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BGH Urteil vom 08.02.2012 - IV ZR 223/10 - Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. kann seit dem Inkrafttreten des neuen VVG am 1. Januar 2008 nicht mehr wirksam gesetzt werden

BGH v. 08.02.2012: Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. kann seit dem Inkrafttreten des neuen VVG am 1. Januar 2008 nicht mehr wirksam gesetzt werden.


Der BGH (Urteil vom 08.02.2012 - IV ZR 223/10) hat entschieden:
Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. kann seit dem Inkrafttreten des neuen VVG am 1. Januar 2008 nicht mehr wirksam gesetzt werden.


Siehe auch Deckungsklage und Klagefrist im Versicherungsvertragsrecht und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung für Juni 2007 bis Juni 2008 bedingungsgemäße Rentenzahlungen, die sie auf eine bei ihr infolge reaktiver Depressionen und Angstzuständen im März 2007 eingetretene Berufsunfähigkeit stützt.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2008 erklärte die Beklagte wegen falscher Angaben im Versicherungsantrag den Rücktritt vom Vertrag und dessen Anfechtung. Zugleich wies sie die Klägerin darauf hin, dass vermeintliche Ansprüche innerhalb von sechs Monaten nach Zugang des Schreibens gerichtlich geltend gemacht werden müssten, diese bei Verstreichenlassen der Frist "schon wegen bloßem Fristablauf verwirkt" seien.

Die am 2. März 2009 beim Landgericht eingegangene Klageschrift wurde der Beklagten am 9. Juli 2009 zugestellt.

In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben, weil die Klägerin die ihr gemäß § 12 Abs. 3 VVG a.F. gesetzte Frist versäumt habe und die Beklagte deswegen leistungsfrei geworden sei. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.


Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (veröffentlicht in VersR 2011, 383) und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Dieses hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte habe der Klägerin 2008 noch eine Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VVG a.F. setzen können. Zwar sehe das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in seiner seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung keine Klageausschlussfrist mehr vor; eine solche Regelung sei ersatzlos fortgefallen. Art. 1 Abs. 1 EGVVG bestimme demgegenüber jedoch die Fortgeltung des alten VVG für Altverträge, wovon auch die Regelung in § 12 Abs. 3 VVG a.F. erfasst werde. Dieser Grundsatz werde nur durch Art. 1 Abs. 2 und Artt. 2 bis 6 EGVVG eingeschränkt. Dazu gehöre indes die allein § 12 Abs. 3 VVG a.F. erfassende Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 4 EGVVG nach dem ausdrücklich in Art. 1 Abs. 1 EGVVG erklärten Willen des Gesetzgebers nicht.

Art. 1 Abs. 4 EGVVG regele zudem nur den Ablauf einer noch 2007 gesetzten Klagefrist im Jahre 2008, nicht aber die streitgegenständliche Frage, ob diese Frist noch nach dem 31. Dezember 2007 gesetzt werden könne.

Der Gesetzgeber habe schließlich mit Art. 1 Abs. 4 EGVVG - wie der Gesetzesbegründung zu dessen nachträglicher Einfügung zu entnehmen sei - nur eine Klarstellung zur entsprechenden Anwendung der kürzeren neuen Verjährungsfristen in Art. 3 EGVVG auf die Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. vornehmen wollen. Für eine Ausgestaltung des Art. 1 Abs. 4 EGVVG als Spezial- und Ausnahmevorschrift zu Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG, die eine Fristsetzung nach dem 31. Dezember 2007 ausschlösse, hätte er eine in diesem Sinn eindeutig formulierte Regelung getroffen.

Die Frist habe die Klägerin auch versäumt, weil eine Rückwirkung der erst am 9. Juli 2009 erfolgten Zustellung auf den fristgemäßen Eingang der Klageschrift ausscheide, da diese nicht mehr "demnächst" i.S. des § 167 ZPO erfolgt sei.


II.

Das hält rechtlicher Prüfung in dem entscheidenden Punkt, ob nach 2007 noch eine Frist gemäß § 12 Abs. 3 VVG a.F. gesetzt werden konnte, nicht stand; auf die vom Berufungsgericht angenommene Versäumung der Frist infolge verspäteter Klagezustellung kommt es daher nicht mehr an.

1. Die bislang höchstrichterlich nicht beschiedene Frage wird allerdings unterschiedlich beantwortet.

a) Die Instanzrechtsprechung bejaht mehrheitlich eine Fristsetzung jedenfalls innerhalb der Übergangsfrist bis Ende 2008, wobei sie sich wesentlich auf das Fehlen einer entgegenstehenden gesetzlichen Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Fortgeltung des VVG a.F. in Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG und die insoweit vom Gesetzgeber nicht eindeutig formulierte Rechtslage bezieht (OLG Köln r+s 2011, 11, 12 f.; OLG Koblenz VersR 2011, 1554 f.; LG Wuppertal, Urteil vom 29. Oktober 2009 7 O 85/09, juris Rn. 17; LG Köln VersR 2010, 611; LG Dortmund VersR 2010, 193, 195 f. und VersR 2010, 196, 197; LG München r+s 2010, 317 f.; LG Dresden, Urteil vom 9. Februar 2011 - 8 S 603/09, unveröffentlicht).

Weitergehend wird von Teilen der Literatur - gestützt auf Art. 1 Abs. 2 EGVVG - angenommen, dass die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. für bis Ende der Übergangszeit eingetretene Versicherungsfälle sogar zeitlich unbegrenzt gesetzt werden könne (HK-VVG/Muschner, 2. Aufl. Art. 1 EGVVG Rn. 61-64, 70; ders. VersR 2008, 317, 318 f.; 2010, 738, 740; Mertens, VersR 2007, 825; Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Aufl. Kap. R Rn. 15; Neuhaus, r+s 2007, 177, 180; 441).

b) Die herrschende Lehre und eine im Vordringen befindliche obergerichtliche Rechtsprechung lehnen hingegen eine Fristsetzung gemäß § 12 Abs. 3 VVG a.F. nach dem 31. Dezember 2007 unter Verweis auf die Übergangsregelungen der Art. 1 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 4, 2 EGVVG ab (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. Art. 1 EGVVG Rn. 46; Beckmann in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. Einführung A Rn. 90; Brand in Looschelders/Pohlmann, VVG Art. 1 EGVVG Rn. 23; ders. VersR 2011, 557, 564 f.; Burmann/Heß in Burmann/Heß/Höke/Stahl, Das neue VVG im Straßenverkehrsrecht Rn. 467; Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2701; Daube, VersR 2009, 1599, 1601; Hering, SVR 2008, 5; Höra, r+s 2008, 89, 91; Jannsen in Jannsen/Schubach, Private Unfallversicherung Ziff. 14 Rn. 2; Johannsen in Bruck/Möller aaO § 15 Rn. 3; Knappmann, VRR 2007, 408; MünchKomm-VVG/Looschelders, Art. 1 EGVVG Rn. 29; Marlow, VersR 2010, 198, 199; Spuhl in Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 18; Münstermann, VK 2008, 37, 38; Rixecker, ZfS 2007, 430, 431; Schneider in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 2. Aufl. § 1a Rn. 47; ders. VersR 2008, 859, 864; Uyanik, VersR 2008, 468, 470; OLG Köln r+s 2011, 150, 152; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. April 2011 - 4 U 144/10, bislang unveröffentlicht).

2. Letztere Auffassung trifft zu.

Das Ziel des VVG-Reformgesetzes ist insoweit eindeutig (a). Seine Umsetzung im intertemporalen Kollisionsrecht des EGVVG weist nach Gesetzeszweck, Entstehungsgeschichte und Gesetzessystematik im Ergebnis ebenso deutlich auf den Willen des Gesetzgebers hin, die Setzung einer Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VVG a.F. nach 2007 ausnahmslos auszuschließen (b).

a) Die materielle Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F., die dem Versicherer Leistungsfreiheit verschaffte, wenn ein abgelehnter Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wurde, ist mit dem Inkrafttreten des neuen VVG ersatzlos weggefallen. Der Gesetzgeber hat damit die Konsequenz daraus gezogen, dass diese überkommene, im Zivilrecht einzigartige Privilegierung einer Vertragsseite, deren Berechtigung seit längerem in Zweifel gezogen (vgl. nur Senatsurteil vom 18. Dezember 1974 - IV ZR 123/73, VersR 1975, 229, 230; BVerfG VersR 2004, 1585, 1586; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. 2003 § 12 Rn. 32; MünchKomm-VVG/Looschelders aaO Rn. 28) und von Versicherern deswegen vielfach auch nicht mehr angewandt worden war (vgl. Brand, VersR 2011 aaO S. 564), nicht mehr zu rechtfertigen erschien. Er hat eine sachliche Grundlage für "eine derartige Sonderregelung, die dem Versicherer die Möglichkeit gibt, die Verjährungsfrist zu Lasten des Vertragspartners einseitig zu verkürzen", nicht mehr feststellen können (BT-Drucks. 16/3945 S. 64). Eine gegebenenfalls über Jahre andauernde Fortgeltung dieser Regelung zu Lasten der Versicherungsnehmerseite ist damit nicht zu vereinbaren. Für eine dahingehende Vorstellung des Gesetzgebers gibt es keinen Anhalt. Die zeitgleiche Abschaffung mit der Neukodifikation des VVG spricht dagegen.

b) Diese Zielsetzung bestimmt auch das intertemporale Kollisionsrecht.

Mit Art. 1 Abs. 1 Halbs. 1 EGVVG wurde ein Übergangszeitraum von einem Jahr ab Inkrafttreten des VVG geschaffen mit der Folge, dass für die bis Ende 2007 geschlossenen so genannten Altverträge das alte Recht nicht bis zur vollständigen Vertragsabwicklung, sondern grundsätzlich nur bis Ende 2008 anzuwenden ist, sofern nicht die in Art. 1 Abs. 1 Halbs. 2 EGVVG genannten Ausnahmeregeln davon Abweichendes bestimmen. Damit wollte der Reformgesetzgeber nicht nur einem angesichts der Langlebigkeit von Versicherungsverträgen sonst bestehenden jahrelangen Nebeneinander von altem und neuem VVG entgegenwirken, sondern zugleich möglichst kurzfristig die mit der Neukodifikation insgesamt angestrebte Stärkung der Rechtsstellung des Versicherungsnehmers umsetzen.

Das ist mit den weiteren Übergangsregeln auch erreicht worden, die die Setzung einer Klagefrist nach altem Recht nach dem Inkrafttreten des neuen nicht mehr zulassen.

aa) Bei reiner Wortbetrachtung der Ausnahmeregelungen scheint allerdings Art. 1 Abs. 4 EGVVG, der sich allein mit der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. ausdrücklich befasst, Zweifel an deren Nichtanwendbarkeit wenigstens noch während der Übergangszeit zu wecken, weil er nicht in den Katalog des Art. 1 Abs. 1 Halbs. 2 EGVVG aufgenommen ist, der nur Art. 1 Abs. 2 EGVVG und Artt. 2 bis 6 EGVVG als Ausnahmen von der Grundregel in Art. 1 Abs. 1 Halbs. 1 EGVVG nennt.

Das vernachlässigt jedoch bereits, dass die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. ohne diese Regelung über Art. 3 Abs. 4 EGVVG der allgemeinen Fristenregelung für Verjährungen des Art. 3 Abs. 2 EGVVG und damit einer - ihre Anwendung noch während der Übergangszeit in Zweifel ziehenden - Ausnahmeregelung ausgesetzt gewesen wäre.

bb) Die Entstehungsgeschichte des Art. 1 Abs. 4 EGVVG bestätigt sodann den mit ihm ebenfalls intendierten sofortigen Anwendungsausschluss mit Inkrafttreten des neuen VVG. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 16/5862 S. 100) ist diese Bestimmung in die Übergangsvorschriften aufgenommen worden. Die dafür gegebene Begründung
"Die schon bislang in Artikel 3 Abs. 4 enthaltene Übergangsregelung für Fristen nimmt auf die mit der beabsichtigten Abschaffung des bisherigen § 12 Abs. 3 VVG verbundenen Besonderheiten nicht ausreichend Rücksicht. Diesem Bedürfnis entspricht die neue Regelung; sie sieht vor, dass Klagefristen, die unter Geltung des bisherigen VVG in Gang gesetzt wurden, nach sechs Monaten auslaufen."
belegt unmissverständlich, dass der Gesetzgeber für die Klagefrist offensichtlich Klarstellungsbedarf insoweit gesehen hat, als ihm bei der angeordneten entsprechenden Anwendung der Verjährungsregeln - wie zunächst vorgesehen - ein ordnungsgemäßer Ablauf einer noch 2007 in zulässiger Weise gesetzten Klagefrist im Jahre 2008 nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen zu sein schien. Das ist nachvollziehbar, weil das in der Regelung der Verjährungsfristen des Art. 3 EGVVG enthaltene Günstigkeitsprinzip auf die anders geartete Klagefrist nicht ohne weiteres übertragbar ist. Der Lauf gesetzter Fristen, nicht aber die Zulassung von Neufristsetzungen in diesem Zeitraum ist mithin Gegenstand der mit Art. 1 Abs. 4 EGVVG getroffenen Regelung. Lediglich insoweit sollte eine Fortgeltung des alten Rechts allein bei bereits gesetzten Klagefristen sichergestellt werden. Dies erlaubt im Gegenschluss nur die Folgerung, dass eine weitergehende Anwendung ausgeschlossen werden sollte.

Bei einem anderen Verständnis hätte diese Regelung zudem keinen eigenständigen Sinn. Mit einer Erlaubnis, Klagefristen jedenfalls bis Ende 2008 oder gar noch darüber hinaus neu setzen zu dürfen, wäre der Ablauf einer zuvor gesetzten Frist nicht regelungsbedürftig, sondern selbstverständlich.

Gleiches träfe auf die von der vorgenannten Mindermeinung in der Literatur herangezogene Anwendung von Art. 1 Abs. 2 EGVVG zu, der seinem Wortlaut nach umfassend für alle übergangsrechtlich bedeutsamen Ausnahmen gilt, es mithin einer weiteren Regelung - wie in § 1 Abs. 4 EGVVG - gerade nicht bedurft hätte, weil eine solche bereits getroffen war.

cc) Aus der gesetzessystematischen Positionierung dieser Vorschrift in Abs. 4 des Art. 1 EGVVG und der Nichterwähnung in Art. 1 Abs. 1 Halbs. 2 EGVVG lässt sich für seinen Regelungsgehalt schließlich auch nichts anderes herleiten. Dabei kann dahinstehen, ob dies "schlichtweg aus Nachlässigkeit" geschehen (Brand, VersR 2011 aaO S. 565) oder "ob die Wahl des herausgehobenen Standorts durchaus verständlich" ist (Schneider, VersR 2008 aaO). Inhaltlich ist Art. 1 Abs. 4 EGVVG - was die vorgenannte Begründung (BT-Drucks. 16/5862 aaO) unterstreicht - als zusätzliche, besondere Übergangsregelung gegenüber der allgemeinen zum Lauf von Fristen konzipiert. Damit ist er zugleich eine - weitere - Einschränkung der Grundregel des Art. 1 Abs. 1 Halbs. 1 EGVVG, die die Geltung des neuen VVG ab 2008 festschreibt.

dd) Vor diesem Hintergrund erhellt sich der für die Streitfrage entscheidende Bedeutungsgehalt dieser Übergangsregelung: Mit der - positiven - Festlegung des Schicksals bereits in Lauf gesetzter Fristen über das Jahr 2007 hinaus wird zugleich - negativ - bestimmt, dass eine Neufristsetzung nicht in Betracht kommt. Der ausdrücklich geregelte Sachverhalt - Fristablauf - schließt mithin den anderen, nicht ausdrücklich geregelten - Neufristsetzung - aus (so überzeugend Brand aaO S. 565).


III.

Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Berufungsgericht wird sich mit den - nach seinem rechtlichen Ansatz folgerichtig bislang nicht geprüften - Voraussetzungen des geltend gemachten Versicherungsanspruchs und den dagegen erhobenen Einwendungen zu befassen haben.