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Amtsgericht Kiel Urteil vom 30.11.2011 - 113 C 145/11 - Zur Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen bei nicht eindeutig erkennbarem Kleinschaden

AG Kiel v. 30.11.2011: Zur Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen bei nicht eindeutig erkennbarem Kleinschaden


Das Amtsgericht Kiel (Urteil vom 30.11.2011 - 113 C 145/11) hat entschieden:
Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Es ist gerichtsbekannt, dass teilweise auch bei äußerlich nur geringfügig erscheinenden Schadensbildern teilweise tiefer gehende Schäden entstanden sind, die für einen Laien nicht abschätzbar sind.


Siehe auch Sachverständigengutachten und Sachverständigenkosten


Tatbestand:

Die Klägerin macht mit der Klage restliche Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 9. Februar 2011 geltend.

Am 9. Februar 2011 kollidierte ein Versicherungsnehmer der Beklagten auf dem Parkplatz einer Kindertagesstätte in der F straße in K mit dem Fahrzeug der Klägerin, als der Versicherungsnehmer der Beklagten versuchte, rückwärts auszuparken. Bei dem Wagen der Klägerin handelt es sich um einen VW Passat Variant Trendline mit einer Erstzulassung am 12.09.2007 und einer Laufleistung zur Zeit des Unfalls von 44.358 Kilometer. Nach dem Unfall ließ die Klägerin ihr Fahrzeug durch das Sachverständigenbüro … begutachten. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird Bezug genommen auf die Anlage K 1 (Blatt 7 ff der Akten). Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass an dem klägerischen Fahrzeug Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer in Höhe von 886,25 € entstanden waren, während die Reparaturkosten inklusive Mehrwertsteuer 1.054,64 € betrugen. Für die Erstellung des Gutachtens berechnete das Sachverständigenbüro einen Betrag von 323,56 €. Wegen der Einzelheiten der Rechnung wird Bezug genommen auf die Anlage K 2 (Blatt 20 der Akten). Die Beklagte hat zwar die grundsätzliche volle Haftung für den Verkehrsunfall übernommen, hat jedoch die Sachverständigenkosten nicht beglichen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte auch verpflichtet ist, die Kosten des Sachverständigengutachtens zu tragen, da diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich gewesen seien. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung sei auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen abzustellen. Danach sei die Beauftragung eines Sachverständigen vorliegend erforderlich gewesen, da der Geschädigte als Unfalllaie in der Regel nicht wissen könne, wie hoch der tatsächliche Schaden sei. Der tatsächlich festgestellte Schaden liege zudem über der Bagatellgrenze, die in der Rechtsprechung bei 700,00 € angenommen werde. Bei dem Betrag von 700,00 € handele es sich zudem um einen Bruttoschaden, da dies für einen Unfallgeschädigten die einzig nachvollziehbare Rechengröße sei.

Es komme regelmäßig vor, dass Versicherer versuchten, die Höhe der zur Schadensbeseitigung erforderlichen Kosten im nachhinein zu drücken. Es sei daher das Recht des Geschädigten, ein Gutachten zur Ermittlung der Höhe des Schadens an seinem Fahrzeug in Auftrag zu geben. Das Gutachten habe zugleich eine Beweissicherungsfunktion für den Geschädigten. Es sei fachkundig bebildert, so dass es auch nach einer späteren Reparatur möglich sei, Einwände des Versicherers, dass diese oder jene durchgeführten Arbeiten nicht erforderlich gewesen seien, zu prüfen und hierfür ggf. argumentieren zu können. Zudem könne der Geschädigte die Frage, ob eine merkantile Wertminderung an seinem Fahrzeug entstanden sei, ohne Sachverständige Hilfe nicht klären.

Schließlich bringe die moderne Fahrzeugtechnik, insbesondere die Anwendung von sich rückverformenden Stoßfängern, welche auch vorliegend beschädigt worden seien, mit sich, dass der Umfang des Schadens für einen technischen Laien nicht einschätzbar sei.

Die Klägerin beantragt,
  1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 323,56 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 3. März 2011 zu zahlen,

  2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auf die von der Klägerin eingezahlten Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem Zeitpunkt der Einzahlung der Gerichtskosten bei der Gerichtskasse bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrages bei Gericht nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beantragt außerdem,
die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens vorliegend nicht erforderlich gewesen sei. Von einem Geschädigten werden unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in Erfüllung seiner Schadensgeringhaltungspflicht gefordert, dass er die Kosten so gering wie möglich halte. Bei geringen Schäden sei es in der Regel ausreichend, zur Feststellung der Schadenshöhe einen Kostenvoranschlag einzuholen. Bestünden auf Seiten des Geschädigten berechtigte Zweifel, sei er verpflichtet, diese dem zuständigen gegnerischen Haftpflichtversicherer mitzuteilen und zu klären, ob auf die Einholung eines Gutachtens auf Seiten des Schädigers bzw. Haftpflichtversicherers Wert gelegt werde. Bestünden jedoch unter Auswirkung Berücksichtigung des Unfallgeschehens sowie der erkennbaren Auswirkung keine Anhaltspunkte dafür, dass durch den Schadensfall tiefer reichende und/oder tragende Teile erfassende Schäden entstanden seien oder entstanden sein könnte, welche äußerlich nicht erkennbar seien, gehöre die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht zu den zur Schadensbeseitigung sowie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderliche Aufwand. Vorliegend sei der Schaden dadurch entstanden, dass bei Stillstand des klägerischen Fahrzeugs durch das rückwärtige Ausparken des bei der Beklagten versicherten PKW eine streifende Berührung entstanden sei. Der Schaden beschränke sich auch für den technischen Laien erkennbar auf Lackschäden ohne Beeinträchtigung der Karosseriestruktur und ohne jegliche Veränderung der Spaltmaße, bezogen auf die angrenzenden Karosserieteile. Demnach sei die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich gewesen, insbesondere nicht für die Berechnung der Höhe des Schadens. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger für die Erforderlichkeit der Kosten darlegungs- und beweispflichtig sei. Bezogen auf die Feststellungsanträge fehlten diesem das Rechtsschutzbedürfnis, da das Begehren mit einem Leistungsantrag verfolgt werden könne. Es sei auch nicht ersichtlich, dass weitere Auslagen entstehen könnten, da es allein um die Beurteilung von Rechtsfragen ginge, so dass Beweisanträge mit denkbarer Kostenfolge nicht enthalten seien.

In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Höhe der Sachverständigenkosten gerügt.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Die Klägern hat gegen die Beklage einen Anspruch auf Erstattung von 323,56 €.

Der Anspruch ergibt sich aus §§ 7 StVG, 823 BGB in Verbindung mit § 115 VVG.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle an dem klägerischen Fahrzeug durch den Verkehrsunfall vom 7. Februar 2011 entstandenen Schäden zu erstatten.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Gutachterkosten. Sachverständigenkosten gehören grundsätzlich zu dem Aufwand, den ein Geschädigter gemäß § 249 BGB vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer verlangen kann. Der Höhe nach beschränkt sich dieser Anspruch auf den erforderlichen Geldbetrag, d. h. auf die Aufwendung, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl. BGH, NJW 2005, 356 f).

Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt (vgl. BGB a. a. O.). Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere kostengünstigere Schätzungen wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs ausgereicht hätten (vgl. BGH a. a. O.).

Vorliegend ist ein Nettoschaden von 886,25 €, entsprechend einem Bruttoschaden von 1.054,64 € gegeben. Der Schaden liegt damit über der Grenze, die von der Rechtsprechung bei rund 700,00 € angesetzt wird.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorliegend für jeden Laien ohne weiteres erkennbar gewesen sei, dass tiefgreifendere Schäden durch den Unfall nicht verursacht worden sein können. Zutreffend hat die klagende Partei darauf hingewiesen, dass es insbesondere die moderne Fahrzeugtechnik mit sich bringt, dass der Umfang des Schadens für einen technischen Laien immer schwerer abschätzbar wird. Es ist gerichtsbekannt, dass teilweise auch bei äußerlich nur geringfügig erscheinenden Schadensbildern teilweise tiefer gehende Schäden entstanden sind, die für einen Laien nicht abschätzbar sind. Hinzu kommt vorliegend, dass die Klägerin während des Unfalls gar nicht anwesend war, da der Unfall zu einer Zeit passierte, als sie das Fahrzeug abgestellt hatte. Dies macht es ihr noch schwieriger, das Schadensbild abzuschätzen.

Soweit die Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung die Höhe der Sachverständigenkosten gerügt hat, ist dieser neue Vortrag nach § 296a ZPO unbeachtlich.

Der Zinsausspruch ergibt sich aus §§ 280, 286 ZPO.

Der Anspruch auf den Feststellungsantrag besteht nicht. Es mangelt insoweit an einem Feststellungsinteresse. Der Kläger wäre in der Lage gewesen, einen bezifferten Leistungsantrag zu stellen.

Die Berufung war nicht zuzulassen. Gemäß § 511 Abs. 4 ZPO lässt das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung zu, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere die Frage der Erstattungsfähigkeit des Gutachtens ist bereits Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren geworden und ist bis zum BGH hin ausgeurteilt. Die Zulassung der Berufung ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, dass die Rechtsprechung zu diesem Punkt uneinheitlich ist. Hinzu kommt, dass bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens die Einzelfallbetrachtung stark im Vordergrund steht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach kann das Gericht der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügige Kosten verursacht hat. Nach ständiger Rechtsprechung ist dabei ein Fall von Geringfügigkeit gegeben, wenn der unterliegende Teil bis zu 10 % des Streitwertes beinhaltet. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die klagende Partei unterliegt lediglich mit dem Feststellungsantrag, der lediglich einen äußerst geringen Umfang der Klage ausmacht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.