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BGH Beschluss vom 09.09.2008 - VI ZB 8/08 - Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unzutreffenden Angaben über die Berufungsfrist in der Handakte des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten

BGH v. 09.09.2008: Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unzutreffenden Angaben über die Berufungsfrist in der Handakte des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten


Der BGH (Beschluss vom 09.09.2008 - VI ZB 8/08) hat entschieden:
Befindet sich in den Handakten des Rechtsanwalts ein Schreiben des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit einer unzutreffenden Angabe des Ablaufs der Berufungsfrist, darf der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte die Berechnung der Berufungsfrist seinem Büropersonal nicht ohne einen deutlichen Hinweis auf die falsche Fristberechnung zur selbstständigen Erledigung überlassen.


Siehe auch Fristenkontrolle und Fristennotierung in der Anwaltskanzlei und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Gründe:

I.

Die Kläger nehmen die Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalls auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 31. Oktober 2007 zugestellt worden. Am 3. Dezember 2007 haben die Kläger Berufung eingelegt. Auf Hinweis des Gerichts vom 12. Dezember 2007, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei, haben die Kläger am 18. Dezember 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hätten den Klägern unter dem 1. November 2007 mitgeteilt, dass gegen das landgerichtliche Urteil bis zum 3. Dezember 2007 Berufung eingelegt werden könne. Ein entsprechendes Schreiben habe sich in den Handakten befunden, die den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 16. November 2007 zugegangen seien. Nach deren Eingang habe Rechtsanwalt H. die Akte der Bürovorsteherin der Kanzlei, Frau K., mit dem Vermerk "Fr. K., Zustellung 31. Oktober 2007® B-Frist notieren!" übergeben. Frau K. habe das in dem Schreiben der erstinstanzlichen Rechtsanwälte genannte Datum für zutreffend gehalten und demgemäß im Fristenkalender die Berufungsfrist auf den 3. Dezember 2007 notiert. An diesem Tag sei die Akte Rechtsanwalt H. erstmals wieder vorgelegt worden.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Versäumung der Berufungsfrist sei nicht unverschuldet erfolgt. Die Kläger müssten sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Der den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten unterlaufene Fehler sei von den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nicht korrigiert worden, obwohl für sie die falsche Berechnung der Berufungsfrist aus der Handakte ersichtlich gewesen sei. Die Akte hätte nicht - wie geschehen - allein mit dem Vermerk des Zustellungsdatums der Bürovorsteherin zur Notierung der Berufungsfrist übergeben werden dürfen. Zwar dürfe ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine erfahrene Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine Frist korrekt berechne. Hier habe aber die Besonderheit bestanden, dass das unrichtige Datum des Fristablaufs - auch für die Büroangestellte erkennbar - in dem bei der Akte befindlichen Schreiben eines Rechtsanwalts genannt gewesen sei. Unter diesen besonderen Umständen hätte Rechtsanwalt H. entweder Frau K. auf die fehlerhafte Fristberechnung hinweisen oder aber die Berufungsfrist selbst berechnen müssen.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde, die sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen grundsätzlicher Bedeutung für zulässig erachten (§ 574 Abs. 2 ZPO).


II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO).

1. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Kläger zu Recht zurückgewiesen. Die Kläger waren nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (vgl. § 233 ZPO). Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, das sie sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen. Angesichts der erkennbar unzutreffenden Berechnung der Berufungsfrist durch die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger genügte es nicht, der Bürovorsteherin die Akte mit dem Vermerk "Fr. K., Zustellung 31. Oktober 2007® B-Frist notieren!" zu übergeben. Vielmehr musste unter diesen besonderen Umständen Vorsorge dagegen getroffen werden, dass sich der aus den übersandten Akten ergebende Fehler der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten fortsetzte. Die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hätten deshalb entweder die Bürovorsteherin auf die falsche Berechnung aufmerksam machen oder aber das richtige Datum des Fristablaufs (30. November 2007) selbst ermitteln und notieren müssen.

Darin liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine Überspannung der Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtsanwalt zwar die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsangelegenheiten, die in seiner Praxis häufig vorkommen, seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen, wenn die Berechnung der Fristen keine rechtlichen Schwierigkeiten macht (BGHZ 43, 148; Senatsbeschluss vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01 - VersR 2001, 1133, 1134 m.w.N.). Andererseits muss der Rechtsanwalt durch geeignete Anweisungen sicherstellen, dass ihm die Feststellung des Beginns und des Endes der Fristen in den Fällen vorbehalten bleibt, die in seiner Praxis ungewöhnlich sind oder bei deren Berechnung Schwierigkeiten auftreten können (BGHZ 43, 148, 153; BGH, Beschluss vom 2. April 2003 - VIII ZB 117/02 - NJW-RR 2003, 1211), denn die eigene Sorgfaltspflicht des Anwalts erhöht sich bei Vorliegen besonderer Umstände, die eine erhöhte Gefahr für den reibungslosen Ablauf des Kanzleibetriebs darstellen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 233, Rn. 23, Stichwort: "Büropersonal und -organisation"). Ein solcher Fall war vorliegend gegeben, weil aufgrund der in den Handakten dokumentierten falschen Fristberechnung der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das Risiko bestand, dass die Bürovorsteherin der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das unrichtige Datum des Fristablaufs ohne eigene Prüfung übernehmen könnte. Dem hätte Rechtsanwalt H. durch eine eigene Fristberechnung oder aber durch eine klare Einzelanweisung gegenüber Frau K. in Verbindung mit einem deutlichen Hinweis auf die falsche Fristberechnung erfolgreich entgegenwirken können und müssen.

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wirft die Sache auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Die Frage, ob ein Rechtsanwalt sich bei erstmaliger Vorlage der Akten darüber vergewissern muss, ob der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte die Rechtsmittelfrist in den Handakten dokumentiert und richtig berechnet hat, bedarf keiner weiteren Klärung. Ein Rechtsanwalt hat die ihm übersandten Akten unverzüglich selbst auf laufende Fristen zu überprüfen (vgl. BVerfG VersR 2000, 1432, 1433; BGH, Beschluss vom 27. Februar 1997 - I ZB 50/96 - VersR 1997, 767, 768). Auf Angaben des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten darf er sich jedenfalls dann nicht verlassen, wenn er anhand der Akten die Frist selbst nachprüfen kann (Zöller/Greger, aaO, Stichwort: "Fristenbehandlung").

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.