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Landgericht Berlin Beschluss vom 20.02.2013 - 538 Qs 20/13 - Kostenerhebung für Geschwindigkeitssachverständigen

LG Berlin v. 20.02.2013: Kostenerhebung für Geschwindigkeitssachverständigen


Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 20.02.2013 - 538 Qs 20/13) hat entschieden:
Die gerichtliche Beauftragung eines verkehrsrechtlichen Sachverständigen zur Klärung der Beweisverwertbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung stellt keine unrichtige Sachbehandlung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG dar. Voraussetzung einer unrichtigen Sachbehandlung ist vielmehr ein schwerer Verfahrensverstoß, der offen zu Tage tritt oder ein offensichtliches Versehen, etwa eine eindeutige Verkennung des materiellen Rechts.


Siehe auch Sachverständigenbeweis im Straf- und OWi-Verfahren


Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 11.Mai 2012 legte der Polizeipräsident in Berlin dem Betroffenen eine am 6. März 2012 begangene Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last und verhängte ein Bußgeld in Höhe von 80,- Euro. Hiergegen legte der Betroffene rechtzeitig Einspruch ein, ohne diesen zunächst näher zu begründen.

Der zuständige Richter beim Amtsgericht Tiergarten in Berlin lud zu der auf den 27.11.2012 anberaumten Hauptverhandlung. Nach Akteneinsicht beantragte der Verteidiger des Betroffenen unter dem 30.12.2012 die Einstellung des Verfahrens, weil unklar sei, nach welcher Messmethode die Geschwindigkeitsmessung durchgeführt worden sei, ob eine veraltete Gebrauchsanweisung angewendet worden sei und nicht die Distanzen eventuell falsch niedergelegt worden seien.

Durch Beschluss vom 1. November 2012 beauftragte das Amtsgericht einen technischen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zur Beweisverwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung unter Berücksichtigung der von der Verteidigung aufgeworfenen Fragen. Das Gutachten wurde unter dem 5.11.2012 erstellt. Aufgrund des Ergebnisses des Gutachtens nahm der Betroffene den Einspruch auf Anregung des Gerichts am 20.11.2012 zurück, der Hauptverhandlungstermin wurde aufgehoben.

Mit Schreiben vom 6.11.2011 machte die ... Automobil GmbH 1587,64 Euro für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens geltend, die dem Betroffenen zuzüglich einer Zustellungspauschale von 3,50 Euro mit Kostenrechnung vom 27.11.2012 in Rechnung gestellt wurden. Hiergegen wandte sich der Betroffene mit einem Antrag auf Niederschlagung hinsichtlich der Sachverständigenentschädigung mit der Begründung, er hätte vor Sachverständigenbeauftragung angehört werden müssen.

Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte es das Amtsgericht ab, die Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung niederzuschlagen, weil das Sachverständigengutachten zur Klärung der Ordnungsgemäßheit der Messung erforderlich gewesen sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Betroffenen.


II.

1. Die (einfache) Beschwerde ist nach § 66 Absatz 2 S.1 GKG zulässig, weil der Beschwerdewert im vorliegenden Fall 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts über die Frage der Nichterhebung der entstandenen Sachverständigenkosten wegen unrichtiger Sachbehandlung (§ 21 GKG), über die gemäß § 66 Abs. 6 S. 1 GKG ein Kammermitglied als Einzelrichter zur Entscheidung berufen ist, ist jedoch unbegründet.

Der Betroffene hat nach Rücknahme seines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid (auch) die Kosten für das schriftliche Sachverständigengutachten gemäß § 27 GKG zu tragen (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 38. Auflage, § 27 GKG m.w.N.). Zu den Kosten des Verfahrens gehören neben den Gebühren auch die entstandenen Auslagen für den Sachverständigen.

Die Beauftragung eines Sachverständigen durch das Amtsgericht stellt keine unrichtige Sachbehandlung iSd § 21 Abs.1 S.1 GKG dar. Nach dieser Vorschrift werden Kosten nicht erhoben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Ein leichter Verfahrensverstoß reicht in der Regel nicht aus, um von der Erhebung der Kosten nach dieser Bestimmung abzusehen. Um zu verhindern, dass es zu einer Kette nicht endender Nichterhebungsverfahren kommt, verlangt die Rechtsprechung vielmehr einen schweren Verfahrensverstoß, der offen zu Tage tritt, oder ein offensichtliches Versehen, etwa eine eindeutige Verkennung des materiellen Rechts (vgl. BGH, Beschluss vom 4.5.2006, - XII ZR 217/04 -; BGH, Beschluss vom 13.7.1983, - 3 StR 420/82 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.12.2007 – 17 U 85/07; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.7.2008 – 8 WF 102/08).

Bei der Beauftragung eines verkehrsrechtlichen Sachverständigen im vorliegenden Fall handelt es sich mitnichten um einen solchen (offensichtlich schweren) Fehler. Im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. § 46 OWiG iVm § 244 Abs.2 StPO), der das Gericht schon von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und die hierfür erforderlich gehaltenen Beweiserhebungen durchzuführen, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, den Betroffenen von einem gegen ihn eventuell zu Unrecht erhobenen Vorwurf freizusprechen. Vorliegend ist es nicht zu beanstanden, dass der Amtsrichter aufgrund der vom Verteidiger vorgebrachten Zweifel an der Korrektheit der von der Polizei durchgeführten Geschwindigkeitsmessung einen verkehrsrechtlichen Sachverständigen beauftragt hat, um sich für den Hauptverhandlungstermin die notwendige Sachkunde bei der Beurteilung des Sachverhaltes zu verschaffen. Die Ladung des Sachverständigen war daher im Sinne der Prozessökonomie ein probates Mittel, um eine zügige Bearbeitung der Sache in der Hauptverhandlung zu gewährleisten bzw. die für den Betroffenen kostengünstigere Rücknahme des Rechtsmittels auf einer fundierten Tatsachengrundlage zu ermöglichen.

Die durch die Ladung des Sachverständigen veranlassten gerichtlichen Auslagen für dessen Entschädigung sind daher nicht gemäß § 21 Absatz 1 S. 1 GKG niederzuschlagen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Absatz 8 GKG.