betroffene auch nicht beanstandet, die 50 m hinter der Ortstafel gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung von 34 km/h voll bei der Bewertung des dem Betroffenen zur Last gelegten Verstoßes berücksichtigt.
Unabhängig davon trägt die Rechtsprechung möglichen Unwägbarkeiten bei der Einfahrt in eine Zone mit veränderter Geschwindigkeitsregelung grundsätzlich Rechnung (vgl. dazu Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl., Rn. 51/52 zu § 3 StVO). Der Kraftfahrer kann danach in der Regel mit einer gewissen Messtoleranz rechnen (vgl. OLG Hamm, VRS 56, 198, 200). Das hat sich in den Richtlinien für die Verkehrsüberwachung durch die Polizei (z. B. RdErl. d. Nds. MI vom 19. Mai 1980, Nds. MBl. 1980, 781 ff) niedergeschlagen. Danach (Anlage 1) sollen Geschwindigkeitskontrollen nicht kurz vor oder hinter geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen durchgeführt werden. Der Abstand (hier von der Ortstafel) bis zur Messstelle soll 150 m betragen. Die Richtlinien der Polizei sind zwar als innerdienstliche Vorschriften erlassen worden. sie sichern jedoch zugleich, indem sie sich an alle mit der Verkehrsüberwachung betrauten Beamten wenden, die Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer in vergleichbaren Kontrollsituationen.
Die vorliegende Messung nur 50 m hinter der Ortstafel entspricht nicht den Richtlinien. Zwar lassen diese in begründeten Fällen (z. B. Gefahrenstellen, Gefahrzeichen, Geschwindigkeitstrichter) zu, dass der Abstand von 150 m unterschritten wird. Gründe, weshalb im vorliegenden Fall die übliche Distanz von 150 m auf ein Drittel verkürzt worden ist, enthält das Urteil nicht. Allein die vorangegangene Begrenzung auf 70 km/h lässt nicht ohne weiteres und jedenfalls nicht unter den Begriff "Trichter" hier einen begründeten Fall erkennen, der ein Abweichen von den Richtlinien zuungunsten des Verkehrsteilnehmers rechtfertigen konnte.
Damit hat die in ihrem Ergebnis korrekte Messung der Geschwindigkeit des Betroffenen bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit seines Handelns nicht dasselbe Gewicht wie eine solche, die entsprechend den Richtlinien und der damit übereinstimmenden Toleranzerwartung des Kraftfahrers in weiterem Abstand von der Ortstafel durchgeführt wird. Die Pflichtwidrigkeit des Betroffenen wiegt hier nicht so schwer, dass dadurch ein grober oder beharrlicher Verstoß gegen Verkehrsregeln im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV indiziert wird. Das Fahrverbot musste deswegen entfallen. Der Senat hat insoweit nach § 79 Abs. 6 OWiG entschieden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG; § 467 Abs. 1 StPO. Denn die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die sich aus Rechtsgründen zulässig beschränkt auf den gesamten Rechtsfolgenausspruch erstrecken musste, hatte mit ihrem einzigen Anfechtungsziel, nämlich mit dem Wegfall des Fahrverbots, Erfolg.