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OLG Hamm Beschluss vom 22.03.2012 - III-3 RBs 68/12 - Zur Verwerfung des Einspruchs beim Nichterscheinen des Betroffenen nach Zurückverweisung
OLG Hamm v. 22.03.2012: Zur Verwerfung des Einspruchs beim Nichterscheinen des Betroffenen nach Zurückverweisung
Das OLG Hamm (Beschluss vom 22.03.2012 - III-3 RBs 68/12) hat entschieden:
Ein Verwerfungsurteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG darf jedenfalls auch dann erlassen werden, wenn ein vorangegangenes Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht insgesamt aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden war, und das aufgehobene Urteil nicht zu Gunsten des Betroffenen von den Rechtsfolgen des Bußgeldbescheides abweicht.
Siehe auch Säumnis des Betroffenen bzw. Angeschuldigten in der Hauptverhandlung im OWi- oder Strafverfahren und Verwerfung des Einspruchs nach Zurückverweisung bei Nichterscheinen des Betroffenen
Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen ist durch Bußgeldbescheid der Stadt C wegen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr (festgestellte Atemalkoholkonzentration 0,31 mg/l) ein Bußgeld in Höhe von 500 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gem. § 25 Abs. 2 a StVG festgesetzt worden. Das Amtsgericht Bielefeld hat auf den Einspruch des Betroffenen mit Sachurteil vom 11. Juli 2011 auf dieselben Rechtsfolgen erkannt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat dieses Urteil wegen eines Verfahrensmangels mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. Dezember 2011 hat das Amtsgericht Bielefeld den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 1. Februar 2011 (Stadt Z gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem der Betroffene im Hauptverhandlungstermin nicht erschienen war. Zuvor hatte der Verteidiger mit Fax vom 14. Dezember 2011 beantragt, den Hauptverhandlungstermin aufzuheben, da der Betroffene sich in P befinde und erst im Januar zurückkehre.
Mit der Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt. Neben der nicht näher ausgeführten allgemeinen Sachrüge stützt der Betroffene die Rechtsbeschwerde auf einen seiner Auffassung nach gegebenen Verstoß gegen § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO in analoger Anwendung.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG grundsätzlich statthafte und zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Ein entschuldigtes Fernbleiben aufgrund Aufenthalts im Ausland lag nicht vor. Im Gegensatz zu der Entscheidung des Senats vom 21. Februar 2012 (Az.: III-3 RBs 365/11 ) fehlt es vorliegend an hinreichend konkreten Darlegungen zu dem Auslandsaufenthalt des Betroffenen, die den Senat in die Lage versetzen würden, die Zumutbarkeit des Erscheinens des Betroffenen zu beurteilen. Es ist nicht dargelegt, in welchem Zeitraum sich der Betroffene in P aufgehalten haben soll, wo er sich konkret aufgehalten haben soll, welchem Zweck der Aufenthalt diente, wann ihn die Ladung erreicht hat und wann er seine Reise geplant bzw. angetreten haben soll. Belege hierfür sind ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Rüge des Verstoßes gegen § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO in analoger Anwendung greift nicht durch. Denn § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO ist im Bußgeldverfahren nicht entsprechend anzuwenden. Das Amtsgericht war durch das zuvor aufgehobene Sachurteil nicht gehindert, eine Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG zu treffen.
Der Bundesgerichthof hat bereits mit Beschluss vom 10. Dezember 1985 entschieden, dass das Amtsgericht ein Verwerfungsurteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG auch dann erlassen darf, wenn ein vorangegangenes Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden war (vgl. BGH NStZ 1987, 564). Der Bundesgerichtshof hatte seine Entscheidung in erster Linie damit begründet, dass § 329 Abs. 1 StPO und § 412 StPO durch das 1. StVRG dahin geändert worden seien, dass die Berufung bzw. der Einspruch nach diesen Vorschriften nicht mehr verworfen werden darf, wenn das Tatgericht erneut verhandelt, nachdem die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist. Hingegen sei eine vergleichbare Veränderung des § 74 Abs. 2 OWiG durch das 1. StVRG nicht erfolgt, obwohl auch diese Vorschrift leicht verändert worden sei. Da § 329 Abs. 1 StPO, § 412 StPO und § 74 Abs. 2 OWiG dasselbe Rechtsproblem betreffen, der Gesetzgeber diese Frage in den §§ 329 Abs. 1, 412 StPO neu geregelt habe während er § 74 Abs. 2 OWiG - bei Änderung in anderen Punkten - insoweit unverändert ließ, lasse sich daraus der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber damit unterschiedliche Regelungen für Strafverfahren und Bußgeldverfahren habe treffen wollen. Daneben hat der Bundesgerichtshof seine Entscheidung aber auch darauf gestützt, dass §§ 329 Abs. 1, 412 StPO im Gegensatz zu § 74 Abs. 2 OWiG (der seinerzeit geltenden Fassung) eine zwingende Verwerfung vorschreiben und ein Ermessensfehlgebrauch bei einer Entscheidung gem. § 74 Abs. 2 OWiG der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterliegt.
Diese Rechtsprechung gilt nach obergerichtlicher Rechtsprechung auch noch nach der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und andere Gesetze vom 26. Januar 1998 zumindest in den Fällen, in denen - wie hier - das vorangegangene Urteil insgesamt aufgehoben und das aufgehobene Urteil nicht zu Gunsten des Betroffenen von den Rechtsfolgen des Bußgeldbescheides abgewichen war (vgl. OLG Celle, NZV 2012, 44; OLG Köln NStZ-RR 2000, 87; OLG Stuttgart NJW 2002, 978; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2007, 318).
Dieser Auffassung ist zuzustimmen, da der Gesetzgeber § 74 Abs. 2 OWiG diesmal sogar in Kenntnis der o.g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes erneut geändert hat, ohne eine § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO entsprechende Regelung einzuführen. Für diese Auffassung sprechen aber auch die vom Gesetzgeber im Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetzte geäußerten Erwägungen. Denn der Gesetzgeber hat wegen der Änderung des § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG a.F. von einer Kann-Regelung zu einer zwingenden Regelung § 74 Abs. 2 Satz 2 OWiG a.F., der eine zwingende Vorführung des Betroffenen für den Fall vorsah, dass der Bußgeldrichter den Einspruch nicht verwirft, nicht mehr für erforderlich gehalten und ersatzlos gestrichen (vgl. BT-Drucksache 13/5418, S. 9). Dies bedeutet, dass ein Betroffener nach Aufhebung und Zurückverweisung anderenfalls kaum noch verurteilt werden könnte, da dem Bußgeldrichter wegen § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG auch keine anderen Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um das Erscheinen des Betroffenen vor Gericht zu erzwingen.
Soweit in der Gegenerklärung des Betroffenen vom 8. März 2012 erstmals vor-getragen wird, das Amtsgericht hätte den Antrag auf Terminaufhebung vom 14. Dezember 2012 als Entbindungsantrag auslegen müssen, ist diese Verfahrensrüge bereits wegen Verspätung unzulässig, § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 StPO. Zudem genügt die Rüge nicht den gem. § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO an eine Verfahrensrüge zu stellenden Anforderungen. Es ist noch nicht einmal dargelegt, ob die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG überhaupt vorlagen (vgl. Göhler - Seitz, 15. Auflage, § 74, Rdnr. 48c).
Soweit das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge angefochten wurde, war die rechtliche Überprüfung durch den Senat nur auf das Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen bzw. Verfahrenshindernissen zu beschränken (vgl. Karlsruher-Kommentar zum OWiG-Senge, 3. Auflage, § 74, Rdnr. 55 m.w.N.). Insoweit waren Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.