Entgegen polizeilichen Richtlinien für die Verkehrsüberwachung zustande gekommene Geschwindigkeitsmessungen sind nicht unverwertbar. Die Beachtung des Gleichheitsgrundsatz kann sich jedoch auf die Bewertung der Rechtsfolge des Geschwindigkeitsverstoßes auswirken.
Gründe:
Das Amtsgericht Osnabrück hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 32 km/h eine Geldbuße von 280,00 DM sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Betroffene befuhr am 2. August 1994 gegen 19.35 Uhr mit seinem Pkw in ... die ... Straße stadtauswärts. In Höhe des Hauses ... Straße ... wurde mit einem Radargerät der Marke Traffipax Speedophot ordnungsgemäß eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 82 km/h gemessen. Auf der in Fahrtrichtung gesehen rechten Straßenseite befinden sich mehrere Wohnhäuser sowie eine Schule. Es handelt sich um einen Unfallschwerpunkt. Die Entfernung vom Messpunkt zur Ortsausgangstafel betrug ca. 100 Meter.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er seinen Freispruch erstrebt. Der Betroffene greift die Tatsachenfeststellungen des Amtsgerichts an, soweit dieses vom Vorliegen einer Gefahrenstelle ausgegangen ist, und vertritt die Auffassung, die Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt, weil die Messung in einem Abstand von nur 100 Metern vor der Ortsausgangstafel gegen die polizeilichen Richtlinien zur Verkehrsüberwachung verstoßen habe.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Der Schuldspruch lässt keine Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht ist zutreffend zu der Feststellung gelangt, dass der Betroffene die innerörtlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 32 km/h überschritten hat. Dies zieht auch der Betroffene nicht in Zweifel. Soweit er meint, er hätte gleichwohl nicht verurteilt werden dürfen, weil die Messung entgegen den Regelungen der Richtlinien für die Verkehrsüberwachung in einem Abstand von nur 100 Metern vor dem Ortsausgangsschild erfolgt sei, trifft dies nicht zu.
Der für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten geltende Opportunitätsgrundsatz gestattet es den Verwaltungsbehörden, bei der Verkehrsüberwachung Schwerpunkte zu setzen. Dementsprechend sollen nach Anlage 1 Nr. 1 Abs. 2 der "Richtlinien für die Verkehrsüberwachung durch die Polizei" vom 19.5.1980 ( Nds. MB1. 1980, 781, 784 ) "Kontrollen ... nicht kurz vor oder hinter geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen durchgeführt werden. Der Abstand bis zur Messstelle soll 150 m betragen. Er kann in begründeten Fällen unterschritten werden ( z.B. Gefahrenstellen, Gefahrzeichen, Geschwindigkeitstrichter )."
Messergebnisse, die unter Verstoß gegen diese verwaltungsinterne Richtlinie, ansonsten aber korrekt gewonnen worden sind, unterliegen keinem Verwertungsverbot. Ein Freispruch des Betroffenen kommt daher nicht in Betracht.
Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer die Erwartung hegen, dass sich die Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe hinwegsetzt. Insoweit können sich solche Richtlinien über Art. 3 GG für den Bürger rechtsbildend auswirken und bei weniger gravierenden Verstößen oder geringer Schuld eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG gebieten (OLG Hamburg JR 1956, 230; OLG Saarbrücken VRS 46, 205, 206; Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 47 RdNr. 9; Herde DAR 1984, 134, KK- OWi/Bohnert § 47 RdNr. 106; R/R/H OWiG, 2. Aufl., § 47 RdNr. 11). Ob dies der Fall ist, haben auch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen.
Die Voraussetzungen für eine Einstellung liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die Messung den Richtlinien entsprochen hat. Bei der Ausübung des Ermessens, welche Gründe ein Abweichen von der Regel rechtfertigen, dass eine Messstelle nicht im Abstand von unter 150 m vor oder hinter geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen erfolgen soll, ist der Polizei und den Straßenverkehrsbehörden ein weiter Spielraum einzuräumen. Soweit in den Richtlinien eine Messung an Gefahrstellen, Gefahrzeichen und Geschwindigkeitstrichtern ausdrücklich gestattet wird, ist diese Aufzählung lediglich beispielhaft. Darüber hinaus sind als Gefahrenstellen nicht nur Stellen anzusehen, an denen es in der Vergangenheit vermehrt zu Unfällen gekommen ist, sondern auch solche, an denen sich die mit einer überhöhten Geschwindigkeit einhergehende abstrakte Gefahr aufgrund besonderer Umstände zukünftig konkretisieren kann. Dies ist z.B. in der Nähe von Schulen regelmäßig der Fall. Ist, wie hier, eine Gefahrenstelle vorhanden, so obliegt es weiter grundsätzlich der Polizei, anhand der Gegebenheiten vor Ort zu entscheiden, wo die Messstelle eingerichtet wird. Diese Entscheidung ist von den Gerichten hinzunehmen, soweit nicht ausnahmsweise die Grenze zur Willkür überschritten wird. Anhaltspunkte hierfür sind im vorliegenden Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu erkennen.
Der Rechtsfolgenausspruch begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Erhöhung der Regelgeldbuße ist angesichts der einschlägigen Voreintragungen nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für das verhängte Fahrverbot.
Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls, in dem entgegen der Regel von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden könnte, liegen nicht vor. Weder wich nach den vom Amtsgericht festgestellten objektiven Gegebenheiten die Gefährlichkeit des konkreten Verstoßes des Betroffenen von der typischen Gefahrensituation ab, die Anlass für die gesetzlich geregelte innerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung ist, noch war das Maß seines Verschuldens besonders gering. Insbesondere ist Verkehrsteilnehmern beim Befahren einer innerörtlichen Straße vor Erreichen des Ortsausgangsschildes keine sogenannte Messtoleranz einzuräumen. Dass sie eine solche bei der Einfahrt in eine Ortschaft unter Umständen erwarten dürfen ( BayObLG NZV 1995, 496; OLG Oldenburg NZV 1994, 286; 1995, 288; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 3 StVO Rn. 51/52 ), findet seinen Grund darin, dass dadurch möglichen Unwägbarkeiten bei der Einfahrt in eine Zone mit deutlich geringerer Höchstgeschwindigkeit Rechnung getragen werden soll. Bei der Ausfahrt besteht hierfür kein Anlass.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
Der Betroffene wird auf folgendes hingewiesen: Das Fahrverbot ist mit Erlass dieses Beschlusses wirksam geworden ( § 25 Abs. 2 Nr. 1 StVG ). Der Betroffene macht sich deshalb nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar, wenn er gleichwohl im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Fahrverbotsfrist wird jedoch erst von dem Tage an gerechnet, an dem er seinen Führerschein bei der Vollstreckungsbehörde, der Staatsanwaltschaft Osnabrück, zur Verwahrung abliefert ( § 25 Abs. 5 S. 1 StVG ).