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OLG Frankfurt am Main Urteil vom 23.03.2012 - 10 U 50/11 - Zur Haftungsverteilung bei einem Unfall mit einem Kreuzungsräumer
OLG Frankfurt am Main v. 23.03.2012: Zur Haftungsverteilung bei einem Unfall mit einem Kreuzungsräumer
Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.03.2012 - 10 U 50/11) hat entschieden:
- Kommt es zu einem Unfall im Kreuzungsbereich, weil ein Kfz-Führer der durch Ampel freigegebenen Richtung mit einem während der vorangegangenen Ampelphase hängengebliebenen Nachzügler kollidiert, statt jenem das Vorrecht beim Räumen der Kreuzung zu gewähren, ist eine Haftungsverteilung von 50:50 angemessen.
- Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Umstände wie streitiger Verkehrsunfall, Vorwurf eines Rotlichtverstoßes, Leasingfahrzeug, Schadenshöhe, Stundungsabrede rechtfertigen nicht die Annahme einer umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit wie sie beispielsweise im Falle erheblicher Schadensfolgen bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld, Haushaltsführungs- und Unterhaltsschäden anzunehmen ist. Vielmehr handelt es sich um einen durchschnittlichen Verkehrsunfall mit streitiger Haftungsquote, der weder die Entfaltung umfangreicher noch schwieriger Tätigkeiten erfordert.
- Grundsätzlich kann der Unfallgeschädigte auch die Kosten der anwaltlichen Einholung der Deckungszusage seiner Rechtsschutzversicherung als Verzugsschaden gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB verlangen. Der Ersatz solcher Kosten wird vom Schutzzweck der Norm umfasst.
Siehe auch Geschäftsgebühr (Nr. 2400 RVG-VV) und gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV)
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 29.1.2010 auf der beampelten Kreuzung A/B-Weg in ... ereignet hat. Während der Zeuge Z1 das klägerische Fahrzeug auf der A Richtung Straße1 steuerte, wollte der Beklagte zu 1) aus nördlicher Richtung vom B-Weg kommend nach links ebenfalls in Richtung Straße1 abbiegen. Als er bereits beide in Richtung Straße2 verlaufende Fahrbahnen überquert hatte, kam es auf der Kreuzung zu einer Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin.
Die Klägerin behauptet, für den Zeugen Z1 sei die Lichtzeichenanlage auf "Grün" gesprungen, als er sich dieser genähert habe; er sei daher, ohne anzuhalten, geradeaus weitergefahren. In der Klageschrift hatte die Klägerin weiter ausgeführt, der Beklagte zu 1) sei mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug im Bereich der dortigen Verkehrsinsel stehen geblieben, so dass lediglich die Front leicht in die Fahrbahn des klägerischen Fahrzeugs geragt habe, und sei dann plötzlich angefahren. Später hat sie ihren Vortrag dahingehend korrigiert, das Beklagtenfahrzeug sei aus Sicht des Zeugen Z1 zunächst nicht erkennbar gewesen. Während der Zeuge Z1 auf der A den Einmündungsbereich des B passiert habe, sei das Beklagtenfahrzeug aus dem B-Weg kommend, seitlich in den hinteren Kotflügel des klägerischen Fahrzeugs gefahren.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1) habe zunächst an der für ihn "Rot" zeigenden Lichtzeichenanlage am B-Weg gewartet. Er sei dann bei "Grün" in die Kreuzung eingefahren, habe aber auf Höhe der baulichen Trennung zwischen den Richtungsfahrbahnen anhalten müssen, um Fußgänger passieren zu lassen, wobei er sich mit der Fahrzeugfront schon leicht auf der linken Fahrbahn der A in Richtung Straße1 befunden habe. Der klägerische X sei sodann in voller Fahrt in den Kreuzungsbereich eingefahren und gegen das eben anfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 2) gefahren. Die Lichtzeichenanlage könne für den Zeugen Z1 nicht "Grün" gezeigt haben.
Das Landgericht hat der auf Ersatz des vollen, mit 10.647,88 € bezifferten Schadens gerichteten Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Z1 und Z2, letzterer Beifahrer des Beklagten zu 1), unter einem geringfügigen Abzug auf Basis eines 50-prozentigen Haftungsanteils stattgegeben. Es hat als bewiesen angenommen, dass beide Fahrer bei "Grün" in den Kreuzungsbereich eingefahren seien, wobei der Beklagte zu 1) die Kreuzung wegen passierender Fußgänger nicht sogleich habe räumen können. Der Zeuge Z1 habe glaubhaft bekundet, dass die Lichtzeichenanlage auf „Grün“ umgesprungen sei, als er sich der Ampel genähert habe. Ebenso sei den Bekundungen des Zeugen Z2 zu entnehmen, dass die Ampel an der Einmündung des B-Weg „Grün“ gezeigt habe, als der Beklagte zu 1) auf die A gefahren sei; weiterhin habe der Zeuge Z2 glaubhaft bekundet, der Beklagte zu 1) habe im Kreuzungsbereich anhalten müssen. Die weiteren Bekundungen des Zeugen Z1, der vom Beklagten zu 1) gelenkte Y habe nicht im Kreuzungsbereich gestanden, vielmehr habe er dieses Fahrzeug erst weniger als eine Sekunde vor der Kollision gesehen, wobei das Fahrzeug sehr zügig und in schneller Fahrt auf ihn zugekommen sei, stellten sich als wenig glaubhaft dar. Nicht zu folgen sei auch den Angaben des Zeugen Z2, soweit dieser angegeben habe, der Zeuge Z1 sei zum Unfallzeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h gefahren. Mangels einer Ermittlung tatsächlicher Umstände, die Rückschlüsse auf das konkrete Unfallgeschehen ermöglicht hätten, durch die Polizei sei von der Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens ebenso wie von der Einholung eines Ampelgutachtens abzusehen. Hinsichtlich der Haftungsquote hat das Landgericht ausgeführt, grundsätzlich habe zwar der bei Grünlicht in eine Kreuzung einfahrende Kraftfahrer, hier also der Zeuge Z1, dem „hängengebliebenen“ Querverkehr, hier dem Beklagten zu 1), vorrangig die Möglichkeit einzuräumen, die Kreuzung zu verlassen. Ausgehend von den Bekundungen des Zeugen Z2, wonach das sich von rechts nähernde Fahrzeug des Zeugen Z1 wegen eines von der A in den B einbiegenden Fahrzeugs aus der Standposition des Beklagten zu 1) nicht zu sehen war, habe der Beklagte zu 1) aber gegen seine Pflichten aus § 1 StVO verstoßen, indem er nicht nur so weit in die linke Fahrbahn der A hineingefahren sei, wie er die Fahrbahn nach rechts habe einsehen können. Die Geschäftsgebühr hinsichtlich der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten sei auf 1,3 zu begrenzen, da die Klägerin Umstände, die es rechtfertigen würden, über die Mittelgebühr hinauszugehen, nicht dargetan habe. Nicht ersatzfähig seien schließlich die von der Klägerin für die Einholung der Deckungszusage ihrer Rechtsschutzversicherung geltend gemachten anwaltlichen Kosten.
Wegen der tatsächlichen Feststellung und der Begründung im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen das Urteil wenden sich die Klägerin mit ihrer Berufung und die Beklagten mit der Anschlussberufung. Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, das Urteil beruhe auf falscher Beweiswürdigung; bei dem Beklagtenfahrzeug handele es sich um einen unechten Nachzügler. Dass der Zeuge Z1 das Beklagtenfahrzeug nicht wahrgenommen habe, lasse sich aus der Beobachtung des Zeugen Z2 erklären, aus Sicht des Beklagtenfahrzeugs sei die Sicht auf die A aufgrund eines dort auf der linken Abbiegerspur befindlichen Fahrzeugs verdeckt gewesen. Nach übereinstimmender Aussage der Zeugen Z1 und Z2 hätten sich keine Fußgänger in der Nähe des Verkehrsunfalls befunden. Der Zeuge Z2 habe ferner betont, dass der Beklagte zu 1) nicht in die Fahrspur eingefahren sei, sondern bereits zuvor mit seinem Fahrzeug angehalten habe. Der Unfall habe sich dann so ereignet, dass der Beklagte zu 1) angefahren sei, während der Zeuge Z1 das Beklagtenfahrzeug passiert habe, wofür auch die Anstoßstelle im hinteren Bereich des klägerischen Fahrzeugs spreche. All diese Beobachtungen ließen nur den Schluss zu, dass das Beklagtenfahrzeug als sog. „unechter Nachzügler“ in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Aus dessen Position sei es nicht nötig gewesen, den Kreuzungsbereich zu räumen. In einer solchen Konstellation treffe den Anfahrenden die volle Haftung. Hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten werde darauf hingewiesen, dass lediglich die Mittelgebühr geltend gemacht worden sei. Auch die Kosten für die Einholung der Deckungszusage seien durch das Landgericht zu Unrecht nicht anerkannt worden.
Die Klägerin beantragt,
- unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Gießen vom 21.2.2011 die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 5.326,44 € sowie weitere 457,10 € vorprozessuale Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3.3.2010 zu zahlen,
- die Beklagten ferner als Gesamtschuldner zu verurteilen, weitere anwaltliche Kosten in Höhe von 338,50 € nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen
sowie und im Wege der Anschlussberufung,
das Urteil des Landgerichts Gießen vom 21.2.2011 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Beklagten beanstanden mit ihrer Anschlussberufung, das Landgericht habe ihnen eine überhöhte Darlegungslast bezüglich eines Rotlichtverstoßes des Zeugen Z1 aufgebürdet und sei zu Unrecht den Beweisantritten auf Einholung von Sachverständigengutachten zur Bestimmung der Ampelphasen und des Unfallhergangs nicht nachgegangen. Weiter habe das Landgericht die vom Zeugen Z2 bestätigten Angaben über eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit des Zeugen Z1 ohne Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen als wenig glaubhaft angesehen. Auch insoweit hätte es ggf. weiterer Aufklärung durch ein Sachverständigengutachten bedurft. Im Übrigen verteidigen die Beklagten das erstinstanzliche Urteil.
II.
Die zulässige Berufung ist lediglich hinsichtlich einer Nebenforderung teilweise begründet, im Übrigen, ebenso wie die ebenfalls zulässige Anschlussberufung, unbegründet.
Ein von der Klägerin im Wege zulässiger gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemachter Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 7, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG. Zu Recht hat das Landgericht in die Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG den Umstand eingestellt, dass der Zeuge Z1 aus § 11 Abs. 3 StVO verpflichtet war, dem auf der Kreuzung mit dem von ihm geführten Fahrzeug „hängen gebliebenen“ Beklagten zu 1) die Räumung der Kreuzung zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 11.5.1971, VI ZR 11/70; Urteil vom 9.11.1976, VI ZR 264/86). Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des Landgerichts rügt und der Beweisaufnahme entnehmen will, dass es sich bei dem Beklagten zu 1) um einen „unechten Nachzügler“ handelt, also um einen solchen, der den eigentlichen Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hat (s. OLG Koblenz, NZV 1998, 465), dringt sie damit nicht durch. Vielmehr ist die Würdigung des Landgerichts, dass der Beklagte zu 1) in der Kreuzungsmitte angehalten habe, um Fußgänger passieren zu lassen, nicht zu beanstanden. Entgegen der Darstellung der Klägerin hat weder der Zeuge Z1 noch der Zeuge Z2 bekundet, es hätten sich keine Fußgänger „in der Nähe des Verkehrsunfalls“ befunden.
Vielmehr hat der Zeuge Z1 bekundet, Fußgänger, die die A hätten überqueren wollen, habe es zu diesem Zeitpunkt, bezogen auf seine Fahrspur, nicht gegeben. Dies ist vom Landgericht dahingehend gewürdigt worden, dass der Zeuge auf den Zeitpunkt unmittelbar vor der Kollision abgestellt habe, was sich mit der Einlassung des Beklagten decke, der seinen Abbiegevorgang habe fortsetzen wollen, nachdem sämtliche Fußgänger die A überquert hatten. Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit dieser Würdigung sprechen, bringt die Klägerin nicht vor und sind auch nicht ersichtlich. Der Zeuge Z2 hingegen hat lediglich ausgesagt, sich im heutigen Zeitpunkt nicht an Fußgänger erinnern zu können, aber ein Anhalten auf der Kreuzung ebenfalls bestätigt. Wenn das Landgericht vor diesem Hintergrund die Angaben des Beklagten zu 1), die sich zudem mit seinen Angaben vor der Polizei deckten, als glaubhaft betrachtet hat, ist der Senat daran gem. § 529 ZPO gebunden. Keinen Bedenken begegnet in diesem Zusammenhang die Würdigung der Bekundung des Zeugen Z1, der Beklagte zu 1) habe nicht im Kreuzungsbereich gestanden, sondern sei sehr zügig und in schneller Fahrt auf sein Fahrzeug zugekommen, als nicht glaubhaft. Zwar ist es richtig, dass in dem Moment, als aus Sicht des sich der Kreuzungsmitte nähernden Beklagtenfahrzeugs das sich ebenfalls nähernde klägerische Fahrzeug aufgrund eines nach Bekundung des Zeugen Z2 auf der linken Abbiegerspur befindlichen Fahrzeugs verdeckt war, dasselbe umgekehrt gelten musste, der Zeuge Z1 mithin beim Annähern an den Kreuzungsbereich für einen kurzen Moment das Beklagtenfahrzeug nicht wahrnehmen konnte. Sobald sich die Sichtfelder aber wieder deckten, hätte der Zeuge Z1 das Beklagtenfahrzeug sehen müssen (wie auch umgekehrt). Ein auf der Linksabbiegespur befindliches Fahrzeug erklärt bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen nicht, warum der Zeuge Z1 das Beklagtenfahrzeug erst im allerletzten Moment gesehen haben will, als sich dieses auf Höhe der Fahrertür seines Fahrzeugs befunden habe.
Die Stellung des Beklagtenfahrzeugs als bereits leicht in die Spur des Zeugen Z1 hineinragend, wie von der Klägerin in der Klageschrift zunächst selbst ausgeführt, folgt dabei sowohl aus den Angaben des Beklagten zu 1) als auch aus der vom Zeugen Z2 angefertigten Skizze (Bl. 170 d.A.), welche der im Zusammenhang mit der Unfallaufnahme gefertigten Skizze entspricht. Die Behauptung der Klägerin, der Zeuge Z2 habe betont, dass der Beklagte zu 1) nicht in die Fahrspur eingefahren sei, sondern bereits zuvor mit seinem Fahrzeug angehalten habe, ist ausweislich des Protokolls seiner Vernehmung (Bl. 163 ff. d.A.) unzutreffend. Im Übrigen kommt es auf eine konkrete Behinderung des Querverkehrs durch die Stellung des Nachzüglers nicht an (BGH, jew. a.a.O.).
Auch aus der relativ weit hinten liegenden Anstoßstelle am klägerischen Fahrzeug kann kein anderer Unfallhergang geschlossen werden. Die Anstoßstelle spricht zwar dafür, dass der Zeuge Z1 sich mit dem klägerischen Fahrzeug dem vom Beklagten zu 1) gesteuerten Fahrzeug schon erheblich genähert hatte, als dieser anfuhr, und dass der Beklagte zu 1) in das Klägerfahrzeug hinein gefahren ist und nicht umgekehrt. Aus diesem Umstand kann aber nicht geschlossen werden, dass der Beklagte zu 1) vor der eigentlichen Kreuzung angehalten hatte und damit kein echter Nachzügler war. Denn der Unfallhergang lässt sich gerade dadurch erklären, dass das vom Beklagten zu 1) gesteuerte Fahrzeug – wie festgestellt - nur leicht in die Fahrspur hineinragte, so dass es dem Zeugen Z1 möglich gewesen wäre, an dem Fahrzeug vorbei zu gelangen, wenn der Beklagte zu 1) nicht angefahren wäre. Damit wird aus dem Beklagten zu 1) aber kein unechter, sondern er bleibt echter Nachzügler, dem der Zeuge Z1, wie zutreffend vom Landgericht festgestellt, ermöglichen musste, die Kreuzung zu räumen. Eine hälftige Mithaftung der Klägerin ist daher keineswegs zu beanstanden. Dasselbe gilt für die Kürzung der Kostenpauschale von 30,00 € auf 25,00 €.
2. Soweit die Beklagten mit der Anschlussberufung weiterhin der Auffassung sind, die Klägerin müsse ihren Schaden vollständig allein tragen und in diesem Zusammenhang eine überhöhte Darlegungslast für einen Rotlichtverstoß des Zeugen Z1 monieren, dringen sie damit nicht durch. Auch bei Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten ist nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge Z1 bei „Grün“ in die Kreuzung einfuhr. Denn es existieren keinerlei Angaben darüber, wie lange der Beklagte zu 1) warten musste, bis die Fußgänger die Fahrbahn überquert hatten und ob die Fußgängerampel ihrerseits evtl. bereits auf „Rot“ umgesprungen war. Auch die angeblich hohe Geschwindigkeit des Zeugen Z1 besagt nichts über einen Rotlichtverstoß, eben so wenig aus oben erwähntem Grund Fußgänger auf dem Straßenkörper, zumal diese die Fahrbahn im Kollisionszeitpunkt bereits überquert hatten. Mangels hinreichender tatsächlicher zeitlicher Anhaltspunkte ist daher ein sog. Ampelgutachten zu Recht nicht eingeholt worden.
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Ohne Erfolg rügen die Beklagten weiterhin, dass das Landgericht die Äußerung des Zeugen Z2 über die Geschwindigkeit des Zeugen Z1 nicht als glaubhaft angesehen hat. Es ist allgemein bekannt, dass es sich bei Zeugenangaben über Geschwindigkeiten nur um ein sehr wenig verlässliches Beweismittel handelt, zumal der Zeuge Z2 über keine Fahrerlaubnis verfügt und seine Angaben selbst als unsicher gekennzeichnet hat. Auch war insoweit nicht die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens geboten, da die Beklagten eine überhöhte Geschwindigkeit des Zeugen Z1 nicht einmal behauptet haben. Die Behauptung der Beklagten indes, der Zeuge Z1 sei „in voller Fahrt“ in die Kreuzung eingefahren, ist nicht beweisbedürftig, da ein fliegender Start unstreitig ist und der Zeuge Z1 selbst seine Geschwindigkeit mit 40 km/h angegeben hat.
Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG trotz des Vorrangs des Beklagten zu 1) als „Nachzügler“ eine Haftung i.H.v. 50 % auferlegt. Der Senat teilt indes nicht die Begründung des Landgerichts, der Beklagte zu 1) habe seinen Abbiegevorgang fortgesetzt, ohne den Verkehr nach rechts einsehen zu können. Denn von der Warteposition des Beklagten zu 1) auf der Kreuzung aus war ein von rechts kommendes Fahrzeug jedenfalls sichtbar, wenngleich das vom Zeugen Z1 gelenkte Fahrzeug durch den fliegenden Start die Position des Beklagten zu 1) schneller als möglicherweise erwartet erreichte. Anders als zunächst erwogen führt die Missachtung des Vorrangs des Beklagten zu 1) allerdings nicht zur überwiegenden Mithaftung der Klägerin. Denn gerade aus dem Umstand, dass die Kreuzungsverhältnisse sehr übersichtlich sind und das klägerische Fahrzeug von der Position des Beklagten zu 1) unabhängig von einem etwaigen wartenden Linksabbieger wahrgenommen werden musste, folgt, dass der Beklagte zu 1) angefahren ist, ohne sich in irgendeiner Weise nach rechts zu vergewissern. Der Beklagte zu 1) durfte jedoch nicht darauf vertrauen, dass der Querverkehr seinen Vorrang beachtete (s. BGH, jew. a.a.O.). Dies gilt hier in besonderer Weise, weil der Beklagte zu 1) den Querverkehr durch seine Stellung nahezu nicht behinderte, so dass bei diesem der Eindruck entstehen konnte, der Beklagte zu 1) werde warten (vgl. BGH a.a.O.). Dass der Beklagte zu 1) hier besonders unaufmerksam war, ist aus der Anstoßstelle im hinteren Bereich des klägerischen Fahrzeugs zu schließen, die belegt, dass sich das klägerische Fahrzeug bereits in unmittelbarer Annäherung befunden hat, als er anfuhr. In diesem äußerst unachtsamen Anfahren – und nicht einem Fahren trotz Sichtbehinderung – liegt ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO, der ebenso schwer wiegt wie der Verstoß des Zeugen Z1, so dass es bei der Verurteilung zur hälftigen Schadenstragung verbleibt.
3. Die Berufung bleibt auch ohne Erfolg, soweit das Landgericht die vorgerichtlichen Anwaltskosten nach Nr. 2300 VV-RVG auf Basis einer Geschäftsgebühr in Höhe der 1,3-fachen Regelgebühr statt einer 1,5-fachen Gebühr zugesprochen hat. Denn die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin berechnete Gebühr ist im Verhältnis zur Beklagten nicht verbindlich, weil sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass es sich bei der 1,3-fachen Gebühr nicht – wie das Landgericht annimmt - um die Mittelgebühr handelt, sondern diese rechnerisch bei 1,5 liegt, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. Indes bestimmt die Anmerkung zu Nr. 2300 VV-RVG ausdrücklich, eine Gebühr von mehr als 1,3 könne nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die erstmals in der Berufungsinstanz vom Kläger ausgeführten Umstände (streitiger Verkehrsunfall, Vorwurf eines Rotlichtverstoßes, Leasingfahrzeug, Schadenshöhe, Stundungsabrede) rechtfertigen nicht die Annahme einer umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit wie sie beispielsweise im Falle erheblicher Schadensfolgen bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld, Haushaltsführungs- und Unterhaltsschäden anzunehmen ist (vgl. Saarl. OLG, Urteil vom 24.2.2009, 4 U 61/08, Juris). Vielmehr handelt es sich um einen durchschnittlichen Verkehrsunfall mit streitiger Haftungsquote, der weder die Entfaltung umfangreicher noch schwieriger Tätigkeiten erforderte. Für diese Beurteilung ist die Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer nicht erforderlich, da § 14 Abs. 2 RVG sich nicht auf einen Rechtsstreit mit einem Drittem über Schadensersatz bezieht (v. Seltmann, Beck'scher Online-Kommentar RVG, § 14, Rnr. 54).
Soweit der BGH in seiner Entscheidung vom 13.1.2011 (IX ZR 110/10, Juris, Rnr. 17) geurteilt hat, die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr unterliege wegen eines dem Rechtsanwalt zustehenden 20%igen Spielraums (sog. Toleranzgrenze) keiner gerichtlichen Überprüfung, hat das Kritik erfahren (OLG Celle, 28.12.2011, 14 U 107/11, Juris, m.w.N.). Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift teilt der Senat diese Kritik. Ein Toleranzbereich steht dem Rechtsanwalt bei Rahmengebühren unter der Voraussetzung einer zutreffenden Einordnung des maßgebenden Sachverhalts anhand der in § 14 Abs. 1 RVG aufgezeigten Kriterien zu. Die Erfüllung der Kriterien selbst bleibt vom Gericht jedoch voll überprüfbar.
Auf die Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG bezogen heißt das, dass die Frage, ob die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig ist, der uneingeschränkten gerichtlichen Beurteilung unterliegt. Wird beides verneint, steht dem Rechtsanwalt auch keine höhere Gebühr als die 1,3-fache Regelgebühr zu (OLG Celle, a.a.O.; vgl. auch Fölsch, NJW 2012, 267).
4. Indes kann die Klägerin, soweit ihr ein Schadensersatzanspruch zusteht, grundsätzlich auch die Kosten der anwaltlichen Einholung der Deckungszusage ihrer Rechtsschutzversicherung als Verzugsschaden gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB verlangen. Anders als in der Berufungsverhandlung erwogen, sieht der Senat den Ersatz solcher Kosten grundsätzlich als vom Schutzzweck der Norm umfasst an. Denn auch wenn die Rechtsschutzversicherung ein Risiko abdeckt, welches vom konkreten Verkehrsunfall als haftungsauslösendem Umstand unabhängig ist (so OLG Celle, Urteil vom 12.21.2011, 14 U 78/10), muss doch der Gedanke des vollen Schadensausgleichs dazu führen, die Kosten einer anwaltlichen Einholung der Deckungszusage als ersatzfähig anzusehen, sofern sich ein Geschädigter in der konkreten Situation zu deren Aufwendung veranlasst („herausgefordert“) fühlen durfte. Auch nach der Entscheidung des BGH vom 9.3.2011 (NJW 2011, 1222) scheiden derartige Kosten nicht von vornherein als vom Schutzzweck der Norm nicht umfasst aus, sondern sind als Rechtsverfolgungskosten ersatzfähig, wenn die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Wahrung und Durchsetzung der Rechte unter den Umständen des Falles erforderlich und zweckmäßig ist. Damit sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Es kann dahinstehen, ob es insoweit ausreicht, dass infolge Verzugs die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe für die außergerichtliche Rechtsverfolgung ohnehin erforderlich ist (so LG Gießen, Urteil vom 23.12.2009, 5 O 261/09, Bl. 119 d.A.). Der BGH (a.a.O.) scheint einen derartigen Gleichlauf abzulehnen. Jedenfalls vorliegend durfte die Klägerin ihren Anwalt auch mit der Einholung der Deckungszusage betrauen. Anders als im vom BGH entschiedenen Fall handelt es sich hier nicht um einen rechtlich unproblematischen Sachverhalt (im BGH-Fall: Anspruch Rückzahlung einer Mietkaution, dem offenbar keine Einwendungen entgegen gesetzt wurden), sondern um einen Verkehrsunfall mit streitigem Hergang, den die Klägerin zudem nicht aus eigener Anschauung berichten konnte. Auch die rechtliche Beurteilung war - anders etwa als bei einem gewöhnlichen Auffahrunfall - keineswegs eindeutig. Nach § 17 Abs. 3 ARB 2008 II schuldet der Versicherungsnehmer seiner Rechtsschutzversicherung die vollständige Information über sämtliche Umstände des Rechtsschutzfalls, damit diese im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Deckungszusage die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens prüfen kann; dabei hat der Versicherungsnehmer auch die Einwendungen der gegnerischen Partei darzulegen (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, ARB 2008/II § 17, Rnr. 7 m.w.N.). Es kann nicht beanstandet werden, wenn die in rechtlichen Dingen unerfahrene Klägerin im vorliegenden Fall mit dieser Darlegung den von ihr beauftragten Rechtsanwalt betraut hat.
Entgegen der Annahme des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Berufungsverhandlung zwingt diese Betrachtungsweise auch nicht zu einer anderen Beurteilung der oben erörterten Billigkeit einer über die Regelgebühr hinausgehenden Geschäftsgebühr. Denn im Bereich des RVG kommt es auf Schwierigkeit und Umfang der Sache aus Anwaltssicht an, wobei in den Vergleich zudem nicht nur Verkehrsunfallsachen einzubeziehen sind, während es bei der Frage der Erforderlichkeit der Aufwendungen um die Sicht des Geschädigten in seiner konkreten Situation geht.
Bei der Einholung einer Deckungszusage handelt es sich auch um eine eigene Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG; weder ist sie von der Geschäftsgebühr umfasst noch handelt es sich um ein Annex zum Prozessauftrag i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG (vgl. KG, Urteil vom 19.3.2010, Juris, Rnr. 38; str., s. Nugel, Anm. zum Urteil des BGH vom 9.3.2011, Juris PR VerkR 9/2011 Anm. 2 m.w.N). Denn die Deckungsanfrage und der Prozessauftrag richten sich gegen unterschiedliche Parteien und haben unterschiedliche Werte zum Gegenstand (KG a.a.O.).
Da die Beklagten indes bestritten haben, dass die Klägerin diese Kosten beglichen hat, und die Klägerin hierfür keinen Beweis angeboten hat, kann sie als minus zum Zahlungsantrag lediglich Freistellung von den entsprechenden Kosten verlangen. Der Höhe nach belaufen sie sich auf 229,30 €. Dieser Betrag errechnet sich als 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 2.466,70 € (Anwalts- und Gerichtsgebühren bei einem Streitwert von 5.321,44 €) zuzüglich Auslagenpauschale.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO sind hinsichtlich der Höhe der zu ersetzenden anwaltlichen Geschäftsgebühr im Hinblick auf die Abweichung von der Entscheidung des BGH vom 13.1.2011 (IX ZR 110/10) erfüllt, im Übrigen nicht erfüllt, da die Rechtssache insoweit keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.