Das Verkehrslexikon
OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 22.10.2001 - 2 Ws (B) 378/01 OWiG - Kein Absehen vom Fahrverbot wegen starker emotionaler Beanspruchung
OLG Frankfurt am Main v. 22.10.2001: Kein Absehen vom Fahrverbot wegen starker emotionaler Beanspruchung
Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 22.10.2001 - 2 Ws (B) 378/01 OWiG) hat entschieden:
Eine starke emotionale Bewegung (Teilnahme an einer Beerdigung) und die mangelnde Vertrautheit mit den technischen Besonderheiten eines Pkw rechtfertigen es nicht, bei einem Rotlichtverstoß von der Anordnung des Regelfahrverbots abzusehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 BKatV).
Siehe auch Fahrzeugführerpflichten und Absehen vom Fahrverbot
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Gießen hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichtbeachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage eine Geldbuße von 500,- DM festgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Gießen erhebt mit ihrer Rechtsbeschwerde die Sachrüge und wendet sich ausschließlich, gegen die Nichtverhängung eines Fahrverbots. Das von der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene als Führer des PKW ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... am 28.Oktober 2000 gegen 16.15 Ohr an der Kreuzung ... in ... das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage nicht beachtet und dadurch einen Verkehrsunfall verursacht. Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, er sei in Gedanken gewesen, da er gerade von der Beerdigung einer ihm sehr nahe stehenden Person gekommen sei und infolge des gerade Erlebten nicht die nötige Aufmerksamkeit habe walten lassen. Zudem sei er zur Tatzeit mit den technischen Besonderheiten des PKW Smart, den er erst seit einer Woche fahre, nicht vertraut gewesen, was seine Aufmerksamkeit zusätzlich abgelenkt habe. Das Amtsgericht hat die Nichtverhängung eines Fahrverbots wie folgt begründet:
"Im vorliegenden Fall stellte sich der Rotlichtverstoß des Betroffenen nach dessen Angaben als sog. Augenblicksversagen dar. Er hatte aufgrund mangelnder Sorgfalt den Wechsel der Lichtzeichen nicht wahrgenommen, weshalb der Vorwurf einer groben Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 25 StVG nicht anzunehmen war. Unter Berücksichtigung aller Tatumstände war im Rahmen einer Gesamtwürdigung von einem Fahrverbot abzusehen auch angesichts der Nichtvorbelastung des Betroffenen, seines Verhaltens nach dem Unfall dem Unfallgegner gegenüber und auch angesichts des Eindrucks, den der Betroffene im Rahmen der Hauptverhandlung machte. Ferner waren die vom Betroffenen geschilderten tatsächlichen Schwierigkeiten, die mit dem Antritt eines einmonatigen Fahrverbots verbunden wären, nachvollziehbar. Nach alledem schien die Verdoppelung der Geldbuße auf 500,- DM gegen Wegfall des einmonatigen Fahrverbots noch angemessen, um der Tat Rechnung zu tragen."
III.
Die nach § 79 Abs. l S.1 Nr.3 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist ihrer Begründung nach auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Da die Tatsachenfeststellungen des Amtsgerichts als Grundlage für die Rechtsfolgenerwägungen ausreichen, ist die Beschränkung auch wirksam. Der Schuldspruch ist damit rechtskräftig. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend geht das Amtsgerichts zunächst davon aus, dass die in § 2 Abs. l Nr.4 BKatV i.V.m. Nr. 34.1 des Bußgeldkatalogs umschriebenen Voraussetzungen für die Anordnung eines sog. Regelfahrverbots gegeben sind. Die Erfüllung. dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs.1 S. l StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38,125,134). Die Regelungen des § 2 Abs.1,2 BKatV sind verfassungsgemäß (vgl. BVerfG NJW 1996,1809).
2. Die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall von dem Fahrverbot sind nach dem festgestellten Sachverhalt nicht gegeben.
a) Anhaltspunkte für eine Minderung des sog. Erfolgsunwerts bestehen nicht. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts entstand an beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen Sachschaden. Außerdem ist die Zeugin W. sogar leicht verletzt worden.
b) Der sog. Handlungsunwert ist ebenfalls nicht gemindert. Das Vorliegen einer Katalogtat -wie hier - begründet zunächst die Vermutung, dass auch subjektiv eine grobe Pflichtverletzung vorliegt (vgl. BGH, NZV 1997, 525,526). Ein Ausnahmefall ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht gegeben. Insbesondere handelt es sich nicht um ein sog. Augenblicksversagen, wie das Amtsgericht angenommen hat. Nach der Einlassung des Betroffenen beruhte der Rotlichtverstoß auf eingeschränkter Aufmerksamkeit wegen starker emotionaler Bewegung durch eine unmittelbar vorangegangene Beerdigung einer ihm sehr nahe stehenden Person sowie mangelnder Vertrautheit mit den technischen Besonderheiten des erst seit einer Woche gefahrenen PKW. Diese Umstände sind jedoch nicht geeignet, nur leichte Fahrlässigkeit anzunehmen. Von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer ist nämlich zu verlangen, dass er an Kreuzungen mit einem Mindestmaß an Konzentration heranfährt, das es ihm ermöglicht, die Verkehrssignale wahrzunehmen und zu beachten (vgl. BGH, DAR 1992,369,370). Dem ist der Betroffene in gesteigertem Maße nicht gerecht geworden. Wenn er durch die Beerdigung emotional so beeinträchtigt war, dass er seinen PKW nicht mehr ordnungsgemäß im Straßenverkehr führen konnte, hätte er die Fahrt gar nicht erst antreten dürfen oder unterbrechen müssen. Ebenso wenig durfte er sich mit den technischen Besonderheiten seines PKW erst im Alltagsbetrieb des Straßenverkehrs vertraut machen (vgl. BayObLG, NZV 2001,135) . Auch wenn der Betroffene nicht einschlägig vorbelastet ist und sich nach dem Zusammenstoß um die Unfallgegner gekümmert hat, trifft ihn doch jenes gesteigerte Unwerturteil, das regelmäßig die Verhängung der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots erfordert.
c) Schließlich kann auch. nicht unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen werden. Das wäre möglich, wenn das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, z.B. zum Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder zum Existenzverlust bei einem Selbständigen führen würde. Berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen. Nach der Neuregelung in § 25 Abs. 2a StVG, wonach ein verhängtes Fahrverbot maximal 4 Monate aufgeschoben werden kann, ist bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile für die Beurteilung der Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbots überhaupt von Bedeutung sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen. Einem Betroffenen ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 10. Januar 2001 -- 2 Ws (B) 4/01 OWiG m.w.N.) grundsätzlich zuzumuten, durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Zeit des Fahrverbots zu überbrücken, zum Beispiel durch Inanspruchnahme von Urlaub, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Inanspruchnahme einer Fahrgemeinschaft, Anstellen eines bezahlten Fahrers usw. Die hierdurch auftretenden finanziellen Belastungen hat der Betroffenen hinzunehmen, notfalls durch Aufnahme eines Kredits. Im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots von einem Monat bewegen sich eventuelle finanzielle Belastungen ohnehin in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen. Ein solcher Ausnahmefall ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts hier nicht gegeben. Anhaltspunkte für einen Existenzverlust aufgrund eines einmonatigen Fahrverbots bestehen nicht. Der Senat verkennt zwar, nicht, dass der Betroffene nach seinen Angaben grundsätzlich auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist. Wenn er die Dauer des Fahrverbots nicht durch Urlaub überbrücken kann, muss er aber einen Fahrer anstellen oder sich eines Taxis bedienen. Die daraus resultierenden finanziellen Belastungen hat er hinzunehmen.
IV.
Auch in Ansehung der Stellungnahme des Betroffenen mit Schriftsatz vom 19. September 2001 ist nicht ersichtlich, dass weitere erhebliche Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch getroffen werden könnten. Der Senat kann deshalb gemäß § 79 Abs.6 OWIG in der Sache selbst entscheiden und die Regelsanktionen von einer Geldbuße in Höhe von 250,- DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängen. Der Betroffene hat die Kosten des für ihn nachteilig entschiedenen Rechtsmittels einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen (§ 465 StPO).