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BGH Beschluss vom 29.03.2011 - VI ZB 25/10 - Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei eigenem Verschulden des Rechtsanwalts
BGH v. 29.03.2011: Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei eigenem Verschulden des Rechtsanwalts
Der BGH (Beschluss vom 29.03.2011 - VI ZB 25/10) hat entschieden:
Den Rechtsanwalt, dem aufgrund eines Büroversehens eine Fristsache als nicht fristgebunden vorgelegt wird, trifft ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist, wenn er sich nicht in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeugt, was zu tun ist und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann.
Siehe auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Anwaltsverschulden - Haftung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2010 abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25. Januar 2010 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Februar 2010, der per Fax am selben Tag und im Original am 24. Februar 2010 beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 30. März 2010, eingegangen am selben Tag, hat die Klägerin die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat sie ausgeführt, die Versäumung der Frist beruhe darauf, dass die bisher sehr sorgfältig arbeitende und ordnungsgemäß überwachte Anwaltsgehilfin K. entgegen der ausdrücklichen Weisung des Prozessbevollmächtigten, im Fristenkalender und in den Handakten sowohl die Berufungsfrist als auch die Berufungsbegründungsfrist jeweils nebst einwöchiger Vorfrist einzutragen, hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist allein die Vorfrist eingetragen und diese als normale Vorlagefrist behandelt habe. Dies habe dazu geführt, dass die Akte am Tage des Ablaufs der Vorfrist als normale Vorlage und damit ohne den sonst üblichen auffälligen Vermerk "Fristsache" vorgelegt worden und die nach kanzleiinterner Organisation am Tage des Fristablaufs zu erfolgende Erinnerung (durch einen Aufkleber mit dem Text: "heute Fristablauf") unterblieben sei. Der Fristablauf sei erst am Montag, dem 29. März 2010 bemerkt worden, als der Prozessbevollmächtigte die Akte zur Hand genommen habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erfordere es, dass er sich auch in Sachen, die ihm als nicht fristgebunden vorgelegt würden, in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeuge, worum es sich handele und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen könne. Auch in solchen Fällen dürfe der Rechtsanwalt die ihm vorgelegten Akten jedenfalls nicht eine Woche lang gänzlich unbeachtet lassen. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei die Akte nach eigenem Vorbringen mit Ablauf der Vorfrist, also eine Woche vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden. Hätte er, wie es geboten gewesen wäre, innerhalb einer Woche einen Blick in die Akten geworfen, hätte er unschwer feststellen können, dass bis zum 25. März 2010 eine Berufungsbegründungsschrift einzureichen war. Dass er in dieser Zeit gehindert gewesen wäre, sich mit der Sache zu befassen, sei nicht dargetan.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat.
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO).
a) Die Rechtsbeschwerde nimmt die - zutreffende - Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Prozessbevollmächtigten kein Organisationsverschulden anzulasten sei und die Klägerin sich den Fehler der Anwaltsgehilfin K. deshalb nicht zurechnen lassen müsse, als ihr günstig hin.
b) Soweit sich die Rechtsbeschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung bejaht hat, welches sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, hat sie keinen Erfolg.
Die Fristversäumung beruht nicht allein darauf, dass die Anwaltsgehilfin K. für die Berufungsbegründungsfrist nur die Vorfrist im Fristenkalender vermerkt und diese Frist als eine lediglich gewöhnliche Frist behandelt hat, was zur Folge hatte, dass die Akten dem Prozessbevollmächtigten ohne äußere Kenntlichmachung als Fristsache vorgelegt wurden und dieser nicht ohne Weiteres erkennen konnte, dass die Bearbeitung fristgebunden war.
Den Prozessbevollmächtigten trifft daran vielmehr, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, auch ein eigenes Verschulden. Dieser hatte zwar keinen Anlass, sich noch am selben Tage der - wie es schien nicht fristgebundenen - Bearbeitung der ihm vorgelegten Akten zu widmen. Wie der Senat entschieden hat, trifft den Rechtsanwalt, dem aufgrund eines Büroversehens eine Fristsache als nicht fristgebunden vorgelegt wird, jedoch dann ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist, wenn er sich nicht in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeugt, was zu tun ist und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann (Senatsbeschluss vom 3. November 1997 - VI ZB 47/97 - VersR 1998, 342). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, wie es geboten war, innerhalb einer Woche einen Blick in die Akten geworfen, hätte er unschwer feststellen können, dass bis zum 25. März 2010 eine Berufungsbegründung einzureichen war. Es geht daher hier nicht, wie die Rechtsbeschwerde meint, um die Frage, ob der Rechtsanwalt bei jeder Vorlage der Akten eigenverantwortlich prüfen muss, ob das Büropersonal die Rechtsmittelfristen zutreffend notiert hat (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 11. Februar 1992 - VI ZB 2/92, NJW 1992, 1632; BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91, NJW 1992, 841; BAG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 3 AZN 261/95, NJW 1995, 3339, 3340).
c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Berufungsgericht hätte jedenfalls nach § 139 ZPO darauf hinweisen müssen, dass noch Vortrag der Klägerin dazu geboten sei, weshalb ihr Prozessbevollmächtigter die ihm am 18. März 2010 als nicht fristgebunden vorgelegte Akte erst am Montag, dem 29. März 2010, zur Hand genommen habe. Dass er keine Zeit gehabt habe, innerhalb einer Woche einen kurzen Blick in die Akte zu werfen, zeigt auch die Rechtsbeschwerde nicht auf. Dass er im Hinblick auf seine Arbeitsbelastung im Falle ordnungsgemäßer Vorlage der Akte als Fristsache sofort die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hätte und diesem Antrag gegebenenfalls stattgegeben worden wäre, kann ihn deshalb nicht entlasten, weil er die Erforderlichkeit dieses Antrags aufgrund seines Versäumnisses, nicht rechtzeitig einen kurzen Blick in die Akten zu werfen, schuldhaft nicht erkannt hat.
3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.