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Kammergericht Berlin Beschluss vom 01.03.2013 - 2 W 49/12 - Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei Regulierungsverhandlungen mit dem Kfz-Haftpflichtversicherer und nachfolgendem Rechtsstreit nur gegen den Fahrer
KG Berlin v. 01.03.2013: Zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei Regulierungsverhandlungen mit dem Kfz-Haftpflichtversicherer und nachfolgendem Rechtsstreit nur gegen den Fahrer
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 01.03.2013 - 2 W 49/12) hat entschieden:
Eine Anrechnung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr auf die Prozessgebühr findet auch dann statt, wenn ein Verkehrsunfallgeschädigter durch seinen Rechtsanwalt außergerichtlich mit der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners verhandelt, einen Verkehrsunfallprozess dann aber nur gegen den Schädiger, und nicht auch gegen dessen Versicherung führt.
Siehe auch Die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die spätere Verfahrensgebühr und Stichwörter zum Thema Rechtsanwaltsgebühren - Anwaltshonorar - Rechtsanwaltskosten
Gründe:
I.
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Anrechnung einer vorprozessualen Geschäftsgebühr.
Die Klägerin verlangte von der Gegenseite Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls. Zunächst verhandelte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Versicherung, bei der das gegnerische Fahrzeug versichert war. Nachdem dieses gescheitert war, verklagte die Klägerin die Beklagte als Fahrerin des Fahrzeuges. Mit dem am 14. Dezember 2011 verkündeten Urteil gab das Landgericht Berlin der Klage im weit überwiegenden Umfang statt und auferlegte der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits.
Mit dem Gesuch vom 3. Januar hat 2012 hat die Klägerin beantragt, die ihr entstandenen Kosten festzusetzen. Dem ist das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss nachgekommen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, mit der sie geltend macht, dass die Versicherung an die Klägerin 555,60 € für eine vorprozessuale Geschäftsgebühr ausgezahlt habe, die zur Hälfte (277,80 €) auf die Verfahrensgebühr des vorliegenden Rechtsstreits anzurechnen sei. Darüber hinaus hat die Klägerin im Laufe des Beschwerdeverfahrens mitgeteilt, dass sie zum Abzug von Vorsteuern berechtigt sei, worauf die Beklagte auch insoweit eine Korrektur der Festsetzung beantragt hat.
II.
Das nach § 104 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel ist zulässig. In der Sache hat die sofortige Beschwerde auch zum weit überwiegenden Teil Erfolg. Nur hinsichtlich der Postpauschale der vorprozessualen Kosten konnte keine Anrechnung erfolgen, da diese im Gesetz nicht vorgesehen ist. Insoweit war die sofortige Beschwerde daher zurückzuweisen.
Nach der Anrechnungsvorschrift Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist die Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten um die Hälfte der Geschäftsgebühr zu korrigieren. Eine solche Anrechnung der Geschäftsgebühr kann hier nach den Regelungen in § 15a Abs. 2 RVG erfolgen. Nach dieser Vorschrift kann ein Dritter sich auf die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat oder wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Hier besteht die Besonderheit, dass der Rechtsstreit nur gegen die Beklagte als Fahrerin des Fahrzeuges geführt worden ist, während die vorprozessuale Geschäftsgebühr bei den Verhandlungen mit der Versicherung entstanden und von der Versicherung beglichen worden ist. Insoweit erscheint es als zweifelhaft, ob die Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstandes im Sinne der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG entstanden ist. Hierzu hat bereits das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Beschluss vom 24. September 1993 (AGS 1994, 43) Folgendes zusammenfassend ausgeführt:
"Eine Anrechnung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr auf die Prozessgebühr findet auch dann statt, wenn ein Verkehrsunfallgeschädigter durch seinen Rechtsanwalt außergerichtlich mit der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners verhandelt, einen Verkehrsunfallprozess dann aber nur gegen den Schädiger und nicht auch gegen dessen Versicherung führt (entgegen OLG München, 1988-11-07, 11 W 2840/88, AnwBl 1990, 325).
Eine Nichtanrechnung würde der Stellung des Versicherers, die ihm in AKB § 10 Abs. 5 zugewiesen ist, nicht genügend Beachtung zumessen. Nach AKB § 10 Abs. 5 gilt der Versicherer als bevollmächtigt, alle ihm zur Befriedigung oder Abwehr der Ansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben. Das bedeutet, dass der Versicherer Regulierungsvollmacht hat und außergerichtlich immer auch als Vertreter des Versicherten der Ansprechpartner des Geschädigten ist. Aus dieser Vertreterstellung folgt, dass der nur gegen den Schädiger gerichtete Prozess gegen eine Person geführt wird, die der Geschädigte zusammen mit der Versicherung auch schon vorprozessual in Anspruch genommen hat. Außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit richten sich somit gegen die gleiche Person, ebenso wie in dem Fall, dass die Versicherung mitverklagt ist."
Dieser Rechtsauffassung hat sich inzwischen das Oberlandesgericht München in einem umfangreich und sorgfältig begründeten Beschluss vom 7. Februar 2012 (AGS 2012, 229) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung auch für den Fall angeschlossen, dass vorprozessualer Verhandlungspartner ein "normaler" Haftpflichtversicherer ist (a. A. Gerold/Schmidt – Müller-Rabe, RVG, 20. Auflage, Vorb. 3 VV Rn. 200). Der Senat schließt sich der dargelegten überzeugend begründeten Rechtsprechung an und nimmt ergänzend auf den Inhalt dieser Beschlüsse Bezug. Insbesondere erscheint es sinnvoll dem Grundgedanken der Anrechnung Geltung zu verschaffen, dass die im Wesentlichen gleiche Tätigkeit eines Rechtsanwaltes nicht doppelt vergütet werden soll.
Die bisher erfolgte Festsetzung in Höhe von 1.515,25 € war daher um die Hälfte der 1,3 fachen Geschäftsgebühr, mithin um 267,80 € und die gesamte Umsatzsteuer in Höhe von 199,50 € zu korrigieren, so dass sich der neue Festsetzungsbetrag mit 1.047,95 € ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Senat hat davon abgesehen, wegen des geringfügigen Mehrbetrages, um die die Beklagte die Festsetzung weiter verringern wollte (10 €), eine Gebühr nach Nummer 1812 GV GKG zu erheben.