Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Beschluss vom 24.11.2009 - VI ZB 36/09 - Zur fehlenden Unterschrift des Prozessbevollmächtigten auf der per Telefax übermittelten Berufungsschrift

BGH v. 24.11.2009: Zur fehlenden Unterschrift des Prozessbevollmächtigten auf der per Telefax übermittelten Berufungsschrift


Der BGH (Beschluss vom 24.11.2009 - VI ZB 36/09) hat entschieden:
Die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz muss die Unterschrift des für sie verantwortlich Zeichnenden tragen. Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Denn das Erfordernis der Schriftlichkeit ist kein Selbstzweck. Wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, kann das Fehlen einer Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein. Mit Rücksicht darauf ist allgemein anerkannt, dass der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden kann, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist. Dies gilt auch bei der Einreichung der Berufungsschrift per Telefax.


Siehe auch Fax - Telefaxschreiben - Schriftform - Textform und Rechtsmittel - insbesondere Berufung - in Zivilsachen und Fristversäumung


Gründe:

I.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 18. Dezember 2008, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 29. Dezember 2008, die Klage abgewiesen. Am 27. Januar 2009 sind die erste Seite einer zweiseitigen Berufungsschrift, zwei einfache und zwei beglaubigte Abschriften der Berufungsschrift sowie das erstinstanzliche Urteil per Telefax beim Kammergericht eingegangen. Die Berufungsschrift ist vom Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht unterzeichnet worden. Die erste Seite der Berufungsschrift enthält die Überschrift "Berufung", die Bezeichnung der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten sowie die Angabe des Urteils erster Instanz mit Aktenzeichen und Zustellungsdatum. Die beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift trägt auf der ersten Seite in der Mitte am rechten Rand den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterschriebenen Beglaubigungsvermerk. Dort steht: "Beglaubigt zwecks Zustellung". Es folgen darunter der handschriftliche Namenszug des Prozessbevollmächtigten und die Bezeichnung "Rechtsanwalt". Auf richterlichen Hinweis vom 5. Februar 2009 hat der Kläger am 13. Februar 2009 per Telefax erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Wiedereinsetzung hat der Kläger vorgetragen, dass die den Faxversand durchführende Mitarbeiterin nicht bemerkt habe, dass die zweite Seite der Berufungsschrift nicht übermittelt worden sei. Es sei ihr nicht aufgefallen, dass statt der zu sendenden 20 Seiten nur 19 Seiten gesendet worden seien. Angesichts der "Ok"-Meldung auf dem Übertragungsprotokoll habe sie sich auf den vollständigen Versand verlassen. Die Mitarbeiterin arbeite seit Jahren zuverlässig. Üblicherweise werde bei Faxsendungen die Anzahl der zu sendenden Seiten mit dem Sendeprotokoll abgeglichen. Es handle sich deshalb um ein bislang noch nicht aufgetretenes Versehen der Mitarbeiterin.

Das Kammergericht hat die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist nicht gewährt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht begehrt.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, denn die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in entscheidungserheblicher Weise in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit zugleich auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.

a) Das Kammergericht hat die Berufung für unzulässig gehalten, weil die eingereichte Berufungsschrift entgegen § 519 ZPO nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterschrieben sei. Zwar könne eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift, die der Rechtsanwalt unterzeichnet habe, die fehlende Unterschrift auf der Urschrift ersetzen. Auch in diesem Fall dürfe jedoch zum Zeitpunkt des Fristablaufs kein Zweifel mehr möglich sein, dass der bestimmende Schriftsatz von dem Unterschriftsleistenden herrührt, so dass die Rechtssicherheit nicht in Frage gestellt sei. Der unterschriebene Beglaubigungsvermerk auf der ersten Seite der Abschrift lasse aber nicht erkennen, ob der Schriftsatz in seiner Gesamtheit von dem unterzeichneten Rechtsanwalt stamme und von ihm kontrolliert worden sei. Dies führe bei Gericht und beim Rechtsmittelgegner zu einer Unklarheit und Unsicherheit der Rechtslage, die dem Rechtsmittelbeklagten nicht zugemutet werden könne. Es sei deshalb im Interesse der Rechtssicherheit zu fordern, dass eine Unterzeichnung den Inhalt der Klärung räumlich decken, d.h. hinter oder unter dem Text stehen müsse.

b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

aa) Im Ansatz zutreffend ist das Kammergericht allerdings davon ausgegangen, dass die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz die Unterschrift des für sie verantwortlich Zeichnenden tragen muss. Die Unterschrift ist grundsätzlich Wirksamkeitserfordernis. Sie soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Durch die Unterschrift soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift von einem dazu Bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - VI ZB 75/04 - VersR 2006, 387; vom 15. Juni 2004 - VI ZB 9/04 - VersR 2005, 136, 137 zum Fall der fehlenden Unterzeichnung einer Berufungsbegründung; ebenso BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086, 2088 m.w.N.; Beschlüsse vom 2. April 2008 - XII ZB 120/06 - NJW-RR 2008, 1020 f. und vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508).

Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Denn das Erfordernis der Schriftlichkeit ist kein Selbstzweck. Wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, kann das Fehlen einer Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein. Diese Beurteilung trägt dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie ihren Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung, die es verbieten, den Zugang zur jeweiligen nächsten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228, 234). An die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens dürfen deshalb keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086, 2088).

Mit Rücksicht darauf ist allgemein anerkannt, dass der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden kann, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (BGHZ 24, 179, 180; Beschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 120/06 - aaO, 1021).

bb) Zwar stellt das Berufungsgericht diese Grundsätze nicht in Frage. Jedoch überspannt es die Anforderungen an den Inhalt der Berufungsschrift und den Nachweis für deren Urheberschaft. Bei Würdigung der Umstände des Streitfalls konnte unter den Beteiligten des Rechtsstreits weder eine Unklarheit noch eine Unsicherheit der Rechtslage trotz der fehlenden zweiten Seite der Berufungsschrift mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers entstehen.

Dem Berufungsgericht ist zuzugeben, dass bei Ersetzung der fehlenden Unterschrift auf der Urschrift durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift, die der Rechtsanwalt unterzeichnet hat, die Unterzeichnung den Inhalt der Erklärung räumlich decken, d.h. hinter oder unter dem Text stehen muss (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 9/04 - NJW-RR 2004, 1364). Das Fehlen der Unterschrift kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise unschädlich sein, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - aaO, m.w.N.).

Im Streitfall finden sich die nach § 519 Abs. 2 ZPO notwendigen Angaben für die Berufungsschrift bereits auf der ersten Seite des Schriftsatzes, der an das Berufungsgericht gefaxt worden ist. Weitere Angaben sind zur Einlegung der Berufung nicht erforderlich und auch nicht üblich. Dementsprechend wird auf Seite 2 des Schriftsatzes lediglich in Worten noch einmal wiederholt, was sich bereits aus der Seite 1 unzweifelhaft ergibt. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Verantwortung hierfür übernehmen wollte, ist hinreichend bewiesen durch die Unterschrift unter dem Beglaubigungsvermerk. War somit im Streitfall eine Unklarheit und Unsicherheit der Rechtslage, die dem Rechtsmittelgericht und dem Rechtsmittelbeklagten nicht zugemutet werden könnte, nicht gegeben, ist die Berufung per Telefax am 27. Januar 2009 fristgerecht eingelegt worden.

c) Ob im Übrigen von einer hinreichenden Ausgangskontrolle des Prozessbevollmächtigten auszugehen wäre und zur Beurteilung insoweit auch die zusätzliche Begründung in der Rechtsbeschwerde herangezogen werden könnte (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 9/04 - aaO, 1365), muss somit nicht entschieden werden.

3. Die Verwerfung der Berufung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO), weil die Berufung mit Schriftsatz vom 30. März 2009 (Montag) fristgerecht begründet worden ist. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache an das Kammergericht zurückzuverweisen.