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OLG Frankfurt am Main Urteil vom 21.12.2012 - 4 U 164/12 - Nutzungswille bei Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs ein Jahr und neun Monate nach dem Unfall
OLG Frankfurt am Main v. 21.12.2012: Nutzungswille bei Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs ein Jahr und neun Monate nach dem Unfall
Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.12.2012 - 4 U 164/12) hat entschieden:
An einem für einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung erforderlichen Nutzungswillen während der Wiederbeschaffungsdauer fehlt es regelmäßig, wenn der Geschädigte über längere Zeit kein Ersatzfahrzeug anschafft (hier: Ersatzbeschaffung nach weit über einem Jahr).
Siehe auch Nutzungsausfall und fehlender Nutzungswille
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eine Verkehrsunfalls, der am ….8.2010 stattgefunden hat, Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 6.763,50 Euro, ein angemessenes Schmerzensgeld in vorgestellter Höhe von 800,- € sowie auf vorgerichtliche Kosten in Höhe von 661,16 € in Anspruch.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme über den Unfallhergang in Höhe von 2.680,75 € für den materiellen Schaden und 316,18 € vorgerichtliche Kosten stattgegeben, weil die Verursachungs- und Verschuldensanteile an dem Unfall mit je 50 % zu bewerten seien. Den Schmerzensgeldanspruch hat das Landgericht insgesamt abgewiesen, weil der Kläger nur kurzfristig und unerheblich beeinträchtigt worden sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er die Zahlung weiterer 2.391,87 € materiellen Schadensersatz, die Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 495,87 € sowie ein angemessenes Schmerzensgeld beansprucht.
Die Beklagten beantragten, die Zurückweisung der Berufung und rügen, dass die Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich des Zinsbeginns nicht zutreffend sei.
Von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird nach § 540 Abs. 2 in Verbindung mit § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die bis auf einen Betrag von 10,- € zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers hat lediglich insoweit Erfolg als ihm ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 400,- € zuzusprechen ist.
Die als Anschlussberufung auszulegende Rüge der Beklagten betreffend den Zinsanspruch hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Zur Berufung
a) Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung im Rahmen der nach §§ 17, 18 StVG zu treffenden Abwägung zu der zutreffenden Würdigung gelangt, dass beide Parteien ein etwa gleich hoher Verursachungs- und Verschuldensanteil an dem Unfall trifft.
Zu Unrecht meint der Kläger, das Landgericht habe sich bei der Würdigung, den Kläger treffe ein Verschulden an dem Auffahrunfall, auf die Bekundungen des Zeugen Z1 gestützt, den es im weiteren Verlauf der Begründung als unglaubwürdig angesehen hat. Vielmehr beruht die Annahme des Verschuldens des Klägers nicht auf dem von dem Zeugen Z1 bekundeten vorherigen Geschehen beim Einfädelversuch des Klägers, sondern darauf, dass er entgegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO unmittelbar vor dem Auffahren auf das Heck des Beklagtenfahrzeuges keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat. Diese tatsächliche Feststellung hat das Landgericht jedoch der Aussage des insgesamt als glaubwürdig angesehenen Zeugen Z2 entnommen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser tatsächlichen Feststellung begründen, weshalb das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Die gründliche, alle Umstände auswertende Beweiswürdigung des Landgerichts überzeugt vielmehr in vollem Umfang.
Die Würdigung der beiderseitigen Verschuldensanteile mit je ½ ist bei diesem Zusammentreffen der Verkehrsverstöße nach § 4 Abs. 1 S. 1 und S. 2 StVO überzeugend und entspricht der überwiegend in der Gerichtspraxis vertretenen Rechtsauffassung (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Aufl., Rz. 129 ff.).
b) Hinsichtlich der Höhe des Anspruchs steht dem Kläger jedoch über den vom Landgericht zuerkannten Betrag noch ein Schmerzensgeld in Höhe von 400,- € sowie ein Anspruch auf einen entsprechend höheren Erstattungsanspruch wegen der vorgerichtlichen Kosten zu. Im Übrigen jedoch ist die Beurteilung des ersatzfähigen Schaden durch das Landgericht nicht zu beanstanden.
aa) Den Fahrzeugschaden in Gestalt des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes hat das Landgericht auf der Grundlage des Privatgutachtens der A GmbH (Bl. 10 d.A.) zutreffend auf 5.153,- € ermittelt. Dass für Fahrzeuge dieser Art auf dem Gebrauchtwagenmarkt lediglich die Umsatz-Differenzbesteuerung anfällt und deshalb der vom Gutachter ausgewiesene geringere Nettobetrag von 7.808,- Euro anzusetzen ist, statt 8.000,- €, wird von der Berufung auch nicht angegriffen.
bb) Dass dem Kläger über die vom Landgericht zuerkannten hälftigen Unterstellkosten für das beschädigte Fahrzeug (89,85 €) kein Anspruch auf die weitere Hälfte dieser Kosten zu steht folgt aus den Ergebnis zur Haftungsverteilung unter 1.
cc) Hinsichtlich der Abmeldekosten von 10,- € ist die Berufung bereits unzulässig, weil sie insoweit vom Kläger nicht begründet worden ist. Dass Landgericht hat diese Schadensposition in vollem Umfang aberkannt, weil es an einem Nachweis dafür fehle. Die Berufungsbegründung setzt sich damit nicht auseinander.
dd) Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung, den der Kläger in Höhe von 1.200,- Euro (24 Tage à 50,- €) geltend macht, ist auch nach dem ergänzten Vorbringen im Berufungsverfahren nicht begründet.
Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass einem Geschädigten ein Nutzungswille fehlt, wenn er nach einem Unfall, der zur Verkehrsuntauglichkeit seines Fahrzeuges geführt hat, längere Zeit kein Ersatzfahrzeug angeschafft hat (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 249 Rz. 42 m.w.N.). Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz hat der Kläger kein Ersatzfahrzeug erworben.
Soweit der Kläger noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zum Nachweis seines Nutzungswillens einen Kaufvertrag vom 21.5.2012 vorgelegt hat, mit dem er von seinem Vater einen 15 Jahre alten gebrauchten ... zum Preis von 2.000,- Euro gekauft hat, rechtfertigt dies als solches keine andere Beurteilung.
Dieser Umstand ändert nämlich nichts an der Tatsache, dass der Kläger bis zu diesem Kauf über 1 Jahr und 9 Monate hinweg kein Ersatzfahrzeug angeschafft hat. Der Nutzungswille muss jedoch während der notwendigen Wiederbeschaffungsdauer nach dem Unfall gegeben sein.
Die waren hier nach dem Klägervortrag die auf den ….8.2010 folgenden 24 Tage. Dass der Kläger erst viel später ein Fahrzeug gekauft hat, ist gerade kein Indiz dafür, dass er es damals benötigt hat.
Von einem Nutzungswillen des Klägers ist das Berufungsgericht auch nicht auf der Grundlage seiner bereits in erster Instanz vorgetragenen Erklärung überzeugt, er sei wirtschaftlich nicht in der Lage sei, ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen und könne dies erst nach Erhalt des Schadensersatzbetrages. Zum einen weisen die Beklagten mit Recht darauf hin, dass der Kläger ein Fahrzeug im Wert von 2.000,- €, wie er es nun nach 1 Jahr und 9 Monaten erworben hat, schon bald nach dem Unfall aus dem erzielten Restwert des beschädigten Fahrzeuges hätte anschaffen können. In dem vorgerichtlichen Schreiben vom 4.10.2010 (Bl. 21 f.) hat der Kläger nämlich mitgeteilt, er habe das Fahrzeug zum Restwert von 2.655,- Euro an eine Firma B verkauft. Dass ein Gebrauchtfahrzeug von einem fremden Dritten mit einem größeren Risiko verbunden wäre, trifft zwar zu, aber das gilt für jede Preisklasse. Zum anderen hätte der Kläger bereits in erster Instanz vortragen können und müssen, warum er konkret wirtschaftlich nur zur Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges in der Lage war. Seine Angabe im Termin vor dem Berufungsgericht, dass er in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis in der Computerbranche stehe, lässt wirtschaftliche Gründe nicht als nachvollziehbar erscheinen. Eher ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Zeit nach dem Unfall ein Fahrzeug gerade nicht (dringend) benötigte und deshalb keine „fühlbare Beeinträchtigung“ durch die fehlende Nutzungsmöglichkeit erlitten hat.
e) Hinsichtlich des Schmerzensgeldes vermag das Berufungsgericht der Rechtsauffassung des Landgerichts, die vorgetragenen und unbestrittenen Verletzungen lägen unterhalb einer „Geringfügigkeitsgrenze“ und beeinträchtigten nur unerheblich, nicht folgen. Der Kläger hat nach dem Attest der Ärztin C (Bl. 20 d.A.) und den zur Illustration vorgelegten Lichtbildern (Bl. 66 – 68 d.A.) am linken Armen sowohl Prellungen als auch eine offen blutende Abschürfung erlitten. Der rechte Arm zeigt neben Prellungen eine erhebliche Brandwunde (Verbrennung 1. Grade). Beides ist mit erheblichen Schmerzen verbunden, die auch eine gewisse Zeit in der Heilungszeit anhalten. Der Kläger trägt dementsprechend in der Berufung unbestritten vor, die Verletzungen über 4 Wochen mit einem Gel behandelt zu haben. Eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens ist schon wegen dieser Umstände anzunehmen.
Sie vermag auch deshalb als für ein Schmerzensgeld nicht zu geringfügig angesehen werden, weil von der Rechtsprechung häufig schon bei geringen HWS-Prellungen ein Schmerzensgeld von 300,- bis 600,- € zuerkannt. Darauf, dass der Kläger keine weiteren ärztlichen Behandlungen hat durchführen und sich auch nicht hat arbeitsunfähig schreiben lassen, kommt es für die Beurteilung der Geringfügigkeit nicht an. Der Kläger hätte sich zwar möglicherweise für seine Tätigkeit am Computer auch für eine gewisse Zeit die Arbeitsunfähigkeit bestätigen lassen können. Dass er dies nicht getan und gleichwohl gearbeitet hat, darf ihm nicht zum Nachteil gereichen.
Die vom Kläger für die Verletzungen vorgestellte Höhe des Schmerzensgeldes von 800,- € erschiene im Falle einer alleinigen Haftung der Beklagten angemessen, so dass unter Berücksichtigung des hälftigen Mitverschuldensanteils ein Betrag von 400,- € sachgerecht ist.
f) Die Erstattung der ihm vorgerichtlichen Kosten kann der Kläger aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 249 BGB (Rechtsverfolgungskosten als Teil des Schadensersatzes) dementsprechend aus einem erhöhten berechtigten Ersatzanspruch erstattet verlangen: 1,3 RVG Gebühr aus 3.080,75 € (282,10 €) zzgl. 20,- € Auslagenpauschale zzgl. 19 % MwSt, also 359,50 €. Er kann also über den vom Landgericht zuerkannten Betrag weitere 43,32 € beanspruchen.
2. Anschlussberufung
Das Begehren der Beklagten in der Berufungserwiderung, den vom Landgericht zuerkannten Verzugszinsanspruch ab dem 15.10.2010 abzuerkennen, ist als Anschlussberufung auszulegen, weil die Beklagten dieses Begehren nur für den Fall stellen, dass die Berufung durchgeführt („nicht zurückgenommen“) wird.
Die Anschlussberufung ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass mit dem Anwaltsschreiben vom 4.10.2010 (Bl. 21 f. d.A.) Verzug ausgelöst worden ist, weil es für eine Mahnung nicht notwendig einer Fristsetzung zur Zahlung bedarf. Vielmehr ist ausreichend, dass der Gläubiger eindeutig zum Ausdruck bringt, dass er die geschuldete Leistung nunmehr verlangt (BGH NJW 2008, 50; NJW 2008, 1813, 1816).
Dies ist in dem Schreiben jedenfalls dadurch erfolgt, dass der Klägervertreter darauf hingewiesen hat, dass der Geldbetrag „umgehend auf unser Konto“ überwiesen werden soll. Der Verzug beginnt im Fall einfacher Leistungsaufforderung mit Ablauf des Tages, an dem der Gläubiger unter Berücksichtigung von Postlaufzeiten und der zur Geldbeschaffung notwendigen Zeit den Zahlungseingang regelmäßig erwarten kann. Dies ist mit einem Zeitraum von 11 Tagen vom Landgericht ausreichend bemessen worden, weil der Kläger mit diesem Schreiben seine Forderung erstmals näher beziffert hat und der Beklagten zu 2) eine angemessene Prüfungszeit zuzubilligen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO.
Eine Zulassung der Revision war nicht geboten, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.