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OLG München Urteil vom 26.04.2013 - 10 U 4203/12 - Zu Beweislast und Haftungsverteilung bei Linksabbiegerunfällen mit strittiger Ampelschaltung

OLG München v. 26.04.2013: Zu Beweislast und Haftungsverteilung bei Linksabbiegerunfällen mit strittiger Ampelschaltung


Das OLG München (Urteil vom 26.04.2013 - 10 U 4203/12) hat entschieden:

  1.  Kommt es wie hier auf einer ampelgeregelten und mit einem grünen Linksabbiegerpfeil versehenen Kreuzung zu einem Zusammenstoß zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer, so muss der die Kreuzung geradeaus durchfahrende Verkehrsteilnehmer beweisen, dass der grüne Pfeil für den Linksabbieger nicht aufgeleuchtet hat, wenn er daraus für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. In einem solchen Fall spricht der Beweis des ersten Anscheins nicht für ein Verschulden des Linksabbiegers.

  2.  Bleibt ungeklärt, ob der grüne Pfeil das Linksabbiegen freigab, haften der Geradeausfahrer und der Linksabbieger bei gleicher Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge jeweils zur Hälfte. Fährt der Geradeausfahrer bei "spätem Rot", also später als in der ersten Rotlichtsekunde über die Haltelinie, so trägt er grundsätzlich seinen Schaden selbst, wobei die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Linksabbiegers zurücktritt.


Siehe auch
Kollision mit Abbiegepfeil
und
Linksabbiegen

Gründe:


A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).





B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

I.

Das Landgericht ist zu Unrecht von einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten ausgegangen. Nach erneuter Beratung ist der Senat in Abweichung zum vorläufigen Hinweis anlässlich der Beweisverhandlung der Auffassung, dass der Kläger den Schaden vollständig selbst zu tragen hat, da nach der vom Senat durchgeführten (wiederholten) Beweisaufnahme feststeht, dass es dem Kläger nicht gelungen ist nachzuweisen, dass die Beklagte zu 1) ohne Diagonalgrünlicht eingefahren ist. Die Beklagten konnten jedoch mithilfe der Aussage des Zeugen M. nachweisen, dass der Kläger bei sog. „späten Rot“ in die Kreuzung eingefahren war, weshalb er in vollem Umfang haften muss, wobei sich der Senat insoweit - wie schon das Landgericht - der Rechtsprechung des Kammergerichts (KG, NZV 1999, 512) anschließt.

1. Der Kläger konnte nicht nachweisen, dass die Beklagte zu 1) entgegen ihrer Behauptung nicht bei aufleuchtendem Diagonalgrünpfeil in die Gegenfahrspur (des Klägers) eingefahren ist, denn der Aussage der zum Beweis hierfür vom Kläger benannten Zeugin S. kann der Senat keinen Glauben schenken. Denn die Zeugin konnte nicht überzeugend darlegen, weshalb sie in ihrer Aussage vor der Polizei am 03.12.2009, also 2 Tage nach dem Unfall, mit ihrer Unterschrift bestätigt hat, dass sie nicht sagen könne, ob der Grünpfeil aufgeleuchtet habe, während sie schon vor dem Landgericht und nun auch vor dem Senat bekundete, sie könne sicher sagen, dass der Grünpfeil noch nicht aufgeleuchtet habe, als die Beklagte zu 1) in die Gegenfahrbahn einfuhr. Für diese unerklärliche Abweichung hatte die Zeugin keine nachvollziehbare Begründung. Ohne gesonderte Erklärung spricht nichts dafür, dass die Zeugin zeitlich nahe nach einem Unfall eine wesentliche Tatsache nicht bestätigen, über ein Jahr danach und noch später aber das Gegenteil sicher wissen soll. Auch die Angabe, sie habe bereits vor der Polizei so wie vor Gericht ausgesagt, überzeugt nicht. Welchen Grund soll es gegeben haben, dass der vernehmende Polizeibeamte falsche Dinge in so einem wesentlichen Punkt aufnimmt. Auch machte die Zeugin (Realschullehrerin) nicht den Eindruck, sie würde blind, so ihre Behauptung, polizeiliche Protokolle unterschreiben, fertigte die Zeugin doch eine umfangreiche Unfallskizze und brachte mehrseitige Aufzeichnungen zum Unfallhergang zum Beweisaufnahmetermin vor dem Senat mit und zeigte damit eine ihrem Beruf entsprechende Sorgfalt auf. Letztendlich gab den Ausschlag, von der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage Abstand zu nehmen, dass sich die Zeugin nach ihrer Vernehmung und Entlassung aus dem Sitzungssaal freundlich lächelnd und persönlich zugewandt per Handschlag vom Kläger verabschiedet hat. Auch wenn sich der darauffolgende Dank des Klägers an die Zeugin auf ihre Hilfe nach dem Unfall bezogen haben mag, wie der Kläger vorbrachte, zeigt das Verhalten der Zeugin doch eine so deutliche Hinwendung zum Kläger auf, dass sich der Verdacht, die Zeugin habe im Gegensatz zu ihrer Vernehmung bei der Polizei vor Gericht eine dem Kläger günstige Aussage machen wollen, nicht von der Hand weisen lässt.


Den Angaben des Zeugen M. konnte dagegen im entscheidenden Bereich gefolgt werden. Dieser hat die hier wesentliche Tatsache des Kerngeschehens (Dauer des Rotlichts für den Kläger) wiederholt sicher wiedergegeben. Soweit der Kläger meinte, dem Zeugen Widersprüche anlasten zu wollen, handelte es sich um unwesentliche Details des Randgeschehens (etwa, dass sich der Zeuge bezüglich der Farbe des klägerischen Fahrzeugs nicht sicher war), erschüttert dies die Aussage nicht. Es spricht gerade nicht gegen die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage, wenn derartige Details nach längerer Zeit nicht mehr sicher wiedergegeben werden können. Maßgeblich sind die dem Zeugen wesentlichen Dinge. Entscheidend war, dass der Zeuge klar und unmissverständlich erklärt hat, dass der Kläger mit seinem Mini bei längerem Rot, das er als „stockvoll“ bzw. mit mindestens einer Sekunde beschrieben hat, in die Kreuzung eingefahren ist. Auch wenn der Zeuge eine Geschwindigkeitsreduktion durch Bremsen nicht feststellen konnte, hat er in seiner Aussage (unprotokolliert) mehrfach erwähnt, dass der Kläger das Gas weggenommen hatte in der Annäherung an die Kreuzung, so dass - wie er das vor dem Landgericht angegeben hat, von einem Langsamerwerden des klägerischen Fahrzeugs auszugehen ist. Die übrigen Angaben des Zeugen zu den Geschwindigkeit und Entfernungen blieben jedoch im Unklaren. Diese können dementsprechend entgegen der Auffassung des Landgerichts für die Entscheidung keine Rolle spielen. Vor dem Landgericht sagte der Zeuge, der Kläger sei mit ca. 30 km/h in die Kreuzung eingefahren, vor dem Senat meinte er, der Kläger sei 45 bis 50 km/h gefahren. In seiner landgerichtlichen Aussage erklärte der Zeuge, es sei beim Umschalten auf Rot ein Abstand des klägerischen Fahrzeugs von einer Fahrzeuglänge gewesen, vor dem Senat sprach er von zwei Fahrzeuglängen. Gerade die überzeugende Blickrichtung auf die Ampel und auf die vom Zeugen mehrfach betonte Tatsache, ihm sei unerklärlich geblieben, weshalb der Kläger nicht abgebremst habe, zeigt, dass sich der Zeuge hierauf und nicht auf genaue Abstände und Geschwindigkeiten der Fahrzeuge konzentriert hat. Deshalb ist von der Zeitangabe, nicht aber von den Geschwindigkeits- und Entfernungsangaben des Zeugen auszugehen, da sich insoweit auch keine Abweichungen zwischen den Aussagen ergaben.

2. Kommt es wie hier auf einer ampelgeregelten und mit einem grünen Linksabbiegerpfeil versehenen Kreuzung zu einem Zusammenstoß zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer, so muss der die Kreuzung geradeaus durchfahrende Verkehrsteilnehmer beweisen, dass der grüne Pfeil für den Linksabbieger nicht aufgeleuchtet hat, wenn er daraus für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. In einem solchen Fall spricht der Beweis des ersten Anscheins nicht für ein Verschulden des Linksabbiegers. Bleibt ungeklärt, ob der grüne Pfeil das Linksabbiegen freigab, haften der Geradeausfahrer und der Linksabbieger bei gleicher Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge jeweils zur Hälfte (BGH NJW 1996, 1405 = VersR 1996, 513 = NZV 1996, 231). Lässt sich dagegen wie hier (s.o.) positiv feststellen, bei welcher Ampelschaltung der sich im Geradeausverkehr befindliche Verkehrsteilnehmer in die Kreuzung eingefahren ist, gilt Folgendes (vgl. KG NZV 1999, 512): Fährt der Verkehrsteilnehmer wie vorliegend der Kläger im Geradeausverkehr bei "spätem Rot", also später als in der ersten Rotlichtsekunde über die Haltelinie, so trägt er grundsätzlich seinen Schaden selbst, wobei die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Linksabbiegers zurücktritt, wenn keine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers feststeht, was der Kläger hier aber nicht beweisen konnte. Der Grundsatz der vollen Haftung des Geradeausfahrers, der sorgfaltswidrig bei "spätem Rot" einfährt, gilt also auch dann, wenn die Schaltung des Grünpfeils im Unfallzeitpunkt ungeklärt bleibt; denn eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers, gegen den kein Anscheinsbeweis spricht (vgl. BGH, a.a.O.), kann dann nicht positiv festgestellt werden und die - nicht erhöhte (vgl. BGH, a.a.O.) - Betriebsgefahr seines Fahrzeuges tritt gegenüber der erheblichen Sorgfaltspflichtverletzung eines "späten" Rotlichtverstoßes zurück.



II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. III

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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