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BGH Beschluss vom 01.07.2002 - II ZB 11/01 - Zu einem Organisationsmangel und zu Einzelanweisungen - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

BGH v. 01.07.2002: Zu einem Organisationsmangel und zu Einzelanweisungen - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Der BGH (Beschluss vom 01.07.2002 - II ZB 11/01) hat entschieden:
Auf allgemeine organisatorische Anordnungen zur Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es nicht an, wenn der Anwalt eine Angestellte mit der Telefaxübermittlung eines eilbedürftigen Schriftsatzes konkret beauftragt und sich über die Ausführung des Auftrags durch Nachfrage vergewissert. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Angestellte zusätzlich allgemein angewiesen ist, die Telefaxübermittlung jeweils anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts zu kontrollieren.


Siehe auch Fristenkontrolle undWiedereinsetzung


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt (in einem gesellschaftsrechtlichen Rechtsstreit) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist (§ 516 a.F. ZPO), die am 21. März 2001 abgelaufen ist. Das Original seiner Berufungsschrift vom 20. März 2001, das am 22. März 2001 bei dem Berufungsgericht einging, enthält den Hinweis auf ein (angeblich) vorab versandtes Telefax, über dessen Nichteingang die Geschäftsstelle den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. März 2001 informierte. Der Kläger hat zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs, das am 5. April 2001 einging, vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift am 20. März 2001 seiner Büroleiterin unter Hinweis auf den bevorstehenden Fristablauf mit der Bitte übergeben, den Schriftsatz vorab per Fax an das Oberlandesgericht zu übermitteln und ihn anschließend beim täglichen Gerichtsgang dort abzugeben. Alle Mitarbeiter der Kanzlei seien angewiesen, ausgehende Telefaxe auf ordnungsgemäße Übersendung anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen und dieses dem Schriftsatz beizuheften. Die Büroleiterin sei zwar erst seit Januar 2001 in dieser Kanzlei, davor aber in einer anderen Anwaltskanzlei tätig gewesen und ihren Aufgaben stets zuverlässig und gewissenhaft nachgekommen, wie sich auch aus dem Zeugnis ihres früheren Arbeitgebers (des Prozessbevollmächtigten des Beklagten) ergebe. Hinzu komme, dass sie dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20. März 2001 auf nochmalige Nachfrage erklärt habe, dass das Telefax übermittelt worden sei. Tatsächlich habe sie - entsprechend ihrer eidesstattlichen Versicherung - den Schriftsatz in das Faxgerät eingelegt und die Nummer des Oberlandesgerichts eingegeben, sich dann aber wegen eines Telefonats kurz entfernen müssen. Bei ihrer Rückkehr habe sie einen Sendebericht vorgefunden und zu den Akten genommen, den sie entgegen ihrer Übung nicht genau nachgeprüft habe, so dass ihr nicht aufgefallen sei, dass offenbar eine Kollegin inzwischen das Faxgerät benutzt und den dafür erstellten Sendebericht liegengelassen habe. Sie wisse nicht, wie es dazu habe kommen können. Ihr sei so etwas noch nie passiert; sie sei immer darauf bedacht, alles akkurat und sofort zu erledigen. Am Abend habe sie dann, wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers weiter ausführt, das Original des Schriftsatzes versehentlich nicht zu den für den Gerichtsgang, sondern zu den für den Postversand bestimmten Schriftsätzen gegeben.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs als unzulässig verworfen, weil der Kläger eine wirksame Ausgangskontrolle in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten nicht dargetan, insbesondere nicht vorgetragen habe, dass das Kanzleipersonal angewiesen worden sei, die im Fristenkalender einzutragende Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen, um sicherzustellen, dass die Nichterledigung einer Fristsache bei der vor Büroschluss durchzuführenden Kontrolle des Fristenkalenders noch rechtzeitig bemerkt werde. Ein weiterer Organisationsmangel liege darin, dass keine Vorkehrungen gegen die alternierende Benutzung des Faxgerätes durch zwei Kanzleiangestellte, wie hier, getroffen worden seien.


II.

Die gemäß §§ 519 b Abs. 2, 577 Abs. 2 ZPO a.F. zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

1. Das Berufungsgericht übersieht, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO a.F.) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. Sen.Beschl. v. 2. Juli 2001 - II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; BGH, Beschl. v. 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823). So liegt der Fall hier, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Büroleiterin auf den bevorstehenden Fristablauf hingewiesen und ihr die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax sowie durch Abgabe bei dem Oberlandesgericht konkret aufgetragen hatte. Da darüber hinaus - nach den glaubhaft gemachten Angaben des Klägers - in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten die allgemeine Anweisung bestand und praktiziert wurde, die ordnungsgemäße Faxübermittlung anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen und dieses dem Schriftstück beizuheften, brauchte der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierauf nicht nochmals hinzuweisen. Die grundsätzliche Verpflichtung eines Anwalts, durch allgemeine Anweisung eine Ausgangskontrolle bei Telefaxen in der von dem Berufungsgericht dargestellten Weise zu gewährleisten (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 19. November 1997 - VIII ZB 33/97, VersR 1998, 607; v. 16. Juni 1998 - XI ZB 13 u. 14/98, VersR 1999, 996), wurde im vorliegenden Fall schon dadurch ersetzt, dass der Prozessbevollmächtigte sich durch konkrete Nachfrage über die Ausführung des speziellen Auftrags vergewissert hat, wozu er an sich nicht verpflichtet gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Juli 2000 aaO). Auf das Ergebnis dieser konkreten Ausgangskontrolle durfte der Prozessbevollmächtigte sich verlassen. Mit dem vorliegenden Zusammentreffen unglücklicher Umstände musste er nicht rechnen. Er hat die Zuverlässigkeit seines Personals in der Behandlung von Fristsachen gemäß der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwachung, wie sie die Beschwerdegegnerin gegenüber einer neu eingestellten Büroleiterin fordert, hätte sich hier nicht auswirken können, weil es sich um das erstmalige Versagen einer Angestellten handelte, der "so etwas noch nie passiert ist". Da einer Partei nur ein Eigenverschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung im Rahmen des § 233 ZPO zuzurechnen ist und die Faxübermittlung eines Schriftsatzes, die der Prozessbevollmächtigte des Klägers als gesichert ansehen durfte, zur Fristwahrung grundsätzlich ausreicht, können dem Kläger auch daraus keine Nachteile erwachsen, dass die Angestellte seines Anwalts dessen überobligationsmäßiger Anweisung, den Originalschriftsatz ebenfalls fristgerecht zu übermitteln, nicht nachgekommen ist.

2. Ebensowenig liegt - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - ein Organisationsverschulden des Anwalts darin, dass er seinem Personal nicht durch generelle Anweisung untersagt hat, die von einem Mitarbeiter in das Faxgerät eingelegten Schriftstücke zwecks Versendung eines anderen Schriftstücks zu entnehmen, bevor die Übermittlung der zuerst eingelegten Schriftstücke gewährleistet ist. Abgesehen davon, dass ein Anwalt nicht Vorsorge für alle irgendwie denkbaren Eventualitäten treffen kann und muss, wird einem Kontrollverlust bei alternierender Benutzung des Faxgerätes bereits durch die allgemeine Anweisung entgegengewirkt, dass jeder Mitarbeiter den Erfolg der von ihm vorzunehmenden Faxübermittlungen anhand des Sendeberichts zu überprüfen und diesen dem zugehörigen Schriftsatz beizuheften hat. Bei Befolgung dieser Anweisung hätte es zu dem Versäumnis nicht kommen können, das dem Kläger daher nicht zuzurechnen ist.

3. Da sonach dem Kläger Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren ist, ist die Verwerfung der Berufung durch das Oberlandesgericht gegenstandslos (vgl. Sen.Beschl. v. 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, NJW 2000, 3284/86). Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin hat der Kläger die Berufung mit Schriftsatz vom 23. Mai 2001 rechtzeitig (innerhalb der durch Verfügung vom 19. April 2001 verlängerten Begründungsfrist) begründet.