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OLG Schleswig Urteil vom 27.02.2013 - 7 U 114/12 - Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Unfallmanipulation
OLG Schleswig v. 27.02.2013: Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Unfallmanipulation
Das OLG Schleswig (Urteil vom 27.02.2013 - 7 U 114/12) hat entschieden:
Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles in der KFZ-Kaskoversicherung durch Beteiligung an einem verabredeten Unfall. Anforderungen an die Beweisführung des Versicherers.
Siehe auch Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt den beklagten Versicherungsverein auf Versicherungsleistungen aus einer (Voll-)Kaskoversicherung für sein Fahrzeug Pkw Mercedes Benz 270 aufgrund eines vermeintlichen Unfalles vom 21.09.2010 gegen 20.30 Uhr in P. an der Einmündung A-Straße/B-Weg in Anspruch.
Im Kreuzungsbereich kam es zu einer Kollision des Fahrzeuges des Klägers mit dem von rechts aus der S-Straße kommenden und vorfahrtsberechtigten Pkw BMW 540i des Zeugen Y, der - so seine Angabe - nach links in den B-Weg einbiegen wollte.
Der BMW des Zeugen war zu dem Zeitpunkt rund acht Jahre alt, hatte eine Laufleistung von gut 182.000 km und war im Oktober 2010 TÜV-fällig; das Fahrzeug des Klägers war rund 7 ½ Jahre alt mit einer Laufleistung von knapp 98.000 km. Es hatte einen beseitigten Heckschaden aus Oktober 2009. Der Pkw des Klägers wurde vorn links, der des Zeugen hinten rechts beschädigt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, leistungsfrei zu sein, da es sich nicht um einen Unfall im Rechtssinne, sondern um ein verabredetes Geschehen gehandelt habe.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 9.569,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. April 2011 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat der Klage - nach Beweisaufnahme - stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, dass es sich um ein fingiertes Geschehen gehandelt habe, nicht geführt. Zwar sprächen einige Indizien für ein manipuliertes Geschehen, in der Gesamtschau sei ein solches aber nicht erheblich wahrscheinlich.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.
Zweitinstanzlich wiederholen und vertiefen die Parteien im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen,
während der Kläger auf
Zurückweisung der Berufung
anträgt.
Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Beklagten ist begründet.
Der Beklagte ist gemäß § 81 Abs. 1 VVG in Verbindung mit A.2.16.1 der dem Versicherungsverhältnis der Parteien zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die KFZ-Versicherung nicht zur Leistung verpflichtet. Denn es steht fest, dass der Kläger den Versicherungsfall, den vermeintlichen Unfall, vorsätzlich herbeigeführt hat. Der Beklagte hat - entgegen der Auffassung des Landgerichts - den ihm obliegenden Beweis der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles geführt, denn es steht fest, dass es sich bei dem vermeintlichen Unfall tatsächlich um ein verabredetes Geschehen gehandelt hat. Unter Beachtung der im angefochtenen Urteil (Seite 5) richtig dargestellten beweismäßigen Kriterien hat der Beklagte ein manipuliertes Unfallgeschehen bewiesen, damit zugleich den Beweis der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles geführt. Die Gesamtschau aller (Indiz-)Tatsachen rechtfertigt die dahingehende Überzeugungsbildung des Senats.
Zwar ist - jedenfalls zweitinstanzlich - unstreitig, dass es am behaupteten Ort zur behaupteten Zeit zu einer Kollision der Fahrzeuge des Klägers und des Zeugen Y kam; die Erklärungen aber, warum die Beteiligten überhaupt dort waren, sind nicht plausibel.
Der Kollisionsort liegt in einem auf der einen Seite von der P- Straße, auf der anderen Seite („Unfallstelle“) von einer Bahnlinie abgegrenzten Gewerbegebiet, mithin in einer Gegend, in der abends gegen 20:30 Uhr kaum mit unbeteiligten Zeugen zu rechnen war und es diese tatsächlich auch nicht gab.
In seiner persönlichen Anhörung hat der Kläger erstinstanzlich angegeben, normalerweise fahre er eine andere Route, diese sei aber diesmal gesperrt gewesen. In seiner persönlichen Anhörung in dem Parallelverfahren LG Itzehoe, 10 O 153/10 (OLG Schleswig 7 U 42/12) - der Klage des unfallbeteiligten Y gegen den hiesigen Kläger und den hiesigen Beklagten als Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges des Klägers - hatte der Kläger hingegen angegeben, er sei auf dem Weg zu „Burger King“ gewesen, um seinen Sohn abzuholen. Den B-Weg habe er befahren, da „auf der P-Straße“ ein Stau gewesen sei. Davon, dass die „übliche Route“ zu „Burger King“, die über die P-Straße führt, gesperrt gewesen sei, war hingegen nicht die Rede. Der Zeuge Y hingegen hat vor dem Landgericht angegeben, er habe die A-Straße in Richtung B-Weg gewählt, um den Stauverkehr in der P-Straße zu umgehen. Von einer Sperrung - die es allenfalls einige Zeit nach dem hier in Rede stehenden Geschehen gab - ist in der Aussage des Zeugen Y hingegen nicht die Rede. Auch in dem Parallelrechtsstreit des Zeugen Y hatte der hiesige Kläger/dortige Beklagte zu 2) in seiner persönlichen Anhörung lediglich von einem Stau auf der P-Straße gesprochen, während der unfallbeteiligte Y angeblich einen Stau „vor einer Ampel“ umgehen wollte. Beampelt in diesem Bereich ist allein die Kreuzung P-Straße/B-Straße, wobei es schon nicht glaubhaft ist, dass an einem Dienstagabend gegen 20:30 Uhr in beide Richtungen auf der P-Straße ein „Stau“ gewesen sein soll. Hinzu kommt, dass der B-Weg keine direkte Anbindung zur P-Straße hat, sondern der Kläger - um in den B-Weg zu gelangen - an der vermeintlichen Staustelle (Ampelkreuzung) bzw. dort, wo vermeintlich gesperrt gewesen sein soll, in die B-Straße nach links einbiegen musste, um von dort in den B-Weg zu gelangen.
Wenn der Kläger nun - in Kenntnis des Senatsurteils vom 14. November 2012 in der Sache 7 U 42/12 - geltend macht, wegen der seinerzeitigen Verkehrssituation in der P-Straße seien Verkehrsteilnehmer, die aus P. nach X in das dortige Gewerbegebiet fahren, um beispielsweise zu Marktkauf, Burger King und ähnlichen Einrichtungen zu gelangen, bereits zu Beginn der P-Straße in den P-Weg eingefahren, um dann von dort aus über die O-Straße, B-Straße dem B-Weg zu folgen und damit den Kreuzungsbereich B-Straße zu umfahren, mag dies für die Hauptverkehrszeiten zutreffen. Aber zum einen hat der Kläger einen derartigen Fahrweg weder in diesem Verfahren noch im angeführten Parallelrechtsstreit behauptet; zum anderen ist unstreitig, dass sich zum Zeitpunkt der Kollision am Kollisionsort und auch danach keine weiteren Verkehrsteilnehmer, die die vermeintliche Staustelle oder gar Sperrung hätten umfahren wollen, eingefunden haben. Damit erweist sich diese Behauptung als untauglicher nachträglicher Erklärungsversuch.
Bei dem Kollisionsort selbst handelt es sich (vgl. die Lichtbilder des aus dem Parallelverfahren beigezogenen Gutachtens Dipl.-Ing. W.) um einen weithin einsichtigen Kreuzungsbereich; unstreitig war an beiden kollisionsbeteiligten Fahrzeugen das Licht eingeschaltet, der Kläger will mit etwa 50 bis 60 km/h gefahren sein, der Zeuge Y will sein Fahrzeug aus vielleicht 50 km/h vor Erreichen des Kreuzungsbereichs auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst haben, gleichwohl wollen beide Fahrer das jeweils andere Fahrzeug erst unmittelbar vor der Kollision und damit zu spät bemerkt haben. Auch dies ist unglaubhaft. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass der übersichtliche Kreuzungsbereich gerade zum Zwecke der Herbeiführung einer Kollision mit einer vermeintlich eindeutigen Haftungslage aufgrund einer Vorfahrtsverletzung ausgesucht worden ist. Dafür spricht der von dem Sachverständigen W. rekonstruierte Hergang der Kollision, insbesondere der ganz ungewöhnliche Kollisionswinkel. Zwar hat der Sachverständige W. nicht feststellen können, dass das Fahrzeug des Zeugen Y zum Kollisionszeitpunkt stand, die gefahrene Geschwindigkeit betrug aber maximal 5 km/h (Kriechgeschwindigkeit). Auch die Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers muss zum Kollisionszeitpunkt deutlich herabgesetzt gewesen sein, denn obgleich die Reparaturkosten an seinem Fahrzeug sich auf (netto) rund 9.600 € beliefen, hatte bei der Kollision noch nicht einmal der Airbag ausgelöst, und auch nach den eigenen Angaben des Klägers (im Parallelverfahren) war das Fahrzeug nach der Kollision noch fahrfähig. Ein ganz gewichtiges Indiz für ein verabredetes Geschehen ist der von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. W. ermittelte Anstoßwinkel. Obwohl sich das Fahrzeug des Zeugen Y nach den Feststellungen des Sachverständigen zum Kollisionszeitpunkt bereits in voller Länge (Fahrzeuglänge: ca 4,80m) auf dem nur insgesamt 6 m breiten Ziegeleiweg befand, war der Anstoßwinkel nahezu rechtwinklig (circa 75 Grad), der BMW des Zeugen Y befand sich mithin gerade nicht in einem normalen Linksabbiegebogen (ein Umstand, den der Sachverständige als "ungewöhnlich" bezeichnet), sondern quer zur Fahrbahn und versperrte damit nahezu die gesamte Fahrbahnbreite des B-Wegs. Dies ist in der Tat für einen normalen Abbiegevorgang eine ganz ungewöhnliche Konstellation, denn das Fahrzeug des Zeugen Y hatte sich danach mit der Front nahezu an dem der Einmündung der A-Straße gegenüberliegenden Grünstreifen befunden, den er folglich zur Durchführung des Linksabbiegevorgangs hätte mitbenutzen müssen. Sinn hingegen macht eine solche Art des „Abbiegens“ bei einer verabredeten Kollision. Denn es kann gezielt ein bestimmter Bereich eines Fahrzeuges getroffen werden, ohne dass die Fahrzeuginsassen in Gefahr geraten. Dass genau dies so war, belegen eindrucksvoll die zur Akte gereichten Lichtbilder - insbesondere Blatt 23 ff. der Akte - über die Beschädigungen an den kollisionsbeteiligten Fahrzeugen. Nahezu punktgenau wurde nämlich der BMW des Zeugen Y im linken hinteren Bereich getroffen, so dass dort ein umfänglicher Fahrzeugschaden ohne jede Gefahr von Personenschäden verursacht werden konnte und verursacht worden ist mit dem Ziel, Haftpflichtansprüche zur Entstehung zu bringen. Derartige Kollisionen, wie sie auch der Sachverständige Dipl.-Ing. W beschrieben hat, führen bestenfalls zu einer leichten Drehbewegung des angestoßenen Fahrzeuges; das Verletzungsrisiko für die Insassen ist deshalb zu vernachlässigen, zumal wenn die Kollision erwartet, weil verabredet, wurde. Daher kommt auch der Tatsache, dass sich in dem Fahrzeug des Zeugen Y ein Beifahrer befand, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
Bei dem Fahrzeug des Zeugen Y handelt es sich um ein fast schon typisches Fahrzeug für einen gestellten Unfall, nämlich ein älteres, gleichwohl durchaus noch werthaltiges Fahrzeug der gehobenen Klasse; dasjenige des Klägers ist zwar eher untypisch für einen fingierten Unfall, dennoch für eine Unfallverabredung geeignet, da die vorhandene Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen werden sollte, so dass auf Seiten des Klägers ein finanzieller Schaden allenfalls in Höhe der Selbstbeteiligung zu erwarten stand. Ein derartiger Schaden lässt sich aber ohne Weiteres leicht aus den zu erwartenden Gewinnen - insbesondere bei Schadenabrechnung auf Gutachtenbasis (wie hier) - kompensieren.
Schlussendlich lässt sich im hier vorliegenden Fall ausnahmsweise auch das Argument, die Polizei sei nicht hinzugezogen worden, zugunsten des Beklagten in die Gesamtschau der Indizien einstellen. Zwar ist es in Schleswig-Holstein in der Tat so, dass bei „reinen Blechschäden“ die Polizei, selbst wenn sie herbeigerufen wird, regelmäßig keine Unfallaufnahme durchführt. Anders hingegen, wenn Personenschäden vorliegen. Zwar hat der Kläger schriftsätzlich vorgetragen, dass gerade im Hinblick auf diese bekannte Praxis die Polizei nicht zu Unfallstelle gerufen worden sei, auch der Zeuge Y hat dies vor dem Landgericht bekundet, dass er nämlich aus einem vorhergehenden Unfall gewusst habe, „dass bei einem Unfall ohne Personenschaden die Polizei nicht kommt“. Im Parallelrechtsstreit des Zeugen Y hat dieser nun aber gerade behauptet, dass er infolge der Kollision eine HWS-Verletzung erlitten habe, wofür ihm das Landgericht in jenem Verfahren erstinstanzlich sogar ein Schmerzensgeld zugesprochen hatte. Wenn dem denn so gewesen wäre, hätte aber zumindest der Zeuge Y die Polizei zur Unfallstelle rufen müssen, lag damit doch nach seinen Behauptungen ein Personenschaden vor.
Im Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob sich der Kläger und der Zeuge Y vor dem „Unfall“ gekannt haben, wovon der Senat allerdings ausgeht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass es auch für Unfallverabredungen nicht zwingend der Bekanntschaft bedarf; derartiges kann ohne Weiteres über Dritte „organisiert“ werden. Schließlich bedarf es auch keiner Vernehmung des Beifahrers des Zeugen Y, des Herrn Z. Dieser wurde in dem Parallelrechtsstreit vor dem Landgericht als Zeuge vernommen und vermochte dort lediglich zu bekunden, dass er von dem eigentlichen Unfallgeschehen nichts mitbekommen habe, da er mit seinem Handy beschäftigt gewesen sei. Ansonsten ist kein streitiger Umstand ersichtlich, für den der Zeuge Z geeignetes Beweismittel sein sollte.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.