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BGH Beschluss vom 12.03.1986 - VIII ZB 6/86 - Zur Erkundigungspflicht des Rechtsanwalts bezüglich des Stattgebens nach Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
BGH v. 12.03.1986: Zur Erkundigungspflicht des Rechtsanwalts bezüglich des Stattgebens nach Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
Der BGH (Beschluss vom 12.03.1986 - VIII ZB 6/86) hat entschieden:
Der Prozessbevollmächtigte braucht sich nicht vor Ablauf der Frist wegen der Verlängerung bei Gericht zu erkundigen, wenn er deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten konnte.
Siehe auch Fristenkontrolle und Wiedereinsetzung
Gründe:
Die Beklagte ist vom Landgericht zur Zahlung von 6.000,-- DM nebst Zinsen verurteilt worden. Gegen das am 1. Juli 1985 zugestellte Urteil hat sie am 1. August 1985 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1985, der am folgenden Tag bei Gericht einging, beantragte sie, "die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat, also bis zum 16.11.1985 einschließlich, zu verlängern". Der stellvertretende Vorsitzende des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts verlängerte die Begründungsfrist nur bis zum 31. Oktober 1985 (Verfügung vom 14. Oktober 1985). Innerhalb dieser Frist ging die Berufungsbegründung nicht ein, sondern erst - zusammen mit einem Wiedereinsetzungsantrag - am 22. November 1985. Inzwischen hatte das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 5. November 1985, zugestellt am 8. November 1985, die Berufung als unzulässig verworfen. Den Antrag auf Wiedereinsetzung verwarf es mit Beschluss vom 18. Dezember 1985 als unzulässig. Auf die dagegen und gegen die Verwerfung der Berufung gerichteten, statthaften (§§ 238 Abs. 2, 519 b Abs. 2 ZPO) sowie form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden sind die Beschlüsse aufzuheben.
1. Die Begründungsfrist lief mit dem 31. Oktober 1985 ab. An der Wirksamkeit der Verlängerung bis zu diesem Zeitpunkt durch die Verfügung vom 14. Oktober 1985 bestehen keine Zweifel, da sie kein gerichtsinterner Vorgang geblieben, sondern die Nachricht über die Verlängerung am 15. Oktober 1985 an die beiderseitigen Prozessbevollmächtigten abgesandt worden ist. Andererseits bedurfte die Verlängerung, auch soweit sie hinter dem Antrag zurückblieb, keiner förmlichen Zustellung, weil sie keine Frist in Lauf setzte (§ 329 Abs. 2 ZPO; BGHZ 93, 300, 305) und überdies nach § 225 Abs. 3 ZPO die Teilablehnung nicht angefochten werden kann.
2. a) Nach Ansicht der Vorinstanz steht der Wiedereinsetzung entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sich nicht vor dem 8. November 1985 bei Gericht erkundigt hat, ob seinem Verlängerungsantrag stattgegeben worden sei. Soweit sie hierbei zugrundelegt, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bis zum 31. Oktober 1985 allerdings keine Pflicht zur Nachfrage hatte, deren schuldhafte Verletzung der Wiedereinsetzung entgegenstünde (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO), stößt das auf keine rechtlichen Bedenken. Wie der erkennende Senat in anderem Zusammenhang entschieden hat (verspäteter Eingang des Antrags auf Verlängerung), braucht der Prozessbevollmächtigte sich nicht vor Ablauf der Frist wegen der Verlängerung zu erkundigen, wenn er deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten konnte (Beschlüsse vom 2. Februar 1983 - VIII ZB 1/83, VersR 1983, 457, und vom 23. Februar 1983 - VIII ZB 2/83, VersR 1983, 487; vgl. allerdings auch BGH, Beschluss vom 12. Juli 1984 - VII ZB 3/84, VersR 1984, 894). Nichts anderes kann im Grundsatz für den hier vorliegenden Sachverhalt gelten. Die Beklagte hatte mit dem, erstmals gestellten, Antrag um eine zeitlich im Rahmen bleibende Verlängerung gebeten und zur Begründung vorgebracht, dass die Gerichtsakten noch nicht hätten eingesehen werden können und außerdem noch Informationen bei der Beklagten einzuholen seien, die wegen häufiger Abwesenheit ihres Inhabers bisher nicht hätten erlangt werden können. Es sind - vorbehaltlich einer besonderen Übung des Senats des Oberlandesgerichts (dazu unten b) - keine naheliegenden Gründe dafür ersichtlich, wonach der Prozessbevollmächtigte der Beklagten damit rechnen musste, dass diesem Antrag gemäß § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht oder nur teilweise stattgegeben werden würde.
b) Das Berufungsgericht meint indessen, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hätte sich vor dem 8. November 1985 erkundigen müssen. Dann hätte er Kenntnis von der Verlängerung nur bis zum 31. Oktober 1985 erhalten. Mithin sei der erst am 22. November 1985 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1, 2 ZPO gestellt und daher unzulässig.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar ist zutreffend, dass die Zweiwochenfrist beginnt, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass die Frist versäumt war (s. BGH, Beschluss vom 29. Juni 1982 - VI ZB 6/82, VersR 1982, 971, 972). Die Kenntnis hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erst am 8. November 1985 erlangt. Davon ist jedenfalls das Berufungsgericht ausgegangen, obwohl es betont, dass die Nachricht über die Fristverlängerung bereits am 15. Oktober 1985 abgeschickt worden und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dessen Vortrag am 17. Oktober 1985 zugegangen sei. Der erkennende Senat hat keine Veranlassung, diesen Ausgangspunkt in Zweifel zu ziehen.
Allein der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sich bis zum 8. November 1985 noch nicht wegen der Fristverlängerung bei Gericht erkundigt hatte, rechtfertigt nicht die Annahme, seine Unkenntnis von der nur bis zum 31. Oktober 1985 verfügten Fristverlängerung beruhe auf mangelnder Sorgfalt. Wie oben ausgeführt, konnte er die Verlängerung bis zum 16. November 1985 (jedenfalls bis zum 15. November, da die Berufungsfrist ohne Verlängerung schon am 15. Oktober abgelaufen wäre) mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten.
Das wäre nur anders, wenn er die vom Berufungsgericht festgestellte "langjährige Gepflogenheit des Senats" gekannt hätte, "in Fällen, in denen, wie hier, zur Begründung der Berufung nicht nur die gesetzliche Monatsfrist, sondern zusätzlich noch die Gerichtsferien zur Verfügung stehen, eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht über den 31. Oktober hinaus zu bewilligen". Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Selbstbeschränkung mit dem nach § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO dem Vorsitzenden eingeräumten Ermessensspielraum in Einklang steht. Wenn sie dem Prozessbevollmächtigten bekannt ist, gebietet seine Sorgfaltspflicht (sicherster Weg), dass er sich mit seinen Anträgen und seinen Vorkehrungen zur Fristwahrung darauf einstellt. Das würde hier bedeuten, dass er sich nicht auf eine Verlängerung über den 31. Oktober 1985 hinaus hätte verlassen dürfen. Die Beklagte hat bestritten, dass ihrem Prozessbevollmächtigten die Praxis des Senats des Oberlandesgerichts bekannt gewesen sei (Schriftsatz vom 19. Dezember 1985). Dieser Vortrag - der sich im Rahmen einer zulässigen Ergänzung der für die Wiedereinsetzung geltend gemachten Gründe hält - konnte in dem bereits am 18. Dezember 1985 gefassten Beschluss des Oberlandesgerichts nicht berücksichtigt werden, der im übrigen den Eindruck vermittelt, es komme allein auf das objektive Bestehen der Gepflogenheit des Senats an, was nach dem zuvor Ausgeführten rechtlich nicht zutreffend ist. Vielmehr ist mangelnde Sorgfalt des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nur anzunehmen, wenn er sich über die ihm bekannte Gepflogenheit hinweggesetzt hat.
Nach alledem hat die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags - und damit die Verwerfung der Berufung - keinen Bestand. Die Sache war zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen gemäß § 575 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu übertragen war.