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OVG Hamburg Beschluss vom 24.10.1997 - Bs VI 55/97 - Zu Eignungszweifeln wegen Drogenkonsums und zur Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers beim Drogenscreening- Haaranalyse
OVG Hamburg v. 24.10.1997: Zu Eignungszweifeln wegen Drogenkonsums und zur Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers beim Drogenscreening - Haaranalyse
Das OVG Hamburg (Beschluss vom 24.10.1997 - Bs VI 55/97) hat entschieden:
- Voraussetzung für eine Maßnahme nach § 15b Abs 2 StVZO - Drogenscreening - ist im Falle des aufgrund hinreichend aussagekräftiger Anzeichen bestehenden Verdachts auf regelmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Drogenkonsum nicht, dass der Fahrerlaubnisinhaber nachweislich bereits einmal im Drogenrausch am Straßenverkehr teilgenommen hat oder teilnehmen wollte.
- Der Ablehnung der Beibringung eines Gutachtens steht es gleich, wenn der Fahrerlaubnisinhaber im Rahmen des Drogenscreenings die Haaranalyse verweigert und lediglich mit der Urinuntersuchung einverstanden ist.
Siehe auch Haaranalyse - Abstinenznachweis und Drogen-Themen
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte dem Antrag nicht stattgeben dürfen.
Die aufschiebende Wirkung der Klage ist nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides vom 6. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1997 hat stärkeres Gewicht als das Interesse des Antragstellers daran, ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen. Das ergibt sich daraus, dass die Klage wenig Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG (Vorprüfungsausschuss), Beschl. v. 22.8.1983, NVwZ 1984 S. 165; Beschl. v. 15.2.1982, NVwZ 1982 S. 241 f.; Beschl. v. 11.2.1982, NVwZ 1982 S. 241; BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 19.10.1988, VBlBW 1989 S. 130). Da der Antragsteller demgemäß als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden muss, ist es nicht zu verantworten, ihn weiter am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu lassen und dadurch andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Dies ist von der Antragsgegnerin in den angefochtenen Bescheiden unter Beachtung des § 80 Abs. 3 VwGO zutreffend dargelegt worden.
Die Antragsgegnerin musste dem Antragsteller die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 StVG entziehen, da er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Dies ergibt sich daraus, dass er eine sachgerechte Überprüfung seiner Fahreignung nicht zugelassen hat. Er hat zwar das angeordnete Drogenscreening nicht abgelehnt, jedoch die für eine zuverlässige Diagnose unerlässliche Haaranalyse verweigert. Dies steht der totalen Verweigerung der Beibringung eines Gutachtens gleich. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg hat nämlich mit Schreiben vom 16. Dezember 1996 erklärt, aufgrund einer einzigen Urinprobe und einer fehlenden Haaruntersuchung lasse sich eine Aussage über einen gewohnheitsmäßigen Drogenkonsum nicht machen, sondern lediglich feststellen, dass unmittelbar vor dem Untersuchungstag kein Missbrauch von Drogen betrieben wurde.
Die Weigerung, ein gemäß § 15b Abs. 2 StVZO angeordnetes Gutachten beizubringen, rechtfertigt den Schluss auf die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.7.1987, NJW 1988 S. 1042; Urt. v. 27.9.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 249, 251 - st.Rspr.).
Voraussetzung für eine derartige Schlussfolgerung ist allerdings, dass die auf § 15b Abs. 2 StVZO beruhende Anordnung zur Beibringung des Gutachtens rechtmäßig war. Das ist hier zu bejahen. Denn aufgrund des Umstands, dass im Fahrzeug des Antragstellers bei einer Kontrolle durch das Autobahnkommissariat Leer 24 g Marihuana und 6 g Haschisch sowie ein Joint gefunden wurden, die er in Groningen in einem Coffee-Shop gekauft und in einer Plastiktüte im Kofferraum versteckt hatte, und aufgrund seiner dazu gegebenen Einlassung, die Betäubungsmittel seien ausschließlich für den eigenen Gebrauch bestimmt, bestand Anlass zu der Annahme, dass der Antragsteller zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet war. Es war ihm danach ernstlich zuzutrauen, dass er regel- oder gar gewohnheitsmäßig Cannabis konsumierte und im Rauschzustand am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen und dadurch andere Verkehrsteilnehmer gefährden würde (dass die Fahrtüchtigkeit durch einen Cannabisrausch beeinträchtigt wird, ist entgegen der vom Antragsteller anscheinend vertretenen Ansicht nicht zweifelhaft, vgl. BVerwG, Beschl.v. 23.8.1996, NJW 1997 S. 269 = Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 27; OVG Hamburg, Urt. v. 20.8.1996 - OVG Bf VI (VII) 2/95 -, m.w.N.). Die Notwendigkeit einer Überprüfung will offenbar auch der Antragsteller selbst nicht verneinen, denn er hat sich der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht schlechthin widersetzt, sondern sich lediglich mit der von ihm geforderten Haaranalyse nicht einverstanden erklärt.
Voraussetzung für eine Maßnahme nach § 15b Abs. 2 StVZO ist im Falle des aufgrund hinreichend aussagekräftiger Anzeichen bestehenden Verdachts auf regelmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Drogenkonsum entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht, dass der betreffende Kraftfahrer nachweislich bereits einmal im Drogenrausch am Straßenverkehr teilgenommen hat oder teilnehmen wollte (BVerwG, Beschl.v. 23.8.1996, a.a.O. S. 270; vgl. auch OVG Koblenz, Beschl. v. 13.8.1996, ZfSch 1996, S. 478). Angesichts der zu vermutenden hohen Dunkelziffer von Kraftfahrern, die im Drogenrausch ein Kraftfahrzeug führen - diese beruht darauf, dass der Konsum von Drogen anders als der Genuss von Alkohol schwer feststellbar ist -, kann dies nicht verlangt werden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Beschwerdegericht folgt, ist vielmehr anerkannt, dass bereits der aufgrund hinreichend aussagekräftiger Anzeichen bestehende Verdacht des regelmäßigen Drogenkonsums ausreicht, um Maßnahmen gemäß § 15b Abs. 2 StVZO zu rechtfertigen (BVerwG, Beschl.v. 28.6.1996 - BVerwG 11 B 36/96 -, Juris; Beschl. v. 23.8.1996, a.a.O.; Beschl. v. 9.12.1996 - BVerwG 11 B 93/96 -, Juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 9.8.1994, VBlBW 1995 S. 196, 197 - st.Rspr.; zweifelnd VGH München, Urt. v. 12.5.1997, DAR 1997 S. 364; 365; in seinem Urteil v. 20.8.1996 - OVG Bf VI (VII) 2/95 - konnte das Beschwerdegericht diese Frage offenlassen, weil der Fahrerlaubnisinhaber bereits einmal gezeigt hatte, dass er sich nicht scheute, im akuten Cannabisrausch ein Kraftfahrzeug zu führen). Dabei ist die zuständige Behörde berechtigt - und gehalten -, in einem abgestuften Verfahren zunächst die Frage zu klären, ob regelmäßiger oder gewohnheitsmäßiger Drogenkonsum tatsächlich vorliegt. Stellt sie einen derartigen Konsum fest, so darf sie durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten klären lassen, ob der betreffende Kraftfahrer imstande ist, Drogenkonsum und die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr voneinander zu trennen (BVerwG, Beschl.v. 23.8. und 9.12.1996, s.o.; vgl. auch Beschl. v. 14.7.1995 - BVerwG 11 B 35/95 -, Juris). Es kommt nicht darauf an, ob gewohnheitsmäßige Cannabiskonsumenten dazu neigen, in akutem Rauschzustand ein Kraftfahrzeug zu führen. Bereits der Umstand, dass dies möglich erscheint, rechtfertigt nach der angeführten Rechtsprechung die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung.
Diese Rechtsgrundsätze hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren beachtet. Die Umstände, unter denen beim Antragsteller Cannabis entdeckt worden ist, begründen den Verdacht, dass er seinerzeit regelmäßig/gewohnheitsmäßig Cannabis konsumiert hat. Gegenüber der Polizei hat er selbst erklärt, er habe sich das Rauschgift zum Eigenkonsum beschafft. Wenn er nunmehr geltend macht, er habe nicht zugegeben, Haschisch oder Marihuana konsumiert zu haben, so ist das wenig überzeugend. Dafür, dass der Antragsteller mit den Betäubungsmitteln Handel treiben, sie veräußern, abgeben oder sonst in den Verkehr bringen wollte, gibt es keine Anhaltspunkte. Jemand, der Cannabis erst einmal probieren will, hätte sich diese Droge in den Niederlanden schwerlich in einer solchen Menge beschafft, wie es hier geschehen ist. Zudem verstärken sich die Zweifel an den Angaben des Antragstellers dadurch, dass in seinem Kofferraum ein Joint gefunden wurde. Was der Antragsteller hierzu ausgeführt hat, ist unsubstantiiert. Wenn er den Joint wirklich nicht während einer Fahrpause hätte rauchen wollen, hätte er eine Erklärung dafür geben müssen, welchem Zweck der Joint diente. Dass der Joint sich nicht im Innenraum des Fahrzeugs, sondern in dessen Kofferraum versteckt in einer Plastiktüte befand, lässt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller ihn nicht - z.B. bei einer Unterbrechung der Fahrt auf einem Parkplatz - rauchen wollte.
Die Antragsgegnerin hat auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993, BVerfGE Bd. 89 S. 69, 88; BVerwG, Urt. v. 15.12.1989, NJW 1990 S. 2637, 2638; Himmelreich/Hentschel, Fahrverbot - Führerscheinentzug, Bd. II (Verwaltungsrecht), 7. Aufl. 1992, Rdnr. 133 f.; Himmelreich/Janker, MPU-Begutachtung, 1992, Rdnr. 38). Sie hat zunächst angestrebt, durch ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin die Frage aufzuklären, ob bei dem Antragsteller regel- bzw. gewohnheitsmäßiger Drogenkonsum vorliegt. Dies war das den Antragsteller am wenigsten belastende Mittel (vgl. BVerfG, a.a.O.; BVerwG, Beschl. v. 23.8.1996, a.a.O.).
Vergeblich macht der Antragsteller geltend, es sei ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit, wenn ihm Haare abgeschnitten werden. Diese Maßnahme ist mit keinerlei Schmerzen verbunden und kann auch so durchgeführt werden, dass sein Äußeres dadurch nicht verunstaltet wird. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts greift eine Blutentnahme oder eine Urinprobe, wenn sie in der erforderlichen Weise kontrolliert wird, wesentlich schwerer in die Persönlichkeitssphäre des einzelnen ein als eine Haaruntersuchung. Soweit ersichtlich, wird demgemäß auch die Zulässigkeit einer Haaranalyse von keinem Gericht in Zweifel gezogen (vgl. BVerfG, a.a.O.; BVerwG, Beschl.v. 14.7.1995, s.o.; VGH München, Urt. v. 12.5.1997, a.a.O.; VGH Mannheim, Beschl. v. 28.9.1995, VBlBW 1996 S. 30, 31).
Es nützt dem Antragsteller nichts, dass er im März 1997 eine Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin vorgelegt hat, derzufolge eine von ihm aufgrund einer Ladung vom 10. März am 13. März 1997 abgelieferte Urinprobe keine Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Cocain, Haschisch-Abbauprodukte, Opiate oder Methadon enthielt. Für den Erfolg seiner Klage ist dies ohne Bedeutung, da der für die Entscheidung maßgebliche Zeitpunkt der Abschluss des Vorverfahrens ist (vgl. z B. BVerwG, Beschl. v. 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73). Aber auch für die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis ist dies nicht erheblich, da eine einzelne Urinprobe nichts über die Konsumgewohnheiten des Antragstellers aussagt (vgl. auch die Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin vom 16.12.1996). Sie stellt lediglich eine Momentaufnahme dar, die vom Zufall abhängig und deshalb ohne Aussagekraft ist. Das gilt auch dann, wenn die Ladung des Instituts für Rechtsmedizin für den Antragsteller überraschend kam.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Bei der Bemessung des Streitwerts berücksichtigt das Gericht, dass nur um die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs für die Dauer des Klageverfahrens, nicht auch zugleich für die Dauer des Widerspruchsverfahrens gestritten worden ist.