Das Verkehrslexikon
OLG Hamm Beschluss vom 28.02.1980 - 4 Ss 445/80 - Zur Nötigung, wenn ein Fußgänger einen PKW-Fahrer daran hindert, eine Parklücke zu besetzen
OLG Hamm v. 28.02.1980: Zur Nötigung, wenn ein Fußgänger einen PKW-Fahrer daran hindert, eine Parklücke zu besetzen
Das OLG Hamm (Beschluss vom 28.02.1980 - 4 Ss 445/80) hat entschieden:
Soweit jemand als Fußgänger einen Kfz-Führer daran hinderte, eine Parklücke zu besetzen, liegt eine Gewaltanwendung im Sinne des § 240 Abs 1 StGB vor. Die Reservierung ist auch rechtswidrig, denn nach gefestigter Rechtsprechung hat bei der Einfahrt in eine Parklücke grundsätzlich der Kraftfahrer den Vortritt, der die Lücke zuerst erreicht. Es fehlt jedoch an der besonderen Rechtswidrigkeit des § 240 Abs 2 StGB. Diese liegt nur vor, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. "Verwerflichkeit" bedeutet sozialethische Missbilligung der Anwendung des Nötigungsmittels zum erstrebten Zweck.
Siehe auch Parkplatzreservierung durch Fußgänger
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und fahrlässiger Körperverletzung (§§ 240, 230, 232, 303 StGB) unter Einbeziehung einer Strafe aus einer anderen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Monaten und 2 Wochen mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Im wesentlichen hat es folgende Feststellungen getroffen:
Am 27. März 1979 gegen 16.15 Uhr hielt der Angeklagte in H. auf der B.-Straße eine Parklücke für einen Arbeitskollegen frei, der mit einem LKW in der Nachbarschaft Heizkörper anliefern sollte und mangels eines Parkplatzes bereits mehrfach den Häuserblock umfahren hatte. Als sich der Zeuge V. mit seinem PKW der Parklücke näherte und unter Betätigen des Blinklichtes sich anschickte, in die Parklücke hineinzufahren, trat ihm der Angeklagte entgegen, um dies zu verhindern. Der Zeuge V. hielt deshalb sein Fahrzeug an und setzte dieses schließlich ca 1 m zurück, wobei nicht auszuschließen ist, dass er dem Angeklagten dabei versehentlich über den Fuß fuhr. Durch das vermeintlich schuldhafte Verhalten des Zeugen gereizt, folgte der Angeklagte dem PKW des Zeugen, der auf dem rechten Fahrstreifen der B.-Straße angehalten hatte. Er versuchte, die Fahrertür zu öffnen; dies gelang ihm jedoch nicht, da die Tür verriegelt war. Der Angeklagte trat sodann gegen die Fahrertür, ergriff die Oberkante des Teilweise geöffneten Seitenfensters, um ein Schließen des Fensters durch den Zeugen V. zu verhindern. Durch heftiges Rütteln zerbrach der Angeklagte die Scheibe, wobei Splitter des Glases das Auge des Zeugen V. nicht unerheblich verletzten. Er erlitt einen Bluterguss und eine Reizung der Bindehaut. - Das Amtsgericht würdigt das Freihalten des Parkplatzes als Nötigung (§ 240 StGB), das Zerbrechen des Seitenfensters als Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und die hierdurch verursachte Augenverletzung des Zeugen V. als fahrlässige Körperverletzung (§§ 230, 232 StGB). Bei der Strafzumessung hat das Amtsgericht die Verhängung einer Geldstrafe nicht mehr als ausreichend erachtet, weil der Angeklagte bereits dreimal im wesentlichen wegen Lebensmitteldiebstahls zu Geldstrafen bzw zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt worden ist, die in die Verurteilung des vorliegenden Verfahrens einbezogen worden ist.
Die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Die Feststellungen des Urteils rechtfertigen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Nötigung nicht. Das Amtsgericht hat zwar zu Recht in dem Verhalten des Angeklagten, soweit dieser den Zeugen V. daran hinderte, die Parklücke zu besetzen, eine Gewaltanwendung im Sinne des § 240 Abs 1 StGB erblickt (BGH NJW 1969, 1770 und VRS 40, 104ff; Leipz Komm, StGB, 9. Aufl, § 240 Rz 16ff; Schönke/Schroeder StGB, 20. Aufl, Vorbem zu §§ 234ff, Rz 6ff; OLG Köln, NJW 1979, 2056 mit weiteren Nachweisen). Der Angeklagte handelte auch rechtswidrig, da dem Zeugen V. die Parklücke zustand; denn nach gefestigter Rechtsprechung hat bei der Einfahrt in eine Parklücke grundsätzlich der Kraftfahrer den Vortritt, der die Lücke zuerst erreicht (OLG Düsseldorf, VRS 36, 127; BayObLG NJW 1977, 115 und NJW 1961, 2074; OLG Hamm VRS 37, 360). Es fehlt jedoch an der besonderen Rechtswidrigkeit des § 240 Abs 2 StGB. Diese liegt nur vor, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. "Verwerflichkeit" bedeutet sozialethische Missbilligung der Anwendung des Nötigungsmittels zum erstrebten Zweck (BGH NJW 1969, 1770ff). Zwar ist die Anwendung von Gewalt für die Rechtswidrigkeit indiziell (BGH NJW 1969, 1770ff); jedoch gilt dies bei der weiten Ausdehnung des Gewaltbegriffs insbesondere nicht für alle Verkehrssachverhalte (vgl OLG Köln aaO mit weiteren Nachweisen), es kommt vielmehr stets auf die Lage des Einzelfalls an.
Bei Wertung des konkreten Sachverhalts ist festzustellen, dass der Angeklagte sich bei dem Freihalten des Parkplatzes auf passive Abwehr beschränkt hat, indem er sich lediglich in die Parklücke hineinstellte, ohne in irgendeiner Weise gegen den Zeugen V. aggressiv zu werden und diesen etwa zu gefährden. Dabei darf ferner nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch der Angeklagte aufgrund des allen Verkehrsteilnehmern zustehenden Gemeingebrauchs sich zunächst auf dem Parkplatz aufhalten durfte; er war lediglich im Hinblick auf die Zweckwidmung des Parkplatzes und aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer verpflichtet, den Zeugen V. nach dessen Erscheinen bei dem beabsichtigten Parken nicht zu stören. Da der Angeklagte somit - wie von der Revision zutreffend dargelegt - zwar ordnungswidrig (§ 1 StVO), nicht aber schikanös und ohne Anwendung gefährlicher Mittel gehandelt hat, ist sein Verhalten nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ethisch missbilligenswert und somit nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs 2 StGB (vgl OLG Köln, aaO mit weiteren Nachweisen).
Das angefochtene Urteil konnte bereits aus diesem Grunde keinen Bestand haben.
In der erneuten Hauptverhandlung wird das Amtsgericht - insbesondere auch im Hinblick auf die Revisionsbegründung - zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte nicht beim zweiten Teilakt des Geschehens der Nötigung bzw der versuchten Nötigung schuldig gemacht hat. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn er mittels des Fußtritts gegen die Fahrertür und des Zerbrechens des Seitenfensters versucht haben sollte, den Zeugen V. zum Aussteigen zu veranlassen, um sich mit ihm tätlich auseinanderzusetzen. Die neue Hauptverhandlung wird auch Gelegenheit geben, nähere Feststellungen zur Schuldform bezüglich der Sachbeschädigung zu treffen und evtl die Frage zu überprüfen, ob besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten vorliegen, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter 6 Monaten zur Einwirkung auf ihn unerlässlich machen (§ 47 Abs 1 StGB).