Das Verkehrslexikon

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OLG Bamberg Urteil vom 30.03.2010 - 3 Ss 100/09 - Zur Beweiswürdigung und zur Beurteilung eines Verkehrsunfalls als Folge einer Synkope

OLG Bamberg v. 30.03.2010: Grundsätze zur Beweiswürdigung und zur Beurteilung eines Freispruchs nach einem Verkehrsunfall als angeblicher Folge einer Synkope


Das OLG Bamberg (Urteil vom 30.03.2010 - 3 Ss 100/09) hat entschieden:
  1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung (Anschluss BGH, 6. Februar 2002, 2 StR 507/01, NStZ 2002, 446 und BGH, 1. Februar 2007, 4 StR 474/06).

  2. Die Beweiswürdigung eines freisprechenden Urteils ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung übertriebene Anforderungen gestellt werden (Anschluss BGH, 6. November 1998, 2 StR 636/97, NStZ-RR 1999, 301, BGH, 2. November 1994, 2 StR 441/94, NStE Nr 125 zu § 261 StPO; BGH, 7. Januar 2010, 4 StR 413/09, NStZ 2010, 407 und BGH, 12. Januar 2010, 1 StR 272/09, NJW 2010, 1087).

  3. Die prozessuale Feststellung einer zu erweisenden Tatsache erfordert nur den Ausschluss des Zweifels eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers, nicht aber eine von niemanden anzweifelbare absolute, gewissermaßen mathematische, jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit. Es ist deshalb weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen (hier: nicht vorhersehbares oder sonst vermeidbares Auftreten einer unfallursächlichen "Synkope" im Sinne eines kurzen, spontan reversiblen Bewusstseinsverlusts) auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat.

Siehe auch Beweiswürdigung in Strafsachen und Verkehrsstrafsachen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte am 10.03.2008 wegen fahrlässiger Tötung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Daneben verhängte es gegen die Angeklagte ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 10.07.2009 das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die Angeklagte freigesprochen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Edwin W. und Fabian W. als Vater bzw. Bruder des bei dem verfahrensgegenständlichen Verkehrsunfall vom 11.05.2006 getöteten Kindes S. W., Fabian W. zugleich als Sohn der an den Unfallfolgen ebenfalls verstorbenen – von dem Nebenkläger Edwin W. geschiedenen - Daniela W. (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), mit denen die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Nebenkläger beanstanden darüber hinaus das Verfahren.


II.

Die jeweils statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsmittel erweisen sich bereits mit der Sachrüge als erfolgreich, so dass es eines Eingehens auf die von den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr bedarf.

1. Nach den übereinstimmenden Feststellungen von Amts- und Landgericht zum objektiven Unfallgeschehen führte die zum Unfallzeitpunkt 43-jährige und straf- oder straßenverkehrsrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Angeklagte am 11.05.2006 gegen 15.05 Uhr den Pkw Toyota auf der B 27 von T. kommend in Fahrtrichtung V. mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 – 90 km/h. Zur selben Zeit fuhr die verstorbene Daniela W. mit dem von ihr geführten Pkw VW Golf die B 27 in die Gegenrichtung; auf dem Beifahrersitz befand sich ihre 11-jährige Tochter S... .

Bei Kilometer 24.600 kam die Angeklagte mit ihrem Pkw in einem Winkel von ca. 5 Grad stetig nach links auf die Gegenfahrbahn, ohne dabei den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen. Als sie sich bei einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h vollständig auf der für sie linken Fahrbahnhälfte befand, kam es zum Frontalzusammenstoß mit dem Pkw der Daniela W., die zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von ca. 90 km/h einhielt. Während Daniela W. vor dem Zusammenstoß noch versucht hatte, durch starkes Abbremsen den Anstoß zu vermeiden, fuhr die Angeklagte ungebremst weiter. Durch den Aufprall wurden beide Fahrzeuge gedreht und in die Leitplanke geschleudert.

Durch den Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge wurde das Kind S. so schwer verletzt, dass es noch am Unfallort verstarb. Daniela W. verstarb an den Folgen ihrer Verletzungen am 14.05.2006 im Krankenhaus.

Die B 27 führt an der Unfallstelle einige hundert Meter geradeaus. Die Fahrbahn ist dort aus Fahrtrichtung der Angeklagten gesehen ganz leicht nach links abschüssig. Zum Unfallzeitpunkt herrschte auf der B 27 normaler Tagesverkehr, der Fahrbahnbelag war trocken, es herrschte Tageslicht und die Sonne schien.

Unmittelbar nach dem Zusammenstoß konnte die Angeklagte von ihrem Sitz aus das völlig zerstörte Auto der Daniela W. sehen. Als die Zeugen Florian K. und Aron K., die sich zur Unfallzeit mit ihren Fahrrädern maximal 200 Meter von der Unfallstelle auf einem parallel zur Straße verlaufenden Fahrradweg befanden und sofort zur Unfallstelle geeilt waren, der Angeklagten aus dem Auto helfen wollten, äußerte sie diesen gegenüber, man müsse ihr nicht helfen, wobei sie zur Erklärung wörtlich sagte: „Ich bin eine Mörderin“ . In ähnlicher Weise äußerte sich die Angeklagte, die die Reanimations- und Bergungsversuche bezüglich der Insassen im Pkw Golf mitverfolgen konnte, wenige Minuten nach dem Unfall gegenüber der Zeugin POM’in T., die als erste Polizeibeamtin am Unfallort war. Nachdem die Zeugin die Angeklagte gebeten hatte, ihr den Führerschein auszuhändigen, sagte die Angeklagte: „behalten sie den gleich, ich bin eine Mörderin“.

2. Zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten, ihrer Krankengeschichte und ihrem Tagesablauf am Unfalltag hat das Landgericht im Wesentlichen die nachfolgenden weiteren Feststellungen getroffen:

Die in zweiter Ehe verheiratete und in geordneten finanziellen Verhältnissen lebende Angeklagte arbeitete bis zum Unfalltag in der Allgemeinarztpraxis ihres Ehemannes als Arzthelferin. Die Angeklagte ist Mutter dreier Töchter, von denen die beiden jüngeren zum damaligen Zeitpunkt noch die Schule besuchten.

Die hausärztliche Behandlung der Angeklagten erfolgt durch ihren Ehemann. Seit dem Unfall befindet sich die Angeklagte in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung, die im Jahr 2006 auch einen stationären Klinikaufenthalt beinhaltete. Aufgrund ihrer durch den Unfall verursachten gesundheitlichen Probleme war die Angeklagte nicht mehr in der Lage zu arbeiten und bezog bis 2009 eine befristete Erwerbsunfähigkeitsrente.

Bis zum Unfallgeschehen litt die Angeklagte, von einer seit Jahren bestehenden, jedoch medikamentös gut eingestellten chronischen Schilddrüsenentzündung abgesehen, an keinen nennenswerten Erkrankungen, insbesondere nicht an Bluthochdruck, Herzerkrankungen bzw. Herzrhythmusstörungen, Diabetes oder Narkolepsie. Nur in der Schwangerschaft kam es einmal zu einer Ohnmacht. Nach dem Unfall durchgeführte internistische, neurologische und orthopädische Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf Erkrankungen; Ohnmachtsanfälle traten auch nach dem Unfall nicht auf.

Am Unfalltag stand die Angeklagte - wie regelmäßig - um 05.45 Uhr auf. Nach dem Frühstück fuhr sie ihre beiden Töchter zum Bahnhof nach L. und brachte dann ihren Pkw zum Kundendienst in die Werkstatt. Anschließend erledigte sie die üblichen Hausarbeiten. Nachdem sie um 10.30 Uhr den Pkw wieder aus der Werkstatt geholt hatte, holte sie um 13.10 Uhr die Kinder vom Bahnhof in L. ab. Für den Unfalltag war außerdem geplant, dass sie ihre Schwiegermutter aus W. abholen sollte. Dies wollte die Angeklagte ursprünglich am Vormittag tun, gab ihren Plan jedoch auf, weil sie sonst in Zeitdruck geraten wäre, und verschob die Fahrt nach W. auf den Nachmittag. Nach einem leichten Mittagessen mit den Kindern, bei dem sie keinen Alkohol konsumierte, verabschiedete sie sich ca. um 14.30 Uhr von zu Hause und machte sich auf den Weg nach W., auf dem es dann zu dem verfahrensgegenständlichen Unfall kam.

3. Aufgrund seiner Beweisaufnahme sah sich das Landgericht - im Unterschied zum Amtsgericht - außerstande, das objektive Unfallgeschehen und damit den Tod der beiden Unfallopfer auf ein schuldhaftes Verhalten der Angeklagten zurückzuführen, weshalb es die Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat. Nach Auffassung des Landgerichts war insbesondere eine Übermüdung der Angeklagten nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit festzustellen. Auch sonst ergaben sich für das Landgericht keine wahrscheinlichen Ursachen für das Abkommen der Angeklagten von der Fahrbahn. Hingegen habe eine sog. Synkope nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden können, so dass nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon auszugehen sei, dass die Angeklagte an einer für sie nicht erkennbaren Synkope gelitten habe, die zu einem plötzlichen Ohnmachtsanfall ohne jede Vorzeichen geführt habe. Das Unfallgeschehen sei deshalb für die Angeklagte nicht vorhersehbar oder vermeidbar gewesen.


III.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich als sachlich-rechtlich rechtsfehlerhaft, weil der Senat bei der gebotenen Gesamtschau der Urteilsgründe nicht ausschließen kann, dass das Landgericht die Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) überspannt hat und sich seine Beweiswürdigung deshalb als lückenhaft erweist.

1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat das Tatgericht gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO zunächst in einer geschlossenen Darstellung grundsätzlich diejenigen Tatsachen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen es die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht hat treffen können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr., vgl. z.B. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2 bis 8, 10 und 13 = BGH wistra 2004, 105 ff.; BGH, Urteile vom 01.02.2007 – 4 StR 474/06 sowie zuletzt vom 04.02.2010 - 4 StR 487/09 und vom 11.02.2010 - 4 StR 433/09, jeweils m.w.N.).

Spricht das Tatgericht den Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 sowie zuletzt u.a. BGH, Urteil vom 14.01.2009 - 2 StR 516/08 = NStZ-RR 2009, 210 ff., jeweils m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18/19 ff.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11 und 27 sowie BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 15; BGHSt 37, 21/22; BGH, Urteil vom 01.02.2007 - 4 StR 474/06).

Rechtsfehlerhaft in diesem Sinne ist die Beweiswürdigung deshalb aber auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung überspannte bzw. übertriebene Anforderungen gestellt sind (BGHSt 10, 208/209 ff.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7, 22 und 25 und BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 6, 13; BGH NJW 1988, 3273 f.; BGH NStZ 2004, 35 f.; BGH, Urteil vom 01.02.2007 - 4 StR 474/06 sowie zuletzt BGH, Urteile vom 07.01.2010 - 4 StR 413/09, vom 12.01.2010 - 1 StR 272/09 = NJW 2010, 1087 ff. und vom 13.01.2010 - 1 StR 247/09, jeweils m.w.N.; vgl. auch KK/Schoreit StPO 6. Aufl. § 261 Rn. 4 und 51 sowie Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 261 Rn. 3, 26 und 38). Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NStZ 2004, 35, 36). Die prozessuale Feststellung einer zu erweisenden Tatsache erfordert nur den Ausschluss des Zweifels eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers, nicht aber eine von niemanden anzweifelbare absolute, gewissermaßen mathematische, jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit (BGH VRS 49, 429 f.).

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts nicht gerecht mit der Folge, dass sich seine Beweiswürdigung insgesamt als lückenhaft erweist.

Zum Freispruch der Angeklagten führt nach Auffassung des Landgerichts letztlich der Umstand, dass es - nach Anhörung eines rechtsmedizinischen Sachverständigen - zugunsten der Angeklagten nach dem Zweifelssatz 'in dubio pro reo' für den Unfallzeitpunkt als Unfallursache eine nicht vorhersehbare oder sonst vermeidbare sog. Synkope , d.h. einen kurzen, spontan reversiblen Bewusstseinsverlust mit gleichzeitigem Versagen des Haltetonus, nicht hat ausschließen können.

a) Das Landgericht führt hierzu im Rahmen der Prüfung eines Verschuldens der Angeklagten u.a. zur Frage des Vorliegens einer Synkope beweiswürdigend aus:
„Als weitere Unfallursache käme eine kurzfristige Ohnmacht, eine so genannte Synkope in Betracht.

Hierzu führte der Sachverständige Dr. T. aus, dass bei einer Synkope – wie auch bei einem Sekundenschlaf – die Muskulatur erschlafft. Eine aktive Betätigung des Gaspedals sei dann nicht mehr möglich. Das gleichmäßige reaktionslose Abkommen von der Fahrbahn ließe sich damit problemlos in Einklang bringen.

Die Synkope beruhe auf einer Minderdurchblutung des Gehirns, was zur Ohnmacht führe. Die Häufigkeit einer Synkope betrage 20 – 35 % pro Person pro Leben, anders ausgedrückt erleiden 160 Probanden im Jahr eine Synkope.

Als Ursache für die Synkope kommen z.B. Herz-Rhythmus-Störungen, Blutdruckabfall oder zerebrale Ursachen in Betracht. Bei über der Hälfte der Synkopen gelinge es nicht, die Ursachen zu erkennen. Ein Nachweis für eine erlittene Synkope könne ebenfalls nicht erbracht werden. Es gäbe Synkopen mit Vorzeichen, aber auch z.B. bei kardialen Synkopen gäbe es keinerlei Vorzeichen. Statistisch gesehen seien die meisten Synkopen unerwartet und ohne jedes Vorzeichen, so dass man nichts dagegen unternehmen könne.

Da sich aus den Krankenunterlagen der Angeklagten keine Vorerkrankungen ergeben, sei die Wahrscheinlichkeit für eine krankheitsbedingte Synkope relativ niedrig. Das Autofahren per se stelle aus seiner Sicht keine auslösende Belastung dar, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten. Solche sind vorliegend aus Sicht der Kammer auch nicht erkennbar.

Der Sachverständige führt aber weiter aus, dass nach dem Aufwachen aus der Synkope der Proband nach ca. 1 bis 3 Sekunden wieder klar bei Bewusstsein ist und erkennt was los ist. Der Zusammenstoß der Fahrzeuge würde nach seiner Einschätzung zu einem sofortigen Aufwachen führen.

Diese Ausführungen des Sachverständigen stünden im Einklang damit, dass die Angeklagte nach Eintreffen der Ersthelfer an ihrem Auto die für sie sichtbare Situation wahrnimmt und entsprechend interpretiert.

Aufgrund der ortstypischen Lage mit dem Fluss auf der einen und den Weinbergen auf der anderen Seite der Straße, war es für die Angeklagte auch ohne weiteres zu erkennen, dass sie auf die Gegenseite der Fahrbahn gekommen ist. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, wenn sie sich die Schuld für den Unfall gibt.

Aus medizinischer Sicht sei insbesondere im Hinblick auf das völlig reaktionslose Abkommen von der Fahrbahn eine Synkope nicht auszuschließen und stünde medizinisch gesehen gleichwertig zu einer Übermüdung.“
Zur Frage einer etwaigen unfallursächlichen Übermüdung der Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt:
„Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T. beruhen ca. 1/3 der tödlichen Unfälle auf Übermüdung. Ein Einschlafen der Angeklagten vor dem Unfall als krankheitsbedingte Ausfallerscheinung lässt sich anhand der Krankengeschichte nicht belegen. Diesbezüglich bestehen keine Anhaltspunkte.

Für eine Übermüdung der Angeklagten zum Tatzeitpunkt ergeben sich aber ebenfalls keine Anhaltspunkte. Ihr Tagesablauf war - wie immer - sehr geregelt. Es war nichts Außergewöhnliches, weder am Tag vorher noch am Unfalltag selber, was zu einer Übermüdung der Angeklagten hätte führen können. Das Unfallgeschehen selber ereignete sich in den frühen Nachmittagsstunden, nachdem die Angeklagte ausreichend Gelegenheit hatte, sich beim Mittagessen und der Unterhaltung mit ihren Kindern vom alltäglichen normalen Haushaltsgeschäft zu erholen. Die als Zeugin gehörte Tochter der Angeklagten gab an, dass die Angeklagte vor der Abfahrt zu Hause gut gelaunt und fröhlich war und keineswegs Anzeichen für Müdigkeit zeigte.

Der Sachverständige Dr. T. führte hinsichtlich der Übermüdung als Unfallursache weiter aus, dass diesbezüglich immer Vorzeichen auftreten, die jedem bekannt sind. Insofern könnte man durch eine Pause der Übermüdung begegnen. Angesichts des Abfahrtzeitpunktes um 14.30 Uhr und des Unfallzeitpunktes um 15.05 Uhr hat die Angeklagte lediglich 35 Minuten Fahrt hinter sich gehabt. Diese Strecke allein ist noch nicht geeignet, eine Übermüdung hervorzurufen. Darüber hinaus hat der behandelnde Psychotherapeut und Dipl. Psych. H. als sachverständiger Zeuge angegeben, dass es sich bei der Angeklagten um eine äußerst gewissenhafte Person handelt. Sie sei von ihrem Charakter her immer pünktlich und zuverlässig und habe ein hohes Maß an moralischer Integrität. Sie sei übermäßig gewissenhaft und würde an sich selbst sehr hohe Ansprüche stellen. Ihr Streben nach Perfektion im persönlichen Bereich gehe schon in Richtung einer Persönlichkeitsstörung. Insofern könne er sich aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht vorstellen, dass sie im übermüdeten Zustand Auto fahren würde.“
b) Die im Wesentlichen auf der Grundlage der vorstehend wiedergegebenen Ausführungen im angefochtenen Urteil abgegebene Begründung der Kammer für die Anwendung des Zweifelssatzes (vgl. oben Ziffer II. 3.) hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht stand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts besorgen lässt, dass diese im Ergebnis nicht auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage, wozu auch die Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände zählt, beruht.

aa) Unabhängig davon, dass den Formulierungen der Strafkammer verschiedentlich nicht eindeutig zu entnehmen ist, inwieweit lediglich Ausführungen des Gutachters referiert werden oder aber bereits hieraus gezogene eigene Schlussfolgerungen bzw. Wertungen des Gerichts vorliegen, vermag der Senat bereits nicht auszuschließen, dass der Urteilsfindung des Landgerichts ein unzureichendes Verständnis der Aussagen des rechtsmedizinischen Sachverständigen zu Grunde liegen könnte.

Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm - wie hier - Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer - wenn auch nur gedrängten - zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Revisionsgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (BGHSt 12, 311, 314 f.; BGH NStZ 1991, 596 f.; BGH NStZ 1998, 83). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine - hier auszuscheidende - standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (vgl. BGHSt 39, 291, 296 f.; BGHR StPO § 261 Sachverständiger 6; BGH NJW 2000, 1350 f.).

Angesichts der überragenden Beweisbedeutung, die das Landgericht dem Gutachten gerade des rechtsmedizinischen Sachverständigen beigemessen hat, genügt die knappe Darstellung des rechtsmedizinischen Gutachtens hier in mehrfacher Hinsicht nicht den sachlich-rechtlichen Mindestanforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe:

Bereits die Formulierung, wonach „die Häufigkeit einer Synkope (…) 20-35 % pro Person pro Leben“ betrage oder anders ausgedrückt, „160 Probanden im Jahr eine Synkope“ erleiden, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn aus ihr erschließt sich schon im Ansatz nicht, von welchem konkreten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für das Auftreten einer Synkope das Landgericht nach seinem Verständnis tatsächlich ausgegangen ist. Auch bleibt völlig offen, ob und welche Schlussfolgerungen das Landgericht aus der weiteren sachverständigen Aussage gezogen haben könnte, dass „die Wahrscheinlichkeit für eine krankheitsbedingte Synkope relativ niedrig“ sei, „da sich aus den Krankenunterlagen der Angeklagten keine Vorerkrankungen ergeben“ hätten. Schließlich ist nicht erkennbar, wie das Landgericht die - laut Urteil - sachverständige Wertung, wonach „aus medizinischer Sicht (…) insbesondere im Hinblick auf das völlig reaktionslose Abkommen von der Fahrbahn eine Synkope nicht auszuschließen“ sei „und medizinisch gesehen gleichwertig zu einer Übermüdung“ stehe, seinerseits gewertet und gegebenenfalls mit den vorherigen sachverständigen Ausführungen gewürdigt hat.

bb) Hinzu kommt, dass nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen, denen das Landgericht einschränkungslos gefolgt ist, davon auszugehen ist, dass zugunsten der Angeklagten mangels Vorliegens einschlägiger Vorerkrankungen, Vorzeichen oder Rezidive wie bei jeder anderen Person von einer unfallursächlichen Synkope allenfalls in dem statistischen Umfang ausgegangen werden kann, in dem auch die Normalbevölkerung von einer Synkope betroffen ist.

Ausweislich der dem Senat vorliegenden (allgemein) zugänglichen fachwissenschaftlichen Quellen beträgt die 10-Jahres-Inzidenz für ein Synkope unter der Normalbevölkerung 6%, was einer 1-Jahres-Inzidenz von 0,6% oder von 6 Promille entspricht. Während die Wahrscheinlichkeit einer Synkope in der Jugend eher gering ist - bei unter 50jährigen < 5/1000 Personenjahren -, steigt sie mit dem Alter stark an auf > 11/1000 Personenjahren bei über 70jährigen (vgl. P. Smetana , Rationelles Vorgehen bei der Abklärung von Synkopen, in: Austrian Journal of Cardiology <= Österreichische Zeitschrift für Herz-Kreislauferkrankungen - Journal für Kardiologie> Jahrgang 2006, S. 144-149 <144>; vgl. auch den Bericht über die 73rd Scientific Sessions der American Heart Association unter dem Titel „Synkope als Herausforderung“ in der MEDICAL TRIBUNE, 33. Jahrgang Nr. 11 vom 14.03.2001: „Gemäß den Daten der Framingham-Studie erleiden 3% der Männer und 3,5% aller Frauen eine Synkope, mit jedoch viel höherer Häufigkeit bei den Älteren. Die jährliche Inzidenz betrug bei den 35- bis 44-Jährigen 0,7 %, bei den über 75-Jährigen 6 %.“; grundsätzlich zu Diagnostik, Therapie, Definition und Klassifikation von Synkopen vgl. auch die aktuellen „Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie“ , 4. Aufl. 2008, S. 654 ff. der Deutschen Gesellschaft für Neurologie).

Anhand dieser durch veröffentlichte epidemiologische Maßzahlen belegten Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten einer Synkope bestand für eine Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten der Angeklagten hier keine tragfähige, verstandesmäßig einsehbare Tatsachengrundlage. Vielmehr hat das Landgericht den Zweifelssatz auf eine letztlich allenfalls abstrakte und lediglich als theoretisch einzustufende (entlastende) Möglichkeit ohne hinreichende Tatsachengrundlage gestützt, so dass hieraus auch bei einer Zusammenschau mit dem übrigen Beweisergebnis jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen Urteilsfeststellungen keine für die Anwendung des Zweifelssatzes gebotenen 'vernünftigen Zweifel' an der für einen Schuldspruch der Angeklagten relevanten Frage einer schuldhaften Herbeiführung des Unfalls vom 11.05.2006 gezogen werden durften.

c) Nach alledem erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als insgesamt unzureichend. Insbesondere ist zu besorgen, dass das Landgericht deshalb den weiteren möglichen und aus der Sphäre der Angeklagten herrührenden Unfallursachen, etwa einer Übermüdung bzw. eines Sekundenschlafs im Unfallzeitpunkt oder einer durch andere Umstände verursachten Unaufmerksamkeit bzw. Konzentrationsstörung durch Ablenkung im Rahmen seiner Beweiswürdigung nicht die gebührende Bedeutung zugemessen hat.


IV.

Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel war das angefochtene Urteil auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mitsamt den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten dieser Rechtsmittel – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).