Das Verkehrslexikon

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Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 04.07.1967 - 2 BvL 10/62 - Zum Charakter der gebührenpflichtigen Verwarnung als Verwaltungsakt

BVerfG v. 04.07.1967: Zum Charakter der gebührenpflichtigen Verwarnung als Verwaltungsakt


Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 04.07.1967 - 2 BvL 10/62) hat entschieden:
  1. Die gebührenpflichtige Verwarnung nach StVG § 22 ist ein Verwaltungsakt, der aus Anlass einer leichteren Verkehrsübertretung gegenüber dem auf frischer Tat betroffenen Täter vorgenommen wird, aus Verwarnung und Gebührenerhebung besteht und präventiv der Aufrechterhaltung der Verkehrsdisziplin dient.

    Auch die allgemeine Meinung in Rechtsprechung und Literatur stimmt darin überein, dass die gebührenpflichtige Verwarnung ein - sei es zustimmungsbedürftiger, sei es auf Unterwerfung gerichteter - Verwaltungsakt ist (vergleiche BVerwG 1966-03-25 BVerwG VII C 157.64 = BVerwGE 24, 8; BGHSt 17, 101, 104 ff; BayObLG 1961-02-21 2 St 690/60 = NJW 1961, 1270; VGH 1964-05-12 Nr 87 VIII 63 = BayVGHE 1964, 41, 43 ff; OVG RP 1965-04-14 2 A 4/65 = DÖV 1965, 527 ff; Floegel/Hartung, Straßenverkehrsrecht, 16. Aufl, StVG § 22 Nr 2 und 9).

  2. Die gebührenpflichtige Verwarnung nach StVG § 22 ist mit dem GG vereinbar.

Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

A.

I.

Die gebührenfreie polizeiliche Verwarnung ist im deutschen Polizeirecht seit langem bekannt. Die gebührenpflichtige Verwarnung wurde nach dem ersten Weltkrieg in Bayern eingeführt und durch Erlass des Innenministers vom 7. Oktober 1927 ausführlich geregelt (vgl. Schiedermair, Einführung in das bayerische Polizeirecht S. 141). In Preußen fand sie 1933 eine gesetzliche Regelung. Die Polizeibehörden wurden ermächtigt, wegen Übertretungen statt oder neben der Verhängung einer Kriminalstrafe durch polizeiliche Strafverfügung ohne Rücksicht auf das Einverständnis des Täters eine polizeiliche Verwarnung zum festen Satz von einer Reichsmark zu erlassen (§ 59 Abs. 1 Satz 4 prPVG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 27. Dezember 1933 (GS 1934 S. 3); Verwaltungsgebührenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Mai 1934 (GS S. 261); Gebührentarif Nr. 66 a).

Nach 1945 wurde in weiten Teilen Deutschlands durch die Besatzungsmächte mit der polizeilichen Strafverfügung auch die polizeiliche gebührenpflichtige Verwarnung aufgehoben (Art. 4 des bayerischen Gesetzes Nr. 12 vom 28. Januar 1946 (GVBl. S. 54); Befehl der Besatzungsbehörde in Hessen über Auferlegung von Geldstrafen, "Zwangsgeld" oder anderen Strafen durch die Polizei vom 2. Mai 1947 (Hess. GVBl. S. 94); vgl. im übrigen: Drews-Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 6. Aufl. S. 199 f.).

Die meisten Länder führten die gebührenpflichtige Verwarnung jedoch bald wieder ein (Nordrhein-Westfalen: RdErl. des Innenministers vom 7. März 1950 (MBl. 248); Niedersachsen: § 39 des Gesetzes über öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 21. März 1951 (GVBl. S. 79); Bayern: Verwarnungsgesetz vom 7. März 1952 (GVBl. S. 99); Bremen: Verwarnungsgesetz vom 7. November 1952 (GBl. S. 117); Rheinland-Pfalz: § 63 Polizeiverwaltungsgesetz vom 26. März 1954 (GVBl. S. 31); Hessen: § 33 Polizeigesetz vom 10. November 1954 (GVBl. S. 203); Baden- Württemberg: § 31 Polizeigesetz vom 21. November 1955 (GBl. S. 249)). All diesen Neuregelungen ist gemeinsam, dass die Verwarnung bei leichteren Übertretungen dem auf frischer Tat betroffenen Täter nur erteilt werden darf, wenn er mit der gebührenpflichtigen Verwarnung einverstanden und zur alsbaldigen Zahlung der Gebühr bereit ist. In keinem der genannten Gesetze ist festgelegt, dass die Zahlung der Gebühr eine Strafverfolgung hindert. Das Bremische Verwarnungsgesetz betont, dass es sich um keine Strafe handle.

Eine bundesgesetzliche Regelung fand die gebührenpflichtige Verwarnung zuerst im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 177). § 8 des Gesetzes bestimmt, dass in Fällen von geringer Bedeutung an die Stelle einer Geldbuße eine Verwarnung mit einer Gebühr bis zu 2 DM treten kann. Voraussetzung ist, dass der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht damit einverstanden und zur sofortigen Zahlung der Gebühr bereit ist. Nach Zahlung der Gebühr kann die Handlung nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

Noch im selben Jahr erhielt die polizeiliche Verwarnung im Bereich des Straßenverkehrs eine bundesgesetzliche Grundlage. Das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 832) gab § 22 KFG folgende Fassung:
Bei leichteren Übertretungen, die nach diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften strafbar sind, kann ein Polizeibeamter, der hierzu ermächtigt ist und sich durch seine Dienstkleidung oder auf andere Weise ausweist, den auf frischer Tat betroffenen Täter verwarnen und eine Gebühr bis zu zwei Deutsche Mark erheben. Die Verwarnung ist nur zulässig, wenn der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit ihr einverstanden und zur sofortigen Zahlung der Gebühr bereit ist.

Über die Verwarnung und die Zahlung der Gebühr ist eine Bescheinigung zu erteilen.

Nach Zahlung der Gebühr kann die Zuwiderhandlung nicht mehr als Übertretung verfolgt werden.

Die oberste Dienstbehörde des Polizeibeamten oder die von ihr bestimmte Behörde erteilt die Ermächtigung nach Absatz 1.
In der amtlichen Begründung der Regierungsvorlage (BT-Drucks. I Nr. 2674 vom 10. Oktober 1951) heißt es u. a.:
Zur Hebung der Verkehrssicherheit auf den Straßen bedarf es neben einer tatkräftigen Verfolgung schwerer Verstöße vor allem auch einer Verkehrserziehung auf breiter Grundlage. Als ein erfolgreiches Erziehungsmittel bei leichteren Verkehrszuwiderhandlungen, bei denen die Verhängung von Strafen entbehrlich erscheint, hat sich in Deutschland in jahrzehntelangen Erfahrungen die gebührenpflichtige Verwarnung bewährt. Das Verfahren liegt auch im Interesse des Betroffenen selbst, dem dadurch in Bagatellsachen ein gerichtliches Verfahren erspart wird.

Im Hinblick auf die §§ 153 Abs. 1, 413 StPO, 6 Abs. 1 EGStPO bedarf es einer bundesrechtlichen Vorschrift, um die Rechtseinrichtung auf eine zuverlässige Grundlage zu stellen. Sie soll vorläufig durch den § 22 KFG geschaffen werden. Hierdurch wird auch eine Einheitlichkeit gegenüber den früher erheblich voneinander abweichenden landesrechtlichen Vorschriften erreicht.
Seine heutige Fassung erhielt § 22 StVG durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts vom 16. Juli 1957 (BGBl. I S. 710). In der Novelle wurde die Höchstgebühr von zwei Deutschen Mark auf fünf Deutsche Mark heraufgesetzt und zugleich ein Mindestsatz von einer Deutschen Mark festgelegt. Die Änderung ging auf eine Anregung der Länder zurück. Sie sollte der weiteren Entlastung der Gerichte von Bagatellsachen dienen.


II.

Im Ausgangsverfahren hat das Amtsgericht Homberg (Bezirk Kassel) durch Einzelrichterurteil einen Kraftfahrer wegen einer Verkehrsübertretung nach den §§ 1, 7 Abs. 3, 49 StVO in Verbindung mit den §§ 107-109 JGG zu einer Geldstrafe von 50 DM, ersatzweise zu fünf Tagen Haft verurteilt. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil macht dieser geltend, er habe nicht verurteilt werden dürfen, weil er nach dem Unfall von einem Polizeibeamten mit 5 DM gebührenpflichtig verwarnt worden sei.

Das mit der Revision befasste Oberlandesgericht Frankfurt/ Main - 2. Strafsenat - hat durch Beschluss vom 30. Mai 1962, ergänzt durch Beschluss vom 3. Juni 1965, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 22 StVG mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Es hält die Bestimmung für verfassungswidrig, weil den Polizeibeamten durch die Ermächtigung zu gebührenpflichtiger Verwarnung entgegen Art. 92 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG rechtsprechende Gewalt anvertraut werde, die allein den Gerichten vorbehalten sei. Bei der zu erhebenden Gebühr handle es sich um ein Strafgeld, das an die Stelle einer gerichtlichen Strafe trete, nicht um eine Gebühr im Rechtssinn. Diese setze nämlich voraus, dass eine behördliche Sonderleistung erbracht werde. Sei der Betroffene mit einer gebührenpflichtigen Verwarnung nicht einverstanden oder könne er nicht an Ort und Stelle verwarnt werden, so erfolge Anzeige und Bestrafung durch den Richter. Das zeige, dass die gebührenpflichtige Verwarnung ihrem Charakter nach eine Strafe sei. Es sei ferner bedenklich, dass es im Ermessen des Polizeibeamten liege, ob eine strafbare Handlung der richterlichen Entscheidung unterworfen werde oder nicht. Damit greife ein Organ der Verwaltung in die Strafbefugnis der Gerichte ein. Dass die Verwarnung das Einverständnis des Täters voraussetze, beseitige die Bedenken nicht; denn auch der Täter könne nicht die Macht haben, die alleinige Ausübung der Strafgewalt durch den Richter zu vereiteln.


III.

Der Bundesminister der Justiz hat sich namens der Bundesregierung wie folgt geäußert:

Niemand werde seinem gesetzlichen Richter entzogen, wenn er mit seinem Einverständnis gebührenpflichtig verwarnt werde. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewähre keinen Anspruch auf Strafverfolgung, sondern nur einen Anspruch darauf, im Fall der gerichtlichen Strafverfolgung vor den gesetzlichen Richter gestellt zu werden.

Art. 92 GG werde durch § 22 StVG nicht berührt, weil das Gesetz den Erlass von gebührenpflichtigen Verwarnungen nicht der rechtsprechenden Gewalt zugewiesen habe.

Der Erlass einer gebührenpflichtigen Verwarnung sei selbst dann keine Rechtsprechung, wenn man von einem materiellen Rechtsprechungsbegriff ausgehe. Die gebührenpflichtige Verwarnung sei keine Strafe oder strafähnliche Maßnahme, jedenfalls keine Kriminalstrafe. Ihr fehle das der kriminellen Strafe eigentümliche Unwerturteil. Sie lasse den Bereich der sittlichen Persönlichkeit des Menschen unberührt, werde nicht in das Strafregister oder in die Verkehrszentralkartei eingetragen und gelte nicht als Vorstrafe. Die gebührenpflichtige "Verwarnung" habe nicht wie die Strafe ahndenden Charakter, sie sei vielmehr eine präventiv-polizeiliche Maßnahme der Verkehrserziehung. Dabei werde der Verwarnung durch die Gebühr in sehr engen Grenzen ein gewisser Nachdruck verliehen.

Auch wenn man ihr aber ahndenden Charakter beimesse, handle es sich nicht um eine Strafe. Sie sei dann allenfalls der von den Verwaltungsbehörden zu verhängenden Geldbuße oder Verwarnung des Ordnungswidrigkeitenrechts vergleichbar.

Die Bayerische Staatsregierung hält § 22 StVG für vereinbar mit dem Grundgesetz; die gebührenpflichtige Verwarnung habe einen erzieherischen Zweck; ihr fehle der Charakter einer Strafe; es handle sich um eine zulässige Ausnahme vom Legalitätsgrundsatz. Das Ermessen des Polizeibeamten bei der Festsetzung der Gebühr sei durch einheitliche Verwaltungsvorschriften der Länder so eingeschränkt, dass ein Ermessensgebrauch nach sachlichen Gesichtspunkten gewährleistet sei.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshof verweist auf seine Entscheidung vom 31. Januar 1962 (BGHSt 17, 101), in der die Gültigkeit des § 22 StVG inzidenter bejaht worden ist.


B.

I.

Die Vorlage ist zulässig.

Die Vorlagefrage ist für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich. Falls § 22 StVG gültig ist, wird das Oberlandesgericht das angefochtene Strafurteil aufheben und das Verfahren einstellen, weil die Erteilung der gebührenpflichtigen Verwarnung dann ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis darstellt.

Wie das Oberlandesgericht zu entscheiden gedenkt, wenn § 22 StVG nichtig ist, wird in dem Vorlagebeschluss zwar nicht dargelegt. Da dann aber kein Verfahrenshindernis bestünde, würde das Oberlandesgericht in eine sachliche Prüfung der Revision eintreten müssen. Die Entscheidung der Vorlagefrage führt also, je nachdem, ob sie positiv oder negativ beantwortet wird, zur Einstellung des Verfahrens oder zur sachlichen Prüfung der Revision.


II.

§ 22 des Straßenverkehrsgesetzes ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

1. Durch Art. 92 erster Halbsatz GG ist die Befugnis, Geldstrafen zu verhängen, ausschließlich den Richtern zugewiesen (BVerfGE 8, 197 (207); Urteil vom 6. Juni 1967 in 2 BvR 375/60 u. a. S. 45). § 22 StVG stünde in Widerspruch zu dieser Norm, wenn die dem Täter von dem Polizeibeamten auferlegte Verwarnungsgebühr in Wahrheit keine solche, sondern eine Kriminalstrafe wäre. Das ist aber nicht der Fall.

Die gebührenpflichtige Verwarnung ist ein Verwaltungsakt, der aus Anlass einer leichteren Verkehrsübertretung gegenüber dem auf frischer Tat betroffenen Täter vorgenommen wird, aus Verwarnung und Gebührenerhebung besteht und präventiv der Aufrechterhaltung der Verkehrsdisziplin dient. Sie hat keinen Strafcharakter. § 22 StVG bezweckt schon nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Bestrafung des Täters. Verwarnen heißt abmahnen; dem Täter soll der Verstoß gegen die Verkehrsregel vorgehalten werden, damit er diese künftig besser beachtet.

Auch die allgemeine Meinung in Rechtsprechung und Literatur stimmt darin überein, dass die gebührenpflichtige Verwarnung ein - sei es zustimmungsbedürftiger, sei es auf Unterwerfung gerichteter - Verwaltungsakt ist (vgl. BVerwGE 24, 8; BGHSt 17, 101 (104 ff.); BayObLG in NJW 1961, 1270; VGH München in BayVGHE 1964, S. 41 (43 ff.); OVG Rheinland-Pfalz in DÖV 1965, 527 ff. = AS 9, 348 ff.; Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht, 16. Aufl., § 22 StVG Nr. 2 und 9). Damit allein lässt sich aber nicht ausschließen, dass die erhobene Gebühr in Wahrheit ein Strafgeld sei, wie das vorlegende Gericht annimmt (vgl. auch Hagedorn, DÖV 1966, 408 ff.; OLG Düsseldorf in NJW 1961, 1272; Bode, DAR 1956, 176; 1958, 1). Der Verfassungsverstoß läge dann gerade darin, dass eine Geldstrafe durch Verwaltungsakt verhängt würde. Es muss vielmehr festgestellt werden, ob die gebührenpflichtige Verwarnung auf den Betroffenen wie eine Kriminalstrafe wirkt und ob sie dieselben Folgen für ihn hat.

Die für die Verwarnung zu zahlende Gebühr führt ebenso wie die für die begangene Übertretung wahlweise angedrohte Geldstrafe zu einer Vermögensminderung des Betroffenen. Geldstrafe kann bei Übertretung bis zur Höhe von 500 DM verhängt werden; der Höchstbetrag der Verwarnungsgebühr beträgt 5 DM. Während die Geldstrafe wirtschaftlich fühlbar werden kann, fällt die Verwarnungsgebühr wirtschaftlich kaum ins Gewicht. Ihr steht zudem eine Leistung der Verwaltung gegenüber, die bei der Geldstrafe, neben der die Verfahrenskosten stets gesondert erhoben werden, fehlt. Die Verwarnungsgebühr kommt daher insoweit mehr den Verfahrenskosten als der Strafe nahe.

Im Gegensatz zur Geldstrafe ist die Zahlung der Verwarnungsgebühr freiwillig; sie wird weder beigetrieben noch kann sie in eine Haftstrafe umgewandelt werden. Sie wird auch nicht in das Strafregister oder in die Verkehrssünderkartei eingetragen und wirkt deshalb später nie strafschärfend.

Geldstrafe und Verwarnungsgebühr wirken präventiv. Die Prävention ist aber kein Wesensmerkmal der Strafe, sondern eine Nebenwirkung, die auch anderen staatlichen Maßnahmen, z. B. der Geldbuße, eignet. Jede Kriminalstrafe ist ihrem Wesen nach Vergeltung durch Zufügung des Strafübels. Die gebührenpflichtige Verwarnung bezweckt und bewirkt keine Vergeltung und unterscheidet sich vor allem dadurch wesensmäßig von der Strafe. Der Unrechtsgehalt leichter Verstöße gegen die Verkehrsregeln ist vielfach so gering, dass auf eine Vergeltung gegenüber einem einsichtigen, auf frischer Tat betroffenen Täter ganz verzichtet werden kann. Die gebührenpflichtige Verwarnung enthält auch keinen ethischen Schuldvorwurf. Sie kann deshalb in ihrer Auswirkung auf den Betroffenen jedenfalls nicht als Kriminalstrafe angesehen werden (ebenso BVerwGE 24, 8 (9); BGHSt 17, 101 (104); BayObLG in NJW 1961, 1270; VGH München in BayVGHE 1964, S. 41; OVG Rheinland-Pfalz in DÖV 1965, 527 ff. = AS 9, 348 ff.).

2. Die gebührenpflichtige Verwarnung gehört auch nicht deshalb zu den nach Art. 92 erster Halbsatz GG den Richtern vorbehaltenen Aufgaben, weil durch sie ein Unrechtstatbestand aus der Welt geschafft wird. § 22 Abs. 2 StVG sieht vor, dass nach Zahlung der Gebühr die Zuwiderhandlung nicht mehr als Übertretung verfolgt werden kann und schafft damit ein Verfahrenshindernis eigener Art (ebenso BGHSt 17, 101 (104)). Der Senat hat im Urteil vom 6. Juni 1967 (2 BvR 375/60, S. 45) ausgesprochen, dass im Kernbereich des Strafrechts, zu dem alle bedeutsamen Unrechtstatbestände gehören, die Richter ausnahmslos und ausschließlich zur präventiven Rechtskontrolle berufen sind, dass der Gesetzgeber aber andererseits mindergewichtige strafrechtliche Unrechtstatbestände in Ordnungswidrigkeiten umwandeln kann, bei deren Ahndung repressive richterliche Kontrolle genügt. Zu der letzten Gruppe gehören die in § 22 StVG genannten "leichteren" Übertretungen. Wie der Gesetzgeber diese Tatbestände generell aus dem Strafrecht herausnehmen dürfte, so darf er bei ihnen, solange sie zum Strafrecht gehören, statt des Legalitätsprinzips das Opportunitätsprinzip anwenden, unter Wahrung des Gleichheitssatzes in bestimmten Fällen von Strafverfolgung absehen und sie durch eine gebührenpflichtige Verwarnung beilegen lassen. Das gehört nicht zur Rechtsprechung, weil der Polizeibeamte nicht über die Verkehrsübertretung urteilt, sondern diese nur zum Anlass einer Verwarnung nimmt. Der präventive Charakter der gebührenpflichtigen Verwarnung legt ohnehin nahe, sie in den traditionellen Aufgabenbereich der Polizei einzuordnen.

3. Durch § 22 StVG wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gibt dem Täter nur das Recht, im Fall der Strafverfolgung nach Maßgabe der Strafprozessordnung vor einen Richter gestellt zu werden.

4. Das Bedenken, § 22 StVG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil bei sonst gleichem Sachverhalt nur der auf frischer Tat betroffene Täter den Vorzug der gebührenpflichtigen Verwarnung erlange, während der später angezeigte Täter der Strafverfolgung ausgesetzt werde (vgl. Hagedorn, DÖV 1966, 408), greift nicht durch. Der Umstand, dass der Täter auf frischer Tat betroffen wird, rechtfertigt die Differenzierung.

Da der Verwarnung kein förmliches Feststellungsverfahren vorausgeht, muss der Sachverhalt für den Polizeibeamten offen zutage treten. Das setzt voraus, dass er den Vorgang selbst beobachtet hat oder doch unmittelbar danach am Tatort aufklären kann. Als Mittel zur Festigung der Verkehrsdisziplin kann die Verwarnung nach allgemeiner pädagogischer Erfahrung nur dann voll wirksam werden, wenn sie der Tat auf dem Fuße folgt. Diese Voraussetzungen fehlen, wenn der Sachverhalt erst später angezeigt wird. Für den nicht auf frischer Tat betroffenen Täter schafft § 153 Abs. 1 StPO einen Ausgleich; wo bei Betreffen auf frischer Tat die Voraussetzungen einer gebührenpflichtigen Verwarnung vorgelegen hätten, kommt im Strafverfahren die Einstellung wegen Geringfügigkeit in Betracht. Diese Täter müssen dann zwar keine Gerichtskosten zahlen, waren aber der Unannehmlichkeit eines förmlichen Strafverfahrens ausgesetzt.


III.

Diese Entscheidung ist einstimmig getroffen worden.