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OLG Schleswig Beschluss vom 20.01.2009 - 12 Va 11/08 - Zum rechtlichen Interesse nicht unfallbeteiligter Dritter an Akteneinsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte

OLG Schleswig v. 20.01.2009: Zum rechtlichen Interesse nicht unfallbeteiligter Dritter an Akteneinsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte


Das OLG Schleswig (Beschluss vom 20.01.2009 - 12 Va 11/08) hat entschieden:
Bei einer Person, die am Zivilverfahren nicht beteiligt ist, handelt es sich um eine dritte Person iSv § 299 Abs. 2 ZPO, der ohne die Einwilligung der Parteien die Einsicht in Akten nur gestattet werden kann, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Der gesetzliche Unfallversicherer, dem möglicherweise ein Rückgriffsanspruch gegen einen Unfallbeteiligten zusteht, hat ein derartiges zur Akteneinsicht berechtigendes Interesse.


Siehe auch Akteneinsicht und Themen zum OWi-Verfahren


Gründe:

1. Die "Erinnerung, hilfsweise Beschwerde" der Antragstellerin vom 17.12.2008 gegen den Akteneinsicht ablehnenden Beschluss des ordentlichen Dezernenten vom 01.12.2008 ist, wie es auch der ordentliche Dezernent aufgrund der Vorlage der Akte an den Senat getan hat, als Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG zu werten.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft. Bei dem angegriffenen Beschluss des ordentlichen Dezernenten handelt es sich um eine Verfügung, die von einer Justizbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Zivilprozesses getroffen wurde, mithin um einen Justizverwaltungsakt im Sinne der genannten Vorschrift, da der ordentliche Dezernent gemäß § 299 Abs. 2 ZPO im Auftrag des Antragsgegners über den Akteneinsichtsantrag eines nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten entschieden hat (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 27. Aufl., § 23 EGGVG Rn. 12). Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den ordentlichen Dezernenten bei Akteneinsichtsgesuchen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ergibt sich aus der Verfügung des Antragsgegners vom 15.01.1976.

Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere unter Wahrung der Frist des § 26 EGGVG eingelegt, da die Akte beim Oberlandesgericht am 29.12.2008 eingegangen ist. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Antragstellerin als gesetzliche Unfallreguliererin, die aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles Leistungen an den Beklagten zu 1) erbracht hat, durch die Versagung der begehrten Akteneinsicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 24 Abs. 1 EGGVG).

2. Der Antrag ist auch begründet, da der Antragsgegner der Antragstellerin gemäß § 299 Abs. 2 ZPO die begehrte Akteneinsicht zu gewähren hat.

a) Zutreffend hat der Antragsgegner zwar zunächst darauf abgestellt, dass es sich bei der Antragstellerin, die am Zivilverfahren nicht beteiligt ist, um eine dritte Person iSv § 299 Abs. 2 ZPO handelt und dass dritten Personen ohne die hier fehlende Einwilligung der Parteien die Einsicht in Akten nur gestattet werden kann, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.

§ 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt berührt werden; dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache (vgl. BGH NZG 2006, 595).

Diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin entgegen der Auffassung des Antragsgegners glaubhaft gemacht. Ihr rechtliches Interesse ergibt sich bereits daraus, dass sie als gesetzlicher Unfallregulierer an den Beklagten zu 1) als Geschädigten eines Verkehrsunfalles vom 12.06.2007, der Gegenstand des Zivilverfahrens ist, Leistungen erbracht hat und zu prüfen hat, ob aufgrund des gemäß § 116 SGB X im Umfange der Leistungserbringung erfolgten gesetzlichen Übergangs eines möglichen Schadensersatzanspruches bei einem Schädiger Schadenersatz erlangt werden kann. Unerheblich ist, dass Gegenstand des Zivilprozesses ein von der Klägerin geltend gemachter Sachschadensersatzanspruch ist, da er seine Grundlage ebenfalls im Unfallereignis vom 12.06.2007 hat und sich allein aus dem Vortrag der Parteien zum Unfallgeschehen und eventuell vereinbarten Haftungsquoten Aufschlüsse für die Antragstellerin ergeben können.

b) Bei Bejahung des rechtlichen Interesses hat der Dritte nicht ein gesetzliches Einsichtsrecht, wie es in § 299 Abs. 1 ZPO den Prozessparteien eingeräumt wird, sondern steht die Gewährung der Akteneinsicht im pflichtgemäßen Ermessen des Antragsgegners. Für diesen Ermessensbereich ist der Senat gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG grundsätzlich nur zu der Prüfung berechtigt, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung rechtswidrig sind, weil die gesetzlichen Grenzen überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, wobei vorliegend aufgrund der Verneinung des rechtlichen Interesses bislang eine Ermessensausübung nicht erfolgt ist. Der Senat kann aber abschließend entscheiden, wenn das Ermessen seitens des Antragsgegners nur in einer einzigen Richtung ausgeübt werden kann, also auf Null reduziert ist, und die Sache daher iSv § 28 Abs. 2 EGGVG "spruchreif" ist (vgl. Zöller/Lückemann, § 28 EGGVG Rn. 14).

Letzteres ist vorliegend der Fall. Bei der Ermessensentscheidung sind die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Die gebotene Ermessensentscheidung kann hier zur Wahrung der Interessen der Antragstellerin nur dahin gehen, dass ihr die begehrte Akteneinsicht gewährt wird, da schutzwürdige Belange der Prozessparteien weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Der Senat ist deshalb in der Lage, die unterlassene Ermessensausübung selbst vorzunehmen und nicht nur den Antragsgegner zur Neubescheidung (§ 28 Abs. 2 Satz 2 EGGVG) zu verpflichten.

3. Es ist sachdienlich, die Art und Weise der Akteneinsicht dem Antragsgegner zu überlassen.

4. Die Kostenentscheidung sowie die Entscheidung über die Wertfestsetzung folgen aus §§ 30 Abs. 1 - 3 EGGVG, 30 Abs. 2 Kostenordnung, wobei der Senat das Interesse der Antragstellerin mangels konkreten Vortrages mit 1.000,00 Euro bemessen hat.