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Landgericht Bochum Urteil vom 03.12.2012 - 8 O 344/12 - Zum Anspruch des Geschädigten auf Ersatz auf Neuwagenbasis
LG Bochum v. 03.12.2012: Zum Anspruch des Geschädigten auf Ersatz auf Neuwagenbasis
Das Landgericht Bochum (Urteil vom 03.12.2012 - 8 O 344/12) hat entschieden:
Voraussetzung für eine Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis ist eine erhebliche Beschädigung des Fahrzeugs. Eine erhebliche Beschädigung wird in aller Regel dann anzunehmen sein, wenn beim Unfall tragende oder sicherheitsrelevante Teile, insbesondere das Fahrzeugchassis, beschädigt wurden und die fachgerechte Instandsetzung nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbeiten am Fahrzeug erfordert. Ein Neufahrzeug mit einer Laufleistung von 1.000 km weist keine erhebliche Beschädigung auf, wenn bei der Reparatur lediglich die Stoßfängeraufnahme und -verkleidung sowie Schutz und Abdeckung unten ersetzt und das Heckblech instandgesetzt werden müssen.
Siehe auch Ersatz auf Neuwagenbasis und Stichwörter zum Thema Schadensersatz und Unfallregulierung
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 23.05.2012 gegen 17:10 Uhr B. in I. vor der dortigen Schwimmbrücke ereignete. Bei dem Unfall fuhr der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw der Beklagten zu 2) auf das vor ihm befindliche Fahrzeug des Klägers auf. Die Haftung der Beklagten für die eingetretenen Schäden ist dem Grunde nach unstreitig. Die Parteien streiten über die Abrechnung des Unfallschadens.
Am Klägerfahrzeug entstand ein Sachschaden in Höhe von 2.551,89 € netto. Diesen sowie eine Wertminderung in Höhe von 1.000,00 €, insgesamt also 3.551,89 €, sowie 511,11 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zahlte die Beklagte zu 3) am 21.06.2012 an den Kläger.
Zuvor hatte der Kläger die Beklagten mit Schreiben vom 01.06.2012 unter Fristsetzung bis zum 11.06.2012 zur Zahlung des Neuwagenkaufpreises von 24.000,00 € Zug um Zug gegen Übereignung des Wagens erfolglos aufgefordert.
Der Kläger ist der Ansicht, der streitgegenständliche Unfallschaden sei auf Neuwagenbasis abzurechnen. Insoweit behauptet er, er habe von Anfang an beabsichtigt, ein Ersatzneufahrzeug zu erwerben und habe dies auch bereits im Schreiben vom 01.06.2012 gegenüber dem Beklagten angekündigt. Im Hinblick auf das Regulierungsverhalten der Beklagten könne ihm nicht zugemutet werden, bereits jetzt die Anschaffung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeugs nachzuweisen. Er habe den streitgegenständliche Wagen bislang aber nicht reparieren lassen.
Das beschädigte Fahrzeug sei zum Unfallzeitpunkt – unstreitig – acht Tage alt gewesen und habe eine Laufleistung von lediglich 550km gehabt. Es handele sich damit nach der Rechtsprechung um einen "neuwertigen" Pkw. Der gutachterlich festgestellte Sachschaden sei erheblich, weil die Reparaturkosten mehr als 7,5 % des Neuwagenpreises betrügen und ein nicht unerheblicher merkantiler Minderwert verbliebe. Es bestehe auch die Gefahr, dass etwa im Bereich der Nachlackierung der Unfallschaden nach der Reparatur sichtbar bliebe.
Der Neupreis eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs betrage 24.000,00 €. Dies entspreche dem Kaufpreis, den der Kläger für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlt habe. Dementsprechend hätten die Beklagten ihm 20.428,11 € (24.000,00 € abzüglich gezahlter 3.551,89 €) Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zu erstatten. Außerdem seien noch vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 573,93 € offen, die die Rechtschutzversicherung bislang auch nicht gezahlt habe.
Der Kläger beantragt,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 20.428,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2012 Zug um Zug gegen Übereignung des Pkw Q mit dem amtlichen Kennzeichen ..., Fahrzeug-Identitätsnummer: ..., zu zahlen;
hilfsweise
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 20.428,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2012 Zug um Zug gegen Übereignung des Pkw Q. mit dem amtlichen Kennzeichen ..., Fahrzeug-Identitätsnummer: ..., und Zug um Zug gegen Nachweis der Anschaffung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeugs zu zahlen;
- festzustellen, dass sich die Beklagten in Annahmeverzug befinden;
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger vom weiteren Kostenanspruch seiner Prozessbevollmächtigten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 573,93 € freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie machen geltend, eine Abrechnung auf Neuwagenbasis komme nur in Betracht, wenn der Kläger ein fabrikneues Ersatzfahrzeug angeschafft habe, was er nicht getan habe. Allein die entsprechende Absicht genüge hier nicht. Unabhängig davon habe der Kläger sein Fahrzeug vorliegend sogar reparieren lassen und damit seinen Willen manifestiert, den Wagen weiter nutzen zu wollen.
Weiter habe das Fahrzeug laut Begutachtung am 29.05.2012 eine Laufleistung von 1.061km gehabt, sodass mit Nichtwissen bestritten werde, dass die Laufleistung zum Unfallzeitpunkt darunter gelegen habe. Der vorliegend eingetretene Schaden sei auch nicht erheblich, insbesondere weil keine tragenden und sicherheitsrelevanten Teile beschädigt worden seien und zur Instandsetzung keine Richt- und Schweißarbeiten erforderlich geworden seien.
Wegen der weitergehenden Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 313 II 2 ZPO auf die von den Parteien zur Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage des Klägers ist unbegründet.
Dem Kläger stehen aus dem streitgegenständlichen Unfall gegenüber den Beklagten keine weiteren Schadensersatzansprüche gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG mehr zu.
Der Kläger hat auf Grundlage des durch den Unfall eingetretenen Schadens keinen Anspruch gegenüber den Beklagten auf Abrechnung auf Neuwagenbasis.
Wird ein fabrikneues Fahrzeug erheblich beschädigt mit der Folge, dass es trotz Durchführung einer fachgerechten Reparatur den Charakter der Neuwertigkeit verliert, kann der Geschädigte in den Grenzen des § 251 II BGB ausnahmsweise die im Vergleich zum Reparaturaufwand höheren Kosten für die Beschaffung eines Neuwagens beanspruchen. Angesichts der schadensrechtlichen Bedeutung der Neuwertigkeit ist es dem Geschädigten in einer derartigen Situation grundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur des erheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung eines den merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetrags zu begnügen. Vielmehr rechtfertigt sein besonderes, vermögensrechtlich zu qualifizierendes Interesse am Eigentum und an der Nutzung eines Neufahrzeugs ausnahmsweise die Wahl der im Vergleich zur Reparatur teureren Restitutionsmaßnahme. Denn nach der Verkehrsauffassung genießt ein in erheblichem Umfang repariertes Fahrzeug auch unter Berücksichtigung eines nach den üblichen Maßstäben bemessenen Ersatzes für den merkantilen Minderwert nicht dieselbe Wertschätzung wie ein völlig neuwertiges unfallfreies Fahrzeug (BGH NJW 2009, 3022 juris-Rn 16).
Voraussetzung für eine solche Abrechnung auf Neuwagenbasis wäre jedoch, dass das Fahrzeug bei dem Unfall erheblich beschädigt worden wäre.
Die Erheblichkeit einer Beschädigung ist dabei nicht in erster Linie anhand der Schwere des eingetretenen Unfallschadens, sondern vor allem anhand des Zustands zu beurteilen ist, in dem sich das Fahrzeug nach einer fachgerechten Reparatur befinden würde. Danach ist eine erhebliche Beschädigung zu verneinen, wenn der Unfall lediglich Fahrzeugteile betroffen hat, die im Rahmen einer fachgerecht durchgeführten Reparatur spurenlos ausgewechselt werden können, und die Funktionstüchtigkeit und die Sicherheitseigenschaften des Fahrzeugs, insbesondere die Karosseriesteifigkeit und das Deformationsverhalten nicht beeinträchtigt sind (wie beispielsweise bei der Beschädigung von Anbauteilen wie Türen, Scheiben, Stoßstangen, etc.; vgl. OLG Hamm RuS 2012, 413). Denn dann wird der frühere Zustand durch die Reparatur voll wieder hergestellt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede Beschädigung an einem nicht abschraubbaren Teil – z.B. Kratzer an der Karosserie – notwendigerweise zu einer Schadensbeseitigung auf Neuwagenbasis führen würde. Der Tatrichter hat bei der Ausübung seines Schätzungsermessens zu berücksichtigen, dass sich derartige Beschädigungen mit Hilfe der heutigen Reparatur- und Lackiertechnik häufig in einer Weise beseitigen lassen, die den schadensrechtlichen Charakter der Neuwertigkeit des Fahrzeugs uneingeschränkt wiederherstellt. Eine erhebliche Beschädigung wird in aller Regel dann anzunehmen sein, wenn beim Unfall tragende oder sicherheitsrelevante Teile, insbesondere das Fahrzeugchassis, beschädigt wurden und die fachgerechte Instandsetzung nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbeiten am Fahrzeug erfordert. Denn durch derartige Arbeiten wird in erheblicher Weise in das Gefüge des Fahrzeugs eingegriffen. Indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit der Beschädigung kann in der erforderlichen Gesamtbetrachtung auch einem hohen merkantilen Minderwert zukommen. Dagegen ist bei Fahrzeugen mit einer Laufleistung von nicht mehr als 1000km nicht erforderlich, dass nach Durchführung der Instandsetzungsarbeiten noch erhebliche Schönheitsfehler verbleiben, Garantieansprüche gefährdet sind oder ein Unsicherheitsfaktor gegeben ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Unfallschäden bei einem späteren Verkauf ungefragt offenbart werden müssen oder einen Sachmangel im Sinne des § 434 I 2 Nr. 2 BGB begründen (BGH NJW 2009, 3022 juris-Rn 19/20).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall nicht von einer erheblichen Beschädigung des Klägerfahrzeugs durch den streitgegenständlichen Unfall auszugehen. Laut den – im Ergebnis unstreitigen – Feststellungen des Sachverständigen, sind bei dem Auffahrunfall die Heckverkleidung mittig beschädigt, der Heckquerträger und das Heckblech unten eingedrückt und die Unterverkleidung beschädigt worden. Bei der Reparatur sollten sodann die Stoßfängeraufnahme, die Stoßfängerverkleidung, die Einparksensoren sowie Schutz und Abdeckung unten ausgetauscht werden. Lediglich das Heckblech sollte instand gesetzt werden. Dies bedeutet, dass die durch den Unfall geschädigten Fahrzeugteile zum ganz überwiegenden Teil durch vollständig neue Teile zu ersetzen gewesen wären. Lediglich das Heckblech sollte instand gesetzt werden. Weder aus den vorgelegten Lichtbildern noch aus den Ausführungen des Gutachters und der Schadenskalkulation ist dabei ersichtlich, dass es sich um eine erhebliche Beschädigung des Heckblechs gehandelt hat. Hier ist nach Auffassung der Kammer weiterhin zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Heckblech nicht um ein sicherheitsrelevantes Fahrzeugteil handelt. Darüber hinaus ist dieses nach der Reparatur von außen überhaupt nicht sichtbar.
Wie bereits dargestellt, begründet auch alleine die Sorge des Klägers, dass die Lackierung des neu anzubringenden Heckstoßfängers möglicherweise einen Farbunterschied zum restlichen Fahrzeug aufweist, allein nicht an Erheblichkeit des Schadens im vorgenannten Sinne. Soweit eine Teillackierung des Heckabschlussblechs vorzunehmen ist, spielt dies ebenfalls keine Rolle, weil dieses – wie erwähnt – von außen am Fahrzeug nicht sichtbar ist.
Insgesamt geht die Kammer daher davon aus, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Unfallschaden noch nicht um einen so erheblichen Fahrzeugschaden gehandelt hat, der eine Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis rechtfertigen würde. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil – wie ausgeführt – gerade nicht bloß auf die Höhe der erforderlichen Reparaturkosten oder aber den unfallbedingt entstandenen merkantilen Minderwert abzustellen ist.
Mangels bestehender Hauptforderung steht dem Kläger auch in Bezug auf die Nebenforderungen keinen Anspruch zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.