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BGH Beschluss vom 11.01.2011 - VIII ZB 44/10 - Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Störung des Faxversands

BGH v. 11.01.2011: Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei vermeintlichen Empfangsstörungen des gerichtlichen Fax-Empfangsgerätes


Der BGH (Beschluss vom 11.01.2011 - VIII ZB 44/10) hat entschieden:
  1. Grundsätzlich gilt, dass die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze durch Telefax in allen Gerichtszweigen zulässig ist. Wird dieser Übermittlungsweg durch ein Gericht eröffnet, dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Das gilt im Besonderen für Störungen des Empfangsgeräts im Gericht.

  2. Dem Absender eines Telefax angezeigte Störungen des Übermittlungsvorgangs dürfen nicht vorschnell dem Empfangsgerät des Gerichts zugeschrieben werden. Vielmehr ist der Absender gehalten, den ihm erkennbar gewordenen Übermittlungsfehler bis zum Fristablauf zu beheben und zumindest weitere Übermittlungsversuche zu unternehmen, um auszuschließen, dass die Übermittlungsschwierigkeiten in seinem Bereich liegen. Bloße Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Empfangsgerätes können ihn insoweit nicht im Sinne von § 233 ZPO entlasten. Das gilt insbesondere dann, wenn der Absender nicht sicher sein kann, ob die Übermittlungsschwierigkeiten darauf beruhen, dass das Empfangsgerät des Gerichts durch andere eingehende Sendungen belegt ist. Denn dies ist ein Umstand, dem er zur Vermeidung eines Verschuldensvorwurfs durch geeignete Vorkehrungen, insbesondere durch Einplanung einer gewissen Zeitreserve, Rechnung tragen muss, um gegebenenfalls durch Wiederholung der Übermittlungsvorgänge einen Zugang des zu übermittelnden Schriftsatzes bis zum Fristablauf zu gewährleisten.

Siehe auch Fax - Telefaxschreiben - Schriftform - Textform - faksimilierte und aufgedruckte Unterschriften und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Gründe:

I.

Der Kläger, der zusammen mit der Drittwiderbeklagten Mieter einer Wohnung der Beklagten in K. ist, verlangt von den Beklagten die Folgen eines in der gemieteten Wohnung eingetretenen Wasserschadens ersetzt. Das Amtsgericht hat seine Klage durch ihm am 2. Januar 2010 zugestelltes Urteil abgewiesen. Seine dagegen gerichtete Berufung ist am 6. Februar 2010 bei dem Landgericht eingegangen. Zur Begründung des gleichzeitig eingereichten Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist hat der Kläger geltend gemacht:

Seine Prozessbevollmächtigte habe am Abend des 2. Februar 2010 die Berufungsschrift gefertigt und dreimal, nämlich um 20:46 Uhr, 20:59 Uhr und 23:40 Uhr, an das Landgericht unter dessen Telefaxnummer zu übermitteln versucht. Die von ihr verwendeten Sendegeräte hätten jeweils beanstandungsfrei funktioniert, nicht dagegen das Empfangsgerät des Landgerichts, das jeweils nur ein Freizeichen ausgesandt habe und aus ihr nicht bekannter Ursache nicht empfangsbereit gewesen sei. Ihre Sendeprotokolle, deren aufgedruckte Anfangszeit allerdings der tatsächlichen Anfangszeit um eine Stunde voraus gewesen sei, hätten die Sendeversuche jeweils mit dem Bemerken "Besetzt/Keine Antw." als nicht erfolgreich abgeschlossen protokolliert, so dass das Landgericht für sie unter der angegebenen Telefaxnummer bis zum Fristablauf nicht zu erreichen gewesen sei.

Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen, weil die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht glaubhaft gemacht habe, dass die Übertragung der von ihr gefertigten Berufungsschrift an einer Fehlfunktion der Faxgeräte des Landgerichts gescheitert sei. Ebenso sei es denkbar, dass zu den jeweiligen Übertragungszeitpunkten sämtliche Leitungen belegt gewesen seien, womit die Prozessbevollmächtigte habe rechnen müssen. Sie habe den Übertragungsvorgang deshalb angesichts des unmittelbar bevorstehenden Fristablaufs rechtzeitig beginnen müssen und ihn nicht vorzeitig abbrechen dürfen. Die von ihr unternommenen zwei oder - wenn man entgegen der Uhrzeitangabe in den Faxprotokollen von einem weiteren Übermittlungsversuch vor Fristablauf ausgehe - drei Übermittlungsversuche hätten diesen Anforderungen nicht genügt.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.


II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung ist aus nachstehenden Gründen unter Verletzung des Verfahrensgrundrechts des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ergangen und verletzt zugleich dessen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), weil sie in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise die Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes überspannt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2009 - VIII ZB 97/08, NJW-RR 2010, 998 Rn. 8 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Es kann allerdings dahinstehen, ob der angefochtene Beschluss schon deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil er - wie die Rechtsbeschwerde rügt - nicht ausreichend mit Gründen versehen ist. Denn soweit das Berufungsgericht sich in den Gründen seines Beschlusses mit der darin wiedergegebenen Begründung des Wiedereinsetzungsantrags auseinandergesetzt hat, unterliegt die angefochtene Entscheidung auch deshalb der Aufhebung, weil das Berufungsgericht - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht - bei der Zurückweisung des Antrages einen wesentlichen Umstand in den Darlegungen des Klägers zu einer nicht in seine Risikosphäre fallenden Ursache für die gestörte Telefaxübermittlung übergangen hat.

a) Grundsätzlich gilt, dass die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze durch Telefax in allen Gerichtszweigen zulässig ist. Wird dieser Übermittlungsweg - wie hier - durch ein Gericht eröffnet, dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Das gilt im Besonderen für Störungen des Empfangsgeräts im Gericht. Denn in diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts. Der Nutzer hat vielmehr mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss zum Fristablauf - hier bis 24.00 Uhr des 2. Februar 2010 - zu rechnen ist (BVerfG, NJW 2006, 829; BGH, Beschlüsse vom 9. November 2004 - X ZA 5/04, juris unter II; vom 30. September 2003 - X ZB 48/02, NJW-RR 2004, 283 unter II 2 c; vom 30. Oktober 1996 - XII ZB 140/96, NJW-RR 1997, 250 unter II; jeweils mwN).

Allerdings dürfen - wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt richtig gesehen hat - dem Absender angezeigte Störungen des Übermittlungsvorgangs nicht vorschnell dem Empfangsgerät des Gerichts zugeschrieben werden. Vielmehr ist der Absender gehalten, den ihm erkennbar gewordenen Übermittlungsfehler bis zum Fristablauf zu beheben und zumindest weitere Übermittlungsversuche zu unternehmen, um auszuschließen, dass die Übermittlungsschwierigkeiten in seinem Bereich liegen. Bloße Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Empfangsgerätes können ihn insoweit nicht im Sinne von § 233 ZPO entlasten (BVerfG, aaO). Das gilt insbesondere dann, wenn der Absender nicht sicher sein kann, ob die Übermittlungsschwierigkeiten darauf beruhen, dass das Empfangsgerät des Gerichts durch andere eingehende Sendungen belegt ist. Denn dies ist ein Umstand, dem er zur Vermeidung eines Verschuldensvorwurfs durch geeignete Vorkehrungen, insbesondere durch Einplanung einer gewissen Zeitreserve, Rechnung tragen muss, um gegebenenfalls durch Wiederholung der Übermittlungsvorgänge einen Zugang des zu übermittelnden Schriftsatzes bis zum Fristablauf zu gewährleisten. Es gereicht ihm deshalb zum Verschulden, wenn er unter diesen Voraussetzungen den Übermittlungsvorgang nicht rechtzeitig beginnt oder seine Übermittlungsversuche vorschnell aufgibt und die für ihn nicht aufklärbare Ursache der Übermittlungsschwierigkeiten dem Empfangsgericht zuschreibt (BVerfG, aaO; NJW 2006, 1505, 1506; NJW 2007, 2838; ebenso auch BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - IX ZB 41/08, NJW-RR 2009, 357 Rn. 11).

b) Hiervon geht auch das Berufungsgericht aus, wenn es der Prozessbevollmächtigten des Klägers als ein diesem gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden anlastet, dass sie ihre Versuche zur fristwahrenden Übermittlung der Berufungsschrift nicht im erforderlichen Maße wiederholt habe. Die Wertung des Berufungsgerichts, angesichts des in den Sendeprotokollen verzeichneten Übermittlungsergebnisses "Besetzt/Keine Antw." sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Übertragung an einer Fehlfunktion der Faxgeräte des Landgerichts gescheitert sei, vielmehr sei ebenso eine Belegung sämtlicher Leitungen zu den jeweiligen Übertragungszeitpunkten denkbar, übergeht jedoch - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist - das an Eides Statt versicherte Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Klägers, wonach das Empfangsgerät bei den Übermittlungsversuchen Freizeichen ausgesendet habe und gleichwohl nicht empfangsbereit gewesen sei. Unter Berücksichtigung dessen, dass dieser Umstand außerhalb der Wahrnehmungssphäre des Klägers liegt und von ihm deshalb nicht näher aufgeklärt werden kann, hätte das Berufungsgericht über dieses erhebliche Vorbringen nicht hinweggehen dürfen, sondern ihm nachgehen und sich zumindest einen Ausdruck aus dem Journal der auf Empfängerseite im fraglichen Zeitraum für den benutzten Telefaxanschluss eingesetzten Telefaxgeräte vorlegen lassen müssen, um daraus weitere Aufschlüsse über die vom Kläger behaupteten Funktionsstörungen zu gewinnen (vgl. etwa BVerfG, NJW 2006, 1505, 1506; BGH, Beschlüsse vom 10. November 1994 - IX ZB 67/94, NJW-RR 1995, 442 unter II 2; vom 18. März 1998 - XII ZB 144/97, juris Rn. 6).


III.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann nach alledem keinen Bestand haben. Da es weiterer tatsächlicher Aufklärung bedarf, ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).