Das Verkehrslexikon

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OLG Brandenburg Beschluss vom 21.11.2011 - (1 Z) 53 Ss-OWi 450/11 (246/11) - Zur Behandlung von OWi-Urteilen ohne Gründe in der Rechtsbeschwerdeinstanz

OLG Brandenburg v. 21.11.2011: Zur Behandlung von OWi-Urteilen ohne Gründe in der Rechtsbeschwerdeinstanz


Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 21.11.2011 - (1 Z) 53 Ss-OWi 450/11 (246/11) hat entschieden:
  1. Allein die Tatsache, dass das Amtsgericht von einer Urteilsbegründung abgesehen hat, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG nicht vorliegen, führt noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde; auch in solchen Fällen ist die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG erforderlich.

  2. Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht auszuschließende Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 und Abs. 2 OWiG.

Siehe auch Urteilsanforderungen und Rechtsbeschwerde


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Königs Wusterhausen hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 9. August 2011 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (außerhalb geschlossener Ortschaften) eine Geldbuße von 140,00 € festgesetzt. Der Bußgeldrichter hat das nicht mit Gründen versehene Urteil zu den Akten gebracht und ebenfalls am 9. August 2011 die förmliche Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Betroffenen und an die Staatsanwaltschaft verfügt; das Urteil wurde jeweils am 17. August 2011 zugestellt. Mit Anwaltschriftsatz vom 16. August 2011, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und dieses mit weiterem bei Gericht am 9. September 2011 angebrachten Anwaltschriftsatz begründet. Der Betroffenen beanstandet insbesondere die Unvollständigkeit des Urteils, das keine Gründe enthält.


II.

a) Die Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 80 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden.

b) Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg; es liegen keine Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vor.

Die Fertigung eines Urteils ohne Gründe stellt zwar einen gravierenden Rechtsfehler dar, da kein Fall des § 77b OWiG gegeben ist. Jedoch führt allein die Tatsache, dass das Amtsgericht von einer Begründung des Urteils abgesehen hat, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG nicht vorliegen, noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde; erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG (grundlegend BGHSt 42, 187,189 ff. = NJW 1996, 3157 = NStZ 1997, 39 = VRS 92, 135; ebenso OLG Celle NdsRpfl. 1997, 52; OLG Köln NZV 1997, S 371; Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 77b Rdnr. 8, § 80 Rdnr. 12, 13).

Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, dass bei Fehlen der Urteilsgründe die Rechtsbeschwerde stets zuzulassen sei, beruht auf der fehlerhaften Annahme, dass die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG nur an Hand der Urteilsgründe überprüft werden könnten. Damit aber würden sachlich-rechtliche Rechtsbeschwerdegrundsätze auf das Zulassungsverfahren ausgedehnt, ohne dass dies zwingend ist. Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht ausschließbare Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG. Hierzu hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass selbst in den Fällen, in denen die Sachrüge erhoben ist, die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können. Die gelte insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen. Zur Prüfung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist es möglich, den Bußgeldbescheid (vgl. dazu auch BGHSt 23, 336; BGHSt 23, 365; BGHSt 27, 271), den Zulassungsantrag, nachgeschobene Urteilsgründe oder dienstliche Äußerungen heranzuziehen; sonstige Umstände können selbst bei Vorliegen von Urteilsgründe berücksichtigt werden, wenn beispielsweise zu erwägen ist, ob ein rechtsfehlerhaftes Urteil sich als bloße Fehlentscheidung im Einzelfall darstellt (BGHSt 42, 187,189). All dies folgt schon daraus, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren um ein Vorschaltverfahren handelt (vgl. KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 80 Rdnr. 5), bei dem ermittelt wird, ob ein Rechtsbeschwerdeverfahren durchzuführen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009, 1 Ss-OWi 238 Z/08, abgedr. bei juris).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde bei Fehlen von Urteilsgründen ist auch nicht aus Gründen der Verfassung (Rechtsstaatsprinzip, Gewährung rechtlichen Gehörs) geboten. Denn durch den Verfahrensverstoß ist der Betroffene nicht gehindert, die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu beantragen und Umstände vorzutragen, die zu einer Zulassung führen können (BGHSt aaO., 190 f.). Da zudem die Zulassung der Rechtsbeschwerde einer einheitlichen und sachgerechten Rechtsprechung und nicht in erster Linie der Entscheidung des Einzelfalls dient, ist es von Verfassung wegen nicht geboten, allein aus dem Umstand, dass Urteilsgründe fehlen, eine Zulassungsgrund herzuleiten.

Dies heißt freilich nicht, dass das Fehlen von Urteilsgründen im Einzelfall nicht zur Begründetheit des Zulassungsantrags führen kann. Bei tatsächlich und rechtlich schwierigen Ordnungswidrigkeitsverfahren mag dies in Einzelfällen anders liegen. Kann ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, und können solche Zweifel weder durch das abgekürzte Urteil, den Bußgeldbescheid, den Zulassungsantrag noch mit den nachgeschobenen Gründen, den dienstlichen Äußerungen oder sonstigen Umständen ausgeräumt werden, so führt in einem solchen Einzelfall das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrags.

Im vorliegenden Fall ist eine Prüfung der Zulassungsgründe nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG möglich und führt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen, weshalb der Zulassungsantrag als unbegründet zu verwerfen ist. Das Fehlen der Urteilsgründe allein erfordert die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht zu besorgen. Das Verhandlungsprotokoll beweist, dass die schriftlich und mündlich vorgetragenen Einwände des Betroffenen gegen die Geschwindigkeitsmessung in der Hauptverhandlung erörtert worden sind, wobei insbesondere ein Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet hat und dieses in der Hauptverhandlung ebenso mündlich erörtert worden ist wie der Beschilderungsplan. Auch die Sachrüge führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Es handelt sich vorliegend um eines der massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einer einfachen Verkehrsordnungswidrigkeit, das in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufweist, so dass nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegen. Wie sich aus dem Bußgeldbescheid ergibt, ist der Betroffene zu einer Geldbuße von 140,00 € verurteilt worden, weil er am 10. April 2010 auf der Bundesautobahn 10 bei Kilometer 51,9 in Fahrtrichtung Frankfurt (Oder) die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h und 36 km/h überschritten hatte, wobei der erforderliche Toleranzabzug vorgenommen worden ist. Dem Bußgeldbescheid und dem Hauptverhandlungsprotokoll sowie dem Eichschein und dem Messprotokoll ist beispielsweise des Weiteren zu entnehmen, dass die Messung mittels eines geeichten Gerätes im standardisierten Messverfahren „ES 3.0“ vorgenommen und der erforderliche Toleranzabzug in Ansatz gebracht worden ist.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).