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OLG Düsseldorf Urteil vom 11.10.2011 - I-1 U 19/11 - Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem rückwärts einparkenden und einem an diesem vorbeifahrenden Fahrzeug
OLG Düsseldorf v. 11.10.2011: Zur Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem rückwärts einparkenden und einem an diesem vorbeifahrenden Fahrzeug
Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 11.10.2011 - I-1 U 19/11) hat entschieden:
Bei Passieren eines rückwärtsfahrenden oder rückwärts einparkenden Fahrzeugs handelt es sich nicht um einen Überholvorgang, sondern eine Vorbeifahrt. Die Pflichten des Vorbeifahrenden gegenüber dem rückwärtsfahrenden oder einparkenden Pkw ergeben aus der allgemeinen Verhaltensregel des § 1 Abs. 2 StVO. Im Rahmen einer solchen Vorbeifahrt besteht dabei eine aus § 1 Abs. 2 StVO abzuleitende Verpflichtung des Vorbeifahrenden, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem so zu passierenden Verkehrsteilnehmer einzuhalten. Bei dem zu wählenden Sicherheitsabstand muss der Vorbeifahrende ferner gegebenenfalls dem Umstand Rechnung tragen, dass das andere Fahrzeug bei seinem rückwärtigen Einparkvorgang ausschwenkend in die von ihm gewählte Spur geraten kann.
Siehe auch Parken im Zivilrecht und Seitenabstand - seitlicher Mindestabstand
Gründe:
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Die im Rahmen der Abwägung gemäß §§ 17 Abs. 1 StVG einzustellenden jeweiligen Verursachungsbeiträge rechtfertigen kein dem Kläger günstigeres Ergebnis, so dass über die bereits ausgeurteilten Beträge hinaus keine weitergehenden Ansprüche aus dem Unfallereignis am 01.10.2008 gemäß den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflichtVersG mehr bestehen.
Im Rahmen der Abwägung waren dabei im Zusammenhang mit dem rückwärtigen Einfahren in eine Parklücke zu Lasten des Klägers Verstöße gegen die ihm obliegenden Verpflichtungen des § 9 Abs. 5, Abs. 1 S. 4 StVG einzustellen. Demgegenüber war auf der Beklagtenseite ein erheblicher Verstoß des Beklagten zu 1. gegen die ihn beim Vorbeifahren am Fahrzeug des Klägers nach § 1 Abs. 2 StVO treffende Verpflichtung zu berücksichtigen. Der Beklagte zu 1. war im Rahmen des nach § 1 Abs. 2 StVO bestehenden Gebots, sich so zu verhalten, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt wird, bei der an dem rückwärts einparkenden Fahrzeug des Kläger vorgenommenen Vorbeifahrt zur Einhaltung eines nach der Situation erforderlichen Mindestabstands verpflichtet. Demgegenüber hat der Kläger die ihm obliegende Verpflichtung zur Beobachtung des rückwärtigen Verkehrsraums nicht hinreichend beachtet. Unter Berücksichtigung der dem Kläger in Zusammenhang mit einem Rückwärtsfahren gemäß § 9 Abs. 5 StVO auferlegten äußersten Sorgfalt trifft den Beklagten jedoch keine über einen 50%igen Anteil hinausgehende Haftung, da beide Parteien wegen der jeweiligen Verstöße gegen die ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten den Unfall im gleichen Maße zu verantworten haben.
I.
Im Einzelnen ergibt sich folgendes:
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Zweifel im Sinne dieser Vorschrift bestehen dabei schon dann, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle einer Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, also sich deren Unrichtigkeit heraus stellt (vgl. BGH, NJW 2003, 3480; Senat, Urteil vom 11.05.2005, Az.: I-1 U 158/03).
Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des Urteils des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insbesondere aus dem Vortrag der Parteien oder aus dem angefochtenen Urteil selbst ergeben, aber auch aus Fehlern, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH, NJW 2004, 1876). Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die beweiswürdigenden Erwägungen einer festen Tatsachengrundlage entbehrten, also nur auf Vermutungen basieren, lückenhaft wären oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstießen, schließlich aber auch, wenn die Entscheidung unter Verletzung materiellen Rechts ergangen ist und dies zu einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung geführt hätte. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. BGH, NJW 2006, 152).
Derartige Zweifel sind hier weder in Bezug auf die durch die Beweisaufnahme zu dem Unfallhergang durch das Landgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen noch im Hinblick auf eine etwaig durch fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts vorgenommene Gewichtung der Verursachungsbeiträge der Parteien ersichtlich.
II.
Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten im Zusammenhang mit dem Unfallereignis am 01.10.2008 auf der ... Straße in ... ergibt sich gegenüber dem Beklagten zu 1. gemäß den §§ 7, 17, 18 StVG sowie gegenüber der Beklagten zu 2. aus §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflichtVG, da sich der Unfall beim Betrieb eines Fahrzeugs durch den Beklagten zu 1. als Fahrer und Halter ereignete, das bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert war. Anhaltspunkte dafür, dass der Unfall für eine der Parteien auf höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG zurückzuführen war, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Des Weiteren ist auch keine der Parteien der jeweils ihnen obliegende Nachweis gelungen, dass der Unfall für den auf ihrer Seite beteiligten Fahrer unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gewesen wäre und die grundsätzliche Haftung deshalb ausgeschlossen war. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Unfall auch für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage nicht zu vermeiden gewesen wäre. Der Kraftfahrer muss sich dabei so verhalten haben, wie es ein Idealfahrer in einer vergleichbaren Situation getan hätte (vgl. BGH BGHZ 113, 164, BGHZ 117, 337). Damit verlangt § 17 Abs. 3 StVG, dass der Fahrzeugführer in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. BGH NZV 2006, 191, 193), wobei ein schuldhaftes Fehlverhalten das Vorliegen eines unabwendbares Ereignis stets ausschließt.
Nach diesem Maßstab war die Kollision für den Beklagten zu 1. kein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG, da bei der konkret vorliegenden Verkehrssituation ein als Maßstab zu Grunde zu legender Idealfahrer an dem rückwärts einparkenden Fahrzeug des Klägers wegen der engen Fahrbahnbreite und der dadurch absehbaren Gefahrensituation nicht mehr vorbeigefahren wäre.
Jedoch haftet auch der Kläger als Halter des weiteren unfallbeteiligten Fahrzeugs grundsätzlich aus § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen. Denn auch seinerseits ist der Nachweis der Unabwendbarkeit gemäß § 17 Abs. 3 StVG nicht geführt worden. Vielmehr ergibt sich nach der Beweisaufnahme, dass er den Beklagten nicht bemerkt und sein Einparkmanöver fortsetzte, ohne sich ausreichend versichert zu haben, ob der hinter und seitlich von ihm befindliche Verkehrsraum tatsächlich frei war. Er hat daher die in der konkreten Verkehrssituation wegen des seitlichen Abbiegens und des Rückwärtsfahrens nach § 9 Abs. 5, Abs. 1 S. 4 StVO erforderliche Sorgfalt nicht eingehalten.
III.
Wegen der beiderseitigen Haftung der Unfallparteien ist daher gemäß § 17 Abs. 1 StVG eine Haftungsabwägung durchzuführen. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge der Beteiligten ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 506; KG NZV 1999, 512, NZV 2003, 291). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, 231), wobei jedoch auch die Regeln des Anscheinsbeweises ggfs. Anwendung finden können (KG Berlin, KGR 2003, 140; OLG Frankfurt, Schaden-Praxis 2010, 106; OLG Koblenz, Urteil vom 13.10.2003, Az.: 12 U 1629/02 zitiert nach juris).
IV.
Dem Beklagten zu 1. ist ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zu Last zu legen, da er an dem für ihn erkennbar rückwärts einfahrendem Fahrzeug des Klägers nicht mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand vorbeifuhr.
1.) Bei dem Fahrvorgang des Beklagten zu 1., bei dem dieser versuchte das rückwärts einparkende Fahrzeug des Klägers zu passieren, handelte es sich in verkehrsrechtlicher Sicht nicht um ein Überholen i.S.d. § 5 StVO, so dass weder die für die Einhaltung des Seitenabstands in § 5 Abs. 4 S. 2. StVO noch hinsichtlich des Verbots eines Überholens in unübersichtlicher Lage in § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO getroffenen Regelung heranzuziehen waren. Ein Überholen im Sinne des § 5 StVO liegt danach vor, wenn ein Fahrer an einem auf dem selben Straßenteil befindlichen anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in dieselbe Richtung bewegt oder verkehrsbedingt anhält oder soeben anfährt, vorbeifährt (BGH NJW 74, 2005; OLG Düsseldorf, DAR 2004, 596; KG Berlin, Urteil vom 07.03.1988, Az.: 12 U 3663/87; Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 5 StVO Rdnr. 2; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 5 StVO Rdnr. 1; Zieres in Geigel, Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 27. Kapitel, Rdnr. 159).
Bei dem Passieren eines rückwärtsfahrenden oder rückwärts einparkenden Fahrzeug handelt es sich dagegen im rechtlichen Sinne nicht um einen Überholvorgang, sondern eine Vorbeifahrt (BayObLG BayObLGSt 1966, 68; ähnlich KG Berlin NJW-RR 2011, 26). Die Pflichten des Vorbeifahrenden gegenüber dem rückwärtsfahrenden oder einparkenden Pkw ergeben dann allerdings nicht nach § 6 StVO, der zwar die Vorbeifahrt regelt, aber lediglich den Gegenverkehr schützt (KG Berlin vom 07.03.1988, 12 U 3863/87; Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 6 StVO, Rdnr. 1). Vielmehr bedarf es im Hinblick auf die Pflichten des vorbeifahrenden Fahrzeugs eines Rückgriffs auf die allgemeine Verhaltensregel des § 1 Abs. 2 StVO (BayObLG BayObLGSt 1966, 68; LG Bochum Schadens-Praxis 2007, 229; AG Remscheid Schaden-Praxis 2009, 103). Auch im Rahmen einer solchen Vorbeifahrt besteht dabei eine aus § 1 Abs. 2 StVO abzuleitende Verpflichtung des Vorbeifahrenden, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem so zu passierenden Verkehrsteilnehmer einzuhalten (Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 6 StVO, Rdnr. 6; LG Bochum, Schadens-Praxis 2007, 229). Bei dem zu wählenden Sicherheitsabstand muss der Vorbeifahrende ferner gegebenenfalls dem Umstand Rechnung tragen, dass das andere Fahrzeug bei seinem rückwärtigen Einparkvorgang ausschwenkend in die von ihm gewählte Spur geraten kann (AG Remscheid, Schaden-Praxis 2009, 103).
2.) Das Landgericht ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu 1. gegen diese ihm nach § 1 StVO obliegende Verpflichtungen verstoßen hat, indem er ohne ausreichenden Sicherheitsabstand versuchte, an dem klägerischen Fahrzeug vorbeizufahren. Denn der Beklagte zu 1. hätte rechtzeitig erkennen können, dass sich der Kläger noch im Einparkvorgang befand und die Breite der Fahrbahn angesichts dessen für ein gefahrloses Vorbeifahren nicht ausreichen würde. Wenn diese Beobachtung den auf dem Parkstreifen stehenden Zeugen ... in seinem Fahrzeug nach dessen Bekundungen ohne weiteres möglich war, lag es nahe, dass dies erst recht für den auf der Straße befindlichen und daher mit besseren Sichtmöglichkeiten ausgestatteten Beklagten zu 1. galt. Nach den von dem Sachverständigen ... dokumentierten Örtlichkeiten, wonach die ...-straße im Bereich der Unfallstelle geradlinig verläuft, lag für den Beklagten zu 1. eine freie Sicht auf das einparkende Fahrzeug vor. Dennoch versuchte er sich trotz der ersichtlich schmalen Straßenbreite an dem einparkenden Fahrzeug des Klägers vorbei zu "drängeln", obwohl er mit einem weiteren Ausschwenken des anderen Fahrzeugs rechnen musste. Ein erforderlicher Mindestabstand konnte dabei allein schon wegen der geringen Straßenbreite nicht mehr eingehalten werden. Der Beklagte zu 1. nahm daher bei dieser Verkehrssituation nicht nur seine eigene, sondern auch die Gefährdung des klägerischen Fahrzeugs sehenden Auges in Kauf. Es hätte - wie auch vom Landgericht ausgeführt - dem Beklagten zu 1. stattdessen oblegen, seine Geschwindigkeit sofort herabzusetzen und nötigenfalls im ausreichenden Abstand abzuwarten, bis ihm ein gefahrloses Vorbeifahren an dem klägerischen Fahrzeug möglich war. In der Folge lag daher ein erheblicher Verstoß des Beklagten zu 1. gegen die ihm nach § 1 Abs. 2 StVO treffenden Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem gefahrlosen Passieren an dem rückwärts einparkenden Kläger mit ausreichendem Sicherheitsabstand vor.
3.) Der entgegenstehende Vortrag der Beklagten, dass der Beklagte zu 1. bereits mit seinem Fahrzeug an der Rotlicht anzeigenden Ampel gestanden und der Kläger erst danach mit seinem Einparkvorgang begonnen habe und gegen das hinter ihm stehende Fahrzeug gefahren sei, ist dabei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zweifelsfrei wiederlegt worden. So hat der Beklagte zu 1. bereits in seiner persönlichen Anhörung eingeräumt, dass er während des Einparkvorgangs des Klägers noch langsam auf die Ampel zu und links an dem Fahrzeug des Klägers vorbeigefahren ist. Erst auf Vorhalt seines Prozessvertreters hat er sich dahingehend berichtigt, dass er schon an der Ampel gestanden habe. Für die Richtigkeit der ersten Äußerung spricht dabei die Aussage des neutralen Zeugen .... Dieser hat bekundet, dass er den Einparkvorgang des Klägers zufällig beobachtet habe, als er in seinem bereits auf dem Fahrstreifen abgestellten Fahrzeug etwa zwei Wagenlängen hinter der vom Kläger angestrebten Parklücke gestanden habe. Nach seinen glaubhaft geschilderten Beobachtungen hatte der Kläger dann den Einparkvorgang bereits eingeleitet und bewegte sich noch zurück, als sich das Beklagtenfahrzeug von hinten annäherte. Der Zeuge hat auch ausdrücklich bekundet, dass sich aus seiner Sicht beide Fahrzeuge auch noch zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung befanden. Nach seinen persönlichen Eindruck sah es unmittelbar vor dem Unfall so aus, als ob sich der Beklagte zu 1. mit einem Fahrzeug noch links am Klägerfahrzeug vorbei zu drängeln versuchte.
Diese Aussage wird im Wesentlichen auch durch die Feststellungen des Sachverständige ... bestätigt. Dieser hat aus der Stauchung des Felgenhorns am klägerischen Pkw ermittelt, dass sich die Fahrzeuge im Zeitpunkt des Kontaktes zwischen den beiden Rädern bis zum Erreichen der Endstellungsposition um ca. 2,5 Meter zueinander bewegt haben. Im Zusammenhang mit der dokumentierten Endstellung der Fahrzeuge nach dem Unfall hat er auf eine sich ergebende Ausweichlenkbewegung des Beklagten zu 1. geschlossen, aus der eine, wenn auch gegebenenfalls mit geringer Geschwindigkeit ausgeführte, Fahrbewegung nach vorne zu folgern war. Der Sachverständige hat dabei nachvollziehbar ausgeführt, dass die Endstellungsposition des Beklagtenfahrzeugs für eine Halteposition vor der Lichtzeichenanlage ungewöhnlich wäre. Aufgrund der Beweisaufnahme ist daher davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1. seine Annäherung an die Lichtzeichenanlage trotz des erkennbaren Einparkvorgangs unverändert fortsetzte und nicht zuvor bereits zum Stillstand gekommen war.
V.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht ebenso fest, dass auch der Kläger im erheblichen Maße schuldhaft gegen die ihm nach § 9 Abs. 5, Abs. 1 S. 4 StVO obliegenden Pflichten verstoßen hat.
1.) Zunächst war der Kläger als einparkender Abbieger nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verpflichtet, vor dem Abbiegen im besonderen Maße nochmals auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Ferner musste er wegen des mit einer Rückwärtsfahrt verbundenen Einparkvorgangs gemäß § 9 Abs. 5 StVO äußerste Sorgfalt walten lassen und sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Gerade bei dem rückwärts gerichteten Einfahren in eine Parklücke darf der Rückwärtsfahrende seine Konzentration nämlich nicht nur auf den Einparkvorgang selbst ausrichten, sondern muss den ihn umgebenden Verkehrsraum insgesamt wegen der besonderen Gefahrensituation sorgfältig beobachten (KG Berlin, Urteil vom 07.06.1993, Az.: 12 U 3861/91 zitiert nach juris). Der Zurücksetzende muss dabei nicht nur bei Beginn der Rückwärtsfahrt auf den rückwärtigen Verkehr achten, vielmehr ist während des gesamten Fahrmanövers eine ständige Rückschau geboten ist (OLG Dresden, Schaden-Praxis 2010, 174). Insbesondere hat er darauf Obacht zu geben, dass der Gefahrraum hinter seinem Kraftfahrzeug frei ist und von hinten wie von der Seite her frei bleibt (Senat, Urteil vom 10. März 2008, Az.: I-1 U 188/07; KG Berlin, Urteil vom 07.06.1993, Az.: 12 U 361/91 zitiert nach juris; OLG Dresden, Schaden-Praxis 2010, 174). Der rückwärts in eine rechts belegene Parklücke Einrangierende hat zusätzlich zu beachten, dass der Kühler seines Fahrzeugs ggfs. nach links in den Verkehrsraum ausschwenkt (KG Berlin, Urteil vom 07.06.1993, Az.: 12 U 361/91 zitiert nach juris). Er muss sich ferner vergewissern, dass das beabsichtigte Fahrmanöver unter Wahrung der gebotenen Sicherheitsabstände (§ 4 Abs. 1 StVO) gefahrlos möglich ist (Senat, Urteil vom 23.03.2010, Az.: I - 1 U 141/09 Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 StVO, Rdnr. 52). Wegen dieser hohen Sorgfaltsanforderungen spricht daher bei einer Kollision während des Zurücksetzens der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden (std. Rspr. des Senats, zuletzt Urteil vom 23.03.2010, I-1 U 141/09; KG Berlin a.a.O.; Henschel/Dauer/König a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 56).
2.) Diesen gegen sich bestehenden Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert oder gar widerlegt. Vielmehr steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gegenteilig fest, dass sich die typischerweise beim Rückwärtsfahren bestehende Gefahrensituation infolge eines Pflichtverstoßes seinerseits bei der Beobachtung des rückwärtigen bzw. seitlichen Verkehrsraums verwirklicht hat.
Bereits aus der eigenen Einlassung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht ergibt sich, dass er vor der Kollision keine hinreichende Beobachtung des rückwärtigen Fahrraums vorgenommen hat. So räumt er selbst ein, dass er sich bei der Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs überwiegend auf das hinter ihm befindliche Fahrzeug des Zeugen ... konzentriert hat. Nachdem dieses angehalten hatte, war nach seiner Einschätzung der Verkehr hinter ihm zum Stillstand gekommen. Woher dann das Fahrzeug des Beklagten zu 1. gekommen sei, wisse er nicht, obwohl er den Körper nach hinten gedreht und in alle Richtungen geschaut habe. Wenn dies aber tatsächlich der Fall gewesen wäre, so hätte allerdings das entsprechende Fahrzeug des Beklagten zu 1. der Aufmerksamkeit des Klägers nicht entgehen können. Denn aus der Aussage des Zeugen ... folgt, dass sich das Beklagtenfahrzeug dem Unfallort mit einer Geschwindigkeit von lediglich ca. 20 bis 30 km/h angenähert hat. Bei der pflichtgemäß vorzunehmenden Umschau ist es daher nicht nachvollziehbar, dass der Kläger dieses sich mit mäßiger Geschwindigkeit herannahende Fahrzeug nicht rechtzeitig wahrnehmen konnte. Spätestens als der Beklagte zu 1. versuchte, seitlich an ihm vorbei zu fahren, musste er diesen dann aber bei der notwendigen Verkehrsbeobachtung bemerken und sein Fahrzeug sofort zum Stillstand bringen. Der Zeuge ... hat aber bekundet, dass sich unmittelbar vor dem Zusammenstoß beide Fahrzeuge in Bewegung befanden, insbesondere das klägerische Fahrzeug den Einparkvorgang fortsetzte. Dass dieses Fahrzeug entsprechend abgebremst worden wäre, was in Anbetracht der Annäherung des Beklagten zu 1. nahe lag, konnte er nicht beobachten. Der trotz der Tatsache, dass sich das Beklagtenfahrzeug nunmehr auf gleicher Höhe befand, unvermindert fortgesetzte rückwärtige Einparkvorgang lässt nur den Schluss einer unzureichenden Beobachtung des rückwärtigen Verkehrsraums durch den Kläger zu.
3.) Dass demgegenüber das Fahrzeug des Klägers tatsächlich, wie von ihm vorgetragen, schon angehalten hatte und der Beklagte zu 1. gegen das stehende Fahrzeug gefahren ist, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt worden. Gegen diese Version spricht bereits der von dem Zeigen ... geschilderte Unfallablauf. Im Weiteren stehen dieser Unfallversion aber auch die Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... entgegen, wonach sich auch der klägerische Pkw zum Kollisionszeitpunkt noch in Richtung des Beklagtenfahrzeugs bewegte. Der Sachverständige hat diese Bewegung nachvollziehbar aus der Stauchung des Felgenhorns des klägerischen Pkws in radialer Richtung abgeleitet, wonach sich die Fahrzeuge zu dem Zeitpunkt des Kontaktes zwischen den Rädern bis zum Erreichen der Endstellungsposition relativ um ca. 2,5 m zueinander bewegt haben müssen, um derartige Schäden auszulösen. Die Fahrzeuge mussten sich danach mit sehr geringer Überdeckung streifend aneinander vorbeibewegt haben, bevor das Fahrzeug des Beklagten zu 1. an der hinteren Tür des klägerischen Renault in die Endstellung gelangt war. Demnach konnte ausgeschlossen werden, dass sich das Fahrzeug des Beklagten zu 1. zum Kollisionszeitpunkt im Stillstand befand, da die Konturen der beiden Fahrzeuge dann deutlich mehr ineinander gedrungen wären als es aufgrund der tatsächlich vorhandenen Beschädigungen der Fall gewesen ist. Bei einer danach zu erwartenden Eindringung hätten sich in jedem Fall stärkere Kontaktspuren im Seitenbereich des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. bzw. an der Frontecke des klägerischen Opels ausprägen müssen. Darüber hinaus wäre es bei einer solchen Anstoßkonstellation auch zu einem Anstoß der Außenspiegel der beiden Fahrzeuge gegen die Seitenkontur des jeweils anderen Fahrzeugs gekommen. Anhaltspunkte für derartige Beschädigungen an den Fahrzeugen ergaben sich aber nach den weiteren Auswertungen des Sachverständigen weder aus den Lichtbildern noch aus dem Akteninhalt.
VI.
Im Rahmen der danach gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung ergibt sich unter Gewichtung der jeweiligen Mitverursachungsträge keine für den Kläger in Bezug auf das Ergebnis der ersten Instanz günstigere Haftungsquote. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger als rückwärts Einparkender ein doppelter Verstoß gegen die Pflichten des § 9 Abs. 5 Satz 5, Abs. 1 Satz 4 StVO zur Last fällt und er wegen der bei dem rückwärtigen Einparkvorgang für die anderen Verkehrsteilnehmer entstehenden besonderen Gefahren zu äußerster Sorgfalt angehalten war. Demgegenüber ist dem Beklagten zu 1. ein erheblicher Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, da er sehenden Auges unter eklatanter Missachtung des gebotenen Sicherheitsabstandes in die sich vor ihm abzeichnende Gefahrensituation einfuhr. Gleichwohl geht die Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen in der Regel von einer weit überwiegenden Haftung des rückwärts Einparkenden aus (LG Bochum Schaden-Praxis 07, 229: 1/3 zu 2/3; AG Frankfurt Schaden-Praxis 2005, 157: 1/5 zu 4/5; AG Remscheid Schaden-Praxis 2009, 103: ¼ zu 3/4). Ob dem hier zu folgen wäre, kann dahin stehen. Jedenfalls kommt hier auch unter Berücksichtigung des groben Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1. eine über einen hälftigen Haftungsanteil hinausgehende Quote nicht in Betracht.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren: 1.538,21 EUR.