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VGH München Beschluss vom 14.08.2012 - 11 C 12.1746 - Zur MPU-Anordnung bei erheblichen Straftaten und zu hohem Aggressionspotential
VGH München v. 14.08.2012: Zur MPU-Anordnung bei erheblichen Straftaten und zu hohem Aggressionspotential
Der VGH München (Beschluss vom 14.08.2012 - 11 C 12.1746) hat entschieden:
Der Begriff "erheblich" bei einer zu bewertenden Straftat in § 11 Abs. 3 Nr. 6 FEV ist nicht ohne Weiteres mit "schwerwiegend" gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahreignung. Der ausreichende Bezug zur Kraftfahreignung liegt hier bereits darin, dass die Tat in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Verhalten des Betroffenen im Straßenverkehr und der hieran geäußerten Kritik eines anderen Verkehrsteilnehmers steht. Durch eine vorsätzlich begangene Körperverletzung hat ein Betroffener auch ein hohes Aggressionspotential an den Tag gelegt. In einem solchen Fall bestehen begründete Zweifel daran, dass der Betroffene im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektieren wird und ob nicht aufgrund des zu erwartenden rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletzt werden.
Siehe auch Fahrerlaubnisrecht und Aggressionspotential und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Anfechtungsklage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Der Kläger wurde mit Urteil vom 11. April 2011 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einer Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er am 8. November 2010 als Führer eines Kraftfahrzeugs rückwärts eine Einbahnstraße befuhr und dabei so ungünstig zum Halten kam, dass ein anderer Kraftfahrzeugführer, der verkehrsgerecht in die Straße einfuhr, an dem Kraftfahrzeug des Klägers nicht vorbeifahren konnte. Nachdem der andere Kraftfahrzeugführer den Kläger auf die zu geringe Lücke hingewiesen hatte, beleidigte der Kläger diesen und schlug ihm schließlich mit der Faust ins Gesicht.
Die Fahrerlaubnisbehörde forderte vom Kläger daraufhin die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens, mit dem geklärt werden sollte, ob zu erwarten sei, dass der Kläger künftig Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stünden, begehen werde. Die abgeurteilte Straftat begründe Zweifel an der Fahreignung des Klägers, die gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens erforderlich machten.
Nachdem das Gutachten nicht vorgelegt worden war, entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Februar 2012 seine Fahrerlaubnis.
Der Kläger ließ Anfechtungsklage erheben und einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 4. Juli 2012 ab. Die Beibringungsaufforderung sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV zu Recht erfolgt. Die abgeurteilte Straftat zeige ein hohes Aggressionspotential des Klägers sowie seine Neigung zu Rohheit und Unbeherrschtheit. Ferner offenbare sie einen Hang des Klägers zum teilweise impulsiven Durchsetzen eigener Interessen unter schwerwiegender Verletzung der Interessen anderer. Es bestehe daher die Gefahr, dass der Kläger im motorisierten Straßenverkehr möglicherweise nicht erwarten lasse, dass er die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer - zumindest in den sehr häufig auftretenden Konfliktsituationen - respektieren werde und auch dort eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen wolle. Ob dies tatsächlich der Fall sei, müsse durch ein Fahreignungsgutachten geklärt werden. Soweit der Kläger behauptet habe, die notwendigen Mittel für die Gutachtenserstellung nicht aufbringen zu können, habe er es versäumt, substantiiert darzulegen, warum er nicht in der Lage sei, durch die Ermöglichung von Ratenzahlungen der Gutachtensanforderung Folge zu leisten.
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Bevollmächtigte des Klägers vor, die Beibringungsaufforderung sei übersteigert und nicht zu rechtfertigen. Eine Ermahnung des Klägers hätte in diesem Fall ausgereicht. Der Kläger habe sich vorher straffrei geführt. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht erkennbar. Die Behörde habe das ihr im Rahmen der Beibringungsanordnung zustehende Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt. Der Kläger habe seinen Arbeitslosengeld-II-Bescheid zur Vorlage gebracht. Hieraus ergebe sich ohne Weiteres, dass er in äußerst beengten finanziellen Verhältnissen lebe. Eine weitergehende Glaubhaftmachung, die Kosten für die Begutachtung nicht aufbringen zu können, sei daher nicht erforderlich.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Klägers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Hierzu wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen, denen der Senat folgt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Zum Beschwerdevorbringen wird ergänzend folgendes ausgeführt: Die vom Kläger begangene Straftat, die zu seiner Verurteilung am 11. April 2011 geführt hat, ist als erheblich einzustufen. Der Begriff "erheblich" ist nach der Gesetzesbegründung zur Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. Juli 2008 (BGBl I 1338, BR-Drs. 302/08 S. 61) nicht ohne Weiteres mit "schwerwiegend" gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahreignung (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2012, § 11 FeV RdNr. 5 d). Der Bezug zur Kraftfahreignung setzt nicht voraus, dass für die Bejahung des Begriffs "erheblich" ein Pkw als Mittel zur Straftat benutzt worden ist. Der ausreichende Bezug zur Kraftfahreignung liegt hier bereits darin, dass die Tat in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Verhalten des Klägers im Straßenverkehr und der hieran geäußerten Kritik eines anderen Verkehrsteilnehmers steht. Durch die vorsätzlich begangene Körperverletzung hat der Kläger auch ein hohes Aggressionspotential an den Tag gelegt. In einem solchen Fall bestehen begründete Zweifel daran, dass der Betroffene im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektieren wird und ob nicht aufgrund des zu erwartenden rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletzt werden.
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Nach der Rechtsprechung ist die Anordnung der Beibringung eines Gutachtens kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt (BVerwG vom 17.5.1994 DAR 1994, 372). Die ausdrücklich auf Verwaltungsakte zugeschnittenen Regeln des Art. 40 BayVwVfG über die Ermessensausübung sind deshalb allenfalls entsprechend heranzuziehen (BayVGH vom 20.2.2007 Az. 11 CS 06.2029 - juris). Die Behörde muss also in der Beibringungsanordnung nicht darlegen, warum sie sich bei bestehenden Eignungszweifeln neben anderen grundsätzlich in Betracht kommenden Gefahrerforschungsmaßnahmen gerade für diejenige der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens entschieden hat. Denn die Begründungsanforderungen für die Gutachtensaufforderung sind in § 11 Abs. 6 FeV spezialgesetzlich und abschließend geregelt und sehen eine Begründung in dieser Hinsicht gerade nicht vor. Außerdem geht die Fahrerlaubnis-Verordnung davon aus, dass eine Person, deren Fahreignung Bedenken begegnet, diese Zweifel gerade durch ein auf eigene Kosten beizubringendes Gutachten auszuräumen hat, während die Fahrerlaubnisbehörde nicht verpflichtet ist, medizinische Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung durch eigenes Fachpersonal vorzunehmen (BayVGH vom 4.4.2011 Az. 11 CS 11.372; Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblattkommentar, Stand Mai 2012, § 11 FeV S. 38 h).
Soweit der Kläger vorgetragen hat, er könne die Kosten der Begutachtung nicht aufbringen, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vom 13.11.1997 BayVBl 1998, 634) das Gesetz einem Kraftfahrer die Kosten für die Begutachtung ebenso zumutet, wie es ihm zumutet, die Kosten zu zahlen, die zum verkehrssicheren Führen des Fahrzeugs notwendig sind. Um ein ausnahmsweise anderes Ergebnis zu rechtfertigen, reicht es nicht aus, vorzutragen, kein Gutachter würde sich darauf einlassen, ein Gutachten auf Ratenzahlung zu erstellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vom 12.3.1985 BayVBl 1985, 472) ist die Fahrerlaubnisbehörde nicht gehindert, aus der Nichtbeibringung eines zu Recht angeforderten Eignungsgutachtens negative Schlüsse zu ziehen, wenn die Gutachterstelle den Antrag des Betroffenen, die Kosten des Gutachtens aus finanziellen Gründen in Raten zu zahlen, abgelehnt hat, ohne dass der Betroffene gegen die Ablehnung vorstellig geworden ist oder sonst etwas veranlasst hat. Das gilt erst recht, wenn der Betroffene - wie hier - noch nicht einmal bei einer Gutachterstelle einen entsprechenden Antrag auf Ratenzahlung gestellt hat.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Bereits aus § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG ergibt sich, dass der Kläger die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat. Nach § 166 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO werden im Prozesskostenhilfeverfahren etwaige außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.