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Landgericht Bochum Beschluss vom 15.01.2009 - 10 S 98/08 - Zur Berechnung der sog. 130-%-Grenze mit Bruttowerten

LG Bochum v. 15.01.2009: Zur Berechnung der sog. 130-%-Grenze mit Bruttowerten


Das Landgericht Bochum (Beschluss vom 15.01.2009 - 10 S 98/08) hat entschieden:
Es entspricht ganz herrschender Meinung, dass bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung im Rahmen der "130%-Grenze" die Bruttoreparaturkosten dem Bruttowiederbeschaffungswert gegenüberzustellen sind.


Siehe auch Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis und Integritätsinteresse und Ersatz der Reparaturkosten bis zu 130-% des Wiederbeschaffungswertes - die sog. 130-%-Grenze


Gründe:

I.

Die Berufung des Klägers bietet keine Aussicht auf Erfolg. Die Kammer beabsichtigt deshalb, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht einen über 2.900 € hinausgehenden Anspruch des Klägers gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 12.12.2007 verneint.

1. Die vom Kläger geltend gemachte Abrechnung des Fahrzeugschadens auf der Grundlage der (fiktiven) Reparaturkosten kann dieser nur dann beanspruchen, wenn der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert (ohne Berücksichtigung des Restwertes) nicht übersteigt und er als Geschädigter das Fahrzeug nach dem Unfall mindestens noch sechs Monate weiter nutzt (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.2006, VI ZR 192/05, NJW 2006, 2179).

Bereits an der ersten Voraussetzung mangelt es hier, weil die unstreitigen Reparaturkosten in Höhe von 5.303,13 € (brutto) den ebenfalls unstreitigen Wiederbeschaffungswert (ohne Restwert) in Höhe von 4.800 € (brutto) übersteigen.

Zutreffend stellt das Amtsgericht bei dieser Vergleichsberechnung auf die Bruttoreparaturkosten ab. Es entspricht ganz herrschender Meinung, dass bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung im Rahmen der "130%-Grenze" die Bruttoreparaturkosten dem Bruttowiederbeschaffungswert gegenüberzustellen sind (vgl. neben den im amtsgerichtlichen Urteil angeführten Zitatstellen noch Palandt, 66. Auflage, Rn. 27 zu § 249 BGB; OLG Düsseldorf, DAR 2008, 268; AG Kaiserslautern, VersR 2005, 1303, 1305; jeweils m.w.N.). Demzufolge stellt auch der BGH in seinen Entscheidungen - sowohl zur Frage der "130%-Grenze", als auch hinsichtlich der fiktiven Abrechnung (vgl. z.B. BGH NJW 2008, 437; VersR 2005, 1257) - regelmäßig auf die Bruttowerte ab, ohne dies jedoch besonders hervorzuheben.

Auch die Wirtschaftlichkeitsberechnung im Rahmen der fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis muss ebenso auf der Basis der Bruttowerte erfolgen. Hier ist gleichermaßen zu fragen, was der Geschädigte bei einer sach- und fachgerecht durchgeführten Reparatur tatsächlich aufwenden müsste und welcher Betrag bei einer Ersatzbeschaffung anfallen würde. Lediglich der Integritätszuschlag von 30% wird nicht gewährt, so dass der Vergleichswert auf der "Reparaturkostenseite" ein anderer ist. Dies war bis zur Einführung des § 249 Absatz 2 Satz 2 BGB unbestritten. Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der Wertung des § 249 Absatz 2 Satz 2 BGB. Entgegen der Auffassung der Berufung erlaubt diese Norm nicht die Gegenüberstellung der Netto-Reparaturkosten und des Bruttowiederbeschaffungswertes. Dies würde zu einer vom Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigten Besserstellung des Geschädigten führen, der sein Fahrzeug nicht oder jedenfalls nicht fachgerecht repariert. Ziel der Gesetzesänderung war vielmehr die Beseitigung einer Gefahr der Überkompensation bei fiktiver Abrechnung (vgl. BT-Drs. 14/7752, 13; Greger, NZV 2002, 222). Insoweit sollte die fiktive Abrechnung eingeschränkt und nicht ausgeweitet werden. Unter Zugrundelegung der Auffassung des Klägers wäre dagegen letzteres der Fall.

2. Soweit das Amtsgericht die Anwendung der 130%-Grenze verneint, ist dies nicht zu beanstanden. Der Kläger hat eine fachgerechte Reparatur auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen F weder behauptet, noch durch geeignete Nachweise belegt. Dies wird vom Kläger mit der Berufung auch nicht angegriffen.

Nach allem kann der Kläger die Abrechnung des Schadens lediglich auf "Totalschadenbasis" verlangen. Die entsprechende Zahlung ist durch die Beklagte vollständig erbracht worden.


II.

Die Kammer beabsichtigt deshalb, nach eingehender Prüfung angesichts der zuvor dargestellten Sach- und Rechtslage die Berufung gemäß § 522 Absatz 2 ZPO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Berufung offensichtlich unbegründet ist. Es reicht vielmehr aus, dass nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage das Berufungsgericht eine Aussicht auf Erfolg verneint und keine weitere Sachaufklärung notwendig ist (vgl. dazu OLG Celle, NJW 2002, 2400 (2401) und NJW 2002, 2800 ff.; OLG Rostock NJW 2003, 1676 (1677); OLG Köln, JMBl NRW 2004, 8 ff). Dies ist hier der Fall.

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Absatz 2 Ziffer 2 u. 3 ZPO sind gegeben, denn die Rechtssache hat weder eine allgemeine grundsätzliche Bedeutung, noch fordert die Fortbildung des Rechts eine tatsächliche Entscheidung der Kammer in der Sache.


III.

Der Kläger erhält Gelegenheit, dazu binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.