Das Verkehrslexikon

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OLG München Urteil vom 24.05.2012 - 1 U 549/12 - Zum Erfordernis der Warnung vor geringer Durchfahrthöhe wegen eines in den Luftraum über dem Fahrbahnrand hineinragenden Astes

OLG München v. 24.05.2012: Zum Erfordernis der Warnung vor geringer Durchfahrthöhe wegen eines in den Luftraum über dem Fahrbahnrand hineinragenden Astes


Das OLG München (Urteil vom 24.05.2012 - 1 U 549/12) hat entschieden:

  1.  Der Verkehrssicherungspflichtige ist verpflichtet, durch ein Gefahrenzeichen vor einem in den Straßenbereich hineinragenden Baumteil zu warnen oder vorzugsweise Fahrzeugen, die eine Höhe über alles von 3,93 Metern aufweisen, durch das Zeichen Nr. 265 die Benutzung der Straße zu verbieten. Eine absolute Grenze für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht betreffend die in den Luftraum über der Fahrbahn hineinragenden Teile von Straßenbäumen besteht nicht. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht hängt entscheidend vom Charakter der Straße ab und wird maßgebend durch Art und Ausmaß ihrer Benutzung und durch ihre Verkehrsbedeutung bestimmt. Dabei kann vom Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden, dass die Straße völlig gefahrlos ist. Vielmehr muss der Pflichtige in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich deshalb nicht einzurichten vermag.

  2.  Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass auch bei Nutzfahrzeugen nach einem Unfall ein merkantiler Minderwert eintreten kann und dass der Geschädigte die Erstattung dieses Schadens fordern kann, sofern für solche Fahrzeuge ein Gebrauchtwagenmarkt besteht (BGH NJW 1980,281).

  3.  Hält ein Geschädigter für den Fall des Ausfall eines Nutzfahrzeugs ein Reservefahrzeug vor und ist dieses nach einem Unfall ständig im Einsatz, hat er Anspruch auf Ersatz der Vorhaltekosten.

  4.  Wird ein unfallbeschädigtes Fahrzeug vom Herstellerbetrieb außerhalb des Wohnsitzes des Halters repariert, hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Verbringungskosten.


Siehe auch
Missachtung der zulässigen Durchfahrthöhe
und
Stichwörter zum Thema Verkehrssicherung

Tatbestand:


Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten zu 1 Ansprüche im Zusammenhang mit einem Unfall auf der B.straße in Markt I. geltend.

Die Klägerin ist Halterin und Eigentümerin eines Sattelzugs, bestehend aus einer Zugmaschine der Marke Mercedes Benz, Typ 1841 LS und einem Sattelaufleger mit einem Frischdienstkoffer hergestellt von der Firma R., Baujahr 2009. Die Höhe des Sattelauflegers über alles beträgt 3,93 Meter.

Der Beklagte zu 1 ist Straßenbaulastträger der Gemeindestraße B.straße. Auf Höhe des Grundstückes S.straße 1, das im Eigentum des nicht mehr am Berufungsverfahren beteiligten Beklagten zu 2 steht, ragt eine ca. 100 Jahre alte Kastanie in den Luftraum der B.straße hinein, wobei der unterste Ast des Baumes am rechten Fahrbahnrand in Fahrtrichtung P.straße eine Durchfahrtshöhe von ca. 3 Meter zulässt, die in Richtung des linken Fahrbahnrandes ansteigt. Ab einer Entfernung von 1,25 Meter vom rechten Fahrbahnrand beträgt die Durchfahrtshöhe 4,03 Meter.

Der Zeuge G. befuhr am 16. Juli 2009 gegen 6:05 Uhr morgens mit dem Lastkraftwagen der Klägerin die B.straße in Richtung P.straße. Auf Höhe des Grundstücks S. straße 1 kollidierte der Lastkraftwagen mit dem von rechts in Fahrrichtung in den Luftraum der Straße hineinragenden Ast der Kastanie. Der Frischdienstkoffer wurde durch den Anstoß an der rechten oberen Seite auf einer Länge von ca. 6,5 Meter beschädigt.

Die Klägerin macht mit der Klage folgende Schadensersatzansprüche geltend:

Reparaturkosten netto 13.996,40 €
Gutachtenkosten 1.271,00 €
Wertminderung 2.000,00 €
Vorhaltekosten 1.680,00 €
Verbringungskosten 200,00 €
Unkostenpauschale 30,00 €





Die Klägerin hat vor dem Landgericht vorgetragen:

Die Beklagten seien verpflichtet, der Klägerin sämtliche durch den Unfall entstandenen Schäden zu ersetzen, weil sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen seien. Die Beklagten seien verpflichtet gewesen, entweder das Hindernis zu beseitigen oder rechtzeitig auf ein solches hinzuweisen. Der Lkw-Fahrer habe den in den Luftraum hineinragenden Ast wegen Gegenlicht der aufgehenden Sonne und Belaubung nicht rechtzeitig erkennen können, so dass eine Kollision für ihn nicht vermeidbar gewesen sei. Die geltend gemachten Reparaturkosten seien ausschließlich auf die streitgegenständliche Kollision zurückzuführen. Die Reparatur habe 14 Tage in Anspruch genommen. Der tägliche Nutzungsausfall bestehe in Höhe von 120,00 €. Außerdem seien Verbringungskosten in Höhe von 200,00 € zur Durchführung der Reparatur erforderlich gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

   die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 19.177,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie 859,80 € Rechtsanwaltskosten zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1 hat vorgetragen:

Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liege nicht vor. Er sei nicht verpflichtet auf der Straße eine Durchfahrtshöhe von mindestens 4 m für große Lastkraftwagen zu gewährleisten, da ein solcher Verkehr auf dieser Straße nicht zu erwarten sei. Eine Verpflichtung zur Beseitigung des in den Verkehrsraum hineinragenden Astes bestehe deshalb nicht. Auch eine Pflicht zum Hinweis auf dieses Hindernis sei nicht gegeben, da es hinreichend rechtzeitig erkennbar sei. Ursächlich für den Unfall sei ausschließlich das Verhalten des Fahrers des Lastkraftwagens gewesen, welcher sich nicht hinreichend über die Möglichkeit einer gefahrenlosen Durchfahrt informiert habe, mit überhöhter Geschwindigkeit die Straße befahren und beim ersten Anstoß nicht rechtzeitig reagiert habe. Die Höhe des geltend gemachten Schadens werde bestritten. An dem beschädigten LKW seien Vorschäden vorhanden gewesen. Außerdem könne allenfalls eine Reparaturzeit von zehn Tagen angesetzt werden.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen G. und durch die Hinzuziehung des Sachverständigen Dipl.-Ing. Holger H.




Das Landgericht wies mit Endurteil vom 9. Januar 2012 die Klage ab.

Das Landgericht führte zur Begründung aus, dass den Beklagten keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen werden könne. Der Beklagte zu 1 sei weder verpflichtet gewesen den überwachsenden Ast zu entfernen noch ein Hinweisschild oder das Verkehrszeichen 265 anzubringen. Da es sich bei der Straße um eine dörfliche Straße in einem Wohngebiet mit äußerst geringer Verkehrsbedeutung handele, auf der mit einem Befahren durch Fahrzeuge in der Größenordnung des klägerischen LKWs nicht gerechnet werden müsse, seien keine allzu hohen Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten zu 1 zu stellen. Der Beklagte zu 1 sei nicht zur Anbringung eines Warnschildes verpflichtet gewesen, da keine generelle Verpflichtung des Straßenbaulastträgers bestehe, den Straßenraum bei sämtlichen Straßen für einen Verkehr bis zur zulässigen Fahrzeughöhe von 4,0 Meter freizuhalten. Eines Hinweisschilds hätte es auch deshalb nicht bedurft, da für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs rechtzeitig erkennbar gewesen sei, dass praktisch die gesamte Straße von einer Baumkrone überragt werde. Zumindest würde es an einem Verschulden der zuständigen Beamten des Beklagten zu 1 fehlen, da diese mit der Durchfahrt von Fahrzeugen, die nicht den streitgegenständlichen Ast passieren könnten, nicht hätten rechnen müssen. Selbst wenn man entgegen der Rechtsansicht des Gerichts von einer Verkehrssicherungspflichtverletzung ausgehen wolle, würde eine Haftung des Beklagten zu 1 gegenüber dem weit überwiegenden Schadensverursachungsverhalten des klägerischen Fahrers völlig zurücktreten. Die Abwägung einer möglichen Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten zu 1 gegenüber dem Fehlverhalten des Fahrers und die erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges führe dazu, dass eine eventuelle Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten zu 1 nicht ins Gewicht falle. Bei dem Beklagten zu 1 sei allenfalls von einer äußerst leichten Fahrlässigkeit auszugehen, während die Klägerin sich neben der ohnehin hohen Betriebsgefahr zumindest ein grob fahrlässiges, wenn nicht bereits bedingt vorsätzliches Verhalten des klägerischen Fahrers entgegenhalten lassen müsse. Der klägerische Fahrer müsse sich insbesondere anrechnen lassen, dass er von der Hauptstraße abgewichen und in ein Wohngebiet hineingefahren sei, sich nicht hinreichend darüber vergewissert habe, ob er mit dem Fahrzeug die Engstelle am streitgegenständlichen Baum passieren könne, er nicht den sichersten Weg zum Passieren der Engstelle gewählt habe und zudem mit überhöhter Geschwindigkeit die Engstelle durchfahren habe.

Die Klägerin legte mit Schriftsatz vom 9.2.2012 gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9.1.2012, das ihr am 20.1.2012 zugestellt worden war, Berufung ein und begründete die Berufung mit Schriftsatz vom 13.2.2012, wobei sie die Berufung auf die Klageabweisung bezüglich des Beklagten zu 1 beschränkte.




Die Klägerin trägt vor:

Das Landgericht habe zu Unrecht die Klage im Hinblick auf den Beklagten zu 1 abgewiesen.

Das Landgericht habe das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung zu Unrecht verneint. Der Beklagte zu 1 habe gewusst, dass der streitgegenständliche Baum die Durchfahrtshöhe erheblich vermindere und eine erhebliche Gefahr darstelle. Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte zu 1 bei pflichtgemäßer Verkehrssicherungspflichterfüllung ein Hinweisschild auf die verminderte Durchfahrtshöhe aufstellen müssen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne sich der Verkehrsteilnehmer ohne entsprechende Hinweisschilder sehr wohl darauf verlassen, dass eine Mindestdurchfahrtshöhe von 4 Meter gewährleistet sei. Rechtsfehlerhaft sei auch die Auffassung des Landgerichtes, dass eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zu 1 hinter einem groben Verschulden des Fahrers des Lastkraftwagens zurücktrete. Das Gericht habe insbesondere verkannt, dass der Sachverständige keinesfalls geäußert habe, dass der Fahrer des LKWs mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h unter dem Baum durchgefahren sei. Ebenso habe das Gericht verkannt, dass bei einer Betrachtung zu Gunsten des Fahrers die verminderte Durchfahrtshöhe erst im Bereich von 7 m vor dem Anstoß erkennbar gewesen sei. Schließlich werde auch nicht beachtet, dass zum Zeitpunkt des Erkennens der Gefahr, der Fahrer gar keine andere Möglichkeit gehabt habe als weiterzufahren, da ein Wendemanöver in der engen Straße äußerst gefährlich, wenn nicht unmöglich gewesen wäre.

Die Klägerin beantragt,

   das Urteil des Landgerichts Augsburg dahingehend abzuändern, dass der Beklagte zu 1 verurteilt wird, an die Klägerin 19.177,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie 859,80 € vorgerichtliche Anwaltskosten zu bezahlen.

Der Beklagte zu 1 beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 1 trägt vor:

Das Landgericht habe zu Recht die Klage abgewiesen. Zu Recht habe es eine Verpflichtung des Beklagten zu 1 zur Gewährleistung einer Durchfahrtshöhe von 4 m an der betreffenden Stelle verneint. Auch habe keineswegs ein Warnschild, das auf den querstehenden Ast hinweise, angebracht werden müssen. Dies ergebe sich daraus, dass der hineinragende Ast schon von weitem gut zu erkennen gewesen sei. Entgegen der klägerischen Darstellung sei der Baum weder schwer noch spät zu erkennen und stelle auch keineswegs eine erhebliche Gefahr dar.

Das Landgericht habe zu Recht auch angenommen, dass eine etwaige Verkehrssicherungspflichtverletzung hinter dem weit überwiegenden Mitverschulden des Fahrers zurücktrete.

Es werde weiterhin bestritten, dass die Klägerin einen Schaden in der geltend gemachten Höhe erlitten habe.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens nimmt der Senat Bezug auf die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze.




Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung erwies sich teilweise als begründet.

A.

Der Klägerin war ein Betrag in Höhe von € 8748,70 zuzusprechen, da der Beklagte zu 1 schuldhaft die ihm als Straßenbaulastträger obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat und der Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung dieser Pflicht und dem eingetretenen Unfallschaden gegeben ist. Die Klägerin muss sich jedoch einen Mitverursachungsanteil in Höhe von 50% anrechnen lassen. Desweiteren waren die geltenden gemachten Vorhaltekosten abzuziehen.

I.

Der Beklagte zu 1 war verpflichtet, durch ein Gefahrenzeichen vor dem in den Straßenbereich hineinragenden Baumteil zu warnen oder vorzugsweise Fahrzeugen, die eine Höhe über alles von 3,93 Metern aufweisen, durch das Zeichen Nr. 265 die Benutzung der Straße zu verbieten.

Eine absolute Grenze für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht betreffend die in den Luftraum über der Fahrbahn hineinragenden Teile von Straßenbäumen besteht nicht. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht hängt entscheidend vom Charakter der Straße ab und wird maßgebend durch Art und Ausmaß ihrer Benutzung und durch ihre Verkehrsbedeutung bestimmt. Dabei kann vom Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden, dass die Straße völlig gefahrlos ist. Vielmehr muss der Pflichtige in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich deshalb nicht einzurichten vermag. Das Maß der vom Verkehrssicherungspflichtigen einzuhaltenden Sorgfalt zum Schutz vor einem in das Luftraumprofil der Straße hineinragenden Baumteil bestimmt sich insbesondere nach der Verkehrsbedeutung der Straße unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für den Verkehr von Fahrzeugen mit hohen Aufbauten, der Fahrbahnbreite, der Erkennbarkeit der Gefahrenstelle und der Höhe des hineinragenden Astwerkes (vgl. zum ganzen OLG Celle BeckRS 2004, 1298 m. w. Nachw.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist dem Beklagten zu 1 eine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen.

1. Die Breite der Straße betrug 4 Meter, der Ast ragte ca. auf einer Länge von 1,20 Meter in die Strasse hinein. Der Sachverständige hat Fahrversuche durchgeführt und festgestellt, dass ein Anstoß nur dann vermieden werden kann, wenn der Fahrer die gesamte Gegenfahrbahn benutzt und eine extreme Lenkung des Lastkraftwagens in Richtung Kurvenaußenrand vornimmt, wobei das linke Vorderrad der Zugmaschine am Teerdeckenrand der linken Fahrbahn entlang geführt werden muss. Aus den Ausführungen des Sachverständigen kann gefolgert werden, dass ein am rechten Fahrbahnrand fahrender LKW mit einer Aufbauhöhe von mehr als 3 Meter unweigerlich an den Ast stößt und ein LKW mit einer Aufbauhöhe von knapp unter 4 Metern eine Kollision nur dann vermeiden kann, wenn er eine extreme Lenkung Richtung Kurvenaußenrand vornimmt. Ein solches Fahrmanöver setzt aber nach Auffassung des Senates voraus, dass der Fahrer die Gefahrenstelle und die Durchfahrtshöhen kennt. Der Sachverständige hat weiter darauf hingewiesen, dass der Lastkraftwagen dann die Gegenfahrbahn versperrt und der Gegenverkehr mit einem auf die Gegenspur ausholenden Lastkraftwagen nicht rechnet und ihn auch nicht ohne weiteres rechtzeitig erkennen kann. Insgesamt ist festzustellen, dass die Kollision eines Lastkraftwagens mit einer Aufbauhöhe von knapp ca. 4 Meter mit dem Ast wahrscheinlich ist und ein Ausweichen des Lastkraftwagens auf die Gegenspur für den Gegenverkehr durchaus gefährlich sein kann. Es mögen durch die B. straße in Markt I. nur wenige Lastkraftwagen mit einer Aufbauhöhe knapp unter 4 Metern fahren, wenn dies aber geschieht, ist stets je nach Tageszeit und Gegenverkehr mit leichteren bis schwereren Unfällen zu rechnen.

2. Vor dem Hintergrund, dass die durch den in das Luftprofil der Straße hinragenden Ast ausgehende Gefahr sich bei Durchfahrt eines Lastkraftwagen, der die höchstzulässige Höhe über alles von 4 Meter nur knapp unterschreitet, sich mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auch realisiert, kann der Gesichtspunkt, dass es sich bei der B.straße um eine untergeordnete innerörtliche Straße handelt, nicht dazuführen, dass der Beklagte zu 1 dieser Gefahrenstelle nicht begegnen muss.

Der Hinweis des Beklagten zu 1, dass ein solcher Verkehr auf dieser Straße nicht zu erwarten sei, greift nicht durch. Der Beklagte zu 1 hat die Strasse den allgemeinem Verkehr gewidmet und muss daher grundsätzlich damit rechnen, dass die Strasse auch von allen Fahrzeugen, die für den allgemeinen Straßenverkehr zugelassen sind und hinsichtlich der Breite, Länge und Höhe den Vorschriften des § 32 StVZO entsprechen, auch benutzt wird. Sie kann nicht darauf vertrauen, dass ein Verkehrsteilnehmer die Gefahrenquelle von selbst erkennen und die Durchfahrtshöhenverhältnisse zutreffend einschätzen wird. Vorliegend mag zumindest tagsüber und in der Dämmerung der Ast gut erkennbar sein, eine genaue Einschätzung der Durchfahrtshöhe bleibt aber auch bei guten Lichtverhältnissen schwierig. Nach Auffassung des Senates muss ein Straßenbaulastträger vielmehr seinen Überlegungen zugrunde legen, dass mangels entgegenstehender Warnhinweise oder Verbotsschilder ein Verkehrsteilnehmer davon ausgeht, dass die Strasse auch für Lastkraftwagen mit einer Höhe über alles von 3,93 Meter gefahrenlos benutzt werden kann.

Der Beklagte zu 1 war - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - nicht zur Entfernung des Astes gehalten -, aber nach Auffassung des Senates war der Beklagte zu 1 verpflichtet, durch geeignete Warnzeichen auf die Gefahr hinzuweisen oder Fahrzeugen mit einer Höhe über alles von 3,93 Meter die Benutzung der Straße oder dieses Straßenabschnitts zu verbieten, da die Gefahrenstelle im fließenden Verkehr für den Fahrer eines Lastkraftwagen mit entsprechender Höhe über alles nicht oder nur schwer beherrschbar war (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 2004,104 m.w.Nachw.). Nach Bewertung des Senats würde ein Verbot der Straßennutzung für Fahrzeuge über eine Höhe, die kein sicheres Passieren der Gefahrenstelle mehr zulässt, durch das Verkehrszeichen Nr.265 eine sachgerechte, sichere und ausreichende Reaktion des Beklagten zu 1 auf die durch den Ast ausgehende Gefahr darstellen. Das Aufstellen von drei bis vier Verkehrszeichen wäre der Beklagten zu 1 auch zumutbar gewesen.

3. Der Beklagte zu 1 hat auch schuldhaft gehandelt, da die zuständigen Sachbearbeiter die von dem Ast ausgehende Gefahr für den LKW-Verkehr hätte erkennen müssen und nicht darauf vertrauen durfte, dass schon kein Lastkraftwagen mit einer Höhe über alles von 3,93 Meter die Strasse benutzen wird.


II.

Die Klägerin muss sich jedoch ein Mitverschulden bzw. eine durch ein Verschulden erhöhte Betriebsgefahr von 50% (§ 254 BGB, §§ 9, 7 StVG) anrechnen lassen.

1. Dem Fahrer des klägerischen Fahrzeuges ist vorzuwerfen, dass er ab dem Überfahren der von rechts einmündenden Straße die mögliche Behinderung hätte erkennen können (vgl. Abbildung 6,7 Anlage 1 zum Sachverständigengutachten vom 18. November 2010) und die Weiterfahrt gewagt hat, ohne anzuhalten und die Möglichkeit einer gefahrenlosen Durchfahrt zu prüfen. Eine Beeinträchtigung der Sicht durch die Lichtverhältnisse zum Unfallzeitpunkt konnte der Sachverständige ausschließen. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass im Bereich der Einmündung die Durchfahrtshöhe erkannt hätte werden können aber nicht zahlenmäßig erfasst werden konnte, sind gut nachvollziehbar. Der Fahrer des klägerischen Lastkraftwagens hätte entweder gegebenenfalls nach Zurücksetzen des Fahrzeuges in die S.straße einbiegen müssen oder sich in Schrittgeschwindigkeit dem Ast nähern müssen, um bei einem Anstoß sofort abbremsen zu können oder er hätte die Durchfahrtsverhältnisse genau in Augenschein nehmen müssen, um dann mittels des von dem Sachverständigen beschriebenen Fahrmanövers den Ast zu umfahren. Nach Auffassung des Senats kann dem Fahrer des klägerischen Lastkraftwagens allenfalls eine einfache Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Entgegen der Bewertung des Landgerichts bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte, die den Vorwurf eines grob fahrlässigen oder gar bedingt vorsätzlichen Verhaltens des Zeugen G. rechtfertigen könnten.

Insbesondere kann dem Fahrer nicht vorgehalten werden, von einer Hauptstraße in ein Wohngebiet eingebogen zu sein. Vielmehr durfte der Fahrer mangels entgegenstehender Verbote und Warnungen grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Straßen des Wohngebietes auch für die Benutzung von Lastkraftwagen geeignet sind. Dem Vorwurf, nicht das von dem Sachverständigen dargestellte Umfahrungsmanöver gewählt zu haben, kommt neben dem Vorwurf, nicht angehalten und die Höhenverhältnisse nicht genau überprüft zu haben, kein eigenständiges Gewicht zu, da nach Auffassung des Senats das von dem Sachverständigen vorgeschlagene Fahrmanöver eine genaue Kenntnis und Einschätzung der Höhenverhältnisse vorausgesetzt hätte.

2. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- bzw. Verursachungsanteile sowie der Betriebsgefahr war einerseits zu berücksichtigen, dass bei sorgfältiger Fahrweise bzw. Vorgehensweise der Unfall seitens des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges vermieden hätte werden können andererseits war zu bewerten, dass der Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zu 1 ein erhebliches Gewicht zukommt, weil die Schwierigkeiten von Verkehrsteilnehmern mit hohen Fahrzeugen bei Benutzung der Straße evident waren und mit einfachen und zumutbaren Mitteln beherrschbar gewesen wären. Der Senat hält daher die Anrechnung eines Mitverschuldens- bzw. Mitverursachungsanteils von 50 % für angemessen und ausreichend.




III.

Der Beklagte zu 1 ist verpflichtet der Klägerin die Hälfte des nachgewiesenen Schadens in Höhe von € 17.497,40 zu ersetzen.

1. Die Klägerin hat durch Vorlage der Rechnung der Firma R. belegt, dass die Reparaturkosten € 13.996,40 betragen haben.

Es bestehen keinerlei Hinweise, dass der ca. zwei Wochen vor dem Unfall erstzugelassene Anhänger Vorschäden aufgewiesen hat. In dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des TÜV Süd heißt es ausdrücklich, dass keine Vorschäden festgestellt werden konnten.

2. Die Klägerin hat dem Beklagten zu 1 anteilig die Kosten für das Sachverständigengutachten zu ersetzen, da die Einholung des Sachverständigengutachtens zur Durchsetzung des mit der Klage verfolgten Anspruchs erforderlich war. Die Höhe der Kosten von 1.271,00 € hat die Klägerin durch Vorlage der Rechnung vom 26. Juni 2009 (Anlage K4) hinreichend belegt.

3. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass auch bei Nutzfahrzeugen nach einem Unfall ein merkantiler Minderwert eintreten kann und dass der Geschädigte die Erstattung dieses Schadens fordern kann, sofern für solche Fahrzeuge ein Gebrauchtwagenmarkt besteht (BGH NJW 1980,281). Die Höhe des eingetretenen merkantilen Minderwerts hat die Klägerin durch die Vorlage des Gutachtens vom 26.6.2009 hinreichend nachgewiesen.

4. Die geltend gemachten Verbringungskosten in Höhe von 200 € als Folgeschäden sind nachvollziehbar, da das Fahrzeug bei der Herstellerfirma in Straubing repariert wurde. Desweiteren steht der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz einer Kostenpauschale zu.

5. Der Klägerin konnten die geltend gemachten Vorhaltekosten nicht zugesprochen werden, da sie nicht substantiiert dargelegt hat, dass ein vorgehaltenes Reservefahrzeug in den 14 Tagen eingesetzt wurde und des weiteren keinerlei Anknüpfungstatsachen für die Berechnung der Höhe der Vorhaltekosten dargelegt hat.

B.

Der Beklagte zu 1 hat der Klägerin weiterhin die nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Die ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten berechnen sich ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe des zugesprochenen Betrages und dem Anfall einer 1,3 Geschäftsgebühr auf einen Betrag in Höhe von € 603,70.



C.

Der zugesprochene Betrag war, soweit beantragt, ab Rechtshängigkeit (28.8.2009) zu verzinsen (§§ 291; 288 Abs. 1 BGB).

D.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97, 92 ZPO.

E.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

F.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

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