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Amtsgericht Heidelberg Beschluss vom 05.01.2012 - 3 OWi 731/11 - Zum Akteneinsichtsrecht des Verteidigers
AG Heidelberg v. 05.01.2012: Zum Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes
Das Amtsgericht Heidelberg (Beschluss vom 05.01.2012 - 3 OWi 731/11) hat entschieden:
Der Verteidiger ist befugt, die dem Gericht vorzulegenden Akten einzusehen sowie die amtlich verwahrten Beweisstücke zu besichtigen. Das Akteneinsichtsrecht des Rechtsanwalts umfasst die Akte, die dem Gericht gem. § 199 Abs. 2 S. 2 StPO vorzulegen ist. Die Bedienungsanleitung und mangels Existenz einer offiziellen Lebensakte im engeren Sinn eine Mitteilung über Reparaturen, zusätzliche Wartungen oder eine vorgezogene Neueichung an dem verfahrensgegenständlichen Messgerät in dem die verfahrensgegenständliche Tat betreffenden durch den Eichschein festgelegten Eichzeitraum gehören dazu. Dies gilt zumindest dann, wenn der Betroffene wie hier durch seinen Wunsch nach Überprüfung der Messung Zweifel an der Ordnungsgemäßheit derselben geltend macht.
Siehe auch Akteneinsicht und Einhaltung der Bedienungsanleitung bei Messgeräten
Gründe:
Mit Schreiben vom 08.11.2011 beantragte der Verteidiger die gerichtliche Entscheidung über die teilweise Versagung der Akteneinsicht durch die Verwaltungsbehörde vom 25.10.2011.
Dem vorausgegangen war ein erstes Akteneinsichtsgesuch des Verteidigers vom 15.09.2011, dem die Verwaltungsbehörde – nachdem sie mit Schreiben vom 19.09.2011 zunächst mitgeteilt hatte, dass dem Akteneinsichtsgesuch derzeit nicht entsprochen werden könne, da die Akten zu Ermittlungszwecken benötigt würden, nach Abschluss der Ermittlungen aber umgehend Akteneinsicht gewährt werde – durch Übersendung einer Aktenkopie am 21.09.2011 nachgekommen ist.
Mit Schreiben vom 21.10.2011 beantragte der Verteidiger u. a. die Einsicht in die Lebensakte sowie die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts. Dies wurde ihm seitens der Verwaltungsbehörde am 25.10.2011 mit der Begründung versagt, dass weder die Bedienungsanleitung noch die Lebensakte, die im übrigen nicht geführt werde, Bestandteil der Akten sei. Hierauf beantragte der Verteidiger die gerichtliche Entscheidung.
Mit Verfügung vom 11.11.2011 übersandte die Verwaltungsbehörde die Akten zur Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Ein Vermerk über den Abschluss der Ermittlungen befindet sich nicht in der Akte. Auch wies die Verwaltungsbehörde im Rahmen der Übersendungsverfügung ausdrücklich darauf hin, dass über den Einspruch selbst bislang nicht entschieden wurde.
Der Antrag gem § 62 OWiG ist gem. §§ 147 StPO, 46 Abs. 1 OWiG zulässig und begründet.
Zwar besteht ein förmlicher Rechtsbehelf gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die Verwaltungsbehörde gem. § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO i. V. m. 46 Abs. 1 OWiG nur bei Ablehnung der Akteneinsicht, nachdem die Verwaltungsbehörde den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat (vgl. KK Ordnungswidrigkeitengesetz, 3. Auflage 2006, § 60 Rn. 103). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Da die Verwaltungsbehörde dem Verteidiger aber am 19.09.2011 schriftlich mitgeteilt hat, er werde nach Abschluss der Ermittlungen Akteneinsicht erhalten und diese dann am 21.09.2011 auch von sich aus gewährt hat, hat sie, vom Empfängerhorizont aus betrachtet, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Ermittlungen abgeschlossen sind. Hieran muss sie sich festhalten lassen. Das Bestehen auf einem förmlichen Abschlussvermerk wäre in dieser Situation Wortklauberei und entspräche nicht dem Sinn des Gesetzes. Der Antrag ist somit zulässig.
Der Antrag ist auch gem. § 147 StPO, 46 OWiG begründet.
Danach ist der Verteidiger befugt, die dem Gericht vorzulegenden Akten einzusehen sowie die amtlich verwahrten Beweisstücke zu besichtigen. Das Akteneinsichtsrecht des Rechtsanwalts umfasst die Akte, die dem Gericht gem. § 199 Abs. 2 S. 2 StPO vorzulegen ist. Die Bedienungsanleitung und mangels Existenz einer offiziellen Lebensakte im engeren Sinn eine Mitteilung über Reparaturen, zusätzliche Wartungen oder eine vorgezogene Neueichung an dem verfahrensgegenständlichen Messgerät in dem die verfahrensgegenständliche Tat betreffenden durch den Eichschein festgelegten Eichzeitraum gehören dazu. Dies gilt zumindest dann, wenn der Betroffene wie hier durch seinen Wunsch nach Überprüfung der Messung Zweifel an der Ordnungsgemäßheit derselben geltend macht.
Die Bedienungsanleitung ist notwendig, um den gegebenenfalls als Zeugen zu befragenden Messbeamten sachgerecht zur ordnungsgemäßen Durchführung der Messung befragen zu können. Das Urheberrecht steht der Beifügung einer Kopie der Bedienungsanleitung – ggfalls als Computerdatei nicht entgegen. Die Bedienungsanleitung für ein Geschwindigkeitsmessgerät beschreibt lediglich vorgegebene technische Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und ist deshalb keine eigenständige geistige Schöpfung des Autors (vgl. LG Ellwangen, VRR 2011, 117/AG Ellwangen NZV 2011, 362). Als Bestandteil der Akte ist auch offensichtlich, dass die überlassenen Unterlagen nur für das vorliegende Verfahren verwandt und insbesondere nicht anderweitig veröffentlicht werden dürfen.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit kann die Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts nicht versagt werden. Zum einen kommt es für die Erfüllung des Akteneinsichtsrechts als Konkretisierung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren nicht auf die Frage der Zumutbarkeit für die Verwaltungsbehörde an, zum anderen dürfte die Bedienungsanleitung als Computerdatei vorliegen und deshalb problemlos der Akte beigefügt werden können (vgl. auch Burhoff VRR 7/2011).
Die Mitteilung der die Messung durchführenden Stelle über Reparaturen und andere besondere Vorkommnisse im die verfahrensgegenständliche Messung betreffenden Eichzeitraum im Sinne einer inoffiziellen Lebensakte ist notwendig, um die Funktionsfähigkeit des verwendeten Messgeräts zum Tatzeitpunkt beurteilen zu können.
Zwar wird, wie dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist, bei dem vorliegend verwendeten Messgerät keine Lebensakte im engeren Sinn geführt. Es werden jedoch, wie dem Gericht ebenfalls bekannt ist, Belege über Reparaturen aufbewahrt sowie intern festgehalten, ob und welchem Beamten Unregelmäßigkeiten und Defekte an einem Messgerät auffallen. Eine Stellungnahme der die Messung durchführenden Stelle zum (Nicht-)Vorliegen solcher eventuell im verfahrensgegenständlichen, durch die Eichurkunde festgelegten Eichzeitraum durchgeführten Reparaturen, die gegebenenfalls auch – nach der verfahrensgegenständlichen Messung – zu einer vorzeitigen Neueichung geführt haben sowie dem Zeitpunkt, zu dem eine Unregelmäßigkeit gegebenenfalls erstmals aufgetreten ist, ist notwendig zur Beurteilung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Denn auch nach einer Messung aufgetretene Defekte können Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit des Messgeräts im Rahmen einer zuvor durchgeführten Messung zulassen.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.