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Amtsgericht Halle (Saale) Beschluss vom 30.03.2012 - 103 II 6632/10 - Zur Frage, wann Beratungshilfe für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach einem Verkehrsunfall zu bewilligen ist

AG Halle (Saale) v. 30.03.2012: Zur Frage, wann Beratungshilfe für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach einem Verkehrsunfall zu bewilligen ist


Das Amtsgericht Halle (Saale) (Beschluss vom 30.03.2012 - 103 II 6632/10) hat entschieden:
Vom Rechtssuchenden sind zumutbare Eigenbemühungen zu erwarten, bevor Beratungshilfe beansprucht werden kann. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller ein Rechtsproblem hat, für dessen Lösung er anwaltliche Hilfe benötigt. Anwaltliche Hilfe ist erst erforderlich, wenn eine Beratung und ggf. Vertretung wegen rechtlicher Probleme notwendig ist. Dies wird sich im Regelfall aber erst erkennen lassen, wenn sich der Rechtssuchende zunächst selbst um eine Lösung des Problems bemüht, und sich hierbei Rechtsfragen ergeben. Etwas anderes ergibt sich aber, wenn der Antragsteller bei dem Unfall verletzt wurde. Welche Ansprüche sich hieraus ergeben, ist für einen juristischen Laien durch zumutbare Eigenbemühungen nicht mehr zu klären. Ein juristischer Laie kann nicht beurteilen, ob und wenn ja in welcher Höhe ihm ein Schmerzensgeldanspruch zusteht. Ebensowenig kann ein juristischer Laie beurteilen, ob und wenn ja in welcher Höhe ihm aus der Körperverletzung weitere Schadensersatzansprüche (beispielsweise wegen Kosten, die nicht von der Krankenkasse getragen werden, wie etwa Zuzahlungen zu Medikamenten etc.) zustehen.


Siehe auch Prozesskostenhilfe - PKH - Beratungshilfe und Stichwörter zum Thema Schadensersatz und Unfallregulierung


Gründe:

Die „Beschwerde“ vom 17. Januar 2012 ist als Erinnerung auszulegen, weil dies der gemäß § 6 Abs. 2 BerHG statthafte Rechtsbehelf ist. Die Erinnerung ist gemäß § 6 Abs. 2 BerHG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 RPflG zulässig. Die Erinnerung ist auch begründet.

Im Ansatz zutreffend geht allerdings die Rechtpflegerin davon aus, dass von dem Rechtssuchenden zumutbare Eigenbemühungen zu erwarten sind, bevor Beratungshilfe beansprucht werden kann. Gemäß § 1 Abs. 1 BerHG wird Beratungshilfe gewährt für die Wahrnehmung von Rechten. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller ein Rechtsproblem hat, für dessen Lösung er anwaltliche Hilfe benötigt. Sinn der Beratungshilfe ist es, Unbemittelten eine außergerichtliche Rechtsberatung zu gewähren. Anwaltliche Hilfe ist erst erforderlich, wenn eine Beratung und ggf. Vertretung wegen rechtlicher Probleme notwendig ist. Dies wird sich im Regelfall aber erst erkennen lassen, wenn sich der Rechtssuchende zunächst selbst um eine Lösung des Problems bemüht, und sich hierbei Rechtsfragen ergeben. (Beschluss des Gerichts vom 7. Januar 2011, Az. 103 II 3506/10, veröffentlicht bei juris).

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich ein Rechtsproblem noch nicht daraus, dass der Antragstellerin die gegnerische Haftpflichtversicherung nicht bekannt war. Wegen der gegnerischen Haftpflichtversicherung hätte sich die Antragstellerin an den Unfallgegner, dessen Anschrift und Telefonnummer sie kannte, wenden können und müssen. Im übrigen gibt es auch die Möglichkeit, die gegnerische Versicherung über den Zentralruf der Autoversicherer zu erfahren. Insoweit kann der Antragstellerin durchaus ein gewisses Maß an Eigeninitiative zugemutet werden. Erst wenn es der Antragstellerin trotz zumutbarer Eigenbemühungen nicht gelungen wäre, die gegnerische Haftpflichtversicherung in Erfahrung zu bringen, oder wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung den Schadensersatzanspruch mit einer rechtlichen Begründung zurückgewiesen hätte, läge ein Beratungsbedarf begründendes Rechtsproblem vor.

Ein Rechtsproblem, das Beratungshilfe begründet, ergibt sich auch noch nicht aus der Tatsache, dass die Antragstellerin allgemein eine Beratung über die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche wünscht. Die Antragstellerin wird im Allgemeinen in der Lage zu sein, ihre Ansprüche z. B. an Hand eines Kostenvoranschlages der Reparaturwerkstatt oder an Hand der Reparaturrechnung selbst zu beziffern. Ein Rechtsproblem würde sich insoweit erst dann ergeben, wenn die gegnerische Versicherung rechtliche Einwendungen gegen den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach Grund oder Höhe erheben würde.

Insoweit geht auch der Hinweis der Antragstellerin auf das Urteil des BGH vom 8. November 1994 (Az. VI ZR 3/94, zitiert nach juris) fehl. Dort ging es um die Frage, inwieweit Rechtsanwaltskosten nach einem Verkehrsunfall ein gemäß § 249 BGB erstattungsfähiger Schaden sind. Dies ist eine völlig andere Frage als die Frage, ob Beratungsbedarf gemäß § 1 Abs. 1 BerHG besteht.

Etwas anderes ergibt sich vorliegend aber daraus, dass die Antragstellerin bei dem Unfall verletzt wurde. Welche Ansprüche sich hieraus ergeben, ist für einen juristischen Laien durch zumutbare Eigenbemühungen nicht mehr zu klären. Ein juristischer Laie kann nicht beurteilen, ob und wenn ja in welcher Höhe ihm ein Schmerzensgeldanspruch zusteht. Ebensowenig kann ein juristischer Laie beurteilen, ob und wenn ja in welcher Höhe ihm aus der Körperverletzung weitere Schadensersatzansprüche (beispielsweise wegen Kosten, die nicht von der Krankenkasse getragen werden, wie etwa Zuzahlungen zu Medikamenten etc.) zustehen.

Mit Beschluss vom 28. März 2012 (Az. 103 II 6366/11) hat das Gericht bereits entschieden, dass für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht im gleichen Umfang Eigenbemühungen zu verlangen sind wie bei der Abwehr von Ansprüchen, die gegen den Rechtssuchenden gestellt werden.

Der Beratungshilfeantrag ist auch nicht deshalb zurückzuweisen, weil der Beratungshilfeantrag nachträglich gestellt wurde. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG kann der Antrag auf Beratungshilfe auch nachträglich gestellt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Antragsteller sich gerade wegen Beratungshilfe an den Rechtsanwalt wendet. Dann kann - insbesondere, wenn eine Frist zu wahren ist - der Rechtsanwalt durchaus schon tätig werden, bevor der Beratungshilfeantrag bei Gericht eingeht. Nicht hingegen kann Beratungshilfe gewährt werden, wenn sich der Antragsteller nur wegen der Sache selbst an den Rechtsanwalt wendet, der Rechtsanwalt daraufhin tätig wird und erst nachträglich, etwa im Rahmen der Abrechnung, die Sprache auf die Beratungshilfe kommt. Um Missbrauch auszuschließen, wird daher in den Fällen des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG der Antragsteller vor Tätigwerden des Rechtsanwaltes einen bei Gericht einzureichenden Antrag zu unterschreiben haben. Wenn der Antrag dann erst nach Tätigwerden des Anwalts bei Gericht eingeht oder erst nach Tätigwerden vom Gericht beschieden wird, ist dies dann (aber nur dann) im Rahmen des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG unschädlich. Wenn allerdings der Rechtsanwalt ausdrücklich versichert, dass der Antragsteller ihn wegen Beratungshilfe im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG aufgesucht hat, ist das Gericht angesichts der Tatsache, dass der Rechtsanwalt gemäß § 1 BRAO ein Organ der Rechtspflege ist, gehalten, dem Rechtsanwalt diese Versicherung im gleichen Umfang zu glauben wie es einer dienstlichen Äußerung eines Richters oder Staatsanwalts glauben würde. (Beschluss des Gerichts vom 4. Januar 2011, Az. 103 II 2020/10, veröffentlicht bei juris). Vorliegend hat der Rechtanwalt mit Schriftsatz vom 7. März 2012 vorgetragen, dass die Rechtssuchende bereits vor Beginn seines Tätigwerdens ihn aufgesucht habe, wobei vereinbart worden sei, dass das Tätigwerden über Beratungshilfe abgewickelt werden solle. Daher liegen die Voraussetzungen für die nachträgliche Beantragung von Beratungshilfe vor.



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