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BGH Urteil vom 04.04.1967 - VI ZR 179/65 - Zum Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers in der Fahrzeugversicherung

BGH v. 04.04.1967: Zum Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers in der Fahrzeugversicherung


Der BGH (Urteil vom 04.04.1967 - VI ZR 179/65) hat entschieden:
Dem Versicherungsnehmer steht das Quotenvorrecht in Höhe seiner Selbstbeteiligung auch dann zu, wenn die nach AKB § 13 vom Listenpreis des zerstörten Fahrzeugs ausgehende Entschädigungsleistung des Kaskoversicherers den konkreten, nach dem Zeitwert errechneten Schaden ausgeglichen hat.


Siehe auch Quotenvorrecht und Versicherungsthemen


Tatbestand:

Am 18. September 1963 stieß ein Lastkraftwagen der britischen Stationierungsstreitkräfte in D. gegen den geparkten Personenkraftwagen des Klägers und beschädigte ihn so schwer, dass eine Reparatur des etwa zehn Monate alten Fahrzeugs nicht mehr lohnte (Totalschaden). Die Eintrittspflicht der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit.

Der Kläger hatte für sein Fahrzeug eine Vollkaskoversicherung mit 300 DM Selbstbeteiligung genommen. Der Versicherer erstattete ihm, weil der Schaden im ersten Jahr eingetreten war, vertragsgemäß den Neupreis von 8.780 DM abzüglich 450 DM Restwert und 300 DM Selbstbeteiligung, mithin 8.030 DM. Sodann nahm er Rückgriff bei der Beklagten, von der er nur 6.904 DM als Zeitwert des Wagens abzüglich 450 DM Restwert, also 6.454 DM forderte. Er brachte hierbei zum Ausdruck, dass ihm der Schadensersatzanspruch in der errechneten Höhe nach § 67 VVG voll zustehe, weil die dem Kläger gewährte Entschädigung von 8.030 DM seinen tatsächlichen Schaden weit übersteige. Die Beklagte zahlte daraufhin den verlangten Betrag an den Versicherer. Der Kläger ist jedoch der Ansicht, dass von seiner Schadensersatzforderung ein Teilbetrag von 300 DM im Hinblick auf die vereinbarte Selbstbeteiligung nicht auf den Kaskoversicherer übergegangen sei. Er hat diese Summe nebst Zinsen von der Beklagten verlangt.

Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger nichts mehr fordern könne, nachdem sein wirklicher, mit 6.454 DM zutreffend errechneter Sachschaden von dem Kaskoversicherer mehr als ausgeglichen worden sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.


Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil der Kaskoversicherer dem Kläger vertragsgemäß 300 DM seines Schadens nicht ersetzt und der Kläger daher in Höhe seiner Selbstbeteiligung den Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte behalten habe. Die Beklagte könne hiergegen nicht unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung geltend machen, dass die geleistete Entschädigung trotz des berücksichtigten Selbstbehalts den wirklichen Fahrzeugschaden übersteige.

Dieser Beurteilung ist im Ergebnis beizutreten.

Es handelt sich entgegen der Meinung der Revision um einen Fall des sog Quotenvorrechts des Versicherungsnehmers. Nach der vom erkennenden Senat gebilligten Differenztheorie (BGHZ 13, 28) verbleibt dem Versicherungsnehmer, dessen Schaden durch die Versicherungsleistung nur teilweise gedeckt wird, eine sonstige Ersatzforderung bis zur völligen Deckung seines Schadens. Die Ansicht der Revision, dass vorliegend der Schaden durch die Versicherungsleistung ausgeglichen und deshalb der Ersatzanspruch gegen die Beklagte in voller Höhe nach § 67 VVG auf den Kaskoversicherer übergegangen sei, geht fehlsam davon aus, dass als Schaden im Sinne von § 67 VVG allein die unfallbedingte Vermögensminderung des Klägers anzusehen sei. Das gilt indessen nur für seine Beziehung zum Schädiger. Im Versicherungsverhältnis greift die teilweise schematisierte Schadensberechnung nach § 13 AKB Platz. Der Kaskoversicherer hat dem Rechnung getragen, indem er seiner Rückgriffsforderung gegen die Beklagte nur den Zeitwert des zerstörten Wagens, seiner Ersatzleistung dagegen den Listenpreis zugrunde gelegt hat.

Der Kaskoversicherer kann aber von dem besonderen Schadensbegriff, wie er sich abweichend von den allgemeinen Regeln aus § 13 AKB ergibt, auch in der Frage des Erwerbs der Rückgriffsforderung nicht abgehen. Im Verhältnis zum Versicherungsnehmer ist die Schadenshöhe bei Totalschäden im ersten Jahr nach der Erstzulassung vertraglich auf den Listenpreis abzüglich des Restwertes festgelegt (§ 13 Abs 4, 2 AKB). Bleibt mithin die Entschädigung wegen der Selbstbeteiligung unter diesem Betrag, so hat der Versicherer insoweit den (normierten) Schaden nicht ersetzt. In dieser Höhe muss er deshalb die Rückgriffsforderung nach dem Grundsatz des Quotenvorrechts seinem Versicherungsnehmer belassen. Er kann sie nach dem zutreffenden Hinweis des Berufungsgerichts nicht ebenso umfassend an sich ziehen, wie wenn keine Selbstbeteiligung vereinbart wäre. Insbesondere verhilft ihm dazu nicht die Darlegung, dass die Entschädigung ungeachtet der Kürzung um 300 DM den konkreten Schaden ausgeglichen habe; denn der Versicherungsnehmer braucht sich bei einem Schaden der vorliegenden Art nach § 13 AKB gerade nicht mit dem Zeitwert zu begnügen. Er hat vielmehr Anspruch auf Erzielung des Listenpreises, und wenn er hierzu gelangen kann, indem er den durch die Versicherung nicht gedeckten Teil unmittelbar vom Schädiger fordert, muss ihm der Versicherer ebenso den Vortritt lassen wie in den gewöhnlichen Fällen, wo "der Schaden" im Haftungs- wie im Versicherungsbereich dieselbe Größe ist.

Das ergibt überdies auch der Grundsatz, dass der Forderungsübergang nach § 67 VVG nur hinsichtlich kongruenter Leistungen stattfindet. Soweit die in § 13 AKB festgelegte Entschädigung höher ist als der vom Schädiger nach allgemeinen Regeln zu erbringende Schadensersatz, steht dieser vertraglichen Mehrleistung keine entsprechende Forderung des Versicherungsnehmers an den Schädiger gegenüber. Der Kaskoversicherer kann deshalb hinsichtlich einer solchen Spitze niemals einen Ersatz im Rückgriffswege erlangen. Alsdann kann er sich diesen Ausgleich auch nicht dadurch verschaffen, dass er jenen Teil der Schadensersatzforderung an sich zieht, der im Falle einer Selbstbeteiligung stets und vorab dem Versicherungsnehmer gebührt.

Diese Auslegung des Quotenvorrechts führt ebensowenig zu einer unstatthaften Bereicherung des Versicherungsnehmers wie die zugrunde liegende, einer Neuwertversicherung nahekommende Schadensberechnung nach § 13 AKB. Das Sachinteresse des Eigentümers eines fast neuen Fahrzeugs geht über dessen rasch absinkenden Marktwert hinaus und ist deshalb versicherbar. In der hohen Versicherungsleistung liegt ein angemessener Ausgleich dafür, dass der Versicherungsnehmer trotz gleicher Prämien für den Verlust eines alten Wagens nur mit dessen geringem Zeitwert entschädigt wird (vgl Stiefel/Wussow, Kraftfahrversicherung, 6. Aufl, § 13 AKB Anm 1). Ist aber demnach die Entschädigung nach dem Listenpreis nicht als versicherungsrechtlich unzulässiger Vorteil anzusehen, so kann es keinen Unterschied machen, ob sie dem Versicherungsnehmer voll vom Kaskoversicherer gewährt wird, oder ob sie sich im Falle einer Selbstbeteiligung aus den Zahlungen des Schädigers und des Versicherers zusammensetzt.

Den Schädiger berühren diese versicherungsrechtlichen Besonderheiten insofern nicht, als er in jedem Fall nur bis zur Höhe des tatsächlich entstandenen, nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermittelnden Schadens haftet (vgl OGH Wien, Urteil vom 9. Januar 1950 = VersR 50, 69). Er muss allerdings beachten, dass ihm der Geschädigte und dessen Kaskoversicherer als Einzelgläubiger gegenüberstehen (Urteil des erkennenden Senats BGHZ 44, 382). Daraus folgt abschließend, dass der Kläger die Klagesumme auch dann von der Beklagten fordern kann, wenn diese insgesamt nicht mehr als den Betrag schulden sollte, den sie bereits an den Kaskoversicherer entrichtet hat. Eine mögliche Überzahlung könnte rückforderbar sein, aber nicht befreiend zum Nachteil des Klägers wirken.