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BGH Beschluss vom 20.12.1979 - 1 StR 164/79 - Zur Einlegung des Einspruchs per Telefon

BGH v. 20.12.1979: Zur Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid per Telefon




Der BGH (Beschluss vom 20.12.1979 - 1 StR 164/79) hat entschieden:

   Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid gemäß OWiG § 67 S 1 kann auch fernmündlich zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, eingelegt werden.

Siehe auch
Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid
und
Bußgeldbescheid und Einspruch im Ordnungswidrigkeitenverfahren

Gründe:


I.

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt erließ gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid und gab eine Ausfertigung am 23. Mai 1978 zum Zwecke der Zustellung zur Post. Am 1. Juni 1978 - noch innerhalb der Frist des § 67 Satz 1 OWiG - erklärte der Verteidiger fernmündlich, dass er im Auftrag der Betroffenen Einspruch einlege. Über diese Erklärung fertigte der Verwaltungsangestellte, der den Anruf entgegennahm, eine Niederschrift durch Ergänzung eines Formblatts, das so gestaltet ist, dass es auch für die Beurkundung einer fernmündlich erklärten Einspruchseinlegung Verwendung finden kann. Erst nach Ablauf der Einspruchsfrist ging bei der Zentralen Bußgeldstelle ein Schreiben des Verteidigers vom 6. Juni 1978 ein, in dem er den Einspruch unter Hinweis auf die fernmündliche Erklärung "wiederholte" und begründete. Diesem Schreiben war der Nachweis der Bevollmächtigung beigefügt. Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit zur Geldbuße von 50 DM verurteilt. Auf Grund ihres Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist vom Bayerischen Obersten Landesgericht zu prüfen, ob der Sachentscheidung des Amtsgerichts die Rechtskraft des Bußgeldbescheids entgegenstand. Das wäre der Fall, wenn die fernmündliche Einlegung des Einspruchs der Vorschrift des § 67 Satz 1 OWiG nicht genügte.




Das Bayerische Oberste Landesgericht möchte die Einspruchseinlegung für wirksam erachten. Seine Auffassung steht jedoch im Widerspruch zu der Ansicht, die das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Beschluss vom 28. Juni 1978 (JMBlNW 1978, 229) vertreten hat. Nach dieser Entscheidung ist der fernmündlich erklärte Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auch dann nicht wirksam eingelegt, wenn über den Anruf ein Vermerk gefertigt und zu den Akten genommen wird. § 67 Satz 1 OWiG verlange eine "Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde". Eine solche Niederschrift setze eine Verhandlung und infolgedessen die persönliche Anwesenheit des Erklärenden und des Beurkundenden voraus.

Wegen der für entscheidungserheblich angesehenen Diskrepanz der Auffassungen hat das Bayerische Oberste Landesgericht mit Beschluss vom 12. Februar 1979 (VRS 56, 371; MDR 1979, 696 Nr 110) die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt (§ 121 Abs 2 GVG; § 79 Abs 3 OWiG).




II.

Die Vorlegungsvoraussetzungen sind zu bejahen. Entscheidungserheblicher Kern der Meinungsverschiedenheit ist die Frage, ob ein Einspruch "zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde" nur eingelegt werden kann, wenn derjenige, der erklärt, dass vom Rechtsbehelf Gebrauch gemacht werde, bei der Verwaltungsbehörde erscheint und dem beurkundenden Beamten oder Angestellten die persönliche Verhandlung mit ihm ermöglicht. Es geht nicht oder nicht in erster Linie um die Frage, in welcher Form die Beurkundung vorzunehmen sei, wenn man die fernmündliche Übermittlung der Einspruchserklärung gestattet.

III.

Der Senat ist der Ansicht des vorlegenden Gerichts.

1. In dieser Zustimmung liegt keine Mitentscheidung oder Vorentscheidung der Frage, ob Rechtsmittel nach §§ 306 Abs 1, 314 Abs 1, 341 Abs 1 StPO, § 79 Abs 3 OWiG fernmündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden können. Die Begrenzung der Entscheidung auf die Vorlegungsfrage ergibt sich aus zwei Überlegungen:

a) Der Rechtsbehelf des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid unterscheidet sich in seiner funktionellen Bedeutung von den strafprozessualen Rechtsmitteln und auch vom Einspruch gegen den Strafbefehl: Mit dem formgerechten und fristgerechten Rechtsbehelf des Bußgeldverfahrens bewirkt der Betroffene nicht nur die erneute, umfassende oder auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkte richterliche Überprüfung der Sache in der Tatfrage und Rechtsfrage oder auch nur in der Rechtsfrage. Er bewirkt vielmehr den Übergang der Sache aus dem Bereich der Verwaltung an den Richter, den Eintritt einer Prozesslage, die das bisherige Verfahren als bloßes Vorverfahren erscheinen lässt (vgl §§ 71 bis 77 OWiG). Die zur Eröffnung des Rechtswegs (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG) und zur richterlichen Sachentscheidung, die in vielen Fällen endgültig ist (vgl §§ 79, 80 OWiG), führende Prozesshandlung gestattet und erfordert um ihrer funktionellen Bedeutung willen eine auf sie beschränkte Beantwortung der vom Bayerischen Obersten Landesgericht aufgeworfenen Formfrage.


b) Die Materie des Ordnungswidrigkeitenrechts bringt es mit sich, dass in bestimmten Lebensbereichen die mit Geldbuße bedrohte Handlung massenhaft in Erscheinung tritt. Das gilt vor allem für den Straßenverkehr. Die Zuständigkeitsregelungen des Bußgeldverfahrens aber führen dazu, dass gerade in diesen Bereichen, aber auch dort, wo für seltenere Verstöße die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung zentralisiert ist, der Sitz der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlässt und der Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Betroffenen in der größeren Zahl der Fälle so weit auseinander liegen, dass aus Gründen der räumlichen Distanz die Einspruchseinlegung "zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde" nicht in Betracht kommt, wenn das persönliche Erscheinen des Erklärenden verlangt wird.

Das ist eine verfahrensspezifische Situation in Bußgeldsachen, für die sich im strafprozessualen Bereich keine vergleichbare Parallele findet. Auch dieser Gesichtspunkt erlaubt und gebietet es, der Beantwortung der Vorlegungsfrage keine präjudizielle Bedeutung für strafprozessuale Rechtsmittel und Rechtsbehelfe beizumessen.

2. Die funktionelle Bedeutung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid und der Gedanke der Aktualisierung der Formalternative "zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde" im Hinblick auf die verfahrensspezifische Situation in einer Vielzahl von Bußgeldverfahren sprechen für die Zulassung der fernmündlichen Erklärung des Einspruchs. Durchschlagende Gegengründe ergeben sich weder aus der Vorschrift des § 67 Satz 1 (zweite Alternative) OWiG noch aus den Prinzipien, in deren Dienst die gesetzliche Bestimmung steht.

a) dass der Wortlaut der Vorschrift die positive Beantwortung der Vorlegungsfrage nicht hindert, ist schon dem grundlegenden Beschluss des Reichsgerichts vom 11. Dezember 1905 (RGSt 38, 282) zu entnehmen. Es bestünde, so wird ausgeführt, kein grundsätzliches Bedenken, "die Mitteilung mittels Fernsprecher statt der mündlichen Erklärung bei Gericht" für die Revisionseinlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle genügen zu lassen (RGSt aaO S 285). Da das Gesetz eine bestimmte Fassung des Protokolls nicht vorschreibe, sei die Auffassung vertretbar, dass die Abgabe der Unterschrift durch den Beschwerdeführer entbehrlich erscheine. "Die etwa nicht zu umgehende Vorlesung des Protokolls" könnte "gleichfalls auf telefonischem Wege" geschehen (RGSt aaO). Das Reichsgericht hat die Revisionseinlegung "unter Benutzung einer Fernsprechanstalt" für unzulässig angesehen, weil dem Gerichtsschreiber "mit Rücksicht auf seine Eigenschaft als Urkundsperson ein Prüfungsrecht zum mindesten hinsichtlich der Persönlichkeit des Beschwerdeführers, namentlich aber hinsichtlich der Ernstlichkeit der Erklärung eingeräumt werden müsse", und er demgemäß die Pflicht habe, vor Aufnahme des Protokolls erst in eine Verhandlung mit dem Erklärenden einzutreten, was wiederum dessen persönliches Erscheinen bei Gericht voraussetze. Der Fernsprechverkehr in seiner jetzigen Gestaltung sei mancherlei leicht zu Missverständnissen führenden äußeren Störungen und Einflüssen ausgesetzt. Deshalb und wegen der Schwierigkeit der Feststellung der gegenüberstehenden Person verbiete es sich, ein Protokoll zuzulassen, das nur auf einem telefonischen Gespräch aufbaue.




Diese Argumente sind für die Vertreter der Meinung, dass ein Rechtsmittel nicht fernmündlich eingelegt werden kann, die wesentlichen geblieben (vgl BVerwGE 17, 166, 168 = NJW 1964, 831, 832; BFH NJW 1965, 174, 175; OLG Hamm NJW 1952, 276 mit abl Anm von Dahs; OLG Düsseldorf JMBlNW 1978, 229, 230).

b) Soweit sie für den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid von Interesse sind, ist dazu zu bemerken:

aa) Dem Gesichtspunkt, dass die Prüfung der Identität und der Ernstlichkeit der Erklärung das persönliche Erscheinen des Erklärenden erfordere, kommt in Bußgeldverfahren kaum Bedeutung zu. Hier genügt in aller Regel die alltägliche Praxis, die es für ausreichend ansieht, dass der Erklärende sachkundige Angaben macht. Solche Angaben können auch im fernmündlichen Gespräch verlangt und gemacht werden. Nichts anderes gilt für die Prüfung der Ernstlichkeit der Erklärung: Die telefonische Unterredung kann auch über sie hinreichend Aufschluss geben.

bb) Zwar ist nicht zu leugnen, dass die Gefahr der Täuschung und des Missverständnisses besteht, wenn die fernmündliche Erklärung der Einspruchseinlegung als ausreichende Grundlage der Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde angesehen wird. Aber wer als Unbefugter täuschen will, kann sich ebenso leicht der Schriftform und vor allem der Einlegung des Rechtsbehelfs auf telegraphischem Wege bedienen, und die Gefahr des Missverständnisses aus technischen Gründen kann beim heutigen Stand des Fernsprechverkehrs als so gering angesehen werden, dass es unangebracht wäre, dem Betroffenen ein technisches Hilfsmittel zu versagen, das im übrigen auch für das Rechtsleben unentbehrlich geworden ist.

c) Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf, die die Entscheidung getroffen hat, von der das Bayerische Oberste Landesgericht abweichen möchte, verweist auf das Beurkundungsgesetz, das gleichzeitige Anwesenheit des Erklärenden und des Aufnehmenden verlange und meint, die Vorschriften dieses Gesetzes müssten "zumindest sinngemäß" angewendet werden. Derselbe Senat hat in einem Beschluss vom 23. Februar 1977 die entsprechende Anwendung der §§ 9 bis 13 BeurkG abgelehnt (vgl VRS 54, 361). Sie kann in der Tat nicht in Frage kommen. Das Reichsgericht hat klargestellt, dass und warum die strafprozessualen Vorschriften über die Einlegung von Rechtsmitteln die Formgültigkeit des Protokolls der Geschäftsstelle weder von der Unterschrift des Beschwerdeführers noch von der Beurkundung der Verlesung und Genehmigung abhängig machen (RGSt 48, 78, 80, 84). Für die Niederschrift über die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid kann nichts anderes gelten. Es genügt, dass das Schriftstück die Verwaltungsbehörde, den Tag der Einlegungserklärung, die Person des Erklärenden und den Inhalt seiner Erklärung angibt und dass es vom beurkundenden Beamten oder Angestellten unterschrieben wird (vgl Eb Schmidt, Lehrkomm StPO II § 314 Erl 3). Reichen aber diese Erfordernisse aus, besteht kein Anlass, aus formellen Gründen auf "zumindest sinngemäße" Anwendung der Bestimmungen des Beurkundungsgesetzes zu dringen und die gleichzeitige Anwesenheit desjenigen, der die Einlegung des Einspruchs erklärt und desjenigen, der die Erklärung in einer Niederschrift festhält, für unabdingbar anzusehen. Das gilt um so mehr, seit anerkannt ist, dass die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels in Schriftform auch gewahrt wird, wenn vor Fristablauf ein (auch nur fernmündlich aufgegebenes) Telegramm, das die Rechtsmittelerklärung enthält, an eine zur Entgegennahme befugte Person des zuständigen Gerichts fernmündlich durchgegeben und von ihr ein den Wortlaut wiedergebender Aktenvermerk gefertigt wird (BGHSt 14, 233, 239). Es würde jedenfalls in dem auf Vereinfachung und rationelle Gestaltung angelegten Bußgeldverfahren als kaum verständliche Inkonsequenz erscheinen, wenn man bei der anderen Einlegungsform zum Zwecke der Identitätsprüfung am Postulat der persönlichen Anwesenheit des Erklärenden festhielte.

d) Im Interesse der Rechtssicherheit und eines geordneten Gangs der Rechtspflege können weder der Instanzenzug noch der Rechtsweg schrankenlos offen stehen. Die Auslegung der Vorschriften, die den Zugang regeln, muss diesem Interesse Rechnung tragen. Es besteht jedoch kein Grund, die Eröffnung des Rechtswegs von formalen Voraussetzungen abhängig zu machen, die als eine Art förmlicher Stolpersteine den Rechtsschutz des Bürgers einschränken.



Das für Rechtssicherheit und einen geordneten Gang der Rechtspflege unerlässliche Minimum formeller Erfordernisse kann und muss durch die Niederschrift gewahrt werden. Ihrer sorgfältigen Abfassung steht auch im Falle fernmündlicher Erklärung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid in aller Regel nichts im Wege. Treten ausnahmsweise Verständigungsschwierigkeiten, vorzeitige Gesprächsunterbrechungen oder andere Störungen auf, die zu mangelnder Eindeutigkeit oder zur Verkürzung des wesentlichen Inhalts der Erklärung führen, sind die Tatsache des Auftretens und (wenn möglich) der Grund dafür zu vermerken. Die Frage nach den sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Die Beurkundung (vgl III. 2. c) muss sich auf die Tatsache erstrecken, dass der Rechtsbehelf fernmündlich eingelegt worden ist.

IV.

Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs (vgl III. 2. a) nötigen nicht zur Anrufung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe. Sie betreffen die Auslegung von Rechtsmittelvorschriften, deren Sinn und Zweck mit der Regelung des § 67 Satz 1 OWiG weder in einem äußeren noch in einem inneren Zusammenhang steht.

V.

Die Entscheidung des Senats entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.

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