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BGH Beschluss vom 11.12.1991 - VIII ZB 38/91 - Zum Anwaltsverschulden bei fehlender eigenverantwortlicher Fristenkontrolle im Augenblick der Aktenvorlage
BGH v. 11.12.1991: Zum Anwaltsverschulden bei fehlender eigenverantwortlicher Fristenkontrolle im Augenblick der Aktenvorlage
Der BGH (Beschluss vom 11.12.1991 - VIII ZB 38/91) hat entschieden:
- Die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung (hier: Berufungsbegründung) entsteht bereits bei der Vorlage der Akten an ihn, nicht erst bei deren Bearbeitung.
- Von der eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Frist kann sich der Rechtsanwalt nicht durch die Anweisung an sein Büropersonal befreien, die Fristwahrung zu kontrollieren und ihn ggf an die Erledigung der Fristsache zu erinnern.
Siehe auch Fristenkontrolle und Wiedereinsetzung
Gründe:
I.
Durch Urteil des Landgerichts Mannheim wurde die auf Zahlung von 107.784,24 DM nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen und der Kläger auf die Widerklage zur Zahlung von 15.932,80 DM nebst Zinsen an den Beklagten verurteilt. Gegen dies Urteil legte der Kläger form- und fristgerecht Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe ein. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde durch Verfügung des Vorsitzenden bis zum 25. Oktober 1991 verlängert. Am 28. Oktober 1991 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; ausweislich der am 8. November 1991 eingegangenen Berufungsbegründung will er mit der Berufung lediglich die Abweisung der Widerklage erreichen. Zur Begründung der erbetenen Wiedereinsetzung hat er geltend gemacht:
Sein zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, Rechtsanwalt B., habe in den Akten den 25. Oktober 1991 als Fristablauf für die Berufungsbegründung vermerkt und die Wiedervorlage der Akte für den 22. Oktober 1991 verfügt. Dementsprechend seien die Akten Rechtsanwalt B. am 22. Oktober 1991 vorgelegt worden. Auf den Akten habe sich ein auffälliger rot/weißer "Fristenzettel" befunden, auf dem u.a. der "25.10." als Fristablauf notiert gewesen sei. Rechtsanwalt B. habe versehentlich die Ziffer "5" als "9" gelesen, sei daher von einem Fristablauf am 29. Oktober 1991 ausgegangen und habe sich die Bearbeitung der Akte für das Wochenende 26./27. Oktober 1991 vorgenommen. Dabei habe er dann seinen Irrtum bemerkt. - Gleichwohl wäre es nicht zu der Fristversäumung gekommen, wenn am 25. Oktober 1991 die generelle Anweisung von Rechtsanwalt B. und seinen Partnern an die Bürovorsteherin beachtet worden wäre, am Frühnachmittag jeden Werktages anhand des Fristenkalenders zu kontrollieren, ob alle an diesem Tage ablaufenden Fristen gewahrt seien und - falls nein - den sachbearbeitenden Rechtsanwalt sofort an die Erledigung zu erinnern. Am 25. Oktober 1991 sei diese Kontrolle, die an diesem Tag Aufgabe der erfahrenen und zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin S. H. als Vertreterin der urlaubsabwesenden Bürovorsteherin gewesen sei, aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterblieben. Wäre Rechtsanwalt B. weisungsgemäß am Nachmittag des 25. Oktober 1991 an die an diesem Tag ablaufende Frist zur Berufungsbegründung erinnert worden, so wäre es ihm noch möglich gewesen, die Berufungsbegründung anzufertigen und vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts zu werfen.
Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 11. November 1991, dem Kläger zugestellt am 13. November 1991, die Berufung unter Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 19. November 1991 eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist statthaft und zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Berufung ist unzulässig, weil sie erst nach Ablauf der am 25. Oktober 1991 endenden Begründungsfrist begründet worden ist (§ 519 Abs. 2 ZPO). Die beantragte Wiedereinsetzung hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt.
Dem Oberlandesgericht ist zuzustimmen, dass ein dem Kläger zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO) Verschulden seines Prozessbevollmächtigten jedenfalls darin liegt, dass dieser bei der am 22. Oktober 1991 erfolgten Vorlage der Akten zwecks Anfertigung der Berufungsbegründung den Ablauf der hierfür maßgebenden Frist nicht überprüft hat. Diese Verpflichtung des Prozessbevollmächtigten zur eigenverantwortlichen Prüfung des Fristenlaufes bei der Vorbereitung einer fristwahrenden Prozesshandlung entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. aus neuester Zeit z.B. Senatsbeschluss vom 21. Januar 1990 - VIII ZB 44/89 = VersR 1990, 543 und BGH, Beschluss vom 21. März 1990 = XII ZB 131/89 = VersR 1991, 119). Diese Fristenprüfung war entgegen der Ansicht des Klägers im vorliegenden Fall auch nicht deswegen entbehrlich, weil nach seinem Vorbringen Rechtsanwalt B. bereits zu einem früheren Zeitpunkt selbst die Wiedervorlage zum 22. Oktober 1991 verfügt und dabei den 25. Oktober 1991 als Fristablauf notiert hatte. Auch dann bleibt es dabei, dass die Akte bei der Vorlage am 22. Oktober 1991 den routinemäßigen Bürobetrieb, innerhalb dessen ein Rechtsanwalt die Fristenkontrolle seinem geschulten, überwachten und zuverlässigen Büropersonal überlassen darf, verließ und es nunmehr u.a. um die Prüfung einer Zulässigkeitsvoraussetzung der beabsichtigten Prozesshandlung ging. Diese fällt in den eigenen Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts. Ob er sich hierbei auf eine schon früher von ihm durchgeführte und aktenkundig gemachte Fristenberechnung verlassen und darauf Bezug nehmen darf, mag dahinstehen. Erforderlich ist aber jedenfalls, dass der Rechtsanwalt überhaupt eine (erneute) Fristenprüfung vornimmt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 1973 - III ZB 18/73 = VersR 1974, 385 f und vom 13. Juli 1959 - IV ZR 57/59 = VersR 1959, 814). Dies ist hier nicht geschehen.
Entgegen der Ansicht des Klägers entsteht die Pflicht des Rechtsanwalts zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung, wenn sie sinnvoll sein soll, bereits bei der Vorlage der Akten und nicht erst dann, wenn sich der Anwalt zu deren Bearbeitung entschließt.
Von dieser eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Frist zur Berufungsbegründung konnte sich Rechtsanwalt B. auch nicht dadurch befreien, dass er, wie der Kläger weiter geltend macht, die Bürovorsteherin anwies, täglich die ablaufenden Fristen zu kontrollieren und ihn gegebenenfalls ausdrücklich an noch unerledigte Fristsachen zu erinnern (BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 1980 - III ZB 30/80 = VersR 1981, 282 und vom 10. Juli 1961 - VIII ZB 13/61 = VersR 1961, 852, 853; Urteil vom 25. September 1968 - VIII ZR 45/68 = VersR 1968, 1191 = LM ZPO (Fc) § 233 Nr. 33).
Mit Recht führt das Oberlandesgericht schließlich aus, dass Rechtsanwalt B. seinen Ablesefehler (29. Oktober anstatt 25. Oktober 1991) bemerkt hätte, wenn er bei Vorlage der Akten am 22. Oktober 1991 den Fristablauf selbst kontrolliert hätte. Dann wäre die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vermieden worden.