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BGH Beschluss vom 06.07.2009 - II ZB 1/09 - Zur Wiedereinsetzung bei krankheitsbedingter Verhinderung an der fristgemäßen Berufungsbegründung

BGH v. 06.07.2009: Zur Wiedereinsetzung bei krankheitsbedingter Verhinderung an der fristgemäßen Berufungsbegründung


Der BGH (Beschluss vom 06.07.2009 - II ZB 1/09) hat entschieden:
War ein (Berufungs-)Anwalt aufgrund einer plötzlich auftretenden, nicht vorhersehbaren Erkrankung an der fristgebundenen Begründung einer Berufung gehindert, kann ihm ein Fehler im Verlängerungsantrag, der zu dessen Ablehnung führte, (hier: fehlende Einholung der Einwilligung zur zweiten Fristverlängerung) nicht angelastet werden. Es ist dann Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.


Siehe auch Wiedereinsetzung und Anwaltsverschulden - Haftung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten


Gründe:

Der Beklagte hat gegen das am 1. März 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts Magdeburg rechtzeitig Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 29. April 2004 hat er beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 1. Juni 2004 zu verlängern. Dem Antrag hat das Berufungsgericht stattgegeben. Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2004, per Fax am frühen Nachmittag desselben Tages bei Gericht eingegangen, beantragte die Prozessbevollmächtigte des Beklagten, die Berufungsbegründungsfrist erneut, nunmehr bis zum 3. Juni 2004, zu verlängern, und begründete dies mit ihrer aufgrund einer Erkrankung seit dem 28. Mai 2004 bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Sie wies zugleich darauf hin, dass sie die alleinige Sachbearbeiterin sei. Mit Fax vom selben Tag teilte der Vorsitzende der Prozessbevollmächtigten mit, dass nicht beabsichtigt sei, dem Fristverlängerungsantrag stattzugeben, da er nicht von einem beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt gestellt worden sei. Gleichzeitig gab er per Fax dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, ohne dies zugleich der Bevollmächtigten des Beklagten nachrichtlich mitzuteilen, Gelegenheit, bis zum 2. Juni 2004 zu dem Fristverlängerungsantrag Stellung zu nehmen. Bereits ca. 40 Minuten nach Eingang des Faxes bei der Prozessbevollmächtigten des Beklagten teilte diese per Fax mit, dass sie beim Oberlandesgericht zugelassen sei. Mit Fax vom 2. Juni 2004 verweigerte der Klägervertreter seine Zustimmung zu der Fristverlängerung. Daraufhin wies der Vorsitzende des Berufungsgerichts am selben Tag den Fristverlängerungsantrag zurück und begründete dies mit der mangelnden Einwilligung des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Diese Entscheidung wurde der Bevollmächtigten des Beklagten am Morgen des 3. Juni 2004 per Fax mitgeteilt. Ebenfalls am 3. Juni 2004 ging zunächst ein Fax des Klägervertreters beim Berufungsgericht ein, in dem er mitteilte, dass er nach einem Telefonat mit der Bevollmächtigten des Beklagten, in dem diese ihm ihre Notlage geschildert habe, nunmehr der Fristverlängerung zustimme. Ebenfalls am 3. Juni 2004 ging die Berufungsbegründung per Fax beim Berufungsgericht ein. Mit Schreiben vom 4. Juni 2004 teilte der Vorsitzende des Berufungsgerichts der Bevollmächtigten des Beklagten mit, dass trotz der Zustimmung des Klägervertreters die Berufungsbegründungsfrist nicht verlängert werde.

Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2004 beantragte der Beklagte vorsorglich, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren unter Glaubhaftmachung der Erkrankung seiner Bevollmächtigten durch die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat im Wiedereinsetzungsgesuch die Ansicht vertreten, sie habe von einer Zustimmung des Gegners zur Fristverlängerung ausgehen dürfen, da der Vorsitzende sie lediglich darauf hingewiesen habe, dass eine Fristverlängerung nur wegen mangelnder Postulationsfähigkeit nicht in Betracht komme. Ihr Vertrauen auf die Fristverlängerung sei zudem gestärkt worden durch die gängige Gerichtspraxis beim Oberlandesgericht Naumburg, bei Krankheit auch ohne Zustimmung des Gegners einer beantragten zweiten Fristverlängerung stattzugeben, weil Arbeitsunfähigkeit sowieso einen Wiedereinsetzungsgrund bezüglich der versäumten Handlung begründe.

Erst mit Beschluss vom 22. April 2005 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde. Das Rechtsbeschwerdeverfahren war wegen des über das Vermögen des Klägers eröffneten Insolvenzverfahrens vom 29. Juli 2005 bis zum 11. Februar 2009 unterbrochen.


II.

1. Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es dessen zentrales Vorbringen im Wiedereinsetzungsgesuch unberücksichtigt gelassen hat, dass nämlich seine Prozessbevollmächtigte in der Zeit vom 28. Mai 2004 bis 7. Juni 2004 arbeitsunfähig erkrankt und daher wegen des unvorhersehbaren Eintritts der Erkrankung ohne Verschulden an der Einreichung der Berufungsbegründung innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bis zum 1. Juni 2004 gehindert gewesen sei.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Dem Beklagten ist unter Aufhebung des Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Damit sind der Beschluss über die Verwerfung der Berufung und die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Beklagten gegenstandslos (BGH, Beschl. v. 16. April 2009 - VII ZB 66/08 und - VII ZB 67/08, juris Tz. 13 m.w.Nachw. z.V.b.).

a) Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen, da er nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen sei. Das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, das er sich gemäß § 85 ZPO zurechnen lassen müsse, liege daran, dass sie keinen korrekten zweiten Fristverlängerungsantrag gestellt habe. Auch bei (unterstellter) Arbeitsunfähigkeit habe sie ohne Erklärung über das Vorliegen der Einwilligung des Gegners auf die zweite Fristverlängerung nicht vertrauen dürfen, da nach der Einführung von § 520 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, die über einen Monat hinausgehe, ohne Einwilligung des Gegners schon von Gesetzes wegen nicht in Betracht komme. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe nicht davon ausgehen dürfen, dass das Berufungsgericht sich über diese eindeutige Gesetzeslage hinwegsetzen werde. An dem Ergebnis ändere sich nichts durch die nachträglich erklärte Einwilligung des Gegners, denn die Einwilligung sei bedingungsfeindlich und grundsätzlich unwiderruflich. Für die einmal verweigerte Einwilligung könne nichts Abweichendes gelten, dies insbesondere dann nicht, wenn der Fristverlängerungsantrag bereits vor der Erklärung der Einwilligung zurückgewiesen worden sei.

b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht stellt verfehlt nur darauf ab, die Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe mangels Darlegung der Einwilligung des Gegners keinen korrekten Antrag hinsichtlich der zweiten Fristverlängerung gestellt. Ob die Erkrankung unabhängig vom Antrag auf erneute Fristverlängerung das Wiedereinsetzungsgesuch rechtfertigen kann, zieht das Berufungsgericht dagegen unter Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) überhaupt nicht in Erwägung.

aa) Noch zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die am 1. Juni 2004 ablaufende Berufungsbegründungsfrist versäumt hat. Die Berufungsbegründung ist erst am 3. Juni 2004 und damit nach Ablauf der nicht erneut verlängerten Frist eingegangen, ohne dass es darauf ankäme, ob die Verweigerung der zweiten Fristverlängerung zu Recht erfolgt ist.

bb) Das entscheidungserhebliche Übergehen des Vortrags des Beklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) und die darauf beruhende Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) durch Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs und Verwerfung der Berufung zwingen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist war unverschuldet.

Der Beklagte hat glaubhaft gemacht, dass seine Prozessbevollmächtigte aufgrund einer plötzlich aufgetretenen, unvorhersehbaren Erkrankung an der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist gehindert war. Die Bestellung eines Vertreters, der anstelle der allein sachbearbeitenden Bevollmächtigten des Beklagten die Berufungsbegründung hätte fertigen können, kam wegen der Unvorhersehbarkeit der Erkrankung ersichtlich nicht in Betracht (vgl. Sen.Beschl. v. 26. Februar 1996 - II ZB 7/95, NJW 1996, 1540, 1541; BGH, Beschl. v. 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571, 3572 m.w.Nachw.). Angesichts dieser Umstände hat sie mit dem Fristverlängerungsantrag eine Maßnahme getroffen, zu der sie im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand schon nicht verpflichtet war. Allein deshalb kann ihr der dabei nach der nicht hinreichend differenzierenden Meinung des Berufungsgerichts aufgetretene Fehler nicht angelastet werden (BGH, Beschl. v. 26. November 1997 - XII ZB 150/97, NJW-RR 1998, 639 m.w.Nachw.).