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BGH Urteil vom 19.02.1991 - VI ZR 165/90 - Zur Beendigung der Verjährungshemmung bei Verweigerung der Fortsetzung von Vergleichsverhandlungen

BGH v. 19.02.1991: Zur Beendigung der Verjährungshemmung bei Verweigerung der Fortsetzung von Vergleichsverhandlungen


Der BGH (Urteil vom 19.02.1991 - VI ZR 165/90) hat entschieden:
Zur Beendigung einer Hemmung der Verjährung durch Verweigerung der Fortsetzung von Verhandlungen über zu leistenden Schadensersatz.


Siehe auch Verjährung in Zivilsachen und Stichwörter zum Thema Personenschaden


Tatbestand:

Die Beklagte, ein in Österreich ansässiges Unternehmen, ist Herstellerin einer Flaschenspül- und Abfüllanlage, die der Kläger, ein Winzer, im Herbst 1979 über den Händler S. aus L. erworben hat und die in seinem Betrieb in der Zeit vom 25. bis 28. Februar 1980 aufgestellt worden ist.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 1980 rügte der Kläger gegenüber S. Mängel an der Transporteinrichtung und SO2-Einspritzung der Anlage. Dieser leitete das Schreiben an die Beklagte weiter. Daraufhin ließ die Beklagte im Beisein eines Mitarbeiters der Firma S. die Anlage überprüfen. Der Mangel an der Transporteinrichtung wurde im Anschluss daran durch Einbau einer neukonstruierten Transportkette endgültig beseitigt, die unzureichende SO2-Einspritzung erst einige Monate später durch Austausch der Hubkolben in dem SO2-Einspritzzylinder. Seitdem arbeitet die Anlage einwandfrei.

Der Kläger hat behauptet, bei 107.301 mit dieser Anlage gereinigten und mit Wein befüllten Flaschen sei es infolge unzureichender Sterilisierung, die wiederum auf die konstruktiven Mängel der Transporteinrichtung und der SO2-Einspritzvorrichtung zurückzuführen sei, zu einer Nachgärung gekommen. Die Beseitigung der Nachgärung nebst Folge- und Gutachterkosten habe einen finanziellen Aufwand von rund 65.000 DM verursacht.

Der Kläger nahm wegen des ihm entstandenen Schadens zunächst seinen Lieferanten S. vor dem Amtsgericht L. auf Leistung von Schadensersatz in Anspruch. In diesem Rechtsstreit trat die Beklagte, nachdem S. ihr den Streit verkündet hatte, diesem als Streithelferin bei. Das Amtsgericht gab jener Klage statt. Hiergegen legten sowohl S. als auch die Beklagte Berufung ein. Auf Vorschlag des Gerichts schlossen der Kläger und die Beklagte dann am 17. September 1985 unter Widerrufsvorbehalt einen Vergleich, wonach letztere an den Kläger 50.000 DM zahlen sollte. Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 1985 widerrief die Beklagte diesen Vergleich. Das Landgericht wies daraufhin die Klage ab, da dem Kläger gegen seinen Lieferanten keine vertraglichen Schadensersatzansprüche zustünden und für die "eindeutigen konstruktiven Mängel" der von der jetzigen Beklagten hergestellten Anlage der Zwischenlieferant S. nicht verantwortlich gemacht werden könne.

Daraufhin erhob der Kläger gegen die Beklagte zunächst vor dem Amtsgericht C. Klage auf Ersatz der Lohnkosten für das Aufziehen der Weinflaschen in Höhe von 4.647,25 DM nebst Zinsen. Diese Klage hatte Erfolg. Die Beklagte legte gegen das Urteil kein Rechtsmittel ein.

Am 5. März 1988 hat der Kläger dann die vorliegende Klage bei dem Landgericht eingereicht und damit weiteren Schadensersatz in Höhe von 58.955,22 DM nebst Zinsen verlangt. Die Klage ist der Beklagten am 13. Mai 1988 in Österreich zugestellt worden.

Die Beklagte hat sich auf Verjährung berufen.

Das Landgericht hat auch dieser Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält etwaige Ansprüche des Klägers für verjährt.

Es unterstellt dabei die Behauptung des Klägers, in dem Vorprozess gegen den Lieferanten S. sei mit der Beklagten im Termin vom 13. Januar 1984 abgesprochen worden, dass nach Vorlage des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens eine vergleichsweise Regelung angestrebt werden solle. Die Verhandlungen der Parteien einschließlich der Verhandlungen des Lieferanten S. mit der Beklagten sind nach Auffassung des Berufungsgerichts aber spätestens im April 1984 abgebrochen worden. Im Termin vom 4. April 1984 sei nämlich der zunächst beabsichtigte Vergleich nicht abgeschlossen, sondern streitig verhandelt worden. Mit Schreiben vom 9. April 1984 habe der Prozessbevollmächtigte von S. dem Kläger dann mitgeteilt, die Beklagte leugne einen Konstruktionsfehler und sei deshalb nicht zum Abschluss eines Vergleiches bereit gewesen. Abgesehen von dem auf Vorschlag des Gerichts im zweiten Rechtszug abgeschlossenen Widerrufsvergleich, dem keine vorbereitenden Handlungen der Parteien vorausgegangen seien, hätten in der Folgezeit keine Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien stattgefunden. Daraus folge, dass der Lauf der Verjährungsfrist selbst wenn man dem Kläger nach der Ablehnung des Vergleichsabschlusses im April 1984 noch eine Überlegungsfrist von drei Monaten einräume, spätestens im August 1984 begonnen habe. Damit sei bei Einreichung der vorliegenden Klage am 5. März 1988 die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB abgelaufen gewesen.

Der Erhebung der Einrede der Verjährung steht nach Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.


II.

Das Berufungsurteil hält gegenüber den Angriffen der Revision einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass durch die von dem Kläger behauptete Vereinbarung vom 13. Januar 1984 die Verjährung gemäß § 852 Abs. 2 BGB gehemmt worden sein kann. Eine Vereinbarung des Inhalts, wie sie nach der Behauptung des Klägers getroffen worden sein soll, dass nämlich nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens eine vergleichsweise Regelung der Haftungsfrage angestrebt werden solle, spricht dafür, dass seit Abschluss dieser Vereinbarung zwischen den Parteien über den etwa zu leistenden Schadensersatz Verhandlungen im Sinne des § 852 Abs. 2 BGB geschwebt haben, deren Ergebnis davon abhängig sein sollte, ob der Sachverständige die Behauptung des Klägers bestätigen werde, dass die Flaschenspül- und Abfüllanlage mit konstruktionsbedingten Mängeln behaftet gewesen sei.

2. Die Revision rügt aber mit Recht, dass das Berufungsgericht nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien nicht zu dem Ergebnis gelangen durfte, die Verhandlungen seien spätestens seit Mai 1984 abgebrochen worden. Das Berufungsgericht entnimmt dies dem Hinweis in dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Lieferanten S. vom 9. April 1984, die Beklagte leugne einen Konstruktionsmangel und sei deswegen nicht zum Abschluss des Vergleiches bereit gewesen. Auf den Wortlaut dieses Schreibens allein konnte das Berufungsgericht seine Auffassung nicht stützen.

Voraussetzung für das Schweben von "Verhandlungen" über den zu leistenden Schadensersatz ist nicht, wie das Berufungsgericht möglicherweise meint, dass der Schuldner bzw. sein Haftpflichtversicherer damit eine Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert. Es genügt jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall, wenn und solange nicht erkennbar die Verhandlungen über die Ersatzpflicht oder jeglicher Ersatz abgelehnt werden (BGHZ 93, 64, 67; Senatsurteil vom 26. Januar 1988 - VI ZR 120/87 - VersR 1988, 718, 719 = NJW-RR 1988, 730 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Verhandlungen in diesem Sinne können deshalb auch noch weiterlaufen, wenn bei dem Verpflichteten eine zunächst konkret vorhandene Vergleichsbereitschaft wieder etwas zurücktritt, weil er sich von weiteren Ermittlungen oder dem Hinausschieben eines Vergleichsabschlusses Vorteile für sich verspricht, solange er gesprächsbereit bleibt.

So kann es auch im Streitfalle gewesen sein. Die Revision weist nämlich zutreffend darauf hin, das Berufungsgericht habe übersehen, dass die jetzige Beklagte und damalige Streithelferin das vorliegende Gutachten als unvollständig bemängelt hatte (Beiakten Band I Blatt 113 und 115-117), dass der Sachverständige daraufhin von dem Amtsgericht aufgefordert wurde, sein Gutachten unter Berücksichtigung des Vorbringens der jetzigen Beklagten schriftlich zu ergänzen (Beiakten Band I Blatt 125), dass die Gutachtenergänzung den Parteivertretern dann am 8. Dezember 1984 zugeleitet wurde (Beiakten Blatt 137 RS.), und dass auch danach keine der Parteien im Sinne des § 852 Abs. 2 BGB die Fortsetzung der Verhandlungen ausdrücklich "verweigert" hat. Aus dem Umstand allein, dass die Beklagte in dem Vorprozess des Klägers gegen den Lieferanten S. als dessen Streithelferin in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 1984 Klageabweisung beantragt und gegen das Urteil, durch welches S. zur Leistung von Schadensersatz verurteilt worden ist, Berufung eingelegt hat, ergibt sich entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung noch nicht, dass sie damit weitere Verhandlungen mit dem Kläger über ihre eigene Schadensersatzverpflichtung ihm gegenüber verweigern wollte. Der Abbruch von Verhandlungen muss - abgesehen von dem Fall des "Einschlafenlassens" der Verhandlungen durch den Ersatzberechtigten (vgl. Senatsurteil vom 6. März 1990 - VI ZR 44/89 - VersR 1990, 755 m.w. Nachw.) - wegen der Bedeutung für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche durch klares und eindeutiges Verhalten der einen oder anderen Partei zum Ausdruck gebracht werden. Die Vornahme der hier infragestehenden Prozesshandlungen kann aber auf anderen Motiven beruht haben, u.a. darauf, dass die Beklagte dadurch den Eintritt der Nebeninterventionswirkung des § 68 ZPO im Verhältnis zu S. und damit ihre spätere Inanspruchnahme durch S. wegen des gesamten Schadens vor einer sie zufriedenstellenden weiteren Begutachtung vermeiden wollte. Die vom Berufungsgericht erwähnte Tatsache eines Vergleichsabschlusses vor dem Berufungsgericht am 17. September 1985 legt es sogar nahe, dass die Parteien dieses Rechtsstreits während der gesamten Dauer des Vorprozesses zwischen dem Kläger und S. ihre Verhandlungen weiterlaufen ließen. Nachdem der am 17. September 1985 unter Widerruf geschlossene Vergleich von der jetzigen Beklagten durch Schriftsatz vom 18. Oktober 1985 widerrufen worden war, war allerdings eine Lage eingetreten, die man als Beendigung der Verhandlungen ansehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1987 - VIII ZR 355/85 - NJW 1987, 2072).

Da der Schaden offensichtlich erst im Dezember 1980 eingetreten ist, wäre, sofern die Verjährung durch Verhandlungen vom Mai 1981 bis 18. Oktober 1985 gehemmt gewesen sein sollte, die am 5. März 1988 eingereichte und demnächst zugestellte Klage noch vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist anhängig gemacht worden.

III.

Bei dieser Sachlage muss das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit es Gelegenheit erhält, Feststellungen dazu zu treffen, ob und ggfls. mit welchem Inhalt die bisher nur unterstellte Vereinbarung vom 13. Januar 1984 zwischen den Parteien zustandegekommen ist und ob die Beklagte in der Folgezeit durch eindeutige Erklärungen die Fortsetzung von Verhandlungen über die Leistung von Schadensersatz verweigert hat. Da die Entscheidung darüber, welche der beiden Parteien die Kosten der Revision zu tragen hat, von dem endgültigen Ausgang des Rechtsstreits abhängt, hat der erkennende Senat dem Berufungsgericht auch die Entscheidung über diese Kosten übertragen.